Gerade habe ich mit verschiedenen Suchbegriffen bei Google versucht, eine Statistik zu finden, welche die Therapieerfolge verschiedenster Psychotherapien sowie psychiatrischer Methoden bei schweren und schwersten Depressionen untereinander vergleicht.
Gleichgültig, ob ich nach „Erfolgsstatistik“, „Metastudie“ o. ä. gesucht habe: Offenbar gibt es solche Metastudien bzw. Statistiken nicht (im deutschsprachigen Raum).
Jetzt frage ich mich, woran das liegt:
An meinen insuffizienten Suchbegriffen?
Daran, dass der reale, praktische und lang andauernde Erfolg einer Depressionstherapie (sei es nur die dauerhafte Suizidvermeidung oder sei es der Beginn eines langen, glücklichen bzw. zufriedenstellenden Lebens) gar nicht objektiv und valide gemessen werden kann?
Daran dass sämtliche angewandten Psychotherapiemethoden und medikamentösen Behandlungen sowie EKT gleichermaßen taugen (oder aber untauglich sind)?
Oder soll uns Nichtmedizinern schlicht vorenthalten werden, welche Methoden bessere u/o schnellere u/o nachhaltigere Erfolge erzielen, damit bloß keine Therapieform und kein Therapeut benachteiligt wird?
Hintergrund meiner Frage: Vor kurzem habe ich miterlebt, dass ein jahrzehntelang hypomanischer und wohl deshalb beruflich erfolgreicher Arzt innerhalb kürzester Zeit in eine sehr schwere Depression fiel, nicht mehr arbeitsfähig war und auch nicht wieder eingegliedert werden konnte. Mehr als ein Jahr lang war er in der Psychiatrie, wo er mit verschiedensten Medikamenten vollgepumpt und auch mit der Elektro-Krampftherapie behandelt wurde. In den folgenden etwa zwei Jahren war er zu Hause und unterzog sich einer tiefenpsychologischen Psychotherapie. Trotzdem unternahm er in dieser Zeit zwei erfolglose Suizidversuche und final einen erfolgreichen Suizid.
Zu keinem Zeitpunkt hatte er die Hoffnung, es könne ihm wieder besser gehen - ganz im Gegenteil. Er hatte sein Selbstvertrauen und seine Lebensenergie komplett verloren, konnte sogar die einfachsten Entscheidungen nicht mehr treffen und fühlte sich von fast allen anderen Menschen bedroht.
Alle angewandten Therapien haben bei ihm letztlich nicht funktioniert, und ich frage mich jetzt, ob Psychotherapieerfolge nicht stets bloß Zufallsergebnisse sind - bei dem einen so, bei dem anderen anders - aber nichts zuverlässig und vorhersagbar Wirksames?
Der Mensch ist nun mal komplex, und es gibt da gerade bei so hochkomplizierten Geschichten wie einer Depression nicht so einfache binäre Aussagen. Viele Therapien helfen durchaus bei vielen Menschen, aber eben nicht bei allen. Vielen Menschen hilft erst eine Therapie, die erst nach vielen Misserfolgen mit anderen Therapien angewendet wurde. Und ja, es gibt auch Menschen, die vor der für sie richtigen Therapie den Weg des Suizid gehen, oder für die es ggf. auch stand heute gar keine passende Therapie gegeben hätte. Was nicht heißt, dass es nicht in Zukunft auch für sie eine geeignete Therapie geben kann/wird.
Es sind natürlich furchtbare Schicksale, die Einzelne da treffen, denen man leider aktuell noch nicht adäquat helfen kann, oder bei denen man nicht rechtzeitig die geeignete Therapie findet. Aber wir reden ja hier nicht von Scharlatanerie und Gesundbeten, sondern von in vielen Fällen durchaus erfolgreichen Therapien, die aber eben nicht jedem gleichermaßen gut helfen und für jeden der Schlüssel zum Erfolg sind. Dafür sind Depressionen einfach zu komplex. Man muss da leider aktuell immer noch viel ausprobieren und sich leider im Einzelfall auch mal durch eine ganze Kette von möglichen Ansätzen durcharbeiten.
Das verstehe ich. Aber Depressionstherapien gibt es jetzt doch schon sehr, sehr lange. Ich nahm an, dass irgendwann irgendwer mit wissenschaftlichem Interesse damit begonnen hätte, nach einer Depressionstherapie - zumindest wenn Suizidgedanken oder -versuche eine bedeutende Rolle spielten - deren Langzeiterfolg im zeitlichen Verlauf zu ermitteln, z. B. mit einem Lebenszufriedenheitsfragebogen, der den „geheilten“ Patient:innen alle paar Jahre erneut vorgelegt wird. Zu Beginn vielleicht jedes Jahr einmal, später dann in längeren Zeitabständen. Und dies müsste in den Leitlinien verpflichtend aufgenommen werden.
Aber entweder hat es noch niemanden ernsthaft interessiert, oder ist zu aufwendig (sprich: es kostet zu viel Geld). Schwierig wäre es zumindest nicht - auch nicht in der Auswertung, die in unterschiedlichen Zeitabständen immer wieder durchgeführt werden kann. Auf jeden Fall könnte man damit zuverlässig feststellen, wie lange nach Therapieende der Verzicht auf Suizid angehalten hat - darüber hinaus aber auch noch viele andere Zufriedenheitsparameter ermitteln.
Leichte Depressionen (bzw. depressive Episoden) können von den meisten sicher über eine gewisse Zeit ertragen werden, solange die Hoffnung auf Heilung fortbesteht. Und selbst, wenn sie nicht mehr besteht, kann der/die Betroffene die Wartezeit ggf. mit Drogen überbrücken, die ihn/sie entweder in guter Stimmung halten oder die alles gleichgültig erscheinen lassen (Mother’s little helper …).
Aber bei einer sehr schweren Depression mit zusätzlich starken körperlich empfundenen Schmerzen (z. B. am Herzen oder in der Brust) und stetig zunehmender Paranoia (Minderwertigkeitswahn, Verfolgungswahn, Vernichtungswahn etc.) - trotz aller verabreichten Medikamente, sollte m. E. die Medizin akzeptieren, dass der Suizid die Erlösung von allen Leiden bedeutet und die betroffene Person nicht unter allen Umständen zum Weiterleben (=Weiterleiden) zwingen.
Ich könnte mir auch das alternative Angebot würdig und selbstbestimmt zu sterben und dabei medizinisch begleitet zu werden, vorstellen. Aber ich halte es für unwahrscheinlich, dass unsere starrsinnige Politik sich jemals dazu durchringen wird. Sie klammert sie sich an Überholtes und geht lieber ganz unter, als flexibel zur Wandlung bereit zu sein.
Schade das.
In dem von mir beschriebenen Fall des vor der Erkrankung über viele Jahrzehnte hypomanisch-erfolgsgewohnten Arztes und „Sunnyboy“, der immer gern lachte und mit seiner Schlagfertigkeit seine Kolleg:innen stets gut unterhalten konnte, drängt sich mir der Eindruck auf, dass die Psychiatrie versagt hat. Sie hatte immerhin mehr als ein Jahr Zeit - und der Betroffene war Privatpatient. Verschiedenste Antidepressiva wurden gleichzeitig mit Neuroleptika und wer weiß, was noch alles, verabreicht. Die Dosen wurden immer wieder gesteigert. Nie war eine Besserung zu erkennen - außer dem sporadisch (seltenen) Umkippen in die Manie mit Realitätsverlust.
Und auch der niedergelassene Psychotherapeut, der ihn in den letzten zwei Jahren behandelte, hat nicht erkannt, dass sein Patient zwar so tut, als würde er mitspielen, in Wirklichkeit aber nichts von all dem tiefenpsychologischen Dialog gehalten hat. Er hat nicht erkannt, dass der Patient zwar immer wieder bewusst-rational mit allen Interventionen umging, in der Tiefe der Seele davon aber unberührt blieb. So wurde auch dieser Therapeut vom gänzlich unerwarteten Suizid genau so überrascht, wie seine Frau, seine Familie und alle Kolleg:innen die ihn von früher stehts heiter und gutgelaunt kannten.
Sein Fall erinnerte mich sehr an Franz Kafkas persönliches Schicksal, der sich zeitlebens nicht mit seinem unbewussten „Schatten“ anfreunden und Kraft aus ihm ziehen konnte. So hatte er auch keinen Verbündeten in seiner Innenwelt, der ihm hätte helfen können, seinen introjizierten autoritär-unterdrückenden Vater zu besiegen. Folge: Kafka wurde von seinen abgelehnten unbewussten Persönlichkeitsteilen beschimpft, verfolgt (vor das „innere Gericht“ gestellt) und niedergemacht - sowohl in seinen Träumen als auch in seiner schriftstellerischen Fantasie. Aber immerhin konnte er mit seiner Schriftstellerei einen aktiven Suizid vermeiden.
Für das Schreiben von Büchern (zur Selbsttherapie) hatte mein Bekannter wohl kein Talent. Offenbar hatte sich sein bewusstes Ich schon in der Jugend oder gar Kindheit allen seinen unbewussten schöpferischen Quellen gegenüber verschlossen,
Ich kann Dir jetzt auch keine Studien konkret benennen und verlinken. Aber es muss für eine Abrechenbarkeit durch die Krankenkassen für jede Therapie belegt werden, dass sie wirksam ist. D.h. insoweit liegen da sicherlich Studien vor. Auch gibt es überall Zahlen zur Rückfallquote nach einer Depression. Daraus kannst Du ableiten, dass es da durchaus Forschung und Material gibt. Das muss allerdings nicht zwingend frei im Internet verfügbar sein, sondern erfordert Zugriff auf Fachliteratur, die ggf. nur hinter Paywalls zu finden ist, oder für die man in die Fachbibliotheken der Unis gehen muss.
Eine Sterbehilfe im Zusammenhang mit psychiatrischen Gründen ist z.B. in den Niederlanden und Belgien zulässig. Allerdings ist sie auch massiv umstritten. Deutschland trägt an einer sehr belasteten Geschichte , die man nicht einfach ignorieren und wegwischen kann, und daher sind Entwicklungen in diesem Bereich nun einmal sehr schwierig. Das halte ich allerdings nicht unbedingt für schlecht, denn z.B. die Entwicklung in Ländern, in denen die Sterbehilfe recht großzügig geregelt ist, ist vielfach auch alles andere als gut und hat vielfach zu Dingen geführt, die massiv zu missbilligen sind.
Man muss leider akzeptieren, dass es in der Medizin keinerlei Erfolgsgarantie gibt, und wir nach wie vor und auch in Zukunft ganz massiv forschen müssen, um bei immer mehr Erkrankungen immer bessere Therapien in den Einsatz bringen zu können, die immer mehr Menschen helfen können. Da werden wir auch nie zu einem Ende kommen. Aber egal, was auch erforscht und erfunden wird: Wir werden akzeptieren müssen, dass es immer Fälle geben wird, in denen es keine wirksame Therapie gibt.
Ja, diese Erfahrung habe ich schon einige Male gemacht.
Da ich jetzt schon 73 bin, meine letzte depressive Episode jetzt gut 30 Jahre zurückliegt und ich seither (wohl bis zu meinem Lebensende) sicherheitshalber zwei Antidepressiva nehme (Morgens „Bupropion“ für den Tag und beim Zubettgehen „Agomelatin“ für die Nacht)*, und da es meinen beschriebenen Bekannten eh nicht wieder lebendig macht, gebe ich meine weiteren Recherchen auf.
In meinem Alter muss ich ein bisschen haushalten mit der mir noch verbleibenden (statistischen) Restlebenszeit. Vernünftigerweise befasse ich mich daher möglichst nur noch mit Aufgaben, die wenig Zeit beanspruchen, sowie mit Dingen, die mir (ein bisschen) Freude bereiten und mit (so gut es geht) halbwegs gesunder Bewegung. Daneben gibt’s leider noch genug anderes, das zum (Über-)Leben unverzichtbar ist und Zeit beansprucht - insbesondere wenn man als Single allen Sch#### im und für den Haushalt selbst machen muss.
*) Ob deren Wirkung nun harter chemischer Natur ist, oder ob sie auf dem Placeboeffekt beruht, ist mir dabei gleichgültig. Hauptsache ich fühle mich gut dabei. Mittlerweile vertraue ich dem Placeboeffekt - der leider nicht bewusst hervorzurufen ist - ebenso wie der harten Chemie … nicht jedoch der Homöopathie und ähnlicher „sanfter Medizin“.
Nichts ist perfekt. Alles Gute trägt auch den Keim des Bösen in sich; es kommt nur darauf an, wer es in die Hände bekommt. Bestes Beispiel: Das Internet im Allgemeinen und die (a)sozialen Medien im Besonderen.
Ich kann nicht verstehen, warum man es hierzulande Sterbewilligen auferlegt, eine „grausame“ bzw. harte Todesart wählen zu müssen. Der o. g. Bekannte hatte sich im Keller seines Hauses aufgehängt. (Seine Frau fand ihn so und leidet noch heute - ein Jahr danach - neben der Trauer an Flashbacks dieses Bildes).
Aber das Erschießen wäre für die Hinterbliebenen auch nicht wirklich erträglicher. Und die Bahn beklagt sich doch immer wieder über die vielen traumatisierten Triebfahrzugführer, die als Mittel zum Zweck missbraucht wurden. Stichwort: „Personen im Gleis“.
Da fände ich eine medizinisch begleitete sichere und relativ sanfte Todesart (unter Vollnarkose, in Würde und in aller Stille) doch viel humaner - im Sinn aller Beteiligten.
Jetzt habe ich aber genug lamentiert. Ich danke Dir für Deine fundierte Aufklärung und wünsche Dir alles Gute.