September 2005
Tad Williams „Shadowmarch – Die Grenze“, Klett – Cotta, HC, Juli 2005, 815 Seiten
6 von 10 Punkten
Seit Jahrhunderten existiert in Norden des Kontinents Eion die sogenannte Schattengrenze, eine gewaltige Barriere aus Nebel, die die im Süden lebenden Menschen von den unheimlichen Wesen trennt, die einst von den Menschen vertreiben wurden und nur „Zwielichtler „ genannt werden.
Das politische Zentrum Eions befindet sich in den Südmarken, genauer, auf der Südmarksfeste, wo eigentlich König Olin regiert. Dieser ist jedoch entführt worden und so obliegen die Regierungsgeschäfte seinem ältesten Sohn Kendrick.
Doch dann geschehen furchtbare Dinge: Kendrick wird ermordet, so daß seine jüngeren Geschwister Briony und Barrick sein Amt übernehmen müssen; ein geheimnisvoller Junge taucht von jenseits der Schattengrenze auf und bereitet dem Funderling Chert Blauquarz nichts als Ärger, und zu allem Überfluß fallen die finsteren Wesen jenseits des Nebels unter der Führung einer grausamen Kriegsfürstin in den Menschenlanden ein, um Rache zu üben.
Der erste Teil eines neuen Fantasy Epos aus der Feder von Großmeister Tad Williams stützt sich auf altbewährte Konzepte; unweigerlich drängt sich der Vergleich zur Osten Ard Saga auf: Das politische Machtzentrum des Kontinents Eion befindet sich auf der gigantischen, uralten Südmarksfeste, die mit zahllosen Katakomben versehen, und auch sonst vor architektonischen Superlativen nur so strotzt, stark an den Hochhorst erinnert. Der Leser wird permanent mit solch überdimensionalen Räumlichkeiten konfrontiert, daß es fast stört und meine Bereitschaft zur Vorstellung stark strapaziert wurde. Weniger wäre hier sicher mehr gewesen.
Die Geschichte setzt sich weitgehend aus altbekannten, bisher gut funktionierenden Ideen aus dem Fantasy Genre zusammen, was bedeutet, daß die von mir so bewunderte Originalität und Kreativität von Williams in diesem Werk nur selten aufblitzt.
Eine uralte, recht düster geratene Macht, hält also die Zeit für Rache gekommen und fällt in die Menschenlande ein. Auf der Südmarksfeste werden todbringende Hofintrigen gesponnen, kein Thronerbe scheint mehr sicher zu sein. Die wesentlichen Handlungsstränge sind aus der Sicht vier unterschiedlichster Charaktere geschildert: Die gegensätzlichen Zwillinge Briony und Barrick, die als junge Thronerben schwere Entscheidungen zu treffen haben; der Funderling Chert Blauquartz, der mit der Aufnahme eines Waisenjungen von jenseits der Schattengrenze in einen Strudel anstrengender Ereignisse verwickelt wird; und die Glaubenschwester Quinnitan vom südlich gelegenen Kontinent Xand, deren Geschichte zeitlich parallel abläuft und die in den Folgebänden mit den anderen Personen verknüpft werden wird. Eine Vielzahl kleinerer Handlungsstränge runden das Werk wie üblich ab, viele Nebencharaktere wie die schreckliche Kriegsfürstin Yassamez oder der tapfere Gardehauptmann Ferras Vansen sind gut gestaltet und werden in den Nachfolgebänden sicher noch ausgebaut.
Dennoch ist hier auch der fundamentale Unterschied zur Osten Ard Saga zu finden: Die Charaktere sind bis auf wenige Ausnahmen für Williams Verhältnisse mäßig ausgearbeitet, und gleiches lässt sich leider auch zur generellen Atmosphäre sagen. Ich vermisse diese absolute Dichte, die mich gefangen nimmt und mich an das Buch kettet, mich abtauchen lässt. Die Figuren haben wir vielfach schon gehabt; die Funderlingsmineure z.B. haben mich mit ihren langen Bärten, den schweren Ledermänteln und dicken Brillen und ihren Infanteriegeschützen doch stark an ein Echtzeit – Computergame erinnert. Die wunderbare Bildsprache aus den beiden vorangegangenen Epen gibt sich nur selten die Ehre; vielmehr tauchen hier Sätze auf, von denen ich kaum glauben kann, daß Williams sie so geschrieben oder gemeint hat. Ebenso fehlt es dem Buch an Witz. Ich gestehe, mein Englisch geht nicht weit über Harry Potter hinaus, und insofern warte ich immer gern auf die Übersetzung neuer Bücher, aber entweder hat Williams mächtig nachgelassen, oder die Übersetzerin Cornelia Holfelder- von der Tann hat unsäglich schlecht gearbeitet.
Zu erwähnen wäre noch die schöne Aufmachung: Ein typisch schönes Klett – Cotta Buch mit ansprechender Umschlaggestaltung, dazu ähnlich wie bei der Osten Ard Saga ein großer Anhang mit allerlei Wissenswertem und einige Karten aus der Feder des Autors.
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