Herrschaftsideologischer Hintergrund religiöser Moral
Hi.
Man muss erstmal unterscheiden zwichen Ethik und Moral. Ethik
fragt nach fair und unfair. Moral fragt nach gut und böse.
Das stimmt so nicht. Ethik in der allgemeinsten Definition ist das philosophische Nachdenken über moralischen Normen und Werte mit dem Versuch, sie durch rationale Argumentation entweder zu bestätigen oder zu widerlegen.
Aus ethischer Sicht stellt man die Frage ob eine Handlung
anderen nützt oder schadet.
Das ist nur die utilitaristische Variante von Ethik, es gibt aber auch andere. Das utilitaristische Nutzenkriterium basiert auf der Vorstellung, das erstrebenswerteste Ziel des Menschen sei das „Glück“ (Eudämonismus), woraus für deine Argumentation folgt:
Aus ethischer Sicht stellt man die Frage ob eine Handlung
anderen
ihr Glück mehrt oder mindert. Das wirft natürlich Fragen auf, was denn unter „Glück“ bzw. was nicht darunter zu verstehen sei, wie auch der Nutzenbegriff so schwammig ist, dass er keine Letztbegründung für ´ethisches´ Handeln sein kann.
Religionen sprechen in der Regel von moralischen Werten die
sie aus einer Botschaft eines Gottes ziehen. Hier wird die
Welt häufig in gut und böse unterteilt. Daher werden bestimmte
Handlungen als böse/schlecht oder gut bezeichnet, was dann
auch schon das ganze Argument für oder gegen eine Sache
darstellt.
Da ist zu differenzieren. Du beziehst dich auf theistische Religionen. Es gibt aber auch atheistische Religionen, z.B. den Buddhismus, und der gründet seine Tugendlehre nicht auf göttliche Offenbarung o.ä., sondern auf (möglichst) rationale Argumente.
Theistische Religionen sind immer die Ideologien einer herrschenden bzw. elitären Schicht gewesen, d.h. Mythen und theologische Aussagen über Götter und ihre Beziehung zur Menschenwelt dien(t)en dem Zweck, das Volk psychologisch zu manipulieren; das geschah, indem man politische Herrschaftsstrukturen als von Göttern bzw. gott-gewollt propagierte. Ein äußerst wirksames Mittel für die psychologische Unterwerfung war das massive Erzeugen von Schuldgefühlen. Schon die mesopotamische Religiosität bezog ihre Effektivität aus dieser Strategie (selbst Könige unterwarf sich Bußritualen), die dann im Juden- und Christentum zur Vollendung gelangte.
Wichtig ist aber auch hier, zwischen verschiedenen Typen von moralischen Geboten zu differenzieren. Da gibt es Normen, welche in jeder Gesellschaft zu jeder Zeit Anwendung finden („nicht töten“, „nicht stehlen“, „nicht falsch Zeugnis reden“), weil sie zu den Grundbedingungen der Funktionstüchtigkeit einer Gesellschaft gehören, und es gibt spezielle Normen, welche Herrschaftsinteressen zum Ausdruck bringen, die an bestimmte Kulturen gebunden sind. Die meines Erachtens wichtigsten theistischen Normen sind a) die Privilegierung einer bestimmten Schicht bzw. Person als Vermittler zwischen Gott/Göttern und Menschenwelt, und b) alle Aussagen, welche eine grundsätzliche Überlegenheit des Mannes über die Frau zum Ausdruck bringen (wollen). Letzterer Punkt wird in den meisten Diskussionen über Religion leider immer wieder vergessen. Über vier Jahrtausende hinweg galt die Frau als minderwertiges Wesen, vor allem seit dem Aufkommen von Juden- und Christentum, welche die Frauenunterdrückung perfektionierten (z.B. Gen 3,16: „Und zur Frau sprach er: (…) Und dein Verlangen soll nach deinem Mann sein, aber er soll dein Herr sein“). Erst zu Anfang des 20. Jh. wurde der Öffentlichkeit durch die Aktivitäten der britischen Suffragetten auf dieses Problem gelenkt. Ohne diese tapferen Frauen würden wir heute das Thema „Emanzipation“ überhaupt nicht kennen, auch nicht die Verbesserungen, die im sozialen Bereich erzielt wurden. Die radikalsten von ihnen wurden von der Polizei sogar gefoltert (Mai 1912).
Solange der herrschaftspolitische Kontext religiöser Moral verkannt wird, streift man das Thema nur an der Oberfläche, was natürlich zu wenig ist.
Was „Ethik“ betrifft: Sie ist, wie gesagt, nichts anderes als das philosophische Reflektieren über moralische Normen und Werte. Sie verzichtet auf religiöse Letztbegründungen und operiert mit abstrakten philosophischen Begriffen, um Handlungen eine rationale Basis zu geben.
Ein einzelner Mensch kann gegenüber sich selbst unmoralisch
handeln indem er z.B. sündigt.
Wieso „sich selbst gegenüber“? Religiöse Versündigung ist ein Verstoß gegen die göttliche Ordnung, nicht „gegen sich selbst“.
Ethisch gesehen kann ein Mensch
sich zwar selbst schaden, aber er kann niemals unethisch
gegenüber sich selbst handeln, da (un)ethisches Handeln immer
auf die anderen bezogen ist („schade oder nutze ich
anderen?“).
Das ist, wie gesagt, eine zu enge Definition von Ethik, siehe oben.
Chan