"Terrroir" von Wein aus Portugal?

Liebe Consodales in rebus Dionysiis,

an der Frage zur 1860 - 1880er Reblausepidemie in Portugal ließ sich sehen, dass ich mich grade mit Wein aus Portugal beschäftige.

Ich suche in diesem Zusammenhang nach einem Begriff auf Deutsch, idealerweise (wegen einer angedachten Geschenksendung) auch auf Französisch, der einen bestimmten Tonfall beschreibt, der für sehr viele Weine aus Portugal charakteristisch ist. Es geht um das ungefähre Gegenteil von „frisch“, dabei aber weder muffig noch korkig noch firnig. Eher nicht den autochthonen Rebsorten geschuldet, vielleicht eher den authochthonen Hefestämmen, der ersten oxidativen Gärung bei eher höheren Temperaturen und vielleicht auch der verbreiteten Verwendung von Holz (nicht: Barrique) beim Ausbau. Sowas wie der Klang einer Gambe mit Darmsaiten, gespielt in a-Moll oder cis-Moll.

Wenn man es in der (wie ich finde unsäglichen) „Damensattel“-Diktion ausdrücken wollte, sowas wie „der Geruch eines Stücks Samt, das als Dachbodenfund nach drei Generationen in einer Truhe entdeckt wird, in der es neben einer in dünnem Schweinsleder gebundenen Ausgabe des Menge-Güthling lag“.

Etwas einigermaßen Ähnliches kennzeichnet viele Weine aus dem Gebiet Aude und - symmetrisch dazu - dem Somontano im katalonischen Segre-Tal. Dort hätte ich es dem Carignan zugeordnet, aber er wird hie wie da nicht mehr besonders viel angebaut.

An die „Literatur“ möchte ich mich nicht wenden, weil dort Wein aus Portugal ganz gerne auf Portwein, Madeira, Douro und Vinho Verde in Supermarkt-Abfüllungen im Stil von Casal Garcia beschränkt wird - das ist er aber nicht. Zumindest nur zu einem mehr oder weniger kleinen Teil.

Wer weiß Rat und kann diesen Charakterzug bei Wein benennen?

Schöne Grüße

MM

Hallo MM,
auch, wenn es eher im Zusammenhang mit Tomaten Verwendung findet, erscheint mir das Adjektiv ‚sonnengereift‘ passend. Meines Wissens kein önologischer Fachbegriff, aber das ist jedenfalls meine Assoziation bei solch einem ‚Charakterzug‘, wie Du ihn beschreibst.

Ohne nun über größere empirische Erfahrung auf diesem Gebiet zu verfügen (idR sind mir solche Weine zu ‚schwer‘), würde ich doch vermuten, dass das Entwicklungspotential solcher Weine durch ‚Nachreifen‘, sprich Lagerung in Fass und Flasche, eher begrenzt ist. Das geschmackliche Potential wurde eben durch die intensive Besonnung schon weitgehend ausgereizt.

Dass endemische Hefestämme (und nicht das Klima) für diese Note verantwortlich sind, ist natürlich ebenfalls eine plausible Theorie. Zu deren Veri- oder Falsifikation man ausfindig machen müsste, wie umfassend in diesen Gebieten mittlerweile mit modernen Reinzuchthefen gearbeitet wird. Gerade bei Produzenten für den internationalen Markt. Wobei es möglicherweise für diesen Typus auch spezielle Reinzuchthefen gibt, das Spektrum ist ja da mittlerweile bei weit über 100 Sorten auf dem Markt recht groß.

Schönen Gruß zurück,
Ralf

Hallo MM,

du machst mich offen gestanden ratlos, da ich Deine Assoziation mit Carignan noir/Mazuelo/Carineno in Bezug auf Somontano überhaupt nicht nachvollziehen kann. Diese Traube spielt im Somontano quasi keine Rolle mehr. Vielleicht erwähnst Du mal, bei welchem Wein aus Somontano Du diese Geschmackserfahrung gemacht hast. Durch den fast kompletten „Neustart“ des Weinbaus in Somontano Anfang der 1980er gibt es dort auch nicht unbedingt so etwas wie „autochtone“ Hefestämme.

Und der Segre fließt nicht durch Somontano, sondern der Rio Cinca. Bist Du sicher, daß Du nicht „Costers de Segre“ oder das unmittelbar benachbarte „Conca de Barbera“ meinst ?

&tschüß
Wolfgang

Hallo Wolfgang,

ja, durchaus. Bloß eben, dass es dem Segre nach Barbastro (am Vero), wo die Bodega Pirineos sitzt, deren ‚Monte Sierra‘ ich kennengelernt habe, doch noch ein ganzes Stück Richtung Westen fehlt - ich hatte gedanklich das etwas schräge Verhalten dieses Flüssleins, das nicht wie ordentliche Gewässer ins Meer fließt, sondern wie zum Jux erstmal eine ganze Weile von diesem weg, ein bisselchen überstilisiert.

Die Verbindung mit Carignan liegt nicht an der Rebsorte, sondern an dem beschriebenen eigentümlichen Ton, für den ich einen Begriff suche, und den ich mit Carignan in Verbindung gebracht hatte, weil er mir bei Weinen aus dem Département Aude häufig aufgefallen war, aber nie bei solchen aus dem Hérault oder Gard.

Der Rosé von der Bodega Pirineos, von dem ich sprach, ist aus Merlot und Cabernet Sauvignon - damit scheidet die Rebsorte als Ursache für den gesuchten Ton aus.

Schöne Grüße

MM

Hallo,

für duftige, aber relativ ausgewogene, in sich ruhende Weine (auch schon in der Jugend), die auch im Abgang ihr Gleichgewicht nicht verlieren, wird in den nördlichen/nordwestlichen Anbaugebieten Spaniens ab und zu der Begriff „symmetrisch“ (symetrico) verwendet, aber mW nie alleine, sondern mit weiteren Zuschreibungen.
Gerade am Südhang der Pyrenäen (Somontano, Conca de Barbero, Pla de Bages, Emporda/Costa Brava) reifen bereits in „normalen“ Jahren Rotweine aus Tempranillo/Ull de Llebre, Merlot, Trepat, Syrah, Garnatxa die ohne viel Kellereizauber eine bemerkenswerte Qualität erreichen.

&tschüß
Wolfgang

Wenn Du das Gegenteil von „frisch“ herausfinden willst, musst Du erst mal entscheiden, was Du unter „frisch“ verstehst:


Udo

Liebe Consodales in rebus Dionysiis,

ich klemm mich jetzt grade bei Deiner Antwort dran, @Tychiades, meine aber alle miteinander: @Udo_Becker, @Albarracin genauso gut.

Das wird jetzt ausschweifend, weil ich heute mit „meinen“ Portugiesen ein paar Viertel weiter gekommen bin, daher das Ergebnis vorweg: Einen eigenen Begriff gibt es, glaube ich, für das Gesuchte nicht, und so sehr ich solche Modegeschichten verachte, sollte hier wohl tatsächlich „Terroir“ stehen bleiben, auch wenn das für jemanden, der nichts davon oder dazu im Mund gehabt hat, völlig nichtssagend ist. So nichtssagend wie „stahlig“ für jemanden, der noch keinen klassischen Moselwein getrunken hat, oder „fränkisch trocken“ für jemanden, der noch keinen ‚richtigen‘ Silvaner vom Juliusspital oder so kennen gelernt hat - insofern eigentlich nicht so schlimm, weil sich so vieles, was ein Wein haben kann, doch nur ziemlich unzulänglich in Worte fassen lässt, und Wortwolken wie der im lauen Mairegen durchgerittene Damensattel werfen eigentlich eher ein Licht auf die kränklich schwülen Fantasien ihres Schöpfers als auf den Wein, den er damit ganz sicher nicht beschreiben kann.

Wie auch immer -

insbesondere im Vergleich mit Wein aus Deutschland, Luxemburg, Österreich und der Schweiz bringen die Portugiesen allesamt sehr wenig Säure mit, das ist sicher richtig. Kohlensäure ist in diesem Zusammenhang allerdings fast nur für Weiße, vielleicht auch Roséweine bedeutend - die Versuche aus den letzten Jahren, wo die für Riesling viel zu warmen Nächte in den Wochen vor der Lese zu viel (Wein)säure abbauen ließen, diesen Mangel mit Kohlensäure auszugleichen, sind - finde ich - nicht gut gelungen. Früher herbsten oder sich schweren Herzens auf die lange Sicht von König Riesling verabschieden und anderen Sorten den Vorzug geben dürfte hier eher funktionieren.

Sehr frühes grün Herbsten hat im Norden Portugals zu einer eigenen Klasse geführt. Bei meinem Ausflug ‚querbeet‘ durch einige Weine aus Portugal hab ich allerdings gesehen, dass der hier herum häufig zu findende Vinho Verde Casal Garcia auf die Anforderungen deutscher Supermärkte angepasst ist: Schon regelrecht strenge Weinsäure noch unterstrichen durch beinahe schon perlende Kohlensäure ist was ganz anderes als das, was ich auf jenem Ausflug beim Vinho Verde der Adega Cooperativa de Guimarães (aka „Wiege Portugals“) getrunken und geschmeckt habe: bei dem bitzelt nichts, er hat den selben weichen a-Moll-Tonfall wie viele seiner Kollegen. Die höhere Säure reicht da grade mal dafür, dass er vielleicht ein Jahr oder ein wenig drüber alt werden kann, man schmeckt weiter nichts davon.

Dass diese Weine schon so gut wie „erwachsen“ aus dem Fass kommen und ihnen weiteres Liegen nicht besonders viel bringt (oder gar schadet, wie ich bei einem mal grade fünf Jahre alten von der Quinta do Vesúvio gesehen habe, der in Deutschland zu einem stolzen Preis vertrieben wird und dem man mit Geduld noch anmerken kann, dass er im Alter von vielleicht drei Jahren wahrscheinlich ein großer Wein war), ist sicherlich typisch. Keineswegs Maulaufreißerei, einen 2015er als „Reserva“ zu bezeichnen - er hat tatsächlich schon seine längste Zeit hinter sich.

Weniger schwer als ihre spanischen Cousins waren meine Kandidaten allesamt. Sie schaffen es irgendwie, auch mit 13,5 Umdrehungen noch nicht spritig zu wirken, aber im Vergleich zwischen einem Spanier aus der Extremadura und zwei Portugiesen aus den fast benachbarten Gebieten des Alentejo und der Beira Interior spiegeln sich die Sterotypen, die der kleine Max mit diesen Herkünften verbindet. Der eine steht mit blankem Degen und herausgedrückter Brust hackenstampfend da: Ich, Sohn des Hauptverwalters der Hausmeisterei des Barons von Rembremerdeng, Urgroßenkel des allerkatholischsten Protzenabschmierers des Duque de Alba etc. etc., während der andere freundlich strahlend erzählt, dass es ihm nach aufmerksamem Zuhören und geduldigem Üben endlich gelungen ist, den Ruf eines Buchfinken mit der Flöte nachzuahmen.

Einen Einfluss haben da wohhl auch die Rebsorten. Zwar stammen ein paar davon sicherlich nicht aus Portugal (wenn man ‚Alicante Bouschet‘ und ‚Jaen‘ heißt, ist das schon ein eindeutiger Nachweis für den Geburtsort), aber deutlich ist schon, dass bei den Portugiesen, die ich vor mir hatte, weniger der „Generallinie“ Syrah - Merlot - Garnacha gehuldigt wird als in Spanien. „Besser“ oder nicht, mag ich nicht beurteilen - aber jedenfalls ist damit eine sehr breite Palette von teils überraschenden und teils auch nicht gar so harmonischen, aber immer irgendwie „weichen“ Aromen verbunden: Da gab es einen Alentejo, der (auch dieser in a-Moll) einen Hintergrund von Rohrblattregistern bot, Aromen von Kakao, roten Feigen und (ungelogen, ohne Flachs jetzt) Veilchen sind vielleicht nicht grad das erste, was mir einfiele, wenn ich einen Wein erfinden sollte, aber sie bilden eine sehr persönliche Handschrift, das trottet nicht im Gleischschritt mit. Die Reihe der Namen macht da eine ganze Poesie: Trincadeira, Rufete, Marufo, Mitida, Sousão, Castelão…

Wahrscheinlich ist ein weiterer Einfluss, dass in Portugal die Reben noch älter werden als in Spanien üblich. Bei meiner bishherigen Tour war einer aus der Beira Interior dabei, der mit „Vinhas Velhas“ bezeichnet ist, und von dem ich dann doch mit etwas Überraschung gelesen habe, dass die „Alten Reben“ zumindest teilweise in den 1940er Jahren gepflanzt worden sind. Sie scheinen eine Art „Altersmilde“ auszumachen.

Und etwas kommt von einer eher warmen ersten Gärung: Das hab ich von den Etiketten, wo bei eher „modern“ und an den Durchschnitt (ohne Wertung!) angepassten Weinen ausdrücklich die Vergärung bei niedrigen Temperaturen und auf Nirosta-Tanks erwähnt wird.

Ja, etwas ist von alledem dabei, was Ihr geschrieben habt. Einen eigenen Begriff dafür, der diese Worte zusammenfassen könnte, gibt es aber wohl nicht. So, wie es halt auch keinen gibt, der „schmeckt nach Rheingau“, „schmeckt nach Ortenau“, „schmeckt nach südlicher Oberhaardt“, „schmeckt nach Rotem Hang“ usw. wiedergeben könnte.

Abschließend noch ein Gruppenfoto von den letzten Kandidaten - die Schönheit der Etiketten fand ich auch bezeichnend. In einem Gegensatz zu italienischen Herkünften, wo die Schönheit des Etiketts ganz gerne auch mal benutzt wird, um Mängel des Inhalts der Flasche ein wenig hübscher zu machen. Richtig klasse finde ich das mit den drei Eulen („Wo ist der Fehler?“) von dem eher „modernen“ Tejo ‚Deli Rare‘, dessen Namen man Englisch so wie links lesen kann, der dann aber mit dem dritten oder vierten Glas ins lateinische delirare kippt…

Hier sind sie, jedenfalls:

Sehr zum Wohle!

MM