StVO §9 Absatz 3; Ableiten von Vorrang für Fußgänger

Hallo,
ich weiß, dass so ungefähr jeder §9 Absatz 3 so interpretiert, dass Fußgänger einen Vorrang haben. Dass also ein abbiegendes Fahrzeug die Stelle wie einen Abbiege-Zebrastreifen behandeln sollte . Nur … weiß ich absolut nicht warum. Nicht umfahren, ja. Im Zweifel warten, ja… Vorrang für den Fußgänger? Nein.

Mich würde mal interessieren was auf der Sachebene gegen meine folgende Analyse spricht. „Aber sogar der ADAC sagt es“ zählt nicht.

Der entscheidende letzte Satz „Auf zu Fuß Gehende ist besondere Rücksicht zu nehmen; wenn nötig, ist zu warten.“ ist grammatikalisch gar nicht mit dem Rest verbunden. Somit bezieht er sich aus meiner Sicht auch nur auf das Thema „abbiegen“ aber nicht auf die lange Liste von entegenkommenden Fahrzeugen auf die man warten muss. Wenn ich ihn aus dem Kontext dennoch so verstehe, dass ich eine Wartepflicht habe, ist "Rücksicht "und „wenn nötig“ sehr … seltsam formuliert, weil ich bei einem Vorrang doch nicht nur „wenn nötig“ zu warten habe. In §8 steht ja auch nicht, dass man bei Rechts-vor-Links nur wenn nötig halten muss. (es ergibt aber total Sinn, wenn ich es so verstehe, dass es eine Betonung des Schutzbedürfnis ist bei einem kritischen Manöver. )

Dazu muss man ja auch sehen: Der Text ist somit mindestens mal nicht sauber und eindeutig… es ist aber ein Gesetzestext, der größtes Interesse hat eindeutig zu sein. Zu doof? eher nicht. Man muss sich ja schon bemühen den Text so zu schreiben, dass der Fußgänger nicht genannt ist. Kann es nicht sein, dass diese vage Formlierung… Absicht war?
Man stelle sich vor da stünde „Insbesondere haben Fußgänger Vorrang“ Erst einmal müsste man noch definieren bei welcher Straße sie denn Vorrang hätten (die Straße in die man einbiegt, so die gängige Interpretation) und wie breit dieser gedachte Zebrastreifen sein soll. Aber wenn das klar ist, würde das heißen, der Fußgänger kann einfach auf die Straße rennen solange keiner geradeaus fahren will. Das kann ja nicht gewollt sein. Denn gerade wenn man §25 noch dazunimmt hat ein Fußgänger auf der Straße ja nun wirklich nichts verloren. Er muss Rücksicht nehmen und sich nur so kurz wie möglich dort aufhalten. Und doch soll es bei der Kreuzung plötzlich anders sein… hm… schwierig miteinander zu vereinbaren.
So muss aber jeder aufpassen. Der Fußgänger weil er da nichts verloren hat und der Autofahrer weil er ein Manöver mit hohem Gefahrenpotential durchführt.

Ich will somit sagen, dass es total sinnvoll ist dass ein Autofahrer ein wenig so tut als HÄTTE der Fußgänger hier Vorrang. Aber der Fußgänger soll das bitte nicht auch denken, sonst gute Nacht; sprich, er soll bitte keinen Vorrang ableiten.

Mag sein, dass ich hier und da etwas überspitzt formuliert habe. Knackpunkt ist aber wohl im jeden Fall:
a) wie verknüpfe ich den letzten Satz mit dem Rest
b) ist das die klarste Art wie man den (angeblichen) Vorrang eines Fußgängers hier beschreiben könnte
c) ist das überhaupt in sich schlüssig (logisch wie vom Geiste, was sonst die StVO schreibt)

Und ich sehe im Gesetzestext bei den drei Punkten einfach keine Grundlage einen Vorrang abzuleiten. Die Begründung auf vielen Seiten, die ich dazu ansah war sogar, dass es bei dem Fußgänger extradeutlich steht, weil er schutzbedürftig ist. Ich würde eher sagen: Wenn er Vorrang hat, warum hat ausgerechnet der schutzbedürftigste alle Verkehrsteilnehmer die undeutlichste Formulierung bekommen?

Gruß,
Malte

Der Satz, um den es Dir geht, ist bei weitem nicht so zusammenhanglos und deplatziert, wie Du glaubst. Vor diesem Satz ist die Rede von entgegenkommenden Fahrzeugen, die durchzulassen sind. Bei Fußgängern verhält es sich jedoch anders: es werden nicht nur die entgegenkommenden geschützt, sondern auch die, die gleiche Richtung haben wie der abbiegende Fahrzeugführer.

Dem Fußgänger sind zudem auch die Benutzer der sog. besonderen Fortbewegungsmittel (also Rollschuhe, Roller Inline-Skates usw.) gleichgestellt. Während bei Fußgängern noch recht gut abschätzbar ist, wie schnell sich die bewegen und ob man warten muss, ist das bei besonderen Fortbewegungsmitteln nicht ganz so trivial, daher ist - wenn nötig -, zu warten.

Gruß
C.

Hallo C_Punkt, danke für die Antwort.

Es werden aber auch Fahrräder etc erwähnt, die „auf oder neben der Fahrbahn in der gleichen Richtung fahren“. Das wäre die perfekte Stelle gewesen einen Fußgänger reinzubringen. (Nur müßte man sich von „Fahrzeug“ und „fahren“ lösen. „am Verkehr teilnehmende“ und „bewegen“ vielleicht?)
Dass der „zu Fuß Gehende“ gar nicht in die Kategorie von „Fahrzeug“ oder gar „entgegenkommende Fahrzeuge“ passt, würde aber doch eher noch stärker fordern, dass man seinen Vorrang expliziter herausarbeitet statt „Rücksicht nehmen“ und „wenn nötig“ warten mit „Vorrang haben“ quasi gleichzusetzen (in der mainstream-Interpretation). Statt klar genannt ist es vage umschrieben? (oder wie ich denke : absichtlich nicht so formuliert)

Anders gefragt: Meinst Du der Text ist total eindeutig, der Bezug klar und somit ein eindeutiges Nennen von „Vorrang“ im gleichen Satz mit „zu Fuß Gehender“ gar nicht mehr nötig oder warum… glaubst du ist das so wie es ist?

An die besonderen Fortbewegungsmittel habe ich jetzt definitiv noch nicht gedacht. Auch laufende Kinder kann man vermutlich nicht einschätzen, Aber ich verstehe auch nicht ganz worauf Du da hinaus willst. Ich würde ja behaupten ich muss, wenn nötig, warten, weil ich einen ( (§24) gegebenenfalls auch unberechenbaren und ) schutzbedürftigen Verkehrsteilnehmer nicht verletzen will? (dass ich im Zweifel halte und warte (und nicht hupe), da sind wir uns ja vermutlich eh einig)

Nur als Anmerkung so allgemein: Ich fahre so gut wie nie Auto. Ich bin also nicht der böse Autofahrer, der gerade versucht durch Haarspalterei sein Recht zu begründen, warum er Fußgänger auf der Straße ignorieren kann. Im Gegenteil: ich komme daher, dass ich jahrelang dachte ich habe als Fußgänger ein RECHT dem Auto den Weg abzuschneiden und zum Bremsen zu zwingen (wie am Zebrastreifen) bis ich die StVO in die Hand nahm um meine Meinung bestätigen zu lassen… aber dieses Recht einfach nicht fand. Nur so als Kontext, dass es für mich ein juristisches/akademisches Problem ist. Wenn Ihr mich hier überzeugt, dass ich doch wieder (mit Bedacht) Autos zum Anhalten zwingen darf… ich beschwere mich nicht!! :slight_smile:

Gruß,
Malte

Der Einschub ist nötig, weil auch Fußgänger (inkl. sonstige) geschützt sind, die von hinten kommen und nicht nur die, die dem Fahrzeugführer entgegenkommen. Das ist ein entscheidender Unterschied zu den Fahrzeugen.

Das schrieb ich aber schon:

Auch das schrieb ich:

Ich will darauf hinaus, dass man als Abbiegender im Hinblick auf Fußgänger & Co. eine weitaus größere Pflicht hat, so aufmerksam zu sein, dass ganz sicher niemand zu Schaden kommt als bei entgegenkommenden Fahrzeugen, weil man die halt direkt auf sich zukommen sieht und so viel besser im Blick hat als bspw. Fußgänger und Rollerfahrer, die sich ggfs. noch teilweise hinter Bäumen oder parkenden Fahrzeugen verbergen.

Gruß
C.

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https://openjur.de/u/542719.html

Lesestoff vom OLG Hamm.

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Es gilt für Fußgänger aber auch der §25 Abs (3) Wer zu Fuß geht, hat Fahrbahnen unter Beachtung des Fahrzeugverkehrs zügig auf dem kürzesten Weg quer zur Fahrtrichtung zu überschreiten.

Das scheinen aber viele zu vergessen. Für mich ist es logisch, dass mich Fußgänger in gleicher Bewegungsrichtung nicht unbedingt wahrnehmen können (steifer Hals, Kopfhörer, Sonnenbrille). Wenn sie aber von vorn kommen, dann könnten sie auf den motorisierten Verkehr Rücksicht nehmen.
Es ist einigermaßen unsinnig, wenn ein junger Mensch vor einen Kieslaster springt und damit eine Notbremsung verursacht.
Gleiches gilt für Kreisverkehre, da kommt der Verkehr gleich völlig zum Erliegen.

Das ändert nur wenig an § 9 (3) StVO. Siehe auch Urteil des OLG Hamm.

Naja, so ganz grundsätzlich könnten PKW- und LKW-Fahrer erst einmal aufhören, Fußgänger und Radfahrer zu überfahren. Das sähe ich im Sinne eines gemeinsamen Miteinanders als einen wichtigeren Schritt an.

Das war jetzt nicht die Antwort auf die Frage. Ich gehe mal davon aus, dass alle Verkehrsteilnehmer den §1 (1) beachten.

hi X_Strom,

das ist interessant zu lesen.
Ich fasse mal zusammen was ich da rauslese.

Ich habe zwar nicht verstanden woraus das Gericht den Vorrang ableitet, aber immerhin. Es liest sich etwas so als ob sie argumentieren, dass die Schutzbedürftigkeit in einer unübersichtlichen Situation so hoch ist, dass dieser §9(3) nicht nur als „Lieber Autofahrer, im Notfall auf dein Recht verzichten und warten“ zu verstehen sein soll [wie ich es tue] sondern einem generellen de facto Verzicht des Vorranges des abbiegenden Autofahrers gleichkommt.

wenn ich das richtig verstehe: Ich würde ja eher das Gesetz anpassen als den Begriff der Schutzbedürftigkeit so zu dehnen, Aber das ist ein anderes Problem.

Es wird aber wohl auch so verstanden dass es nicht wirklich ein Vorrang ist sondern „vorrangähnlich“. ("räumt dem eine Straßeneinmündung querenden Fußgänger auch außerhalb förmlicher Fußgängerüberwege generell eine vorrangähnliche Stellung ein ")

Oder habe ich das jetzt völlig falsch verstanden?

Weil ich gerade in dem Zusammenhang noch zu Zebrasteifen lese, merke ich dass Interpretation wohl immer sehr viel Zeitgeist beinhaltet. Steht in §26 StVO eigentlich nicht viel mehr als dass man nur langsamer werden muss, wenn Fußgänger den Zebrastreifen "erkennbar benutzen wollen. Ich tippe mal, dass vom Autofahrer heutzutage schon erwartet wird, dass er mit mäßiger Geschwindigkeit und bremsbereit heranfährt ob da jemand erkennbar rüber will oder nicht (so bekam ich das zumindest beigebracht). Ich frage mich ob man das schon 1964 so gesehen hat als der Paragraph wohl reingeschrieben wurde.

Gruß,
Malte

Ich fasse deine Bedenken einmal so zusammen:
Der Vorrang ist schwammig formuliert und führt zu Prozessen, in denen Richter sich damit befassen müssen.

Damit hättest du, wenn ich dich richtig verstehe, absolut Recht.

Die StVO ist ein übles Machwerk voller Unklarheiten und Fehler, schlampiger Pfusch.

Vor diesem Satz steht wörtlich:

Fahrräder mit Hilfsmotor, Fahrräder und Elektrokleinstfahrzeuge auch dann, wenn sie auf oder neben der Fahrbahn in der gleichen Richtung fahren.

Und darauf hat Dich auch Malte bereits hingewiesen.

Und nein: Ich teile Maltes Interpretation nicht. Ich finde nur, dass es Diskussionen förderlich ist, wenn man das, was andere schreiben, liest und versteht.

Gruß,
Max

Das stimmt. Ich hatte das tatsächlich überlesen.

Dann insofern ergänzend: wichtig ist, dass der Gesetzgeber dennoch einen Unterschied zwischen Fußgängern und Fahrrädern macht. Bei den Fußgängern fehlt nämlich der Zusatz „neben der Fahrbahn“, d.h. für die Radfahrer & Co. endet die Schutzwirkung nach einigen Metern (die VwV-StVO spricht hier von „ca. 5 Metern“).

Im übrigen, und das wollte ich zuvor schon erwähnt haben, ist der Zusatz „besondere Rücksicht“ nicht irgendein belangloser, halbgarer Zusatz, sondern er zieht besondere Pflichten nach sich, d.h. die „normale“ Rücksichtnahme u.a. im Sinne von § 1 StVO reicht halt nicht. Verstöße ziehen dann schnell eine höhere Teilschuld nach sich bzw. führen auch bei Fehlverhalten des anderen zu einer Schuldzuweisung.

Herumgeiere. Sollen sie doch klare Vorfahrtsregeln schaffen und nicht abwarten, dass es kracht und dann irgendwelche Schuldverteilungen durch Gerichte ausverhandeln.

Eine Verwaltungsvorschrift

  • deren Existenz kaum einer kennt,
  • deren Inhalte fast niemand kennt

und die dennoch im Verwaltungsrecht etwas definiert, was für eine Haftung im Privatrecht von Belang ist. Ich bin mal wieder stark begeistert.

„Eine Verwaltungsvorschrift ( VwV , auch VV ) ist in Deutschland eine Anordnung, die innerhalb einer Verwaltungsorganisation von einer übergeordneten Verwaltungs­instanz oder einem Vorgesetzten an nachgeordnete Verwaltungsbehörden oder Bedienstete ergeht und deren Wirkbereich grundsätzlich auf das Innenrecht der Verwaltung beschränkt sein soll.“

(Quelle: Wikipedia)

Die Regel ist doch klar: wer abbiegt, hat entgegenkommende Fahrzeuge passieren zu lassen und bei Fahrrädern & Co. sowie Fußgängern ist auch jenen „Vorfahrt“ zu gewähren, die von hinten kommen. Damit ist alles gesagt.

Die besondere Rücksichtnahme hat letztlich nur Auswirkungen auf die Schuldfrage, wenn diese vor Gericht verhandelt wird und ggfs. noch andere Pflichtverletzungen begangen wurden, gegen die abgewogen werden muss. Die Frage, wer in der fraglichen Situation „Vorfahrt“ hat, wird durch die Formulierung mit der „besonderen Rücksichtnahme“ jedoch nicht wirklich tangiert.