Suche gute Argumente gegen den Behaviorismus

Grüße an alle Experten!

Seit einigen Monaten beschäftige ich mich mit dem Behaviorismus, u.a. unter dem Gesichtspunkt einer Menge von Aussagen, was Psychologie sein, wie psychologische Forschung aussehen und wie eine psychologische Erklärung beschaffen sein sollte.

Ich will - zur Klärung des Begriffs - an dieser Stelle „Behaviorismus“ als „Doktrin“ definieren, die die folgenden drei Aussagen als wahr ansieht:

  1. Psychologie ist die Wissenschaft des Verhaltens, nicht des Geistes.
  2. Verhalten kann beschrieben und erklärt werden, ohne Bezug auf mentale Ereignisse oder interne psychische Prozesse zu nehmen. Die Ursachen des Verhaltens liegen nicht in mentalen (u.a. nicht-physikalisch) Substanzen oder Zuständen.
  3. Falls mentale Begriffe oder Konzepte bei der Beschreibung oder Erklärung des Verhaltens auf irgendeine Weise im Verlauf der Entwicklung psychologischer Theorien eingesetzt werden, sollten (a) diese Begriffe oder Konzepte im Verlauf der Theorieentwicklung in der Psychologie eliminiert oder durch Verhaltensbegriffe ersetzt werden oder (b) können oder sollten sie in Verhaltenskonzepte übersetzt oder durch diese paraphrasiert werden.

Bekanntermaßen ist der Behaviorismus seit Ende der 1960er Jahre nicht mehr in der Psychologie dominierend. Auch seine Bedeutung als philosophische Richtung hat stark abgenommen. Im Gegensatz dazu haben der Kognitivismus bzw. an ihn angelehnte Strömungen an Beachtung gewonnen. Hypothesen über die Gründe für diese Entwicklung gibt es viele. Mich interessiert v.a.:

(a) Was spricht inhaltlich (nicht historisch oder bzgl. einer Beschränkung der Forschung auf bestimmte Thematiken / Methoden) hauptsächlich gegen die „Doktrin“ des Behaviorismus, wie ich ihn oben definiert habe?
(b) Befinden sich unter diesen Gründen, die gegen den Behaviorismus sprechen, auch welche, die nicht nur Annahmen des Kognitivismus / Mentalismus paraphrasieren? Wenn ja, welche?
© Wenn die Existenz mentaler Substanzen oder Zustände unter den Gründen ist, die gegen den Behaviorismus sprechen, wie ist es möglich, daß mentale Substanzen oder Zustände Verhalten und physikalische Objekte beeinflussen können?
(d) Angenommen mentale Substanzen bzw. Zustände existieren, wie kann naturwissenschaftlich geklärt werden, daß sie existieren und einen Einfluß auf das Verhalten und physikalische Objekte haben, wenn sie nicht direkt beobachtbar sind? Oder sind sie direkt beobachtbar (d.h. sie selbst, nicht ihre angenommenen Auswirkungen auf physikalische Objekte und Verhalten)?
(e) Wenn die Haupteinwände gegen den Behaviorismus aus Verweisen auf mentale Substanzen und Zustände bestehen, diese Substanzen und Zustände nicht naturwissenschaftlich erfaßt werden können und die Frage des Substanzdualismus nicht naturwissenschaftlich zu klären ist, stellt dann ein behavioristisch orientiertes Forschungsprogramm das einzig naturwissenschaftlich vertretbare dar?
(f) Wenn Psychologie naturwissenschaftlich betrieben werden soll, sollte sie dann notwendigerweise am ehesten behavioristisch orientiert betrieben werden, auch wenn dadurch ihre Thematiken (v.a. Beschäftigung mit dem Erleben) eingeschränkt würden?

Da diese Fragen sehr umfangreich sind, mich persönlich aber sehr stark interessieren, wäre es auch hilfreich, wenn mir ein Verweis auf „gute“ Literatur zu diesem Thema gegeben werden könnte. Leider ist die Literatur, die ich bereits studiert habe und in der Argumente gegen den Behaviorismus aufgeführt sind, bzgl. der Aussagen über den Behaviorismus durch Ungenauigkeit (aufgrund von Unkenntnis?) gekennzeichnet, so daß mich die dort aufgeführten Argumente nicht überzeugt haben. Dazu gehören Argumente wie „der Behaviorismus ist kontra-intuitiv“ oder „die Unangemessenheit behavioristischer Vorstellungen ist selbst-evident“

Vielen Dank im Voraus!

Oliver Walter

Behaviorismus (Achtung: lang!)
Hallo,

wegen des Umfangs leider nur in Kürze, aber trotzdem lang:

>1. Psychologie ist die Wissenschaft des Verhaltens, nicht des
>Geistes.
>2. Verhalten kann beschrieben und erklärt werden, ohne Bezug >auf mentale Ereignisse oder interne psychische Prozesse zu >nehmen. Die Ursachen des Verhaltens liegen nicht in mentalen
>(u.a. nicht-physikalisch) Substanzen oder Zuständen.
>3. Falls mentale Begriffe oder Konzepte bei der Beschreibung >oder Erklärung des Verhaltens auf irgendeine Weise im Verlauf >der Entwicklung psychologischer Theorien eingesetzt werden, >sollten (a) diese Begriffe oder Konzepte im Verlauf der >Theorieentwicklung in der Psychologie eliminiert oder durch >Verhaltensbegriffe ersetzt werden oder (b) können oder sollten
>sie in Verhaltenskonzepte übersetzt oder durch diese >paraphrasiert werden.

>(a) Was spricht inhaltlich (nicht historisch oder bzgl. einer >Beschränkung der Forschung auf bestimmte Thematiken / >Methoden) hauptsächlich gegen die „Doktrin“ des Behaviorismus, >wie ich ihn oben definiert habe?

Satz 1 ist eine methodische Behauptung, die erst im Nachhinein begründet werden soll und zwar dadurch, dass einfach die Vorzüge des Behaviorimus gezeigt, die Vorzüge anderer Theorien aber ignoriert bzw. eliminiert werden sollen. Zumindest also ist der B. sehr einseitig, wohingegen der K. den B. zulässt, freilich in gewissen Schranken.

Satz 2 kann von mehreren Seiten aus kritisiert werden: Es ist zwar richtig, dass eine Beschreibung möglich ist, ja sogar eine Erklärung, aber ob diese Erklärung hinreichend oder sogar ausreichend ist, ist eine andere Frage. Das hängt auch damit zusammen, ob man dem Begriff des „Verstehens“ eine höhere Stufe zugestehen will oder nicht, ist also eigentlich eine Frage über den Wert hermeneutischer Methodologien in Wissenschaften überhaupt.

Satz 3 ist eigentlich eine methodische Vermutung, mehr nicht. Das eigentliche Problem des Behaviorismus ist ein logisches bzw. wissenschaftstheoretisches Problem. Der Begriff der „Erklärung“ soll durch den Begriff der „Beschreibung“ ersetzt werden, aber auch dessen Funktion übernehmen. Das aber ist unmöglich, weil „Beschreibung“ überhaupt nicht in der Lage ist, Kausalverhältnisse zu erfassen, die doch für „Erklärung“ konstitutiv sind.

>(b) Befinden sich unter diesen Gründen, die gegen den >Behaviorismus sprechen, auch welche, die nicht
>nur Annahmen des Kognitivismus / Mentalismus paraphrasieren? >Wenn ja, welche?

Eine Unterscheidung zwischen Kognitivismus und Mentalismus kann nur erfolgen, indem man den Mentalismus der Beschreibungsebene zuordnet. Damit aber geht ihm ebenso wie dem Behaviorismus grundsätzlich die Fähigkeit ab, über die Beschreibung hinaus etwas zu begründen. Der Begriff des Grundes ist im Behaviorismus ein Glaubensdiktum und hat mit „Wissen“ nichts zu tun.

>c) Wenn die Existenz mentaler Substanzen oder Zustände unter >den Gründen ist, die gegen den
>Behaviorismus sprechen, wie ist es möglich, daß mentale >Substanzen oder Zustände Verhalten und
>physikalische Objekte beeinflussen können?

Das verstehe ich nicht.

>(d) Angenommen mentale Substanzen bzw. Zustände existieren, wie >kann naturwissenschaftlich geklärt
>werden, daß sie existieren und einen Einfluß auf das Verhalten >und physikalische Objekte haben, wenn
>sie nicht direkt beobachtbar sind? Oder sind sie direkt >beobachtbar (d.h. sie selbst, nicht ihre
>angenommenen Auswirkungen auf physikalische Objekte und >Verhalten)?

Die Frage setzt voraus, dass man naturwissenschaftlich etwas erklären kann. Gerade das aber kann man nicht. Naturwissenschaftlich kann man nur beschreiben. Lediglich logisch kann man erklären, indem man eben mit dem Kausalbegriff arbeitet. Der Kausalbegriff des Behaviorismus ist allenfalls „naiv“ zu nennen, wenn überhaupt.

>(e) Wenn die Haupteinwände gegen den Behaviorismus aus >Verweisen auf mentale Substanzen und
>Zustände bestehen, diese Substanzen und Zustände nicht >naturwissenschaftlich erfaßt werden können
>und die Frage des Substanzdualismus nicht naturwissenschaftlich >zu klären ist, stellt dann ein behavioristisch orientiertes >Forschungsprogramm das einzig naturwissenschaftlich vertretbare >dar?

Wenn man Naturwissenschaft mit Beschreibung gleich setzt, dann ja. Aber dieser Begriff der Naturwissenschaften ist zumindest fraglich.

>(f) Wenn Psychologie naturwissenschaftlich betrieben werden >soll, sollte sie dann notwendigerweise am ehesten >behavioristisch orientiert betrieben werden, auch wenn dadurch >ihre Thematiken (v.a. Beschäftigung mit dem Erleben) >eingeschränkt würden?

Naturwissenschaftliche Psychologie ist beschreibende Psychologie per definitionem. Die Einschränkung der Thematik muss dann in Kauf genommen werden.

> … ein Verweis auf „gute“ Literatur zu diesem Thema …

Der wichtigste Name in dieser Diskussion in der Gegenwart scheint mir der Name „Adolf Grünbaum“, der u. a. über die „wissenschaftliche“ Fundierung der Psychoanalyse gearbeitet hat. Unter diesem Namen wirst du sicher fündig werden.

Herzliche Grüße

Thomas Miller

Argumente gegen den Behaviorismus
Hi Oliver

aus Zeitmangel nur ein paar kurze Bemerkungen (mehr vielleicht, wenn ich wieder da bin).

Deine drei Aussagen scheinen mir den Behaviourismus recht gut zu charakterisieren und damit für die von Dir befragte Diskussion zu präparieren.

Jedoch scheint mir sinnvoll, hier

  1. Psychologie ist die Wissenschaft des Verhaltens, nicht des Geistes.

den Halbsatz „nicht des Geistes“ aus Gründen der Präsuppositionslogik wegzulassen. Denn es könnte ja eine Wissenschaft des Geistes für möglich gehalten werden, die dann nur eben nicht „Psychologie“ heißen dürfe. Das aber (soweit ich orientiert bin) will ja der B. als strittig ansetzen.

Daher Vorschlag zu dieser Aussage:
„1. Nur Wissenschaft des Verhaltens ist Psychologie. Alles andere, was a.a.O. ‚Psychologie‘ genannt wird, ist etwas anderes als Wissenschaft“.

Damit wäre auch umgangen, daß man die Aussage auf eine bloße Nomenklaturfrage reduziert, was ja nicht damit gemeint ist.

Zu den Aussagen 2. und 3.: Hast Du Dich schon mal in den diversen Bewegungen der sog. „philosophy of mind“ der letzten Jahre umgesehen? Denn die sind ja mit ihren Fragestellungen zu NCC (neural correlates of consciousness) usw. mittendrin in dieser Problematik. Denke, daß Du dort fündig werden könntest. Ggf. u.a. zum Überblick:
T. Metzinger(Hg.): Bewußtsein. Beiträge aus der Gegenwartsphilosophie.
Paderborn 1996

Speziell zu 2. hier auf die Schnelle nur angedeutet (als mögliches Gegenargument, allerdings unter der Voraussetzung, auf die unten Thomas Miller verweist, daß B. nicht nur beschreiben, sondern auch erklären will) ein Ansatz aus eigenen Studien: Wir finden die Verhaltensweise vor, sich selbst Wunscherfüllungen bzw. Bedürfnisbefriedigungen zu verweigern (Abstinenz- und andere Askesetechniken). Wie wären die behaviouristisch „erklärbar“?

Bekanntermaßen ist der Behaviorismus seit Ende der 1960er Jahre nicht mehr in der Psychologie dominierend.

Ja, aber die Auseinandersetzung ging ja doch weiter (bis heute) in Form der Fragestellungen der Gegensätzlichkeit bzw. Integrierbarkeit von Verhaltenstherapie und Psychoanalyse.
Aus dieser Ecke dann auch einige Lit.-Vorschläge (die Dir aber sicher bekannt sind).

W.Schorr: Die Verhaltenstherapie. Ihre Geschichte von den Anfängen bis zur Gegenwart.
Weinheim 1984

B.Weitzmann: Behavior therapy and psychotherapy.
Psychol. Review 74, 1967

P.L.Wachtel: Psychoanalysis and behavior therapy.
New York 1977

R.Schafer: A new language for psychoanalysis.
Yale Univ. Press 1976

ad ©: Wenn die Existenz mentaler Substanzen oder Zustände unter

den Gründen ist, die gegen den Behaviorismus sprechen, wie ist
es möglich, daß mentale Substanzen oder Zustände Verhalten und
physikalische Objekte beeinflussen können?

Eine Problemstellung seit Descartes’ dualer Metaphysik. Sie geht gerade in die o.g. philosophy of mind ein…

ad (e): Ich vermute mal, daß in den nächsten Jahre(zehnte)n die Neurowissenschaften hier ein Wörtchen mitreden werden. Damit gäbe es mindestens eine andere Wissenschaft, die ebenfalls rein naturwissenschaftlich orientiert ist.

…Dazu gehören Argumente wie „der Behaviorismus ist kontra-intuitiv“ oder „die Unangemessenheit behavioristischer Vorstellungen ist selbst-evident“

Das zweite kanzelt sich ja wegen seiner Unsachlichkeit tatsächlich selbst aus, das ist richtig. Das erste „Argument“ (kontra-intuitiv) würde ja die gesamte Mathematik, sowie die Relativitätstheorie, Quantenmechanik und Teilchenphysik ebenso treffen. Ist wirklich erstaunlich - würde mich interessieren, wo Du solche „Argumente“ gefunden hast?

b.a.W.

Metapher

kurze Ergänzung

Der wichtigste Name in dieser Diskussion in der Gegenwart
scheint mir der Name „Adolf Grünbaum“, der u. a. über die
„wissenschaftliche“ Fundierung der Psychoanalyse gearbeitet
hat. Unter diesem Namen wirst du sicher fündig werden.

A. Grünbaum: Die Grundlagen der Psychoanalyse. Eine philosophische Kritik
Stuttgart 1988ff
(ist aber hauptsächlich Kritik an der hermeneutischen Auffassung der PsA)

A.Grünbaum: Psychoanalyse in wissenschaftstheoretischer Sicht.
Konstanz 1987

Grüße

Metapher

Antwort auf Metapher
Hallo Metapher,

vielen Dank für Deine Ausführungen. Sie sind mir in allen Punkten hilfreich und erwecken in mir den Eindruck, daß eine sachliche Diskussion über die von mir angesprochenen Fragen geführt werden kann (leider ist es an dem Ort, an dem ich mich befinde, anderen Personen nicht möglich; dazu später etwas mehr).

Ich möchte auf einiges eingehen:

"Jedoch scheint mir sinnvoll, hier

  1. Psychologie ist die Wissenschaft des Verhaltens, nicht des Geistes.

den Halbsatz „nicht des Geistes“ aus Gründen der Präsuppositionslogik wegzulassen. Denn es könnte ja eine Wissenschaft des Geistes für möglich gehalten werden, die dann nur eben nicht „Psychologie“ heißen dürfe. Das aber (soweit ich orientiert bin) will ja der B. als strittig ansetzen."

Ich bin mit Dir einer Meinung. Watson hat z.B. in seinem Artikel „Psychology as the Behaviorist Views It“ einen Vorbehalt hinsichtlich der Möglichkeit einer Wissenschaft des Bewußtseins geltend gemacht. Allerdings ist dieser Vorbehalt später selten aufgegriffen oder berücksichtigt worden.

„Daher Vorschlag zu dieser Aussage:
´1. Nur Wissenschaft des Verhaltens ist Psychologie. Alles andere, was a.a.O. ‚Psychologie‘ genannt wird, ist etwas anderes als Wissenschaft`.“

Zustimmung.

Zu den Neurowissenschaften: So weit ich mich an Skinners Auffassungen erinnere, ist er der Meinung, daß physiologische Vorgänge nicht Gegenstand der Psychologie sein sollten, weil Verhalten „in its own right“ untersucht werden kann. Ob dieser Standpunkt zu halten ist, ist für mich eine offene Frage, allerdings würde ich es auf einen Versuch ankommen lassen (und die experimentelle Analyse existiert weiterhin). Am Beispiel der Verhaltensökologie läßt sich zumindest zeigen, daß auch in einer anderen Wissenschaft ohne Bezüge auf die Physiologie Verhalten untersucht wird.

Andererseits ist Skinners Standpunkt innerhalb des psychologischen Behaviorismus nicht der einzige. Der Neobehaviorismus Hulls hat explizit eine Verbindung zur Physiologie hergestellt und einer seiner (früheren) Hauptvertreter, Neal E. Miller, scheint während seines späteren Wissenschaftlerlebens in den Neurowissenschaften aktiv gewesen zu sein.

Zum dritten steht Staddon für seinen neuen „theoretical behaviorism“ den neuronalen Netzwerkmodellen wohlwollend gegenüber, ja sieht sie als Stütze für seinen Standpunkt an, ohne Modelle mit kognitiv orientierten Bestandteilen auskommen zu können. Die beiden letzten Punkte deuten für mich darauf hin, daß eine Integration zwischen einem abgemildertem Behaviorismus und den physiologischen Wissenschaften möglich ist.

Schon aus diesen Gründen stimme ich Dir zu, daß die Neurowissenschaften im Hinblick auf die von mir gestellten Fragen zu beachten sind. Sie stellen, wenn sie sich nicht vollständig dem Kognitivismus unterordnen, jedoch keine vollständige Widerlegung behavioristischer Standpunkte dar (diese Frage war ja auch nicht Dein Punkt, nehme ich an).

„Wir finden die Verhaltensweise vor, sich selbst Wunscherfüllungen bzw. Bedürfnisbefriedigungen zu verweigern (Abstinenz- und andere Askesetechniken). Wie wären die behaviouristisch ´erklärbar`?“

Mit Bezug auf die Frage nach der Bedeutung „Erklärung“, die durch Thomas Miller aufgeworfen wurde und im Behaviorismus auch angesprochen wird, möchte ich im folgenden nicht von „Erklärung“ sprechen. Skinner z.B. ist in „About behaviorism“ (1976, englische Ausgabe) kurz auf die Frage der Askese eingegangen (eher hat er das Thema kurz angerissen). Er behauptet, daß „the ascetic is no less reinforced by delicious food, sex, and so on than others (indeed, his asceticism would scarcely be admired if he were), but his behavior is clearly under the control of other consequences - most of them probably the punitive sanctions of early Christianity“ (Skinner, 1976, S. 161). Von Skinners Sicht mag man halten, was man will (v.a. ließe sich darüber streiten, ob historisch unter den anderen Konsequenzen tatsächlich die aversiven eine so bedeutende Rolle gespielt haben, und es ließe sich etwas darüber anführen, warum Skinner gerade die bestrafenden Konsequenzen in Verbindung mit dem Christentum hervorgehoben hat), sie ist aber eindeutig und konsequent behavioristisch. Aus meinem Verständnis behavioristischer Vorstellungen heraus ist Askese / Abstinenz nicht gleichbedeutend mit vollständigem Verstärkerverzicht, sondern eher mit einer für den Beobachter ungewöhnlichen Wahl zwischen Verstärkeralternativen (hier ist übrigens eine Situation, in der Herrnstein sein Matching Law ins Spiel bringen würde). Ein abstinenter Alkoholiker verzichtet z.B. nach dieser Ansicht nicht auf den Verstärker „Alkohol“, ohne andere Verstärker zu erhalten, z.B. Lob durch das soziale Umfeld, eine Prämie für ein ohne Alkohol besser durchgeführten Auftrag usw., oder ohne andere negative Verstärker zu vermeiden, z.B. Kritik durch das soziale Umfeld, physiologische Beschwerden, den Führerschein weitere Monate los zu sein usw.

Wo ich die Argumente „der Behaviorismus ist kontra-intuitiv“ oder „die Unangemessenheit behavioristischer Vorstellungen ist selbst-evident“ gefunden habe und wieso es manchen Personen nicht möglich ist, eine sachliche Diskussion über den Behaviorismus zu führen:

In den Diskussionen (regelrechte „Schlachten“) um das Leib-Seele-Problem, an denen ich an der Universität teilnahm, werden sie von einigen Personen akademischen Ranges als Reaktion auf das Ansprechen behavioristischer Aussagen (nämlich die in meinem Artikel angesprochenen bzw. die Fragen dazu) vehement vertreten. Auf Fragen, was damit genau gemeint ist, kommt meistens keine Antwort und bei hartnäckigem Nachhacken Kopfschütteln. Ich habe dadurch seit langem das Gefühl, daß es ein geheimes ultimatives Argument gegen den Behaviorismus geben könnte, ich es aber bis jetzt nicht gefunden habe, weil die von bestimmten Personen gelieferten Argumente (die angesprochenen und die die Annahme eines „Geistes“ und seines Einflusses auf das Verhalten enthalten) mich ganz und gar nicht überzeugten. Mein Problem mit der Verwendung von Argumenten, nach denen ein Geist Einfluß auf das Verhalten haben soll und Psychologie die Wissenschaft dieses Geistes ist, liegt darin, daß man nicht durch die Annahmen dasjenige einführen sollte, was man beweisen will (vielleicht ungeschickt ausgedrückt), und daß, wenn ich über die Berechtigung dieser Annahmen (ist doch Thema des Behaviorismus) sprechen wollte, die Diskussion beendet wurde. Wenn die genannten Annahmen allerdings als wahr festgeschrieben werden, dann müssen die behavioristischen Aussagen falsch sein. Das sehe ich ein.

Aus Deinen bisherigen Ausführungen habe ich keinen Hinweis auf ein ultimatives Argument gegen den Behaviorismus entdecken können, so daß ich annehme, daß der behavioristische Standpunkt weiterhin als dem Mentalismus gleichwertig angesehen werden kann (gleichwertig im Sinne des noch nicht geklärten Streites um die angemesseneren Aussagen).

Nochmals ein Danke für die Ausführungen und besonders für die Literaturhinweise.

Oliver

Antwort auf Thomas Miller
Hallo!

Danke für Deine Ausführungen. Hier ein paar Bemerkungen von mir zu ihnen:

„Satz 1 ist eine methodische Behauptung, die erst im Nachhinein begründet werden soll und zwar dadurch, dass einfach die Vorzüge des Behaviorimus gezeigt, die Vorzüge anderer Theorien aber ignoriert bzw. eliminiert werden sollen. Zumindest also ist der B. sehr einseitig, wohingegen der K. den B. zulässt, freilich in gewissen Schranken.“

Dem stimme ich teilweise zu. Die Ablehnung einer Psychologie als Wissenschaft des Geistes beruht z.T. (zumindest bei Watson und Skinner) auf der Haltung dem Leib-Seele-Problem gegenüber. Skinner geht davon aus, daß Erleben / Mentales nicht Ursache des Verhaltens ist, wodurch er einen Aspekt des Leib-Seele-Problems für sich beantwortet hat. Watson empfiehlt, das Leib-Seele-Probleme zu ignorieren, da sonst keine Psychologie als Wissenschaft, wie er sie versteht, möglich ist. Insofern würde ich den Behaviorismus nicht als einseitig betrachten, sondern als Konsequenz einer Haltung zum Leib-Seele-Problem. Oder, falls die Einseitigkeit sich auf diese Haltung bezieht, wäre der Kognitivismus ebenfalls einseitig, da das Leib-Seele-Problem ebenfalls von einer Seite her betrachtet: Mentales existiert und beeinflußt und wird beeinflußt durch Nicht-Mentales.

Zu der Frage nach Beschreibung und Erklärung: Die Frage, die sich mir in Zusammenhang mit dem Begriff „Erklärung“ stellt, ist, ob eine Erklärung als etwas angesehen wird, was von außerhalb des Gegenstandsbereichs einer Wissenschaft auf diesen Gegenstandsbereich bezogen wird. Wenn z.B. Verhalten erklärt werden soll, dann kann man es nach dieser Auffassung von Erklärung nicht mit Verhalten (damit bliebe man innerhalb des Gegenstandsbereichs), sondern durch etwas, das nicht Verhalten ist (z.B. mentale Aktivität). Wenn dem so wäre, dann besäße der Kognitivismus den Vorteil, daß er „erklärt“, weil er Verhalten auf die Tätigkeit kognitiver Systeme zurückführt.

Im Behaviorismus Skinners gibt es meiner Meinung nach etwas, was einer Auffassung von Erklärung im obigen Sinn nahekommt. Das Verhalten wird bezogen auf evolutionstheoretische Vorstellungen. Operantes Lernen geschieht deshalb, weil Organismen mit der Fähigkeit, operant zu lernen, anderen Organismen, die diese Fähigkeit nicht besitzen, evolutionär gesehen überlegen sind (d.h. Selektion wirkt stärker gegen die anderen Organismen). Allerdings „erklärt“ dies nur, warum es operantes Lernen gibt, nicht warum manche Verhaltenskonsequenzen positive, andere negative Verstärker sind. Auf der Ebene dominiert die Beschreibung eindeutig.

Zu zwei Zitaten von Dir:
„[…] setzt voraus, dass man naturwissenschaftlich etwas erklären kann. Gerade das aber kann man nicht. Naturwissenschaftlich kann man nur beschreiben.“ - „Wenn man Naturwissenschaft mit Beschreibung gleich setzt, dann ja. Aber dieser Begriff der Naturwissenschaften ist zumindest fraglich.“

Hieraus entnehme ich, daß manche (dominierende Meinung?) dafür eintreten, daß Naturwissenschaft nur beschreiben kann. Aber andere mit dieser Meinung nicht übereinstimmen. Richtig?

Zum Anspruch des Behaviorismus auch „Erklärungen“ zu liefern:

Ich denke, Behaviorismus hat nicht immer diesen Anspruch. Watson z.B. wollte eine naturwissenschaftliche Psychologie. Wenn diese - nach Deiner Ausführung - nur beschreiben kann, dann fällt die Erklärung eben heraus. Anscheinend ist es den heutigen Vertretern eines psychologischen Behaviorismus bewußt und wird von ihnen auch so propagiert:

„And finally [theoretical behaviorism] contends that the sole purpose of science is to frame parsimonious laws, and not to „explain phenomena“ in the sense usually intended, that is, in terms of familiar mentalistic ingredients like „expectations“, „representations“, and the like“ (Staddon, The New Behaviorism, S. 143).

Weiter bezieht sich Staddon auf Newton, den er als frühen Vertreter dieser Ansicht identifiziert, „that science is simply the simplest possible description of nature […], who […] wrote „hypotheses non fingo“ […], by which he meant that he intended not to „explain“ phenomena but simply to discover their rules of operation. To questions such as „But what do you mean by energy?“ and the like he could simply respond by pointing to the appropriate law“ (Staddon, The New Behaviorism, S. 144).

Wenn Naturwissenschaft nur beschreibend ist und eine behavioristisch orientierte Psychologie Naturwissenschaft sein will, kognitive Psychologie aber auch erklären will, dann ziehe ich die Schlußfolgerung, daß kognitive Psychologie vor diesem Hintergrund keine Naturwissenschaft ist. Würde behavioristisch orientierte Psychologie anfangen, „Erklärungen“ zu liefern, würde sie - nach dem Stand der Diskussion - aufhören, Naturwissenschaft zu sein. Damit wäre sie aber nicht mehr behavioristisch orientiert, da der Behaviorismus eine naturwissenschaftliche Psychologie will.

Vielen Dank für Deine Ausführungen. Sie waren sehr aufschlußreich.

Oliver Walter