Stoa: Götter im Weltenbrand

Hallo!
Gestern habe ich bei der Seneca-Lektüre* dazugelernt, komme aber nicht zurecht damit:
Da wird gefragt: „Wie wird das Leben des Weisen ausschauen, wenn er ohne Freunde allein gelassen wird, in Gewahrsam genommen oder in ein fremdes Volk versetzt oder durch eine lange Seefahrt ferngehalten oder an eine menschenleere Küste verschlagen?“
Die Antwort: „So wie das Jupiters, wenn er,
nachdem die Welt sich aufgelöst hat (resoluto mundo), die Götter in Eines zusammengefallen sind (dis in unum confusis) und die Natur für eine Weile aufhört (paulisper cessante natura),
in Ruhe ganz zu sich kommt (sibi adquiescit) und sich seinen Gedanken überlässt (cogitationibus suis traditus).“
Meine Fragen:
Was geschieht da nach stoischer Lehre beim Weltenbrand, der empýrosis, mit den Göttern?
Sind sie anfangs aus dem einen Gott heraus entstanden? Denn um die traditionellen Mythen kann es sich da nicht handeln.
Und wie entstehen sie dann in der neu entstehenden Welt selber wieder?
Wie steht es um die Quellen dazu? Späte Doxographen? Christliche Polemik der Apologeten?
Ich wäre für fundierte Aufklärung dankbar.
Schöne Grüße!
H.

* Epistulae morales 9,16.

Ekpyrosis
Hi Hannes,

der (nicht nur) stoische Terminus ist ekpyrosis (nicht empyrosis). Eine einheitliche Vorstellung dazu jedochz findet sich weder bei Seneca, noch in der gesamten Stoa überhaupt.

Der bei Zenon von Heraklit übernommene logos-Begriff, der das Feuer als Grundprinzip des Kosmos impliziert, wird bereits bei Cicero mißinterpretierend mit einem endlichen Untergang des Kosmos in einem alles vernichtenden Feuer verbunden.

Spätestens bei Seneca bildet sich zusätzlich die Vorstellung der zyklischen Kosmologie heraus: Der Kosmos wiederholt sich identisch nach jedem Zyklus. Kernbegriff dazu ist die „series implexa causarum“ z.B. in De Beneficiis 4.7ff

Das würde dann auch die Frage der Götter beantworten (sie gehen unter und entstehen identisch neu). Allerdings ist die Theologie der Stoa nicht homogen durch alle Epochen. Teils ist es ein deistischer Gott, der sich also um den Kosmos nicht schert, oder es gibt einen Pantheismus (wie bei auch Seneca), der den Untergang und die identische Erneuerung der göttlichen Sphäre impliziert.

Die Vorstellung vom Weltenbrand führt Seneca selbst auf den babylonischen Ba’al-Priester Beressos zurück: Naturales Quaestiones 3.29

Van der Waerden (in: Das Große Jahr und die ewige Wiederkehr", 1952), den man zu solchen Themen unabdingbar aufsuchen muß, sieht Babylon aber nicht als den Ursprung der Weltbrandidee, sondern (meiner Meinung nach völlig zurecht) den frühen Zarathustrismus, in dem diesbezügliche Andeutungen zB der ntl. Apokalypse ebenso vorgebildet sind wie die Auferstehung der Seele. Problermatisch sind allerdings eindeutige singuläre Textbeweise. Im vermutlich viel später entstandenen Bundehesh/Bundahischn, Kap 31, gibt es eine detaillierte Beschreibung. Und es ist nachweisbar, daß er alte zarathustrische Ideen reproduziert.

Aus persischer Quelle sind also die diversen Weltbrandideen in den mediterranen Raum (jüdische und christliche Apokryphen und Apokalyptik, gnostische Schriften, sowie zB. die Oracula Sibyllina) und mutmaßlich auch in den germanischen Raum (Snorri Sturluson) eingeflossen.

Gruß
Metapher

Hallo und besten Dank für deine Ausführungen!
Dank auch für die Berichtigung des Tippfehlers em- statt ek-:

der (nicht nur) stoische Terminus ist ekpyrosis (nicht
empyrosis).

Soweit sie direkt die Stoa betreffen, ist mir das meiste bekannt.
Speziell bei diesem confundere der Götter „in unum“ hänge ich: in einen einzigen Gott (was dann der philosophische Monotheismus wäre?)? in Eines (mit allem anderen)?

Spätestens bei Seneca bildet sich zusätzlich die
Vorstellung der zyklischen Kosmologie heraus: Der
Kosmos wiederholt sich identisch nach jedem Zyklus.

Ja; aber kann man das nicht auch als einen philosophiegeschichtlichen Rückschritt sehen? Denn schon Panaitios, immerhin Schuloberhaupt der Stoa, hatte diese Weltuntergangstheorie (sei es durch Feuer oder durch Wasser) verworfen und die ewige Dauer der Welt gelehrt.

Kernbegriff dazu ist die „series implexa causarum“ z.B.
in De Beneficiis 4.7ff

die ja, mit anderer Bezeichnung, auch Cicero, dort wo er stoisch ist, kennt: z. B. in de divinatione.

Das würde dann auch die Frage der Götter beantworten (sie
gehen unter und entstehen identisch neu).

Ja, aber wie kann „am Ende“ Jupiter (im Senecabrief das Pendant für den einsamen Weisen!) übrig sein?
Hier schließt sich der Kreis meiner Aporie.
Schönen Gruß!
H.

Anmerkung

und mutmaßlich auch in den germanischen Raum
(Snorri Sturluson) eingeflossen.

… da kann ich mir den Hinweis auf das altbairische Muspilli nicht verkneifen, das immerhin über 300 Jahre älter ist als Sturlusons Edda. Vermutlich meintest Du die ohnehin nicht, sondern die Völuspá aus der Lieder-Edda - die freilich auch noch jünger sein dürfte als das Muspilli.

Freundliche Grüße,
Ralf

… da kann ich mir den Hinweis auf das altbairische :Muspilli nicht verkneifen

das ich nicht erwähnt habe, weil es ganz und gar auf der ntl. Apokalypse (und einigen christl. Apokryphen) aufbaut. Das ist ein ganz anderer Traditionsweg als der, auf den ich mich bezog.

Ich meinte tatsächlich die Gylfaginning aus der Snorra-Edda, insbesondere Kap. 51. Nicht alles mythische Material von Snorri findet sich auch in der Vǫluspa (und den anderen Teilen der Lieder-Edda). Außerdem ist heute noch unklar, ob und in welcher Form sie ihm vorgelegen hat, denn deren Niederschrift ist ja jünger. Aber natürlich ist die Vǫluspa ausführlicher.

Ich hatte mehr darüber geschrieben, aber es wieder gelöscht, weil es die Frage von Hannes ganz und gar nicht berührt.

Gruß
Metapher