Hallo,
ich hatte als Lehrer vor vielen Jahren einmal einen Schüler dessen Eltern gehörten einer Sekte an, die jegliche ärztliche Hilfe ablehnte. „Wenn Gott der Herr beschlossen hat, unseren Sohn wieder zu sich nehmen, haben wir nicht das Recht, ihm da hinein zu pfuschen.“ Deshalb bekam ich auch keinen Krankenschein von ihnen.
In rund vierzig Schuljahren, in denen ich fast jedes Jahr eine Klassenfahrt gemacht habe, habe ich nur ein einiges Mal einen Unfall erlebt: Das war ausgerechnet dieser (zwölfjährige) Junge, der in einen Stacheldraht stürzte und sich den ganzen Oberschenkel aufriss.
Natürlich war ich mit ihm beim Arzt, erklärte, warum ich keinen Krankenschein hätte. Er antwortete: „Macht nichts, ich behandle ihn trotzdem, schicke den Eltern eine Privatrechnung. Wenn die dann nicht zahlen, melde ich mich mal bei Ihnen.“
Er gab dem Jungen erst eine Tetanusspritze, dann eine lokale Betäubung, und nähte die Wunde dann. Der Junge ließ alles willig über sich ergehen, er hing wohl nicht so sehr an religiösen Vorstellungen seiner Eltern.
Als wir nach Hause zurückkehrten, erwartete ich ein Donnerwetter von den Eltern. Aber nichts geschah, gar nichts. Ich vermute, sie waren im Stillen froh, dass ich ihnen die Entscheidung abgenommen hatte. Wäre dem Jungen das zu Hause nachmittags beim Spielen passiert, hätten sie vor der Qual der Wahl gestanden: „Lassen wir unseren Sohn mit seinen Schmerzen allein, riskieren wir, dass er vielleicht an einer Blutvergiftung stirbt?“ „Oder verstoßen wir gegen unsere religiösen Gesetze und gehen mit ihm zum Arzt?“
Ein Donnerwetter mit mir hätte ja nichts an den Fakten geändert.Sie haben vermutlich sogar die Privatrechnung bezahlt, denn sonst wollte sich der Arzt ja bei mir melden.
Jetzt frage ich mich schon seit Jahren: Was für eine Sekte war das? Wenn ich das erzähle, sagt man mir oft „Zeugen Jehovas“. Aber das stimmt nicht, ich habe mich informiert: Die lehnen nur Blut-Transfusionen ab, selbst Rückübertragungen von Eigenblut. Aber nicht ärztliche Hilfe generell.
Neugierige Grüße
Carsten