Terror und bürgerliche Freiheit

Hallo,

es ist unglaublich! Kaum habe ich meinen Artikel etwas weiter unten zum „blinden Aktionismus“ geschrieben, schon steht doch tatsächlich folgendes Zitat des britischen Innenministers John Reid in der TAZ:

_Auf bürgerliche Freiheiten könne man dabei keine Rücksichten nehmen, sagte der britische Innenminister John Reid. Menschenrechte wie das Verbot der Internierung, der Zwangsarbeit, der Folter und der Bestrafung ohne Gerichtsverfahren seien zwar nicht falsch, sagte Reid in einer Rede am Mittwoch, aber sie seien für andere Zeiten gemacht.

Die Europäische Menschenrechtskonvention sei vor 50 Jahren verabschiedet worden, um vor faschistischen Staaten zu schützen, aber nun gehe die Gefahr von „faschistischen Individuen“ aus, sagte er. Das hätte noch nicht jeder in Politik, Medien und Gerichtsbarkeit begriffen. „Manchmal muss man kurzfristig verschiedene Freiheiten modifizieren, um ihren Missbrauch durch diejenigen zu verhindern, die gegen unsere grundlegenden Werte sind und alle unsere Freiheiten zerstören wollen.“_
(Zitat aus: http://www.taz.de/pt/2006/08/11/a0191.1/text)

Mir wird schlecht! Hat er das tatsächlich so gesagt (ich suche noch nach weiteren Quellen)? Wenn ja, dann wundert mich, dass die traditionell sehr freiheitlich eingestellten Briten so einen Mann nicht teeren, federn und aus dem Amt jagen!

Aber ich bin bereit zu wetten, dass unser Schäubli auch gleich mit neuen Ideen um die Ecke kommen wird … sind Politiker international von allen guten Geistern verlassen?

*kotz*

Fritze

Hallo,

Mir wird schlecht! Hat er das tatsächlich so gesagt (ich suche
noch nach weiteren Quellen)? Wenn ja, dann wundert mich, dass
die traditionell sehr freiheitlich eingestellten Briten so
einen Mann nicht teeren, federn und aus dem Amt jagen!

Nun ja, genau so und vor allem in der Kombination hat er das wohl nicht gesagt (jedenfalls habe ich das so nicht gefunden). Es scheint eher ein Zusammenschnitt aus mehreren Reden zu sein. Im April bereits sagte Mr. Reid wohl:
„Article 3 of the Geneva Conventions set fundamental standard of treatment in all non international armed conflict, standards that are upheld by the laws of any civilised state. However I believe we must ask serious questions about whether or not further developments in international law in this area are necessary.“
[Quelle: http://www.mod.uk/DefenceInternet/DefenceNews/Defenc…]

Und dann noch (auch vor der Polizeiaktion):
„we may have to modify some of our freedoms in the short-term in order to prevent their misuse and abuse by those who oppose our fundamental values and would destroy our freedoms and values in the long-term“
[Quelle: http://politics.guardian.co.uk/terrorism/story/0,18…]

Grüße,

Anwar

Hi Fritze,

Mir wird schlecht! Hat er das tatsächlich so gesagt (ich suche
noch nach weiteren Quellen)? Wenn ja, dann wundert mich, dass
die traditionell sehr freiheitlich eingestellten Briten so
einen Mann nicht teeren, federn und aus dem Amt jagen!

Weshalb sollten die Briten hier eine Ausnahme machen?

Ich finde, das ist eine sehr anglo-amerikanische Haltung, und will dies mit einem Gedanken/Zitat des in London lebenden Soziologen Z. Bauman verdeutlichen:

Der Staat in Zeiten der Globalisierung ist zum reinen Sicherheits-Dienstleister geworden; Bauman veranschaulicht dies an Hand der drei englischen Begriff für „Sicherheit“: Certainty, Security, Safety.

der Staat kann die Spielregeln der globalisierten Ökonomie nicht mehr absichern, er kann keine Certainty mehr herstellen;
der Staat, kann die individuelle Planbarkeit der Lebensläufe nicht mehr garantieren, die Absicherung vor den beruflichen Risiken nicht mehr gewährleisten, also keine Security mehr bieten;
also verdichtet sich alles in die völlig unpolitische und tief-private Safety:

„Appeals to safety-related fears are truly supra-class and cross-party, as are the fears themselves. It ist perhaps a happy coincidence for political operators and hopefuls that the genuine problems of insecurity and uncertainty have condensed into the anxiety about safety; politicians can be supposed to be doing something about the first two things just because being seen to be vociferous an vigorous about the third“ (Bauman, Globalization, 117)

Für Bauman ist die Frage auch gar nicht mehr: Freiheit oder Sicherheit? (die ist nach ihm längst entschieden), sondern nur noch Sicherheit oder Safety?

Aber ich bin bereit zu wetten, dass unser Schäubli auch gleich
mit neuen Ideen um die Ecke kommen wird … sind Politiker
international von allen guten Geistern verlassen?

weshalb die Politiker? die sagen doch wirklich nur was wir hören wollen …

Das Ganze ist ein Konglomerat aus den Ängsten der Menschen, den Kanalisierungen der Medien, die diese Ängste bildgerecht und schlagzeilengerecht aufnehmen (die im Nachrichtenbrett erwähnten 40000 Hungertoten am Tagen lassen sich einfach nicht so mediengerecht inszenieren wie die paar Tausend des WTC, und erfahren deshalb keine Realität), artikulieren, und damit auch zugleich schüren, den Politikern, die heute Media Players sein müssen, die auf die medial kanalisierten und geschürten Ängste reagieren, und damit auch gleich wieder produzieren, der internationale Terrorismus, (den Reid „faschistische Individuen“ nennt, um davon abzulenken, dass alle westlichen Staaten heute zutiefst faschistoid geworden sind) der auf der Grundlage dieser Ängst agieren kann, und durch sein Agieren im Zusammenspiel mit den Medien und der Politik immer wieder seine eigene Aktionsbasis der Angst herstellt, etc.

Wenn im Thread unten die Verschwörungstheorie aufgestellt wird, der „vereitelte Anschlag“ sei eine Erfindung der Sicherheitsdienstleister gewesen, dann kann man eigentlich nur noch sagen, dass dies völlig egal ist; gleichgültig, ob Politik, Medien oder Terrorismus der Urheber dieses Ereignisses war, es hat stattgefunden, weil es nun als Reales innerhalb des genannten Konglomerats zirkuliert.

Viele Grüße
Franz

Hallo,

Ich finde, das ist eine sehr anglo-amerikanische Haltung

Vielleicht inzwischen. Früher gab es mal Amerikaner, die dies gesagt haben:
„Any society that would give up a little liberty to gain a little security will deserve neither and lose both“

Grüße,

Anwar

Hallo,

es wäre doch möglich, dass er in einer neuen Rede die vorherigen Aussagen nochmal bekräftigt und im Zusammenhang geäußert hat? Aber bevor ich das nicht im Original gesehen habe, mag ich es lieber nicht glauben.

Andererseits finde ich es selbst „scheibchenweise“ unglaublich. Es stimmt mich sehr sehr traurig, dass ein Land wie Großbritannien so weit absinken kann, um sich solche Politiker zu leisten.

Gruß

Fritze

Hallo Fritz,

es wäre doch möglich, dass er in einer neuen Rede die
vorherigen Aussagen nochmal bekräftigt und im Zusammenhang
geäußert hat?

Möglich schon, allerdings habe ich dazu nichts gefunden. Und das fehlen von direkten Zitaten im taz-artikel machen mich misstrauisch.

Andererseits finde ich es selbst „scheibchenweise“
unglaublich. Es stimmt mich sehr sehr traurig, dass ein Land
wie Großbritannien so weit absinken kann, um sich solche
Politiker zu leisten.

Die USA sind das Land, dass den Satz „With great power comes great responsibility“ hervorgebracht hat und jetzt dies. Traurig.

Grüße,

Anwar

Hallo,

Ich finde, das ist eine sehr anglo-amerikanische Haltung

Vielleicht inzwischen. Früher gab es mal Amerikaner, die dies
gesagt haben:
„Any society that would give up a little liberty to gain a
little security will deserve neither and lose both“

Grr, immer diese falschen Zitate!

So geht das: „Those who would give up Essential Liberty to purchase a little Temporary Safety, deserve neither Liberty nor Safety.“

Und ob das wirklich von Benjamin Franklin stammt, ist nicht unumstritten. Es ist allerdings in der Tat so, dass es auf jeden Fall von einem Amerikaner stammt :smile:

http://www.futureofthebook.com/stories/storyReader$605

Gruß

Fritze

So geht das: „Those who would give up Essential Liberty to
purchase a little Temporary Safety, deserve neither Liberty
nor Safety.“

Ja, aber die andere Version ist schöner. :smile:

Und ob das wirklich von Benjamin Franklin stammt, ist nicht
unumstritten. Es ist allerdings in der Tat so, dass es auf
jeden Fall von einem Amerikaner stammt :smile:

Ich weiss, deshalb schrieb ich ja „von einem Amerikaner“ und nicht „von Benjamin Franklin“.

Grüße,

Anwar

So geht das: „Those who would give up Essential Liberty to
purchase a little Temporary Safety, deserve neither Liberty
nor Safety.“

Ja, aber die andere Version ist schöner. :smile:

Also sprachlich finde ich das Original erheblich eleganter. Es ist ja auch in Ordnung, eine neue Fassung zu bringen. Dann sollte man aber darauf hinweisen, dass es eine eigene Interpretation eines ähnlichen Zitats ist und nicht durch das setzen von Anfürhungszeichen oder gar – was Du ja nicht getan hast – durch nennen des vermeintlichen Urhebers den Eindruck erwecken, dass sei so von xyz gesagt worden.

Ich habe mir in meiner Studentenzeit mal den Spaß erlaubt, auf dem Klo (war im Studentenwohnheim Dauerstressthema, weil es keine getrennten Männlein/Weiblein Toiletten gab) folgenden Spruch aufzuhängen:

A real man takes a stand for his rights, but a seat for his piss!" [Winston Churchill]

Irgendwann ist mir dann aufgefallen, dass die Leute wirklich geglaubt haben, Churchill hätte das so gesagt! Gruselig.

Gruß

Fritze

Hi,

Ich finde, das ist eine sehr anglo-amerikanische Haltung

Vielleicht inzwischen. Früher gab es mal Amerikaner […]

mit „typisch anglo-amerikanisch“ habe ich nicht unbedingt die angebliche Spannung zwischen Freiheit und Sicherheit gemeint (wobei der Glaube, „entweder F. oder S.“, auch typisch a-a ist), sondern die Haltung, dass der Staat auf seine Minimalfunktion beschränkt bleiben müsste, dass er also Sicherheit zu leisten und Freiheit zu sichern hätte.

Wenn also einer wie Reid (ob nun das Zitat exakt passt oder nicht, ist hier ja Nebensache), die Einschränkung von Freiheitsrechten fordert um bessere Sicherheit leisten zu können, dann geschieht dies im Namen der Sicherung der Freiheit, nicht des aktiven Abbaus der Freiheit …

Und nicht von ungefähr betonen ja alle, dass diese Freiheitseinschränkungen „nicht von uns ausgehen“, sondern wir damit auf „die“ reagieren müssten, die die „freie Welt“ herausfordern würden um uns die Freiheit zu nehmen …

Es geht in diesem Denken also gar nicht um die Frage „Freiheit oder Sicherheit?“, sondern um die Frage, „Wie sichere ich am besten die Freiheit?“

vgl. hier allein schon den programmatischen Titel:
http://www.welt.de/data/2002/09/12/444595.html

Viele Grüße
Franz

Hallo,

Wenn im Thread unten die Verschwörungstheorie aufgestellt
wird, der „vereitelte Anschlag“ sei eine Erfindung der
Sicherheitsdienstleister gewesen,

Lies Dir das doch bitte mal durch
vielleicht verstehst Du dann meine
(o.k. - etwas gewagte) Position:

http://www.washingtonpost.com/wp-dyn/content/article…

 ...
 Some U.S. counterterrorism officials said plans originally 
 were to allow the conspiracy to develop even further. But U.S. 
 and British investigators made a sudden decision this week to 
 close down the operation after they became increasingly worried 
 that there were other bombers they had been unable to locate 
 or identify, U.S. officials said.

Zu deutsch: Ein paar Leute wurden hochgenommen, weil
sie über etwas geredet hatten, und man befürchtete
dass es Andere geben könnte, die dies tatsächlich tun.

Grüße

CMБ

Danke für den Link! owt
.

Richtig,man muss alles ausdiskutieren,
auch wen in der Zeit die Flugzeuge wie reife Früchte vom Himmel fallen und ein paar Atomkraftwerke explodieren, aber den feinen Herrschaften ja keine Mahlzeit verweigern…

Viele Grüße
Carolin

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Hallo,

Richtig,man muss alles ausdiskutieren,
auch wen in der Zeit die Flugzeuge wie reife Früchte vom
Himmel fallen und ein paar Atomkraftwerke explodieren, aber
den feinen Herrschaften ja keine Mahlzeit verweigern…

Bis dato hat es lediglich drei Flugzeuge „geregnet“ und die einzigen explodierten Atomkraftwerke haben das ganz von alleine geschafft.

Du scheinst überhaupt nicht zu begreifen, worum es geht. Ich will es nochmal erklären:

  1. Verdächtig ist grundsätzlich jeder, der seine Unschuld nicht jederzeit einwandfrei beweisen kann.

  2. Es soll möglich sein, „verdächtige“ Personen ohne Angabe von weiteren Gründen und ohne richterlichen Beschluss, längere Zeit ihrer Freiheit zu berauben.

  3. Die Orte, an denen diese Personen unter den oben genannten Voraussetzungen (also: willkürlich) festgehalten werden, dürfen gerne Internierungslager sein.

  4. Während ihres unbegründeten Lageraufenhalts sollen diese Personen während der stattfindenen Verhöre gefoltert werden.

Na herzlichen Glückwunsch. Die Wegbereiter der modernen westlichen Demokratie entwickeln sich in großen Schritten hin zu einem totalitären Staat mit faschistoiden Zügen. Aber wenn’s der Bekämpfung des Terrorismus dient, soll das in Ordnung gehen? Sehe ich ganz gewaltig anders.

Gruß

Fritze