Hallo,
Natürlich gehört zu der Grundannahme dazu, dass ein Zeichen
nur einer Zeichenkombination entspricht…
das ändert nichts am eigentlichen Wesen des Fragestellung.
Du willst in der π-Nachkommastellenkolonne irgendwelche Sequenzen von Zeichen finden, die ein lese- und schreibkundiger Mensch als sinnvollen Text erkennen würde. Dazu musst Du erstmal den Zeichenvorrat selbst (das Alphabet) festlegen, sowie die Zuordnung der alphabetischen Zeichen zu bestimmten Teilstücken der Nachkommastellenfolge, also z. B. 00→"A", 01→"B", 02→"C" usw. Erst mit einer solchen Zeichenkodierung – kurz Code genannt – kannst Du eine Suche starten.
Nun treffen aber folgende zwei Aussagen zu: 1. Der verwendete Code ist willkürlich. 2. Wo Du was in der π-Nachkommastellenkolonne findest hängt vom verwendeten Code ab. Das heißt: Was auch immer textmäßig Sinnvolles Du in der π-Nachkommastellenkolonne an einer bestimmten Stelle bei einer bestimmten Zeichenkodierung zu sehen bekommst: Bei unzählig vielen anderen Codes würdest Du an derselben Stelle nur Datenmüll sehen.
Ein Beispiel: Mit der Kodierung 00→"A", 01→"B", 02→"C" usw. findest Du in der ersten Billion π-Nachkommastellen etwa Deinen Vornamen ab der Position Nr. 409668523 und Deinen Nachnamen nirgendwo. Bei der Zeichenkodierung 00→[Leerzeichen], 01→".", 02→"–", 03→"?", …, 20→"A", 21→"B", 23→"C" usw. findest Du hingegen den Namen Deiner Katze bereits ab der Position Nr. 51093 sowie Deinen Nachnamen ab Position Nr. 89094562, dafür aber Deinen Vornamen nirgendwo. Oder dachtest Du an die in PCs verwendete ASCII-Codierung mit A, B, C… ab dem Index 65? Geht auch! Mag sein, dass Du mit ihr sogar ein besonders langes Wort wie etwa STEUERERHOEHUNG findest, aber keinen einzigen Namen.
Und jetzt stellt Dir jemand noch eine weitere Billiarde π-Nachkommastellen zur Verfügung – so viel, dass jede weitere Suche nach sinnvollen Wörtern zwei Tage Rechenzeit beansprucht – für jeden Code. Mit welchem Code würdest Du eine Suche starten? Dem ersten oben definierten? Dem zweiten? Dem dritten? Mit allen drei, was die Unternehmung dreimal so teuer macht (entweder dreifache Rechenzeit oder dreifache Hardwarekosten)? Mit noch 1000 weiteren Codes oder mit noch viel mehr? Würdest Du eine Million Euro in Spezialhardware investieren, um sämtliche per Buchstabenpermutation erzeugbaren Codes systematisch durchtesten zu können? Am Ende hättest Du vielleicht herausgefunden, dass beim Code 00→"Y", 01→"T", 02→"C", 03→"M", 04→"E" und wild durcheinander so weiter Dein Vorname an der Position Nr. 289 lesbar ist. Aber welchen Wert hat diese Information?
Verstehst Du den Wesenskern der Angelegenheit? Die Aussage, dass „die unendlich lange π-Nachkommastellenfolge alle nur denkbaren Wörter und Texte enthält“ klingt zwar aufregend, ist aber tatsächlich ohne Sinn, denn die π-Nachkommastellenfolge enthält an sich überhaupt keine Wörter und Texte. Korrekt (aber auch schon viel unspektakulärer) ist: „Man kann in die unendlich lange π-Nachkommastellenfolge alle nur denkbaren Wörter und Texte hineininterpretieren“, wobei die jeweilige Interpretation durch die verwendete Zeichenkodierung zustandekommt. Und wie mein Beispiel mit der Weihnachtsgeschichte andeutet, bleibt die Aussage sogar richtig, wenn man sie auf die allerersten Nachkommastellen von π bezieht. Löst man sie in letzter Konsequenz noch von π ab, liest sie sich so: „Man kann in jede genügend lange Zufallszahlenkolonne alle nur denkbaren Wörter und Texte hineininterpretieren – man muss aus der unendlichen Menge aller möglichen Codes nur einen passenden, genügend komplexen auswählen“. Sehr ernüchternd, nicht wahr?
Übrigens: Bereits die Entscheidung, die _Dezimal_entwicklung von π zu verwenden, hat etwas Willkürliches: Warum Basis 10? Zeichnet die 10 irgendetwas besonders aus, außer dass Menschen normalerweise zehn Finger besitzen? Nein. Man könnte genausogut 7 oder 29 als Basis verwenden. Es gibt allerdings eine kleinste mögliche Zahlenbasis – die 2. In diesem Sinne ist die _Binär_entwicklung von π tatsächlich vor allen anderen ausgezeichnet. Sie lautet übrigens
11,0010010000111111011010101000100010000101101000110…
Was könnte man damit anfangen? Ich schlage vor, alle Bits zwischen dem ersten und dem 100’000’000’000sten als Rohdatenstrom auf eine Festplatte zu kopieren und diese danach ans Mainboard eines handelsüblichen PCs zu klemmen. Die Wahrscheinlichkeit, den PC erfolgreich damit zu booten, ist natürlich praktisch gleich Null, weil der PC mit den Daten überhaupt nichts anfangen kann (*). Also wiederholst Du das Spiel mit allen π-Bits zwischen dem zweiten und dem 100’000’000’001sten. Wieder nix? Dann ein dritter, vierter, fünfter… Versuch. Da die Nachkommastellenkolonne alle überhaupt denkbaren endlichen Bitsequenzen enthält, wird der PC garantiert irgendwann starten. Fahre geduldig fort und Du wirst die Festplatte des PCs, an dem Du diesen Artikel liest, irgendwann bitgenau dupliziert vorfinden – spiel den Gedanken selbst weiter (alle Festplatte auf der ganzen Welt in allen erdenklichen Varianten…) . Es ist nur eine Frage der Zeit – aber glaube mir, diese Zeitspannen übersteigen jedes menschliche Vorstellungsvermögen um [Totenkopfsymbol]-illionen. Das Alter des Universums ist ein Wimpernschlag dagegen.
Gruß
Martin
(*) Auch in diesem Gedankenexperiment muss irgendwo das interpretierende Element stecken, aber wo? Was meinst Du? Richtig: Es ist der „handelsübliche PC“. Es steht Dir ja frei, einen anderen PC mit einer anderen CPU mit einem anderen Instruktionssatz zu nehmen. Das „anders“ kann „beliebig anders“ sein. Insbesondere könntest Du auch eine Spezial-CPU bauen, die einen entsprechenden PC „weihnachtsgeschichtenäquivalent“ bereits mit den allerersten Binärstellen von π erfolgreich booten lässt – mit jedem Betriebssystem Deiner Wahl. Diese CPU wäre zwar unvorstellbar komplex, aber das spielt für die theoretische Betrachtung ja kein Rolle.
––––––––––
MOD: Einen kleinen Sachfehler korrigiert.