Grüß Dich.
Elektrotechnik war schon immer schwer.
Und im Bachelor schlägt die abstruse Umstellung der deutschen Universität bitter zu.
Die Diplomstudiengänge hatten Ende des 4. Semesters normalerweise 50-80% Abbrecherquote, die dann im 5. Semester extrem steil unter 3-5% sank und nach dem 6. Semester stark gegen 0% strebte. Das Vordiplom war die hohe Hürde der generalistischen Ingenieurausbildung, die es u.a. mit Intelligenz zu meistern galt, mehr aber noch mit Denken in Zusammenhängen, Lehrstoffverständnis und (für 90% der Studenten) mit viel Fleiß. Anschließend waren die Studiengruppen so klein, daß die Betreuung der Professoren Wirkung zeigte und ohne nennenswertes Nachlassen des Niveaus sich die Benotungen bessern konnten. Die Floskel, daß das Ingenieurhauptstudium nach dem Vordiplom angeblich ruhig dahinplätschert, halte ich im besten Falle für ein dummes Gerücht.
Im Gegenzug hatte der Student 2 hochanspruchsvolle Jahre hinter sich im Wert von 120-150 Leistungspunkten, die alle Gebiete der Elektrotechnik ausreichend tief abhandelten, so daß nach dem Grundlagenstudium im eigentlichen Diplomstudium das Eintauchen in beliebige Spezialisierungsrichtungen gelingen konnte.
Ein System, das im Ausland nicht so bekannt ist, wie das viele Leute behaupten, was aber hellhörig werden läßt, wenn Ausländer erfahren, daß nach 5 Jahren ohne Winkelzüge das Masterniveau, und an den guten Technischen Hochschulen sogar mehr, erreicht wird.
Der Bachelor dagegen baut das gut geregelte Diplomstudium in den Ingenieurwissenschaften in äußerst negativer Weise um. Statt die Lehre wie in der Schule aufzuziehen und dementsprechend zu intensivieren, und von Professoren umfangreiche pädagogische Kenntnisse zu fordern, hat der Bachelor die Organisation des Studiums deformiert. Die Lehre, deren Qualität und die Einstellung der Professoren ist geblieben, aber die Verwaltungszwänge des Prüfungsamtes und die organisatorische Drangsalierung haben schier unendliche Ausmaße angenommen.
Alle Zensuren zählen in die Bachelorabschlußzensur, während das Vordiplom im Diplomstudium niemanden interessierte. Wichtig war nur, den Lehrstoff begriffen und ingenieurwissenschaftliches Denken in seinem Nischel festgetaut zu haben. Daß da das Vordiplom elegante 4,0 haben konnte, interessiert wie die letzte Wasserstandsmeldung vom Nil. Es sind nicht alle Studenten stete, bienenfleißige Arbeiter und es nehmen nicht alle Studenten die Prüfungsgepflogenheiten hin, die oft die sturen Pauker und die Alte-Klausuren-Beschaffer begünstigen und nicht den talentierten oder gar geniehaften Könner, der desöfteren dem Müßiggang zugeneigt ist. Der Bachelor dagegen ist so aufgebaut, daß dem Studenten keine Zeit gegönnt wird, seine Lernmethoden finden zu können, sondern die Stoffülle und die sofortigen Prüfungen zwingt zu monotoner Lernerei. Eigenverantwortliche Reorganisation des Studienablaufes ist ebenfalls ausgeschlossen, da der Bachelor modularisiert ist und die nachfolgenden Module ohne Bestehen der Grundlagenmodule nicht gehört oder geprüft werden dürfen. Für Prüfungen ist der Student vielerorts automatisch angemeldet, ob er das Fach prüfen lassen möchte oder nicht. Vom Besuch benachbarter Lehrveranstaltungen aus anderen Studienfächern (Maschinenbau, Chemie, …) fangen wir gar nicht an.
Daß Du mich richtig verstehst: Ich bin Diplomingenieur und habe in der DDR technische Physik mit Schwerpunkt Elektrotechnik studiert (genau genommen bin ich also Physikingenieur); in der DDR wurden Mathematik, Naturwissenschaften und Ingenieurwissenschaften auf sehr, sehr straffe Art gelehrt. Das 5jährige Studium war kein Pappenstiel, sehr mathematisch, sehr intensiv und mit wenig Spielräumen durchgeplant. Unsere Studiengruppe blieb wie der Klassenverband in der Einheitsschule in allen Studienjahren zusammen; es gab ständige Leistungskontrollen. In den Übungen gab es zu Beginn immer Kurzkontrollen und wer unter 40% hatte, mußte die Übung verlassen und sich um Mitschriften vom Stoff und von den Lösungen eigens kümmern. Das Nachbereiten dessen kam dann noch zusätzlich zur obligatorischen Selbststudienzeit nach Plan und zur fakultativen Selbststudienzeit nach eigenem Ermessen hinzu.
Die jetzigen Studenten werden da müde lächeln und mit den Schultern zucken, aber zu meiner Zeit gab es keine Photokopier (!) und kein Internet (!) mit den Übungsaufgaben der Professur online oder Wikipedia. Mitschriften von Studienfreunden mußten per Hand abgeschrieben werden. Und für die pflichtmäßige Übungsvorbereitung und für das obligatorische Selbststudium mußten wir zum Schaukasten gehen und dort die ausgehängten Aufgaben abschreiben.
Laborpraktika enthielten grundsätzlich harte mündliche Leistungskontrollen. Mein Studienkollege und ich, in manchen Fächern waren wir auch zu dritt, führen ein Colloquium mit dem Assistenten, wo einem mächtig auf den Zahn gefühlt wurde. 90-110 Minuten waren üblich, manchmal auch mehr. Wer nicht bestand, mußte heimgehen und sich um den Nachtermin kümmern.
Im Gegenzug gab es langfristige Zensuren in den Fächern und Prüfungserleichterungen für konstant gute Leistungen. Zum Beispiel war ich von der Prüfung freigestellt, wenn ich in der Praktikumszensur die 1 hatte. Dann hieß es: „Es ist ja sinnlos, Sie in die Prüfung zu holen. Sie können das ja alles und haben ihre Kenntnisse in allen Versuchen und benoteten Protokollen während des Studienjahres nachgewiesen.“
Der Staat achtete dennoch akribisch auf akzeptablen Studienfortschritt und verlangte den Abschluß in der Regelstudienzeit bzw. gewährte gewisse Überschreitungen. Die waren allerdings gut zu begründen und von endlicher Natur, so daß das geistig umnachtete „ewige Studieren“ nicht existierte. Die Hochschullehrer kümmerten sich gut um ihre Studenten; Zusatzübungen, persönliche Sprechstunden, Sonderübungen für einzelne Studenten, Fördermaßnahmen usw. gab es en masse. Abweichungen vom empfohlenen Stundenplan und vom Studienplan waren möglich, mußten allerding begründet werden. Das Prüfungsamt zog die bisherigen Leistungen und, sofern vorhanden, Vorleistungen, die vor oder neben der Unizeit erbracht wurden, hinzu und schätze den künftigen Studienverlauf ein. Legten die Abweichungen vom Studienplan eine Beschleunigung des Studiums nahe, oder bestand zumindest kein Verdacht, daß die Regelstudienzeit überzogen werden würde, gab es grünes Licht.
Das ist der große Unterschied zum Bachelor: Wir hatten zwar nicht gerade viele Freiheiten im Studium, sondern eher erheblichen Leistungsdruck, aber niemand behandelte uns wie eine anonyme, unwichtige Nummer im Computer; es gab keine bürokratischen Knüppel, die einem das Prüfungsamt mit Hilfe von Studienordnung, Prüfungsordnung, Prüfungszwang, Modulen und sonderbaren Verwaltungsentscheidungen zwischen die Beine warf. Es gab keine Friß-oder-stirb-Mentalität und die Stoffpläne waren vom Staat her geregelt. Alle Beteiligten, d.h. Professoren, Assistenten, Amtsstellen, zeigten Engagement für und zusammen mit den Studenten, so daß das Studium hoffentlich optimal ablaufen konnte. Außerdem gab es für alle Studenten Geld fürs Studieren, und zwar Grundstipendien, und in Abhängigkeit von den Leistungen zusätzliche Leistungsstipendien.
Das war eine andere Welt als jetzt. Es sollte einen nicht wundern, daß die bürokratische Drangsalierung und die fehlende Anpassung der Lehre an den unfreien, aufgezwungenen Studienablauf unentwegt massenweise Abbrecher produziert. Ich vermute, daß viel Professoren ihr eigenes Studium nicht mehr schaffen würden, wenn sie unter den Bedingungen studieren müßten, die sie selber so arrogant und uneinsichtig für den Bachelor erheben.
Und zuletzt gibt es für dieses Gängelstudium nichtmal einen ordentlichen Abschluß, sondern den Bätschler. Mit dem Bachelor bist Du auf alle Fälle kein Ingenieur, sondern irgendwas. Keine Ahnung, wie ich das nennen sollen, jedenfalls nicht Ingenieur.
Das heißt, strebe unbedingt anschließend den Master an. Dann kannste, haste, biste was.
Die Arbeitsaussichten sind in der Elektrotechnik sehr gut, sofern Du anständige Noten und - noch wichtiger - eine gute Bachelorarbeit mitbringst. Die Thematik der Abschlußarbeit sagt viel über den Charakter und die Einstellung des Studenten aus. Wer dünne Bretter bohrt, dem wird nichtmal die 3 an der falschen Stelle im Zeugnis vergeben. Wer ein forderndes Thema bearbeitet hat, der hat zwar meist ohnehin hervorragende Leistungen im Bereich 1,7 oder dergleichen, aber wenn nicht, spielt das keine so entscheidende Rolle. Da kann auch eine 3 oder 4 auf dem Zeugnis sichtbar sein.
Jedenfalls ist das Studium der Etechnik kein HARTZ-IV-Studium, wie der ganze andere brotlose Mist, der total überlaufen ist (BWL, Philosophie, Soziologie, Kommunikation, Psychologie, …).
Darüber hinaus wird der Ingenieurmangel die nächsten Jahre exorbitante Ausmaße annehmen, wenn die Alten abtreten, so daß nicht nur Stellen wiederbesetzt werden müssen, sondern die Einstiegsgehälter steigen werden.
Gegenwärtig verursacht der Ingenieurmangel zwar mehrere Milliarden
Euro volkswirtschaftlichen Schaden im Jahr, doch es ist nicht so schlimm, wie es die Industrie lautstark herbeiredet. Berufsanfänger Ost erhalten im Mittel seit Jahren 34000-36000 € jährlich für ~42 Wochenstunden; Berufsanfänger West erhalten im Mittel 42000-48000 € jährlich für 38,5 Wochenstunden. Das werden die Unternehmen erhöhen müssen, wenn sie in den nächsten Jahren gut ausgebildete Fachleute wollen. Das angelsächsische Ausland z.B. bezahlt viel besser als Westdeutschland, was zu massiver Abwanderung der MNT-Absolventen führt.
Viel Glück.