Konstruierte vs. wahre Wirklichkeit
Hi Punk-Evchen.
Konstruktion ist das genaue Gegenteil
von bloßer Fiktion, also von bloßer Einbildung durch den
menschlichen Geist.
„Fiktion“ ist, wie in meinem Beitrag schon gesagt und durch ein Glasersfeld-Zitat bestätigt, vom Konstrukt-Begriff nicht wesentlich unterscheidbar. Zugrunde liegt das lateinische „fingere“, welches „gestalten“, „machen“, „formen“, „sich ausdenken“ bedeutet. „Construere“ bedeutet wiederum „bauen“, „erbauen“, „errichten“. Im Kern decken sich diese Begriffe also. Im deutschen Sprachgebrauch kann „konstruieren“ durchaus mit Nichtrealem verbunden werden, z.B. in den Wendungen „ein Lügengebäude konstruieren“ und „ein Phantasma konstruieren“.
Ein Haus zu konstruieren, eine Brücke, ein
Schiff oder einen Computer ist doch ein „realer“ Nutzen des
Lebens.
Das entspricht genau dem pragmatischen Realitätsbegriff des RadiKon. „Realität“ ist die Sicht der Dinge, die nach den Kriterien des Nutzens am besten funktioniert. Es ist unschwer zu erkennen, dass diese Art der Realität eine relative ist: Sie ergibt sich aus der Interaktion von Menschen mit materiellen Objekten. Diese Konstellation ist aber keine ursprüngliche: Die Subjekt-Objekt-Differenzierung muss ihr vorausgegangen sein. Diese Differenzierung ist ein Konstruktionsprozess , der sich sowohl philosophisch (z.B. Hegel, Sartre) als auch psychologisch (z.B. Piaget, Lacan) beschreiben lässt. Das Resultat - ein bestimmter kognitiver Bewusstseinsstand - kann aber keinen Anspruch darauf erheben, die „wahre“ Wirklichkeit abzubilden; das siehst du ja auch so und betonst dabei das „Interesse“ des Subjekts am Objekt, was dem pragmatischen Realitätsbegriff entspricht.
Allerdings ist der Wirklichkeitsbegriff damit nicht endgültig relativiert. Stellvertretend für viele, die sich dem Relativismus widersetzen, auch innerhalb der RadiKon-Gruppe, nenne ich den bekannten Radikalen Konstruktivisten F. J. Varela (Mitarbeiter von Maturana):
http://universal_lexikon.deacademic.com/278542/Nirvana%3A_Darstellung_eines_zentralen_Begriffs_%C3%B6stlicher_Weisheit
Als Buddhist versucht der chilenische Biologe und Philosoph Francisco J. Varela erneut die buddhistische Selbsterfahrung mit den gegenwärtigen Theorien des Bewusstseins zu verbinden und der Nirvana-Erfahrung, der Erfahrung der Leere, vollends Rechnung zu tragen: Nirvana meint das Zusammenfallen und Irrelevantwerden von Gegensätzen. Das europäische Denken ist insofern durch die Nirvana-Erfahrung infrage gestellt, als es grundlegend auf Gegensätzen aufgebaut ist, letztlich auf der Differenz von Subjekt und Objekt. Diese Grunddifferenz spaltet weitere Gegensätze auf, sie macht alles zu Dingen und versucht sich selbst sogar als Gegenstand zu erfassen. Das Nirvana-Erlebnis schließt dagegen die Aufgabe der Sichtweisen ein, die an Gegensätzen haften und um Sicherheit, Selbstbestätigung bzw. Selbstvergewisserung ringen.
Deshalb ist ein Suizid meiner
Ansicht nach ein sinnvoller Akt eines konstruierten Nutzens,
nicht unbedingt für andere, aber ganz sicher für einen selbst,
sonst täte man’s ja nicht.
Das ist in Wahrheit wohl etwas komplizierter. Keiner bringt sich aus Überzeugung um, dahinter steht immer ein seelisches Leid, das den Täter zu einer Tat treibt, die seinen innersten Intentionen völlig entgegensteht. Von einem „Nutzen“ kann objektiv ohnehin keine Rede sein, da der Täter nicht wissen kann, welche Konsequenzen die Handlung im Fall eines Nachlebens hat. Der „Nutzen“ (Entkommen aus einer als ausweglos empfundenen Lage) ist also immer ein hypothetischer, auch wenn er subjektiv (aber vor der Tat) als faktisch empfunden wird. „Nutzen“ ist immer etwas, die sich erst nachträglich herausstellt - oder auch nicht.
Ich gebe aber zu, dass es Situationen geben kann, die einen Freitod nachvollziehbar machen (z.B. bei extremen Schmerzen durch Krebs, oder angesichts schwerer Folter ohne Aussicht auf Überleben).
Chan