Guten Abend.
hat schließlich meine Befürchtungen, wegen meines vermutlich nicht
sehr berühmten Abi-Schnittes nicht aufgenommen zu werden, belegt.
Immer wieder das gleiche. Wie kommen ausgerechnet die schlechten und sehr schlechten Abiturienten auf die Idee, einen der wichtigsten gesellschaftlichen Berufe ergreifen zu müssen?!
Naja, die Gegend ist mir eigentlich nicht so wichtig,
ich will einfach einen Studienplatz ergattern.
Es herrscht Bildungsföderalismus in der BRD. Die Gegend ist also sehr wichtig, weil wir in Deutschland keine nationale Einheitsschule kennen, sondern die Bildungssysteme der Bundesländer unterschiedlich organisiert sind.
In Sachsen z.B. ist das Lehramtsstudium nur noch an der TU Dresden und an der Uni Leipzig möglich. Sonstige Institutionen der Lehrerausbildung der ehemaligen DDR wie die Institute für Lehrerbildung, die Pädagogischen Hochschulen, die pädagogischen Fakultäten an diversen Hochschulen und sogar die hochgelobte Lehrerausbildung der Uni Karl-Marx-Stadt (heute: TU Chemnitz) wurden seit 1990 abgewickelt.
Die Wahl des Bundeslandes definiert durch die dort gültigen Regelungen somit automatisch Deinen Studienort.
Des weiteren entspricht die Organisation des gegliederten Schulsystems im Osten nicht den Gewohnheiten des Westens. Sachsen und Thüringen beispielsweise betreiben statt Hauptschule und Realschule eine partielle kooperative Gesamtschule. Die Sachsen nennen das Mittelschule, die Thüringer Regelschule.
Das hat freilich Auswirkungen auf das Lehramtsstudium.
Ebenso solltest Du wissen, daß ein Bachelorabschluß keine Lehrbefugnis erteilt, sondern der Master nötig ist.
Mein Ansatz, in den neuen Bundesländern zu bewerben, kommt daher,
weil ich gelesen und gehört habe, dass viele Studenten in die alten
Bundesländer gehen und somit viele freie Studienplätze in den neuen
Bundesländern verursachen.
Diese Einschätzung kann ich aus dem Universitätsalltag nicht bestätigen.
Es gibt zwar Studenten aus dem Westen hier, aber zahlenmäßig ist das (noch) eine Minderheit. Bildung ist im Osten inzwischen sehr teuer, was vor allem durch das gegliederte Schulsystem und die „westdeutsche“ Schulnetzphilosophie verursacht ist. Die jungen Leute wollen, oder müssen, am Ort bleiben und ziehen erst mit dem geglückten Abschluß in den Westen. Der Löwenanteil der ostdeutschen Abiturienten studiert auch im Osten.
Ich beobachte immer wieder, wie schon Verschiebungen innerhalb eines Bundeslandes von den „Eingeborenen“ normalerweise als „weit von zuhause weg“ wahrgenommen wird, z.B. wenn ein Nordhausener in Schmalkalden studiert oder ein Lausitzer in Leipzig.
Die guten Empfehlungen für das Studium in den neuen Bundesländern kommen aus den DDR-Altlasten: sehr gute Hochschulen mit internationalem Ruf, gute Ausstattung, gute Betreuung, weniger Studenten je Professor als im Westen, strafferes Studium, geringere Mieten usw. usf.
Bemerkenswert ist noch, daß in Thüringen und Sachsen keine Studiengebühren existieren. (Für Sachsen-Anhalt, Brandenburg und Mecklenburg-Vorpommern weiß ich es leider nicht.)
Weitere Informationen über das Lehramtstudium in den neuen Bundesländern findest Du auf Seiten wie diesen:
http://www.sachsen-macht-schule.de/schule/3503.htm
http://lehrer-werden.fwu.de/
http://www.thueringen.de/de/tkm/schule/lehrausbild/l…
http://www.cnw.uni-jena.de/Studium__Lehramt-site-cnw…
Die Qualität habe ich nie in Frage gestellt, außerdem habe ich auch
schon oft gehört, dass es keine Unterschiede gibt, dass die :Studienabgänger aus den neuen Bundesländern genauso qualifiziert :sind wie die Studienabgänger aus den alten Bundesländern.
Das Geschimpfe über die versuchte Indoktrination in der DDR ist stets sehr groß, aber was bei euch im Westen so für Räuberpistolen erzählt werden, spottet ja jeder Beschreibung.
Was für Qualitätsunterschiede soll es denn geben?
Hätten die wahren Bildungsspezialisten - wie es so schön heißt - eine Stimme im Parlament, wäre 1990 das Lehramtsstudium der BRD eingeäschert worden, denn die DDR betrieb das, was damals seit über 25 Jahren im Westen „kontrovers“ diskutiert wurde: einphasiges Studium, orientiert ausschließlich am Berufsalltag und den gesellschaftlichen Aufgaben des Lehrerberufes; statt theoretischer Überhöhung des Studiums und Überladung durch theoretische Erziehungswissenschaft bildete das Unterrichten den Schwerpunkt, der tatsächliche Unterrichtsprozeß, die Stoffvermittlung, also das eigentliche Lehren, und daß, ohne auf die notwendige fachliche Tiefe für die zwölfklassige Schule verzichten zu müssen. Gestützt und geregelt wurde das reformierte Lehrerstudium durch E m p i r i e, nicht durch schulferne erziehungswissenschaftliche Theorie.
Aber gib Dich keinen Illusionen hin: Die Universitäten in den neuen Bundesländern verfolgen seit Mitte der 90er konsequent den Stiefel der alten Bundesländer und von den diametralen Gepflogenheiten der ehemaligen DDR ist höchstens ein dumpfer Nachhall übriggeblieben - in Form der Professoren und Assistenten, die noch das frühere System erlebten. Die sind jedoch auch irgendwann verschwunden.
Wenn ich wirklich in den neuen Bundesländern studiere,
dann sehe ich diese nicht als fremd an, sondern als meine Heimat,
die Bundesrepublik Deutschland.
Ich rate hierbei zur Vorsicht.
Ein kleiner Ausflug in die Psychologie der neuen Bundesländer:
Die deutsche Einheit ist zwischenmenschlich ja deshalb größtenteils nicht vollzogen, w e i l die DDR einfach BRD wurde, obwohl das die meisten DDR-Bürger nicht wollten. Die größte Angst damals, der Verlust der Kultur und der Werte, bewahrheitete sich größtenteils. Die deutschen Staaten verschmolzen nicht symbiotisch, sondern der Osten bekam das Westmodell verpaßt, und zwar „all inclusive“. Kein Bereich behielt nennenswerte DDR-Strukturen, nur der „zivile Ungehorsam“ der Leute, die ihre Lebensleistung nicht aufgeben wollten, hielten die kulturellen Gepflogenheiten des zweiten Deutschlands ein wenig länger am Leben.
Die Volkskammerwahlen, besonders die errichtete repräsentative Demokratie, der verworfene Verfassungsentwurf, die Zerschlagung der Einheitsschule, das ignorante und korrupte Verhalten der Machthaber nach den Volkskammerwahlen, die völkerrechtswidrige und unter OECD-Maßstäben sehr fragwürdige Agitation und aktive Beeinflussung des politischen Prozesses der DDR durch die BRD-Parteien im Jahre 1990 empfinden die Ostdeutschen als Zerstörung ihrer Selbstbestimmung und ihres Selbstbestimmungsrechts. Und dieses Gefühl verstärkt sich paradoxerweise in letzter Zeit sogar.
Es ist daher vorstellbar, daß Du bei Deinen Mitstudenten ungewollt in ein politisches Wespennest stichst, wenn Du die neuen Bundesländer wiedermal der BRD einverleibst.
Die Unterscheidung zwischen alter BRD und neuer BRD, die viele ältere westdeutsche Mitbürger machen, existiert in den neuen Bundesländern nicht, sondern BRD ist BRD ist BRD ist BRD ist - gefühlt! - die BRD vor 1990. Wenn ich mir unseren Sprachgebrauch anschaue, spricht faktisch niemand von „Bundesrepublik Deutschland“, „wir“ sagen „Deutschland“, wenn „wir“ die BRD seit 1990 meinen.
Viele Grüße
reinerlein