Stanislaw Lem

hallo,
wer findet Bücher von Stanislaw Lem lesenwert? (und warum?)
danke
Friedrich

Hallo Friedrich -

also ich besitze so annähernd das gesamte übersetzte Werk von Lem (etwa 60 Titel).

Einiges davon mag ich, anderes nicht. Das liegt natürlich vor allem daran, daß Lem im Laufe der Jahrzehnte sehr unterschiedliche Texte geschrieben hat.

Zu meinen Favoriten zählen z.B. bis heute die Pirx-Geschichten (z.B. „Die Jagd“). Obwohl ihr Erzählstil - wie fast immer bei Lem - ausgesprochen unterkühlt genannt werden muß, haben sie mich schon mit 12 fasziniert, als ich noch gar nicht der entschiedene SF-Fan war, der das hier tippt. Ich denke mal, die Güte der Pirx-Geschichten steckt in Lems Fähigkeit, den Leser in die absolute Leere des Alls einzufühlen. Es gibt noch nicht die naive, teils fast märchenhaft anmutende Technikgläubigkeit und -allmacht von Star Trek, die zwar schillernd und farbig - aber eben auch fern jeden nachvollziehbaren Lebensgefühls ist. Pirx ist ein Durchschnittsmensch, der von Dingen erzählt, die ihm in seiner Zeit passieren: von der absoluten Isolation im All, von der Gerichtsuntersuchung einer Raumschiffskatastrophe, von seinem ersten Raumflug als Kadett. Auch wenn in den Geschichten absolut nichts passiert, was auch nur eine halbe Star Trek-Folge ergäbe, passiert doch sehr sehr viel, und in über zwanzig Jahren SF-Leserei habe ich nur wenige Protagonisten gefunden mit einem so lebendig beim Leser ankommenden Innenleben wie Pirx. Es stört dabei überhaupt nicht, daß Pirx viel zu nüchtern für „Seemannsgarn“ ist: das macht ihn als Erzählfigur um so glaubwürdiger. Pirx (und damit Lem) kann ich immer wieder zuhören, auch wenn ich alle Geschichten längst kenne.

Ganz anders die berühmten „Ijon Tichy“-Geschichten, die - glaube ich - erfolgreicher waren/sind als die Pirx-Erzählungen, mir aber nicht ganz so zusagten. Diese Werke (z.B. „Der futurologische Kongreß“) erinnern an die satirischen Utopien von S. Butler & Kollegen und bieten eine ganz merkwürdige Kombination von Humor, Satire und Grusel. Wenn Ijon Tichy in einem edlen Restaurant vor teuren Delikatessen sitzt und dann nicht nur erkennt, daß alles eine staatlich verordnete Illusion ist und er in Wirklichkeit an einem schlichten Holztisch Nahrungspillen verdrückt, sondern selbst hinter dieser ernüchternden „Wirklichkeit“ eine weitere, noch üblere Realität erkennt - dann ist das eine vor Einfällen überschäumende gruseligkomische Geschichte, die zwar keinerlei wissenschaftlich-kausale Plausibilität kennt, ihre vielschichtige Wirkung aber nicht verfehlt.

Für Lems Verhältnisse ausgesprochen leichte Kost sind die gesammelten „Robotermärchen“ von den konkurrierenden Konstrukteuren Trurl und Klapauzius. Selten war literarisch ambitionierte SF so kauzig und fabulierfreudig - da kommen selbst die Strugatzkis nicht ganz mit. Hier läßt Lem seine Erzählfreude von der Leine- und in der Tat könnte man die „Kyberiade“ fast für ein Werk eines anderen osteuropäischen Autoren halten.

Lems Essays und seine größeren sekundärliterarischen Werke sind hochintelligent, allerdings auf weiten Strecken auch sehr pedantisch bis hin zur Rechthaberei. Ich bin - da nicht mit einem Doktor in Philosophie und mindestens einem weiteren in Wissenschaftsethik gesegnet - stellenweise nicht mehr mitgekommen und kann manche seiner Aussagen schlicht nicht beurteilen. Lem ermangelt der Fähigkeit, Komplexes zu vereinfachen und zu übersetzen: entweder man bewegt sich auf seinem Niveau oder läßt es bleiben. Ich ziehe in Bezug auf manche seiner Themen angloamerikanische Autoren vor, die mehr Wert auf Vermittlung legen und deswegen nicht weniger kompetent sind.

Zuletzt noch einige bekannte Einzelwerke wie „Eden“, „Solaris“ oder „Der Unbesiegbare“. Man muß sich darauf einlassen können. Der Stil ist kühl, asexuell, aber deswegen nicht ohne Leidenschaft. Der Mensch ist Hauptfigur, aber eben nicht immer Held, nicht immer Gewinner, nicht immer ‚der Gute‘. Lem schreibt viel über die unserer Rasse eigene Arroganz, die angesichts der schieren Größe des Weltalls als unreife Fehleinschätzung erkennbar wird und natürlich scheitern muß. Ich empfinde die Romane als ein angenehm kühlendes Bad zwischen den manchmal doch etwas zu bunten Welten anderer SF-Autoren.

Lem hat eine Phantasie von der Größe eines Sonnensystems. Er ist auch definitiv (und soweit die Übersetzungen dies hinüberretten) einer der sprachbegabtesten Autoren der Gegenwarts-SF. Aber er ist auch ein egozentrischer Intellektueller, der manchmal sehr arrogant und belehrend daherkommt. Da Lem (der mit - recht schwachen - Kriminalromanen anfing) eigentlich nur bei der SF gelandet ist, weil diese das einzige literarische Genre darstellt, das genug Freiheiten für seine Fiktionen bieten konnte, ignoriert er zahlreiche SF-Konventionen. Das kann man als abschreckend, aber auch als Erholung empfinden.

Ich jedenfalls habe nach zwei Büchern Lem am Stück stets das Bedürfnis nach einer Pause. Aber ich kehre auch immer wieder zu seinen Werken zurück. Er ist ein herausfordernder Autor und einer der wenigen, die es tatsächlich geschafft haben, schon zu Lebzeiten - und ganz zu recht - zu Klassikern geworden zu sein.

Hallo!

Ich kann dem nur noch zustimmen: Pilot Pirx ist eines meiner absoluten Lieblingsbücher. Es ist faszinierend realistisch geschrieben - hier werden die Menschen nicht als fehlerlose Helden dargestellt, sondern als ziemlich mittelmäßig. Selbst wenn mal einer davon eine „Heldentat“ leistet, bleibt er im Übrigen doch ein ganz normaler Mann. Halt real!
das ist - ebenso wie der Roman „der Unbesiegbare“ und anderen Raumfahrererzählungen echte und ganz solide science fiction.

Aber mir gefallen auch die meisten übrigen Bücher von ihm: die Erzählungen von Ion Tichy sind völlig grotesk und absurd - aber trotz allem interessant zu lesen.
Im „futurologischen Kongreß“ z.B. wird eine anfangs eigentlich normal erscheinende Welt als immer pervertierter und kaputter enthüllt - völlig überspitzt wie sie in dem Text ist zeigt sie aber doch die Konsequenz einer Gesellschaft, in der nur an Symptomen herumoperiert wird anstatt die Ursache des Übels zu bekämpfen.

Die Geschichten von Trurl und Klapauzius sind eine Art Märchen für Erwachsene, leicht zu lesen und zu verstehen, aber trotz moralischer Inhalte nicht moralisierend. Einfach angenehm! :smile:

Natürlich gibt es auch noch Geschichten die mir nicht gefallen haben - „Nacht und Schimmel“ wäre eine solche, und die „Memoiren, gefunden in der Badewanne“ waren für mich lediglich absurd, aber nicht inhaltsvoll.

Seine essays sind hochintelligent, wenn ich auch nicht immer einer Meinung mit ihm bin (das Internet z.B. kam bei ihm nicht allzugut weg), lesenswert sind sie allemal.

Für mich ist Lem einfach einer der großartigsten Autoren!

Schönen Gruß,
Robert

Auch Hallo

wer findet Bücher von Stanislaw Lem lesenswert?

Ich *g*

(und warum?)

  1. Klassiker des Genres, aus denen sich zahllose andere Autoren bedient haben.

  2. Vielschichtiger als die meisten anderen SF-Autoren, insbesondere was das übliche „Gut-Böse“ Schema angeht.
    (Insbesondere „Der Unbesiegbare“ und „Eden“)
    Die „Moral“ in seinen Büchern ist immer gut verpackt, aber immer von Toleranz geprägt.

  3. Keine Superhelden, sondern „Menschen wie Du und Ich“ die in z.T. unmögliche Situationen gebracht werden.
    Aber es ist eigentlich niemals (vom Frühwerk abgesehen) ein weltbewegender Plot, sondern mehr der „All-Tag“

  4. Seine kühle, wenig emotionale Schreibweise liegt mir einfach.

  5. OT. Warum fragst Du?

Als einstieg in Lem würde ich pers. „Der Unbesiegbare“ und „Pilot Pirx“ empfehlen.
zu „Fiasko“ habe ich irgendwie keinen Zugang gefunden…
furchtbar pessimistisch und etwas seltsames Szenario.

…und ich!

wer findet Bücher von Stanislaw Lem lesenwert? (und warum?)

hi friedrich,

die von penglobin erwähnte überbordende fantasie mit „kosmischen ausmaßen“ ist es, die mich seit zwanzig jahren immer wieder zu lem bringt.
nein, er ist meist nicht einfach, auch wenn es zuerst so daherkommt. vertrackte problematiken wie zeitparadoxien, philosophisches querdenken in „solaris“ oder politische bzw. militaristische visionen wie „friede auf erden“ habe ich in so intelligenter form und konsequenz selten gefunden. es ist wohl diese konsequenz des weiterdenkens, die mich fasziniert.
sogar lange beschreibungen fremder welten sind glaubwürdig und gewinnen ihre faszination daraus, daß lem zwar fabuliert, aber nicht im nebulösen. immer liegt ein interessanter gedanke im hintergrund, der mit allen folgen durchgespielt wird und dabei keine rücksicht nimmt auf die strukturen des genres.
eigentlich halte ich den mann für einen originellen visionär.
(und ich hoffe sehr, daß sein werk nicht weiterhin in hollywood verbraten wird. emmerich verfilmt den „unbesiegbaren“ und ridley scott dreht „friede auf erden“ an originalschauplätzen, aus gegebenen anlaß…)

gruß,
frank

Stanislaw Lem und ich

hallo,

irgendwann in den 80zigern hatten Freunde begeistert von Lem gesprochen über „Sterntagebücher“;muß aber sagen das ich irgenwie nicht die Kurve bekommen habe.
-von den Freunden und Lem habe ich nichts mehr gehört bis nun in
der Kinovorschau „Solaris“ angeboten wurde.
cu
Friedrich

bis nun
in
der Kinovorschau „Solaris“ angeboten wurde.

hi friedrich,
wie das immer so ist mit literaturverfilmungen:
selten hat es was mit dem original zu tun.
wenn schon, solltest du die zwar alte, aber dafür nähere tarkowskij-interpretation sehen.
am allerbesten aber: kauf dir für das kinogeld das buch.
dann weißt du, was es mit dem lem auf sich hat. der film zeigt einen bruchteil der geschichte unter aussparung der wichtigen teile.
außerdem ist die grundsätzliche aussage wegen gültiger erfolgsparameter natürlich ausgespart und verfälscht.
die liebenden kriegen sich am schluß. so muß das sein.
lem sah dies anders, daher würde ich diese verfilmung mit großem abstand zum original betrachten.

gruß,
frank

Hallo,

die von penglobin erwähnte

hihi, netter Verschreibser, ich fühle mich wie ein Blutkörperchen.

emmerich verfilmt den
„unbesiegbaren“ und ridley scott dreht „friede auf erden“ an
originalschauplätzen, aus gegebenen anlaß…)

obwohl: die Kyberiade in einer Umsetzung von Nick Park („Wallace & Gromit“) könnte doch recht nett sein, oder? *g*

Gruß,

Pengoblin

Hallo!

(und ich hoffe sehr, daß sein werk nicht weiterhin in
hollywood verbraten wird. emmerich verfilmt den
„unbesiegbaren“ und ridley scott dreht „friede auf erden“ an
originalschauplätzen, aus gegebenen anlaß…)

Scheinbar bin ich völlig wetfremd - ich hatte keine Ahnung, daß irgendwann mal irgendwer irgendwas von Lem verfilmt hätte…

Aber ich bin ja auch vor vier oder fünf Jahren das letzte Mal im Kino gewesen.

Nun ja, der „Unbesiegbare“ paßt wohl noch am ehesten zu Emmerich, es dürfte wohl das Buch mit der heftigsten Ballerei sein das Lem je geschrieben hat.
Aber wie will denn Emmerich die melancholischen Untertöne aus diesem Buch rüberbringen? Und wie die Selbstzweifel des Kommandanten, sein Dilemma?

Und wenn ich mir daran denke, wie das Drahtnetz welches sich der Kommandant über den Kopf zieht um die Metallinsekten zu täuschen in meiner Vorstellung aussieht - und mir dann dagegen vorstelle, welch ein Hightech-Monstrum der Filmheld wohl tragen wird (falls diese Szene nicht ohnehin „zu langweilig“ und „unwichtig“ ist und deswegen ganz aus dem Film rausfällt…), dann verliere ich auch an diesem Film wieder ganz schnell das Interesse!

Ich bleibe auf dem Standpunkt: ein wirklich gutes Buch KANN man NICHT verfilmen!
Das war bei der unendlichen Geschichte so, das war beim Herrn der Ringe so und das wird beim Unbesiegbaren ebenfalls genauso sein!

Schönen Gruß,
Robert

Scheinbar bin ich völlig wetfremd - ich hatte keine Ahnung,
daß irgendwann mal irgendwer irgendwas von Lem verfilmt
hätte…

hi robert,
ganz schnell, um falschinformationen vorzubeugen:
meine emmerich-und-scott-anmerkung war lediglich ausdruck einer befürchtung.
nach der neuen „solaris“-verfilmung von weiß-nich-wem, aber mit herrn clooney in der hauptrolle könnte ja der rest von lem auf hollywood-tauglichkeit überprüft werden. da kann ja nix von werden, da gebe ich dir recht. der stoff ist zu vielschichtig für schlichtes krawumm-mit-küßchen-kino.

ansonsten kenne ich nur die verfilmung von andrej tarkowkij aus den 70gern. ist atmosphärisch nahe dran, inhaltlich eher bruchstückhaft. aber sehenswert. genau wie der „stalker“, nach den strugatzki-brüdern „picknick am wegesrand“. beide verfilmungen in ihrer art faszinierend, leider nur im russischen original (ggf. mit englischen untertiteln) zu sehen. macht aber nix, wenn man die vorlage kennt. ein filmischer genuß in jedem fall.

Ich bleibe auf dem Standpunkt: ein wirklich gutes Buch KANN
man NICHT verfilmen!

och, geht schon. nur eine eins-zu-eins-umsetzung wäre zuviel verlangt.
kubrick hat seine literarischen vorlagen nach meinem empfinden hervorragend umgesetzt.
auch sonst fallen mir gute beispiele ein (z.b catch 22 von joseph heller). ist aber selten, und meist bin ich enttäuscht.
mir kommt es auch so vor, als ob in früheren filmischen zeiten etwas mehr respekt vor der vorlage gewesen wäre.
meinungen dazu würden mich interessieren, vielleicht auch in einem anderen brett (?)

gruß,
frank

hi pengoblin,

hihi, netter Verschreibser, ich fühle mich wie ein
Blutkörperchen.

sorry. mach schnell ne webcam dran und laß uns teilhaben an deiner reise…

obwohl: die Kyberiade in einer Umsetzung von Nick Park
(„Wallace & Gromit“) könnte doch recht nett sein, oder? *g*

wäre mir zu niedlich. ich könnte mir dazu sowas wie „south park“ vorstellen. trurl und klapauzius habe ich aber wirklich lieb, obwohl der lem hier teilweise recht hinterfotzig bösartig ist…

gruß,
frank

ansonsten kenne ich nur die verfilmung von andrej tarkowkij
aus den 70gern. ist atmosphärisch nahe dran, inhaltlich eher
bruchstückhaft. aber sehenswert.

Lem soll ihm gesagt haben, er wäre ein Idiot der nichts verstanden hat. Wenn selbst Tarkowski Solaris nicht richtig verfilmen kann, wie soll es dann Hollywood schaffen?

beide verfilmungen in ihrer art faszinierend, leider nur im
russischen original (ggf. mit englischen untertiteln) zu
sehen.

Ich habe sie beide auf deutsch und bin der Meinung, daß Solaris der Romanvorlage wirklich nicht gerecht wird, aber dafür ist Stalker um so besser, was wohl daran liegt, daß die Strugatzkis am Film beteiligt waren.

macht aber nix, wenn man die vorlage kennt.

Zumindest bei Stalker sollte man die auch kennen, um etwas mit dem Film anfangen zu können.

Hi
es gibt kaum nen besseren Erzähler. Abgefahrene Stories, super lustig zwischendrin… ich hab sie alle und alle bereits zigmal gelesen, immer wieder. Er schreibt übrigens auch abgefahrene krimis (immer ein wenig SF-Nah) wie „der Schnupfen“.
HH