Hallo!
Diese Frage habe ich vor Jahren hier schon einmal gestellt, ohne recht Antwort zu bekommen. Ich erlaube mir, sie zu wiederholen, weil ich immer noch an dem Problem interessiert bin:
Stimmt es, dass - etwa vor Bach - Tasteninstrumente ohne Gebrauch des Daumens gespielt wurden, so dass dann Kompositionen, die nur mit Einsatz aller 2x5 Finger spielbar waren, irgendwie revolutionär gewesen sein mussten?
Ich hab da mal was gelesen, vor Jahrzehnten, in meiner Schulzeit, im Zusammenhang mit JSB, und meine, da wäre Derartiges behauptet gewesen.
Aber es ist so lange her, und ich habe so viel gelesen
Man wundert sich, wenn man bei Harnoncourt liest, was die Geigenlehrer der Barockzeit alles mitgeteilt haben über ihre Spieltechnik. Da müssten doch die Musikwissenschaftler auch Vergleichbares über das Spiel auf den Tasteninstrumenten herausgefunden haben, und zwar nicht nur über die Verzierungen.
Beste Grüße!
H.
Stimmt es, dass - etwa vor Bach - Tasteninstrumente ohne
Gebrauch des Daumens gespielt wurden, so dass dann
Kompositionen, die nur mit Einsatz aller 2x5 Finger spielbar
waren, irgendwie revolutionär gewesen sein mussten?
Moin,
interessante Frage, aber vorstellen kann ichs mir nicht. Beim Klavier liegt der Daumen ja sozusagen schon auf den Tasten. Es wäre also schwieriger, den Daumen nicht zu benutzen als in mit einzubinden.
Stell dir mal vor, die benutzt den Mittelfinger für ein Gis und für das H den Zeigefinger anstatt den Daumen. Glaub da würde man nach ein paar Minuten krämpfe in der Hand bekommen.
Aber Klavier is bei mir schon ewig her, ist nur ne Vermutung…
MfG
Kann mir nicht vorstellen, daß man jemals ohne Daumen gespielt hat.
Außer bei den ersten Kirchenorgeln, deren schwergängige, mehrere Zentimeter breite Tasten mit der ganzen Faust gedrückt werden mußten.
Gruß
Horst
Hallo,
eigentlich müsste dieses Forum wer-glaubt-was heißen, denn wenn ich die Beiträge meiner Vorredner ansehe, dann zeugen diese von purer Unwissenheit und Vermutungen im Sinne von was ich mir nicht vorstellen kann gibt es nicht.
Details über Bach erfährt man immer bei Spitta. Dieser schreibt über den beginnenden methodischen Einsatz von Fingersätzen Anfang des 18. Jahrhunderts:
„Bisher war der Daumen vom Gebrauch so gut wie ausgeschlossen und die Anwendung des fünften Fingers wenigstens eine zurückhaltende gewesen. Der Grund lag in der augenfälligen Verschiedenheit beider von den drei mittleren Fingern, welche sie zu gleicher Thätigkeit ungeeignet erscheinen ließ. Da aber doch Bedacht genommen werden mußte, die Töne, namentlich der Orgel, an einander zu binden, so schob man die Mittelfinger über und unter einander; der Daumen hing einfach herunter. … Gleichwohl gebrauchte selbst sie den Daumen nicht anders als im Nothfalle. Denn wenn Sebastian Bach seinem Sohne Philipp Emanuel erzählte, als Jüngling große Männer gehört zu haben, die sich nur bei weiten Spannungen zur Herbeiziehung dieses verpönten Fingers entschlossen hätten, so kann darunter kaum jemand anders verstanden werden, als die Nordländer und der ihnen nahe stehende Böhm. Ihm selbst war jedoch das Unnatürliche einer solchen Beschränkung bald einleuchtend. Er fing an, den Daumen zu gleichen Diensten wie die andern Finger anzuhalten, und mußte nun rasch bemerken, daß dadurch eine vollständige Umwandlung der Spielart herbeigeführt werde. Während das unbetheiligte Herunterhängen des Daumens eine gestreckte Fingerhaltung zur Folge gehabt hatte, bedingte das Eintreten dieses so viel kürzern Fingers naturgemäß ein Einziehen der übrigen.“
(Quelle: P. Spitta, Johann Sebastian Bach. Erstes Buch, Vierter Band)
Gruß,
Booze
Hallo!
Hab besten Dank!
Details über Bach erfährt man immer bei Spitta. […]
Aus zwei Gründen freue ich mich über deine Antwort,
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weil mich meine Erinnerung doch nicht getrogen hat. Ich kam auf diesen Hinweis seinerzeit bei der Vorbereitung auf ein Referat im Musikunterricht über das Gloria der h-moll-Messe, bei Spitta also, mit dem ich mich damals befasst habe;
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weil nun auch geklärt erscheint, warum auf manchen Bildern der Alten Meister die Engel mit so ungewöhnlich gestreckten Fingern auf der Klaviatur spielen.
Sollte man nicht verlangen, dass die Originalklangfetischisten die vorklassische Musik ohne Daumeneinsatz spielen?
Beste Grüße!
H.
Hallo,
Sollte man nicht verlangen, dass die Originalklangfetischisten
die vorklassische Musik ohne Daumeneinsatz spielen?
Die gibt es, hab ich mal im Fernsehen gesehen, kann mich aber an nichts näheres erinnern. Ich kenne sogar Leute, die meinen, man müsste Bach ohne Daumen spielen…
Gruß,
Booze
Hallo,
eigentlich müsste dieses Forum glaub-nur-das-was-du-beim-googeln-findest heißen, denn wenn ich die Beiträge meiner Vorredner ansehe, dann zeugen diese von purer Unwissenheit musikgeschichtlicher Zusammenhänge.
Die Daumen-Frage sollte man auch ein wenig musikgeschichtlich beleuchten, sonst verlängert man nur gewisse Vorurteile, die durch das blinde Ablesen von Internet-Texten entstehen.
Zunächst bleibt festzuhalten, dass der Einsatz des Daumens zu keiner Zeit weder verboten noch verpönt war. Das kommt auch nicht aus dem wohlbekannten Spitta-Zitat heraus. Man vermied lediglich seinen Einsatz, was jedoch im wesentlichen an der musikgeschichtlich bedingten Struktur der Orgelliteratur lag. Bereits der venezianische Komponist und Organist Girolamo Diruta beschreibt in seiner 1593/1609 erschienenen Schrift „Il Transilvano“ eine Applikatur mit allen 5 Fingern. Übrigens damit natürlich auch den Einsatz des kleinen Fingers, der ja auch lange Zeit „vermieden“ wurde.
Warum aber wurde der Einsatz der beiden Randfinger nach Möglichkeit vermieden? Weil die Textur der älteren Kompositionen, v.a. bevor sich der vierstimmige polyphone Satz und die „halsbrecherische“ Virtuosität eines Jan Sweelinck (der noch empfahl, die langen Mittelfinger beim Lauf übereinanderzuschlagen) oder eines J. S. Bach durchsetzte. Gewisserweise war die Notwendigkeit des Daumeneinsatzes von der Kompositionstechnik her noch gar nicht so zwingend gegeben. Allenfalls zum Anspielen der Untertasten kam er häufiger zum Einsatz, um, wie man meinte, die Unebenheit der Tastatur auszugleichen.
Wenn also heute ein Organist meint, ohne Daumen zu spielen, dann sollte er sich des musikgeschichtlichen Hintergrundes klar sein und das allenfalls nur auf Werke beziehen, bei denen das stilistisch zu rechtfertigen ist.
Gruß,
lynndinn