Grüße an alle Experten!
Seit einigen Monaten beschäftige ich mich mit dem Behaviorismus, u.a. unter dem Gesichtspunkt einer Menge von Aussagen, was Psychologie sein, wie psychologische Forschung aussehen und wie eine psychologische Erklärung beschaffen sein sollte.
Ich will - zur Klärung des Begriffs - an dieser Stelle „Behaviorismus“ als „Doktrin“ definieren, die die folgenden drei Aussagen als wahr ansieht:
- Psychologie ist die Wissenschaft des Verhaltens, nicht des Geistes.
- Verhalten kann beschrieben und erklärt werden, ohne Bezug auf mentale Ereignisse oder interne psychische Prozesse zu nehmen. Die Ursachen des Verhaltens liegen nicht in mentalen (u.a. nicht-physikalisch) Substanzen oder Zuständen.
- Falls mentale Begriffe oder Konzepte bei der Beschreibung oder Erklärung des Verhaltens auf irgendeine Weise im Verlauf der Entwicklung psychologischer Theorien eingesetzt werden, sollten (a) diese Begriffe oder Konzepte im Verlauf der Theorieentwicklung in der Psychologie eliminiert oder durch Verhaltensbegriffe ersetzt werden oder (b) können oder sollten sie in Verhaltenskonzepte übersetzt oder durch diese paraphrasiert werden.
Bekanntermaßen ist der Behaviorismus seit Ende der 1960er Jahre nicht mehr in der Psychologie dominierend. Auch seine Bedeutung als philosophische Richtung hat stark abgenommen. Im Gegensatz dazu haben der Kognitivismus bzw. an ihn angelehnte Strömungen an Beachtung gewonnen. Hypothesen über die Gründe für diese Entwicklung gibt es viele. Mich interessiert v.a.:
(a) Was spricht inhaltlich (nicht historisch oder bzgl. einer Beschränkung der Forschung auf bestimmte Thematiken / Methoden) hauptsächlich gegen die „Doktrin“ des Behaviorismus, wie ich ihn oben definiert habe?
(b) Befinden sich unter diesen Gründen, die gegen den Behaviorismus sprechen, auch welche, die nicht nur Annahmen des Kognitivismus / Mentalismus paraphrasieren? Wenn ja, welche?
© Wenn die Existenz mentaler Substanzen oder Zustände unter den Gründen ist, die gegen den Behaviorismus sprechen, wie ist es möglich, daß mentale Substanzen oder Zustände Verhalten und physikalische Objekte beeinflussen können?
(d) Angenommen mentale Substanzen bzw. Zustände existieren, wie kann naturwissenschaftlich geklärt werden, daß sie existieren und einen Einfluß auf das Verhalten und physikalische Objekte haben, wenn sie nicht direkt beobachtbar sind? Oder sind sie direkt beobachtbar (d.h. sie selbst, nicht ihre angenommenen Auswirkungen auf physikalische Objekte und Verhalten)?
(e) Wenn die Haupteinwände gegen den Behaviorismus aus Verweisen auf mentale Substanzen und Zustände bestehen, diese Substanzen und Zustände nicht naturwissenschaftlich erfaßt werden können und die Frage des Substanzdualismus nicht naturwissenschaftlich zu klären ist, stellt dann ein behavioristisch orientiertes Forschungsprogramm das einzig naturwissenschaftlich vertretbare dar?
(f) Wenn Psychologie naturwissenschaftlich betrieben werden soll, sollte sie dann notwendigerweise am ehesten behavioristisch orientiert betrieben werden, auch wenn dadurch ihre Thematiken (v.a. Beschäftigung mit dem Erleben) eingeschränkt würden?
Da diese Fragen sehr umfangreich sind, mich persönlich aber sehr stark interessieren, wäre es auch hilfreich, wenn mir ein Verweis auf „gute“ Literatur zu diesem Thema gegeben werden könnte. Leider ist die Literatur, die ich bereits studiert habe und in der Argumente gegen den Behaviorismus aufgeführt sind, bzgl. der Aussagen über den Behaviorismus durch Ungenauigkeit (aufgrund von Unkenntnis?) gekennzeichnet, so daß mich die dort aufgeführten Argumente nicht überzeugt haben. Dazu gehören Argumente wie „der Behaviorismus ist kontra-intuitiv“ oder „die Unangemessenheit behavioristischer Vorstellungen ist selbst-evident“
Vielen Dank im Voraus!
Oliver Walter