Tiefe zieht mich an

Ich kann an kein Balkongeländer oder ähnliches vorbeilaufen, ohne daß mich die Tiefe anzieht. Es ist wie ein ungeheuerlicher Sog und fehlt nicht viel, daß ich mich tatsächlich über die Brüstung schwinge. Nein, mir wird es fast schwindelig und mir ist es, als kippe ich um und die Tiefe schlürft mich ein.

Das geht schon seit Jahren! Doch merkwürdigerweise seit meinem Urlaub ist es besser geworden. Ich bin an der Küste entlanggewandert und hatte keine große Probleme. Aber es ist immer noch unheimlich. Was hat es damit auf sich?

Grüße
Sylvia

Was hat es damit auf sich?

Daß du Höhenangst hast - in einem Maße, wie es fast jeder hat. Außer Bergsteigern, Hochseilartisten, Dachdeckern, Brücken- und Wolkenkratzerbauarbeitern usw…

Metapher

…stößt mich aber nicht immer ab.
Manchmal finde ich sie ganz charmant.

Ich kann an kein Balkongeländer oder ähnliches vorbeilaufen,
ohne daß mich die Tiefe anzieht. Es ist wie ein
ungeheuerlicher Sog und fehlt nicht viel, daß ich mich
tatsächlich über die Brüstung schwinge. Nein, mir wird es fast
schwindelig und mir ist es, als kippe ich um und die Tiefe
schlürft mich ein.

Ich schlürf derweil lieber n Tässken grünen Tee, liebe Sylvia.
Haste mal wieder was Neues? Vielleicht gerade den guten alten Hitchcock „VERTIGO“ auf DVD gesehen?
Was soll man machen, wenn das Sommeloch so groß ist…
Es grüßt Dich sonniglich
Branden

…stößt mich aber nicht immer ab.

Soll man das kommentieren?

SCNR

Sancho

…stößt mich aber nicht immer ab.

Soll man das kommentieren?

Wenn du magst - nur zu!

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Hallo Sylvia!

Viel kann ich Dir dazu nicht sagen.
Nur, dass es mir ähnlich ging. Es hatte nicht mit Höhenangst zu tun, es war der Reiz der Tiefe. Wenn ich im Gebirge war, auf Hochhäusern oder Klippen…in die Tiefe zu schauen hatte eine unglaublich Anziehungskraft, die ich körperlich spüren konnte, es war, alszöge es mich hinab und es war gleichzeitig ein lustvolles Gefühl, aufregend.
Gleichzietig war Angst da hinzusehen weil ich nicht wußte ob ich es kontrollieren konnte.
Ich weiß nicht, wieso, aber inzwischen ist es nicht mehr da und ich hatte es bis zu deinem Text auch vergessen.
Interessant, dénn ich habe inzwischen einen Sport angefangen, der viel mit Höhe zu tun hat - Klettern.
Es macht mir sehr viel Spaß, aber der Sog ist halt weg, dafür kann ich viel spielerischer mit dem Fallen und hochklettern umgehen.
ES IST RICHTIG GUT!
Ich kann Dir keinen Rat geben, aber genügt es Dir ja schon zu wissen, dass Du nicht allein bist, auch wenn sich hier ein paar Deppen lustig machen…
Liebe Grüße,
B.

Danke!

Ich habe es während meines Urlaubs vergessen, bis auf gestern. Vllt wäre es besser, statt auf die Tiefe zu starren, auf meine Füße zu konzentieren. Fester Halt. Gleichgewicht. Vertrauen ?

[Bei dieser Antwort wurde das Vollzitat nachträglich automatisiert entfernt]

Hallo Metapher,

Deine Antwort hat mich ziemlich irritiert. Mit zunehmendem Alter hat sich bei mir auch eine Art Höhenangst entwickelt. Irgendwo hoch oben zu stehen und in die Weite zu gucken ist immer noch ok und auch sehr schön. Was aber nicht geht, ist geradeherunter zu gucken, von einer Brüstung zum Beispiel. Da graut mir richtig vor und ich bekomme ein sehr unangenehmes Kribbeln im Bauch und den Beinen. Logischerweise vermeide ich aufgrund dieser Angst die Situation möglichst. Was Silvia jedoch beschrieb, ist eine Faszination, die Tiefe zieht sie an. Ist das nicht etwas anderes als Höhenangst?

Liebe Grüße

Avera

Faszinosum Tiefe
Hi Avera,

du sprichst einen interessanten Unterschied in der Erlebnisform von „Tiefe“ an. Ja, in den Schilderungen von Angst in der Konfrontation mit Tiefe kommen beide - geradezu polaren - Empfindungen vor. Bei einem mehr diese, beim anderen mehr jene. Daß Tiefe „anzieht“ scheint mir die Grundstruktur dieses Gefühls zu sein. Auch von erfahrenen Bergsteigern wird das berichtet.

Tiefe ist ein „faszinosum“. Bereits Purkinje (Medizinische Jahrbücher, Wien 1820 ) beschreibt es als „Anziehungskraft der Tiefe“ und im Empedokles singt Hölderlin: „Und du in schauderndem Verlangen wirfst dich hinab, in des Aetna Flammen!“.

Aber wie überall gesellt sich zum Faszinosum der Schrecken (das Tremendum). In der Religionswissenschaft und -philosophie wird daher ja auch die Begriffs-Dyade „Faszinosum-Tremendum“ als Grundbegriff aller religiösen Erscheinungen angesehen. Das Faszinierende ist faszinierend, WEIl es schrecklich ist und das Schreckliche ist schrecklich, WEIL es faszinierend ist. Beides nimmt dem sicheren, festen Stand den Boden unter den Füßen weg.

„Der Blick in den Abgrund läßt den Blick schon im Abgrund und damit schon auf dem Weg in die Tiefe sein“ [zitiert nach H. Scheller: Das Problem des Raumes in der Psychopathologie. Stud. Gen. 10, 1957].

Dann kommt es darauf an, wie dieses „Gefühl“ sekundär verarbeitet wird, denn davon hängt ab, ob mehr der Charakter des Anziehenden oder der des Schreckens für die Haltung gegenüber der Tiefe zur Geltung kommt. Der eine fühlt sich in seiner Entscheidungsfähigkeit, der Anziehung nachzugeben oder nicht, irritiert - und ist ggf. davon wiederum irritiert. Dem anderen steht mehr die tödliche Konsequenz dieser Anziehung vor Augen und flieht daher vor dem Schrecken.

Bei genauerem betrachten dessen, was jemandem durch den Kopf geht, wenn er dem Anblick von Tiefe ausgesetzt ist, zeigt sich eine große Mannigfaltigkeit im Detail dieser Erlebnisse. Ob sie psychopathologisch relevant sind, ist dann eine andere Frage. Der Ausdruck „Höhenangst“, Akrophobie, ist eigentlich dem Erlebten nicht genau angepaßt. „Höhenschwindel“ schon eher. Aber eigentlich ist es Angst vor der Tiefe, denn diese ist das Objekt. Aber die Bezeichnung ist eh nicht so relevant.

Gruß

Metapher

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Danke! Jetzt verstehe ich es deutlich besser.

Liebe Grüße

Avera

Schschschlürrrfff…
„…mir ist es, als kippe ich um und die
Tiefe schlürft mich ein…“ und:
„Vllt wäre es besser, statt auf die Tiefe
zu starren, auf meine Füße zu
konzentieren. Fester Halt.
Gleichgewicht. Vertrauen?“

Hallo, Sylvia!
Merkwürdig, auch ich fühle mich wie in
einen Schlauch „hineingezogen“, wo ich
auf einer Anhöhe SENKRECHT runter gucken
kann (zum Beispiel in Segeberg, auf dem
Karl-Mai-schen Kalkberg, oder IM Laboer
Ehrenmal oder auf irgeneinem Kliff), aber
das Gegenteil, wenn ich dort „in die
Weite“ blicke; dann finde ich mich „oben
auf“. Dies vor allem in/über Paris, auf
dem Mont Martre, wenn ich „auf“ den
Horizont, ÜBER „ganz Paris“ blicke.
Gibt es Menschen, die auch dort AN der
Sacré Coeur, bei einem solchen
Panorama-Blick „Höhenangst“ bekommen?
Für mich unvorstellbar!

Und wenn man nun aber VON OBEN SENKRECHT
eine Wand hinunterschaut, den gesamten
Horizont dabei nur im Augenwinkel, ist es
dann nicht so, daß sich „die Optik
verbiegt“ und daß man den Eindruck hat,
„unten am Turm“ würden sich unser
Fußpunkt + der (scheinbar näherkommende)
Horizont in den Boden/die Erde hinein
vertiefen/versenken und uns dabei MIT
herunterziehen „wollen“? Also der
Fußpunkt unseres Turmes wäre insgesamt
der tiefste Punkt der gesamten Umgebung,
der uns, mitsamt Turm, noch weiter
„(hin)einsaugt“?
Auch wenn wir „erhobenen Hauptes“ über
den Horizont kreisen, ist natürlich das
Gefühl (das „Wissen“) irgendwo da, von
unten gezogen zu werden - aber „auf der
Höhe des Horizonts“ fühlen wir uns
gleichzeitig „einGESPANNT“, eben erhaben
über JEDE[R] Tiefe.
Fühlt man sich eigentlich auch
„hinuntergezogen“, wenn man oben auf
einem Turm steht, der selbst auf einem
Hügel steht? Wo also der Fußpunkt der
höchste Ort der Umgebung ist (mit dem
Turm erst oben drauf), man also „sieht“,
wie sich die Höhe dieses Hügels erst in
DER FERNE SENKT?

Allen klugen Dementis der von Sylvia
erwähnten Angst möchte ich dringend
einmal den Besuch des Laboer
Marine-Ehrenmals am Rande der Kieler
Förde empfehlen. Der Turm ist innen hohl
und in der Mitte hängt eine Fahne
herunter, zu der man vielleicht
hinhechten könnte, wenn man auf der
Treppe an der Wand (innen) nach oben
steigt und über ihr Schutzgeländer blickt
(und „stürzt“)?
Allerdings lassen sich berufsmäßige
Seelen vielleicht auch in GAR NICHTS
hineinziehen…
Lieber Grüße, Davidson