Hallo!
Jetzt nach Semesterstart kotzt ihn die ganze Theorie nur noch
an, die wieder kommen wird.
Nun überlegt er den Wechsel zur Informatik.
Ist das Studium dort weniger theoretisch?
Informatik, E-Technik und Maschinenbau ähneln sich in den ersten Semestern. Wer als Maschinenbau-Student vorher eine einschlägige Lehre absolvierte, wird in den ersten Semestern von seinem ursprünglichen Beruf kaum etwas wiedererkennen. Wer direkt vom Abitur ins Studium geht, wird merken, dass die landläufig bildhaften Vorstellungen von Maschinenbau nicht zu den Lehrinhalten passen. Das liegt aber nicht an den Lehrinhalten, sondern an den falschen Vorstellungen und mangelhafter Information vor dem Studium.
In den ersten Semestern geht es in allen MINT-Fächern sehr abstrakt zu. Berufsqualifizierend dergestalt, dass ein Absolvent in der Praxis unmittelbar einsetzbar wäre, ist so ein Studium nicht. Aufgrund der Breite in Frage kommender Berufsfelder kann das Studium praktische Anwendungen nur am Rande streifen. Ein Maschinenbau-Ingenieur wird mit seinen Kenntnissen der Regelungstechnik ermitteln, wie lange die Steuerraketen von Ariane für eine bestimmte Richtungskorrektur gezündet werden müssen. Ein anderer Ingenieur des gleichen Studiengangs soll den Kühler eines Verbrennungsmotors, die Dicke der Antriebswelle eines Schiffes oder die Details eines Spritzgusswerkzeugs bestimmen, das für die Figuren in Überraschungseiern benutzt wird. Angesichts dieser Bandbreite kann das Studium nur eine Auswahl von Grundlagen und Theorie bieten. Anschaulicher ist es nur zu haben, würde man Schmalspuridioten ausbilden. Solche Bestrebungen gibt es in manchen Bereichen, die mit dem Bachelor abschließen, aber zum großen Glück nicht für die Hälfte der Studienanfänger in den klassischen MINT-Fächern. Die andere Hälfte bricht das Studium ab.
Mit dem beabsichtigten Wechsel zur Informatik geht es ganz sicher nicht praxisbezogener zu. Eher ist das Gegenteil der Fall. Das Bild der Informatik ist vielerorts von irgendwelchen PC-Anwendungen geprägt. Derlei Vorstellungen haben mit den Inhalten insbesondere des Grundstudiums der Informatik nicht einmal entfernte Ähnlichkeit.
Dass im Grundstudium der eine oder andere Schein Probleme bereitet, ist normal. Die Mathematik des ersten Semesters ist nur zum Anwärmen. Es kommt noch dicker und arbeitsintensiver (egal ob Maschinenbau oder Informatik). Aber die Mehrheit der Studienanfänger, die das Grundstudium erfolgreich hinter sich bringt, schafft auch den Rest.
Zeitweise aufkommende Verzweiflung ist normaler Bestandteil des Grundstudiums in den MINT-Fächern. Man muss aber zur Kenntnis nehmen, dass die abstrakten Inhalte nicht jedermanns Sache sind. Dann bringt auch der Wechsel in eine andere naturwissenschaftlich-technische Richtung nichts.
Vielleicht kann jemand aber hier mit ein paar persönliche
Erfahrungen beitragen?
Bitteschön: Von Schule und gewerblicher Lehre kannte ich nicht, mich durch irgendeinen Stoff beißen zu müssen. Gelegentlich zuhören reichte, weil die endlosen Wiederholungen einfach nur zu Langeweile führten. Eine 45- oder 90-Minuten-Unterrichtseinheit bestand zum Drittel aus Organisatorischem, zu einem weiteren Drittel aus Widerkäuen und im restlichen Teil überwiegend aus Selbstgängern. Nach der Lehre nahm ich einen Job (heute würde man Traumjob dazu sagen) in der Fluggerätewartung bei einer Luftfahrtgesellschaft an … immer die gleichen Geräte auseinandernehmen, reparieren, prüfen - auf die Dauer nervtötend langweilig. So ging’s nicht weiter, also kündigte ich zum Entsetzen meines gesamten Umfelds und begann ein Informatik-Studium. Bevor ich es richtig mitbekam, war der Zug abgefahren. Ich scheiterte grandios. Das ist inzwischen knapp 40 Jahre her. Ein paar Jahre später war mir klar, dass ich früher nie gelernt hatte, mich intensiv mit einem Stoff zu befassen. Mit der Einsicht (und weil mein Arbeitgeber gerade vor der Pleite stand) begann ich erneut ein Studium, diesmal E-Technik und mit einem sehr ordentlichen Abschluss. Aber verdammt nochmal, es war ein Haufen dicker Bretter und harte Arbeit.
Ein paar Jahrzehnte später - inzwischen gab’s das Internet - stieß ich auf ein Forum, in dem sich Studis über einen namentlich genannten Dozenten austauschten (um nicht auskotzten zu sagen), der angeblich vollkommen überzogene Anforderungen stellte. Den genannten Herrn hatte ich noch in lebhafter Erinnerung, als er gerade als junger Prof anfing. Ja, seine Anforderungen waren hoch, eine Durchfallerquote von 80% war normal, aber seine Vorlesungen waren vom Feinsten und meine früher streckenweise aufkommende Verzweiflung war längst Dankbarkeit gewichen. Meine Vorlesungsscripte nutze ich immer noch gelegentlich.
Ob es der Studi nun glaubt oder nicht: Das ganze theoretische Zeugs ist nicht nur anwendbar, es ist unverzichtbar, wenngleich es im überwiegenden Teil der Berufspraxis spürbar flacher zugeht und Routine Platz greift. Aber auch beim Radfahren muss man sich immer wieder über Hügel quälen, um auf die flachen Geraden zu kommen.
Gruß
Wolfgang