Hallo Nick!
Wir folgen beim Phänomen Terror einer bequemen Lebenslüge. Demnach setzt Terror eine zentrale Organisation, Vorbereitungen von langer Hand und spezielle Ausbildung voraus. Der Lebenslüge entsprechend üben nur Fehlgeleitete und Verführte Terrorakte aus und wenn man die Verführer faßt und ihre Hirnwäsche-Stätten platt macht, ist es vorbei mit dem Terror. Schön, wenn es so einfach wäre.
Die Mär von den Verführern pflegen wir mit Inbrunst. Es gibt diese Verführer nicht. Was es gibt, sind charismatische Personen, die es verstehen, latent vorhandene Strömungen zu nutzen. Dieses Gedankengut hat ein passendes Umfeld, einen Nährboden. Schneidet man die paar Köpfe ab, die den Nährboden zu nutzen verstehen, wachsen sofort neue und mehr Köpfe heran. Die abgeschnittenen Köpfe liefern Dünger für neuen Nährboden. Der Nährboden heißt fehlende Bildung, Isolation des Denkens in einer einzigen, allein selig machenden Religion/Ideologie, Armut, Chancenlosigkeit, das Gefühl der Hilflosigkeit, tatsächlich vorhandene oder gefühlte Unterdrückung und ein Feindbild, an dem sich das Ungemach festmachen läßt. Es muß gar nicht alles zusammen auftreten, jede einzelne Ursache reicht schon. Fehlende Bildung und Isolation des Denkens in einer einzigen, allein selig machenden Religion/Ideologie sowie ein Feindbild gehören auch bei uns bis hin in die höchsten Ämter der westlichen Welt zur Normalität. In der Folge geht von der westlichen Welt ebenfalls Terror aus. Nur liegt uns fern, dann von Terror zu reden, das sind dann natürlich Verteidigungs- oder Präventionsmaßnahmen.
Der Begriff Terror ist negativ belegt und nimmt uns damit den Blick für die Ursachen. Setze an Stelle des Wortes Terror den Begriff Widerstand. Schon weitet sich der Blick, denn wir kennen auch aus unserer eigenen Geschichte Taten, die ganz klar Terrorakte waren, die wir aber positiv bewerten und deren Täter wir nicht als Opfer von Hirnwäsche darstellen. Es fällt plötzlich leichter, sich in terroristisches Gedankengut als Mittel des Widerstands hinein zu versetzen. Außerdem verabschiedet man sich dabei von der Vorstellung zentral gelenkter Organisationen und benutzt eher die treffenderen Begriffe Terror- bzw. Widerstandszellen. Wieder geht es dabei um Nährboden, auf dem die Zellen wachsen. Dieser Nähboden besteht eben nicht aus Schulen und Camps, sondern ganz allgemein aus einem gesellschaftlichen Umfeld, das den Terror nicht als Verbrechen sondern als legitimen Widerstand begreift. Man wird keinen einzigen Menschen finden, der einen Terrorakt plant und sein Tun als verbrecherisch oder Ergebnis einer Hirnwäsche ansieht. Man findet aber viele Terrorakte, die am Ort und zum Zeitpunkt ihrer Ausübung als Verbrechen bezeichnet wurden und am gleichen Ort, nur zu einem späteren Zeitpunkt als heroische Tat gelten. An der plötzlich anders bewerteten Tat hat sich naturgemäß nichts geändert, geändert hat sich das gesellschaftliche Umfeld.
Widerstand taucht in unterschiedlicher Gestalt auf. Es reicht von passivem Widerstand beginnend bei Ignoranz, Arbeitsverweigerung und bewußt in Kauf genommenen Versorgungs- und Produktionsmängeln, über Nadelstiche, Verunsicherung durch Sabotageakte und kleinere Überfälle, bis hin zu spektakulären Aktionen mit verheerenden Folgen. Das alles ausgeübt von zahllosen kleinen Gruppen bis hin zu Einzelpersonen, die ohne zentrale Organisation agieren, ohne sich über die Gruppen hinweg zu kennen und oft sogar ohne von der Existenz der anderen Gruppen etwas zu wissen. Widerstand ist zumeist völlig inhomogen, verfolgt von unterschiedlichen Einzelpersonen und Gruppen, mit unterschiedlichen Zielen.
Wir können weiterhin mit vorhersehbar totaler Erfolglosigkeit Terrorcamps suchen, alljährlich den militärischen Aufwand erhöhen, alljährlich eine vielstellige Zahl Toter und Verstümmelter in Kauf nehmen und uns weiterhin weigern, nach den Ursachen für ein Phänomen zu suchen, das wir Terror nennen und von den Ausübenden diametral entgegengesetzt gesehen wird. Wir können weiterhin glauben, daß jeder, der unserer Art zu leben nicht zujubelt, Opfer einer Hirnwäsche sein muß. Wir können weiterhin glauben, daß sich mit Flächenbombardements und anschließend einmarschierenden Soldaten erfolgreiche Überzeugungsarbeit für die gefälligst als richtig anzusehende Lebensart leisten läßt. Mit diesem Tun werden wir in ständiger Unsicherheit leben und werden im Kampf um unsere Freiheit genau diese einschränken, ohne Terror/Widerstand verhindern zu können.
Gruß
Wolfgang