Mal so ganz grundsätzlich: kein Mensch nimmt täglich 100 Gramm zu, obwohl das natürlich problemlos möglich wäre. Zwei Tüten Chips zusätzlich zum Essen oder mal so richtig fingerdick „gute Butter“ auf dem Brot bzw. unter dem Belag und schon wäre man dabei, wenn man das ganze noch mit zwei Gläsern Cola runterspült.
Tatsächlich hilft bei den allermeisten Menschen das Hungergefühl schon ganz gut dabei, mehr oder weniger im Gleichgewicht zu sein. Schon bei 10 Gramm Gewichtszunahme am Tag wäre man pro Jahr bei knapp 4 Kilo. Das passiert den wenigsten.
Problematisch wird es dann, wenn sich bspw. aufgrund von Krankheit oder Unfall die Bewegungsgewohnheiten ändern. Die spielen übrigens auch bei den berühmten Corona-Kilos eine Rolle. Man läuft nicht mehr zehnmal am Tag zum Drucker, wenn man zu Hause arbeitet, geht nach dem Essen in der Kantine nicht mehr mit den Kollegen eine Runde um den Block oder mal schnell zum Einkaufen in der Mittagspause. So sind sind viele Menschen von +/- null leicht in den positiven Bereich gerutscht und haben über die ersten zwei Jahre die typischen 4-5 Kilo zugelegt.
Wobei natürlich bei vielen auch die Ernährungsgewohnheiten geändert haben. 2020 haben viele das Backen angefangen und und sich bei der Telearbeit das Kochen beigebracht oder die Kenntnisse vertieft. Man hat zu Hause mit mehreren vielleicht mehr Spaß am Essen gehabt usw.
Also auf der einen Seite die Bewegungsgewohnheiten, auf der anderen die Ernährungsgewohnheiten. Letzteres können sich auch ändern. Es gibt Frust- oder Einsamkeitsesser, die sich nach einer Trennung oder aufgrund von Problemen bei der Arbeit ungünstige Angewohnheiten zugelegt haben. Aus jemandem, der bei +/- 0 war, wird dann jemand, der pro Tag dann 5 oder 10 Gramm zulegt, weil es dann doch die Tafel Schokolade oder die Erdnüsse sein „müssen“. Es kann auch ganz profan an der Eisdiele oder der Imbissbude liegen, die an der Ecke aufgemacht hat und ganz wunderbar zum Einkaufs- oder Arbeitsweg passt. Auch vordergründig unproblematische Veränderungen im Leben können zu veränderten Ernährungsgewohnheiten führen. Neugeborene Kinder bspw. oder ein Kind, das eine wesentliche Lebensmittelunverträglichkeit hat oder oder oder.
Wenn man sich um das Thema Gewicht lange Zeit keine Gedanken machen musste und vielleicht auch keine Waage hat, dann merkt man u.U. nicht einmal, wie sehr eine der genannten Veränderungen ins Kontor schlägt. Als ich anfing zu studieren und eine eigene Wohnung hatte, traf ich mich häufig (mehrmals die Woche) mit zwei Freunden und da aßen wir halt Pizza. Gerne auch mal zwei pro Person. War ja kein Thema, so schlank wie wir waren. Als ich dann anfing zu arbeiten besuchte ich als erstes ein Seminar in einem Kurhotel und stellte auf der Waage im Zimmer fest, dass ich wohl ernsthaft knapp 20 Kilo zugenommen hatte. So richtig bewusst war mir das nicht gewesen und tatsächlich hatte sich das auch so gut verteilt, dass ich es an den Klamotten so richtig nicht gemerkt hatte. Naja, die Erkenntnis war die halbe Miete und das Gewicht hatte ich nach sechs Jahren oder so wieder weitgehend und ohne Einschränkung runter.
Wenn aber die Erkenntnis fehlt oder die Erkenntnis erst spät eintritt und man sich gerade in einer schwierigen Lebensphase befindet und sich denkt „nun ist es aber auch egal und bevor ich mich einschränke…“, dann geht das halt so weiter.
Unsere Nachbarn essen gerne und bewegen sich ungern. Also nie. Zumindest nicht außerhalb ihres Hauses. Die liegen sicherlich beide bei 150 kg mit leicht steigender Tendenz. Nun zeigen sich langsam die gesundheitlichen Folgen, aber darauf kommt man vielleicht auch nicht mit 40 oder 50, wenn man zwar stark übergewichtig ist, aber es einem ja gut geht.
Kurz gesagt: hinter Übergewicht steht immer eine Geschichte, die von Veränderungen, Entscheidungen, vom Wegsehen, von Frust, Sorgen, Verlust, Krankheit, Unfall oder Genuss handeln kann. Große Gewichtsveränderungen (und hier rede ich nicht vom Urlaubskilo) sind schleichende, meist zunächst unbemerkte Prozesse, bei denen es um ein paar Gramm pro Tag geht.
Gruß
C.