Stuhl: Herkunft und Epoche

Hallo!

Der abgebildete Stuhl stammt möglicherweise aus der Region Hamburg. Weiß jemand Genaueres zu Herkunft und Epoche?
Das nicht besonders gelungene Freistellen stört hoffentlich nicht

Gruß
Wolfgang

Hallo Wolfgang,

diesen Stuhl würde ich auf ziemlich genau 1910 datieren. Die „Pfötchen“ der vorderen Beine (es gibt sicherlich eine richtige, handwerksgerechte Bezeichnung dafür, die ich nicht kenne) waren ein Erkennungszeichen der Stühle und Tische, die die Rabenauer Stuhlmacher (Rabenau damals voll mit Stuhlmachern, die genossenschaftlich organisiert waren) 1910 für die Alte Nikolaischule in Leipzig machten. Deren Design war so markant (und man darf wohl auch sagen vorbildlich), dass eine Zeit lang fast jeder Stuhl versuchte, wie ein Rabenauer auszusehen. Zuletzt wurde das Original von Thomas Hoof wiederbelebt, der mit einer entsprechenden Glosse im manufactum-Katalog erreichte, dass die Rabenauer Stuhlmacher wieder ausbilden durften: Ab 1990 war ihnen das nicht mehr möglich, weil in der 1:1 übernommenen Handwerksrolle der BRD der Beruf des Stuhlmachers nicht mehr vorkam, so dass die Rabenauer Meister, allesamt ältere Herren, die zwischen Dresden und dem Erzgebirge dringend benötigten Ausbildungsplätze nicht zur Verfügung stellen durften und auch keine Hilfe bei ihrer vielen Arbeit haben durften - noja, vergleichbar kluge Reglementierungen kannten sie ja aus der Zeit 1945 - 1989 schon zu Genüge.

Der gezeigte Stuhl schwankt im Stil zwischen zwei in ihrer programmatischen Theorie eigentlich sehr gegensätzlichen Schulen, er ist nicht mehr richtig Jugendstil und noch nicht richtig Art Déco. Ein Gegenstand, den es, wenn es nach den schöngeistigen Theoretikern der Epoche gegangen wäre, eigentlich nicht hätte geben dürfen. Dennoch waren solche Möbel recht beliebt.

Eine genauere Lokalisierung traue ich mich nicht, aber grade wegen des Zitats der Rabenauer würde ich ihn trotz seiner leichten, eleganten Linien schon als deutsches Fabrikat einordnen.

Ach, hier ist noch ein Stuhl aus der Serie „Alte Nikolaischule“, zum Vergleich:

Schöne Grüße

MM