Was lässt sich zu der Frage sagen, ob die Autoren der biblischen Schöpfungsberichte ihre Texte als historische Tatsachenberichte verstanden wissen wollten?
Was lässt sich zu der Frage sagen, ob sie ihren Texten irgendeine naturwissenschaftliche Bedeutung beimessen wollten?
Da einige Christen Urknall und Evolution wohl ausschließlich deswegen ablehnen, weil sie meinen, die Bibel lehre anderes: Kann hier jemand ganz, ganz grob skizzieren, wie sich speziell Christen in den letzten zwei Jahrtausenden zu der Historizität dieser Berichte positioniert haben?
Die Genesis wurde im Jahr 1000 vor Christus geschrieben. Das sagt alles!
Vom Schöpfungsakt, Adam und Eva, Noah, Abraham, Mose gab es damals nur Volkssagen und Legenden. Die wurden von gottesfürchtigen Gelehrten aufgeschrieben und bildeten eine Sammlung von Lehrerzählungen.
Man kann sich in Wikipedia recht gut darüber informieren, was authentisch belegt ist und was fabuliert ist. Z. B. gibt es schwache Anhaltspunkte. Abraham könnte in der vor kurzem ausgegrabenen Stadt Ebla gewohnt haben. Sonst ist aber nichts wissenschaftlich Fundiertes bekannt.
Mit Sicherheit dies: Daß nicht. Zu allerst deshalb: mythische Erzählungen, und unter denen insbesondere Schöpfungsmythen, hatten gar nicht die Absicht, „historisch“ zu sein in dem Sinne, wie wir den Begriff „historisch“ verstehen. Das betrifft keineswegs nur die zwei israelitischen Schöpfungsmythen, die seit dem 7. Jhdt. v.u.Z. (in mehreren Etappen bis Mitte 5. Jhdt) im Pentateuch verschriftlich wurden (zahlreiche Fragmente anderer Schöpfungsmythen finden sich zudem in anderen Texten des Tanach). Es betrifft fast alle Schöpfungsmythen weltweit, von denen es Dokumente gibt. Eine begriffliche Unterscheidung mythisch/historisch entwickelt sich erst langsam - insbesondere durch die Werke griechischer und dann römischer Historiker. Bereits bei Hesiod ist eindeutig, daß er eine Mythengeschichte beschreibt, die mit Historizität nichts zu tun hat. Und Platon weist in der Einleitung zum Tímaios, daß er mangels geeigneter Begriffe in „bildhafter Rede“ schreibt.
Schöpfungsmythen sind in der Regel Stammesgründungs-Mythen. der Mythos ist sozusagen die antike Standard-Methode, die Stammesexistenz zu begründen (und btw. die „Landname“!). Und bei den meisten kann man bereits an bestimmten spezifischen Ausdrücken erkennen, daß man sehr wohl eine „mythische“ Zeit von einer „historischen“ Zeit (die durch Dokumente belegt ist, bzw. deren Erinnerungs-Spanne kaum wenige Generationen überstreicht) zu unterscheiden versteht. Die beiden Mythen aus 1. Mo (und auch weitere Partien aus dem Pentateuch) sind zudem in der Konkurrenz zwischen der aaronitischen und der mosaischen Priesterschaft (Südreich Juda und Nordreich Israel) niedergeschrieben worden und erst sehr viel später und in mehreren Etappen kompiliert worden.
Beide Mythen haben übrigens Vorläufer, die teils aus der ethnischen und sprachlichen aramäischen (und allgemein semitischen) Nachbarschaft israelitisch adaptiert wurden: Der ältere 1. Mo 2.4ff z.B. zweifelsfrei aus Ugarit (Blütezeit 12. Jhdt. v.u.Z.) und andere Teile aus älteren akkadich-babylonischen Mythen. Der jüngere 1.Mo 1.1-2.4 hat deutliche Analogien in zahlreichen ägyptischen (teils älteren, teils zeitgenössichen) Dokumenten. Die Autoren haben diese Niederschriften nicht „ex nihilo“ erfunden. Und eine „Eingebung“ ist ja selbst wieder ein Mythem. Da alle Priesterschaften (in allen Religionen) in irgendeiner Art von Konkurrenz standen, wäre keine von ihnen mit einer bloßen freien Erfindung durchgekommen. Alles Gesagte, Behauptete mußte eine nachweisbare Tradition haben. (Deshalb ja auch die zahlreichen Verweise auf AT-Zitate im NT!)
Was hätten die - explizit nur theologisch interessierten - Autorenschaften wohl unter „naturwissenschaftlich“ verstehen sollen?
„ganz ganz grob skizzieren“: Du bist ja lustig
Die christlichen Hauptströmungen lehnen die heutigen naturwissenschaftlichen Kosmogonien und historischen Erkenntnisse schon lange nicht mehr ab. In frühchristlichen Epochen (Spätantike: Alkinoos, Numenios, Clemens v. Alexandria, Origenes, Plotin, Proklos, Porphyrios, Augustinus, Basilius v. Caesarea, Boethius, und Frühmittelalter: z.B. Johannes Philoponos, Johannes Eriugena) wurden solche Fragestellungen immer in enger Auseinandersetzung mit der zeitgenössischen griechischen Philosophie geführt (daher die hier gemischte Namenserwähnung). Dazu zählten insbesondere z.B. die Fragen der Endlichkeit oder Unendlichkeit des Kosmos. Nur als Beispiel sei der Terminus „creatio ex nihilo“ erwähnt, der ein Kontrastprogramm zu einer voraristotelischen Vorgabe war. Übrigens fast alle fundamentalen christlichen Theologeme (Christologie, Trinitäslehre usw.) sind Produkte dieser kreativen Auseinandersetzungen. Auch Augustinus weist bereits darauf hin (Zitat ist mir leider ad hoc nicht zur Hand), daß nicht alles in der Bibel wörtlich zu nehmen sei. Zudem hatte die allegorische Auslegung des AT eine starke Lobby, und die ist ja per def. von der Historiziäötsfrage nicht betroffen.
Etwas ganz anderes sind dann aber christliche Volksmythologien, in der Vieles aus vormissionarischer Zeit erhalten blieb - und teilweise die großkirchliche Theologie zu Zugeständnissen bzw. Synkretismen nötigte. Gegen die wurde dann mit der dogmatischen These, aus der Bibel (kanonisiert erst Ende 2. Jhdt.) sei bedingungslos historische (und naturwissenschaftliche) „Wahrheit“ zu entnehmen, entgegengewirkt. Die fatalen Folgen dieser Dogmatik sind ja bekannt.
Es waren nicht 1000 Jahre sondern 950 Jahre vor Christus:
In der sogenannten Neueren Urkundenhypothese so von Julius Wellhausen[5] wird der gesamte Pentateuch vier Quellen zugeordnet:
Der JHWH-Quelle, also dem Jahwisten (J), aus der Zeit um 950 v. Chr.Der Elohimquelle (E), aus der Zeit um 800 v. Chr.Dem Priesterkodex §, aus der Exilszeit um 550 v. Chr.Dem (Ur-)Deuteronomium (D), aus dem 7. Jahrhundert v. Chr.
I
Im Unterschied zu den meisten Lesern hier finde ich, dass deine Antwort mehr Fragen aufwirft als klärt.
Ich greife nur diesen Punkt heraus: Wenn du schon behauptest, dass die Autoren der (in diesem Fall jüdischen) Schöpfungsberichte zu differenzieren wussten zwischen mythisch und historisch, wo bleibt dann dein Hinweis auf die Bruchstelle zwischen dem Teil der Genesis, die als mythisch zu verstehen wäre, und jenem Teil, der eindeutig als historisch zu verstehen ist.
Zu letzterem gehört z.B. der Stammbaum Abrahams, der bis auf Noah zurückgeführt wird. Es besteht kein Zweifel, dass beide Gestalten in der Genesis als historisch gelten. Noahs Stammbaum wiederum wird bis auf Adam zurückgeführt (Zwischenglieder von Adam aus: sein Sohn Seth, Enosh, Kenan, Mahalaleel, Jared, Enoch, Methusaleh und Lamesh, Noahs angeblicher Vater).
Wenn du also Adam (vermutlich) einem mythischen Teil der Genesis zurechnest und Noah und Abraham zweifellos dem (vermeintlich) historischen Teil, an welchem Punkt in dieser Kette ist der Übergang zwischen beidem zu verorten? Zeigt dieses Dilemma nicht, dass die Unterscheidung von mythisch und historisch in diesem Fall sehr künstlich und willkürlich und logisch kaum aufrechtzuerhalten ist?
Einige Christen! Ich sprach von einigen Christen! Hältst du es für sinnvoll, ein Wort zu unterschlagen, dadurch eine zu allgemeine Formulierung zu bekommen und mir diese dann vorzuhalten?
Ich habe eine Frage vergessen und schiebe diese nun nach:
Kann man davon ausgehen, dass den an der AT-Kanonisierung beteiligten Personen (gibt es für die eigentlich eine Bezeichnung?) offenkundig war, dass sie zwei unterschiedliche Schöpfungsberichte miteinander verbanden? Lässt sich daraus und/oder aus anderen Umständen der (eventuell sogar sichere) Schluss ziehen, dass sie diese Texte nicht als historische Tatsachenberichte verstanden?
Zum Hintergrund meiner Fragen:
In TV-Sendungen und anderen Beiträgen über und gegen christliche Fundamentalisten, vor allem Kreationisten, wird diesen regelmäßig vorgeworfen, die Bibel wörtlich zu nehmen oder, schlimmer noch, wortwörtlich. Im besten Fall wird dann noch formelhaft behauptet, dass sich Schöpfung und Evolution nicht widersprechen. Was ich noch nie gehört oder gelesen habe, ist ein Gegenangebot. Ein solches Gegenangebot wäre eine kurze Einführung in die Mythengeschichte, eine Erläuterung von Ursprung und Sinn der Schöpfungsmythen. Wenn man den verunsicherten Christen vor den Bildschirmen nur erzählt, dass es so, wie es in der Bibel steht, wegen Abweichungen von der Evolutionstheorie nicht gewesen sein kann, wundert es mich nicht, wenn der eine oder andere zum Kreationismus konvertiert. Wenn sich aber klar sagen lässt, dass die biblischen Schöpfungsgeschichten nie als historische Tatsachenberichte gemeint waren, dann ist es doch grob fahrlässig, das zu verschweigen.
Mich hat auch die Predigt eines berühmt-berüchtigten Pastors aus Bremen irritiert. Wenn die Bibel sagt, dass Gott die Welt in sechs Tagen erschaffen habe, dann glaube er das auch, predigt dieser Mann. Der Gedanke dahinter ist wohl der, dass die Bibel weder irrt noch lügt. Wieso kommt dem Pastor nicht in den Sinn, dass eine historische oder naturwissenschaftliche Betrachtung der Entstehung der Welt und des Lebens nur dann im Widerspruch zu den biblischen Schöpfungsgeschichten steht, wenn man diese mit einer historischen oder naturwissenschaftlichen Brille liest? Dass man an einen Text sinnvolle Fragen stellen muss, um sinnvolle Antworten zu erhalten, erscheint mir so schrecklich selbstverständlich. Es ist so banal, dass man sich scheut, es auszusprechen. Ich muss allerdings dazu sagen, dass dieser Pastor sein Theologiestudium als sehr quälend empfunden hat, weil dort so vieles gelehrt wurde, was mit der Bibel seiner Meinung nach nicht in Einklang zu bringen sei. Natürlich, wer nicht wissen will, der schmälert seine Chancen zu wissen. Aber was du hier geschrieben hast, muss doch zum Grundlagenwissen jedes Theologen gehören.
Als einen Hinweis, wie es zu so einem Schlamassel kommen kann, verstehe ich deinen letzten Absatz, den ich aber erst einmal verdauen muss. Gibt es vielleicht ein Beispiel, an dem du einen solchen Prozess aufzeigen könntest?
Ein wenig dunkel ist mir noch die Unterscheidung zwischen Historie und Mythos. Dass ein Mythos Legitimations-Funktion hat, widerspricht ja noch nicht dem Anspruch auf tatsächlich-historische Wahrheit. Es scheint sich mir doch eher umgekehrt zu verhalten: Wenn jemand etwas legitimieren möchte, dann sollte es schon stimmen, was er vorzutragen hat. Wenn Hitler behauptet, Polen habe Deutschland angegriffen, dann ist zwar eine Lüge, aber eben mit dem Anspruch der historischen Wahrheit. Wenn jemand hingegen ausdrücklich erklärt, was er sagen wolle, sei ein Mythos, leuchtet mir das nicht so richtig ein. Vielleicht liegt das daran, dass ich nicht hinreichend verstehe, was eigentlich ein Mythos ist, vor allem in Abgrenzung zu historischer Wahrheit.
Dass man 2.000 Jahre Christentum und den Blick der Christenheit auf die Schöpfungsmythen nicht wirklich mal eben grob skizzieren kann, ist schon klar. Vielleicht könnten wir es an einigen Namen festmachen. Was antwortet ein Augustinus, was ein Thomas von Aquin, was ein Luther, was ein Karl Barth, wenn man ihm sagt, dass die biblischen Schöpfungsberichte nicht als historische Tatsachenberichte zu verstehen sind? Bei Augustinus hast du ja schon eine Andeutung gemacht, und ich meine, auch einmal etwas in der Richtung gelesen zu haben. Wir können auch anders an das Thema herangehen: Wenn ich mit christlichen Fundamentalisten über so etwas diskutieren wollte, und wenn ich naiv genug wäre zu meinen, das könnte etwas nützen, welche Dinge sollte ich wissen, um sie dann sagen zu können? Der Fundamentalist legt ja eigentlich nur wert darauf, dass das, was er für Gottes Wort hält, nicht falsch sein kann.
Das muss nicht nur, sondern das ist auch. Aber sowas von! Es gehört zum Teilgebiet „Alttestamentliche Wissenschaft“ des Theologiestudiums und ist sowohl bzgl. aktuellem Forschungsstand als auch bzgl. seiner Geschichte (ab. 18./19. Jhdt.) nicht nur Lehrstoff, sondern auch ggf. Prüfungsstoff.
Das ist ebenso simpel zu beantworten, als auch recht komplex zu erklären. Daher will ich es hier mal nur
Seit dem 18. Jhdt. wird explizit zum Thema gemacht (auch wenn es schon seit der Spätantike sehr wohl aufgefallen war), daß sowohl in der Torah (1.-4. Buch Mose. Die 5 Moses-Bücher wurden erst ca. 400 v. Chr. zum „Pentateuch“ zusammengefasst) als auch im sog. „deuteronomischen Geschichtswerk“ (5. Buch Mose, Joschua, Richter, 1+2 Samuel, 1+2 Könige) zahlreiche Episoden, aber auch bloße Passagen, doppelt und teilweise sogar sehr unterschiedlich dargestellt sind. Daß die beiden Schöpfungsmythen 1.Mo 1-2.3 und 1. Mo 2.4 ff, ebenso wie die Noah-Episode, zwei unterschiedliche, teils sogar einander widersprechende Erzählungen sind, war vorher zwar bekannt, wurde aber nicht explizit als „Problem“ thematisiert. Mitte des 19. Jhdts wurde dann auf der Basis genauerer Sprachanalysen klar, daß an den 4 ersten Moses-Büchern mindestens 3 Autorengremien (man spricht von „Redaktionen“) gearbeitet haben, wobei deren Anteile offenbar erst später in die bekannte Texteinheit zusammengewoben worden sind.
Über diese verschiedenen Redaktionen als solche besteht bis heute weitgehend(!) Konsens. Ihre Bezeichung:
1: „J“ = Jahwist
2: „E“ = Elohist
3: „P“ = Priesterschrift
4: „Dtr1“, „Dtr2“ = zwei unterschiedlicliche „Deuteronomisten“
Diese Unterscheidung der Redaktionen, an der viele damals prominente Wissenschaftler beteiligt waren, wurde 1876 in der sog. „Neueren Urkundenhypothese“ durch Julius Wellhausen bestätigt und zusammengefaßt
und wird seitdem unter dessen Namen zitiert.
Keine Einigkeit besteht aber bis heute darüber, erstens welche Passagen genau von wem, zweitens, zu welcher Zeit sie separat getextet wurden und drittens, zu welcher Zeit sie zu einer Texteinheit kompiliert worden sind.
Die heute als sehr überzeugend diskutierte Theorie (Richard Elliott Friedmann) mit erstaunlich detallierten Argumenten:
Die Kompilation von J, E und P zwischen 722 und 587 v. Chr. in der Zeitspanne also nach der assyrischen Eroberung Israels und der babylonischen Eroberung Judas, in der Regierungszeit von Hiskia/Hezekiel und die Zufügung der deuteronomischen Texte am Hof des Königs Josia. Alles in Jerusalem und in der Zusammensetzung und Auseinandersetzung der aaronitischen (Juda) und mosaischen (Israel) Priesterschaft. Die Letztere war ja nach der Zerstörung Israels teilweise nach Juda/Jerusalem ausgewandert.
Die separaten Textvorlagen aber - also vor der Zusammensetzung - entstanden alle nach der Reichsteilung 922 v. Chr. und vor der Eroberung Israels 722 v. Chr.:
E = Elohist zwischen 922 und 722 im Nordreich Israel durch mosaische Priesterschaft. Der Hauptgott ist „El“.
J = Jahwist (darunter der Garten-Eden-Mythos 1. Mo 2.4 ff) zwischen 848 (Regierungszeit Jorams) und 722 durch aaronitische Priesterschaft in Hebron und Jerusalem. Der Hauptgott ist „Jahwe“.
Weiter:
P = Priesterschrift (darunter der Schöpfungsbericht 1. Mo 1.1-2.3) zwischen 716 und 686 v. Chr. (Regierungszeit Hiskias).
Dtr1 = Deuteronomist (5. Buch Mose und die anderen Texte, die die Geschichte des Königsreiches Davids und dann der separaten Reiche Israel und Juda nachzeichnen) am Hof Josias 640-609 v. Chr.
Das meiste andere zwischen 587 und 400 v. Chr.
Und dies noch nebenbei erwähnt: Die
genauer: die Kanonisierung des Tanach, ist die Festlegung, welche Texte der umfangreichen Bibliothek zu der „heiligen Schrift“ des Judentums gezählt werden sollten und welche nicht (die sog. alttestamentlichen Apokryphen) erfolgte erst in der Zeit des rabbinischen Judentums (nach 70 n.Chr. ) Ende des 2. Jhdts n. Chr. - etwa zeitgleich mit der Kanonisierung des Neuen Testamentes.
Aus dem oben Gesagten geht sicherlich deutlich genug hervor, daß die diversen Redaktionen, die an der Kompilation älterer Textvorlagen beteiligt waren und die Redaktionen, die danach auch neuere Texte verfaßten (insbesondere solche, die tatsächlich die Reichsgeschichte interpretierend nachzeichneten - wenn auch nicht in widerspruchsfreier Form - mit zu der Zeit als historische Persönlichkeiten aus der Überliefrung bekannten Richtern und dann Königen) selbstverständlich wußten, daß zumindest die Schöpfungsberichte (und um diese geht es dir ja hier) völlig verschiedene waren. Wie sollte das denn auch anders sein? Daß sie dennoch beide in die Textsammlung aufgenommen haben, bzw. zusätzlich verfaßt haben (we z.B. „P“) war allein der politischen Konflikte zwischen den zwei konkurrierenden Priesterschaften geschuldet - und vor allem der Zielsetzung Josias, die israelitische Religion („jüdische“ nennt man sie - aus Gründen - erst ab der Zeit nach dem Exil) zu zentralisieren. Mit Zentrum im Jerusalemer Tempel.
Hätte diese Redakteure aber damals jemand gefragt, ob sie speziell die Schöpfungsberichte als „mythisch“ oder als „historisch“ auffaßten, hätten sie ganz sicher deutlich geantwortet: „Hä??“
Denn - vorausgesetzt es hätte im damaligen Aramäisch und Hebräisch überhaupt eine Vokabel gegeben, die dem heutigen - auf dem griechischen „mythos“ = „Erzählung“ beruhenden - Wort entsprach (was nicht der Fall ist): Was hätten sie antworten sollen? Denn „Erzählungen“ sind alle die Texte, mit denen sie zu tun hatten.
Eine Unterscheidung zwischen einer poetischen oder religiös motivierten Erzählung (mit einem je bloß „intrinsischen“ Wahrheitsbegriff) und einem Versuch, eine historisch-zeitliche Vorgeschichte nachzuzeichnen, für die es das eine oder andere „beweisende“ Dokument geben mußte (Inschrften, schriftlicher Austausch zwischen dadurch als historisch erwiesenen Personen usw.) beginnt tatsächlich ja erst mit Schriften von Schriftstellern, die deshalb ja auch als „Historiker“ in die Geschichte eingingen. Herodot zum Beispiel oder Livius. Schriftsteller, die ggf. auch selbst zu unterscheiden verstanden, daß sie nicht sicher seien, ob dies oder jenes bloße Legende war oder nicht.
Obwohl auch der heutige Mythosbegriff alles andere als eindeutig ist (man bedenke z.B. die Arbeiten von Claude Lévi-Strauss, Karl Kerényi, Mircea Eliade, Walter Burkert, Jan Assmann usw. vor allem aber die komplexe und komplizierte theologische Diskussion um den Begriff der → „Entmythologisierung“, die durch Rudolf Bultmann in Gang gesetzt wurde - oder in der Philosophie: Schelling, Ernst Cassirer, Hans Blumenberg, Kurt Hübner usw.), so läßt sich zumindest eine Unterscheidung setzen in der textimmanenten Zeittopologie: Die „historische“ Abhandlung setzt eine eindeutige Zeitmetrik mit Zeiteinheiten (Jahre, Jahrhunderte usw.) voraus.
Der Mythos dagegen (wir reden hier von Kosmogonien) hat eine ganz andere Zeittopologie: Es gibt nur ein metrikloses Vorher/Nachher. Er redet von einem „Anfang“, und das in weitverbreiteten charakteristischen Formeln: „Als noch nicht …“, „Als zum ersten Mal“, „Als Himmel und Erde …“, "Der Tag, an dem… "oder mit den besonders prägnanten Beispielen „Als das Entstehen entstand …“ (Pyramidentext 7. Jhdt v. Chr.) und „Als Sein und Nichtsein noch nicht unterschieden war …“ (Rgveda).
Wir können also heute unterscheiden zwischen einer „mythischen“ Zeitauffassung und einer „historischen“ Zeitauffassung. Rein theologisch, also religionsimmanent handelnde Berichte haben in der Regel aber gar keine historische (im heutigen Begriffsverständnis) Intention, sondern eine „transzendente“ (im religionssprachlichen Sinn). Und wo sie die historische Intention dennoch haben, machen sie das eindeutig kenntlich (als nächstliegendes Beispiel sei das christliche „nicäno-konstantinopolitanische“ Glaubensbekenntnis erwähnt, in dem genau aus diesem Grund „Pontius Pilatus“ erwähnt ist).
Und was deine Problematik mit christlichen Fundamentalisten/Kreationisten betrifft: Da ist erfahrungsgemäß jede Diskussion sinnlos und verlorene Zeit. Dazu mag ich mich daher auch gar nicht auslassen. Daß „heilige Schriften“ in vielen Religionen (indische, persische, „abrahamitische“) kanonisiert wurden, ist eines. Etwas anderes ist die Dogmatisierung als sog. „Gottes Wort“, die jeweils erst Jahrhunderte nach den Verschriftlichungen stattfand, und die allein der polemischen Konkurrenz gegen andere Religionen geschuldet war. Dies Dognatisierung ignoriert natürlich jede Sachkenntis über die jeweilige Entstehungsgeschichte der Texte, insbesondere deren endgültige Kanonisierung, die lange nach der Verschriftlichungen stattfand, und zudem auch die jeweiligen Übersetzungsprobleme in andere Sprachen.