Kurzer Überblick
Hi Martinus.
Die von dir eigentlich Angesprochenen scheinen sich eine Auszeit genommen zu haben, du musst also mit meinen Auskünften vorlieb nehmen.
Wie stellt sich das religiöse Judentum heute das „Leben nach dem Tod“ oder die Auferstehung vor?
Zunächst zum klassischen Judentum. Beide - nicht deckungsgleichen - Themen werden dort nur sehr spärlich behandelt. Hinweise auf eine „Leben nach dem Tod“ im Sinne einer geistig-seelischen, also nichtkörperlichen Weiterexistenz finden sich im Tanach, folgt man den gängigen Interpretationen, nur an einer Stelle, nämlich Sprüche 12,28:
Auf dem Wege der Gerechtigkeit ist Leben, und auf ihrem gebahnten Pfad ist kein Tod.
Ob es zwingend es ist, daraus eine geistige Fortexistenz abzuleiten, will ich mal offen lassen, jedenfalls interpretieren jüdische Autoren diese Stelle im genannten Sinne. Ebenfalls als Hinweis auf geistiges Fortleben wird der sich auf Sprüche 12,28 beziehende Vers Schabbat 152 b, schon sehr viel unmissverständlicher, gedeutet:
Gib ihn (d.h. den Geist) Gott so rein zurück, wie er ihn dir einst gegeben.
Was die körperliche Auferstehung betrifft, gibt es gleichfalls zwei wichtige Referenzstellen, vor allem Daniel 12,2, wo es heißt:
Und viele, die unter der Erde schlafen liegen, werden aufwachen, die einen zum ewigen Leben, die andern zu ewiger Schmach und Schande.
Mit Bezug auf diese Daniel-Stelle heißt es im Sanhedrin 10,1:
All Israel have a portion in the World to Come, for it is written: “Your people are all righteous; they shall inherit the land forever, the branch of my planting, the work of my hands, that I be glorified” (Isaiah 60:21). But the following have no portion in the World to Come: He who says that resurrection is not a Torah doctrine, the Torah is not from Heaven… usw.
Meine Übersetzung:
Ganz Israel wird an der Kommenden Welt teilhaben, denn es steht geschrieben: "(Jesaja 60,21, aus der Lutherbibel) Und dein Volk sollen eitel Gerechte sein; sie werden das Erdreich ewiglich besitzen, als die der Zweig meiner Pflanzung und ein Werk meiner Hände sind zum Preise". Aber die folgenden haben keinen Anteil an der Kommenden Welt: Die, die sagen, dass Auferstehung keine Lehre der Thora ist, dass die Thora nicht vom Himmel kommt….usw.
Das heutige Judentum hat zwei Strömungen, die orthodoxe und die liberale. Die liberale Strömung hat sich klar gegen die Lehre von der körperlichen Auferstehung entschieden und vertritt stattdessen die Lehre vom ewigen Fortleben der Seele. Gebete, die auf die Wiedererrichtung des Tempels in Jerusalem oder auf die körperliche Auferstehung von den Toten abzielen, finden in liberalen Synagogen keine Anwendung mehr. Dem liegt die jüdische „Declaration of Principles“ von Pittsburgh aus dem Jahr 1885 zugrunde, wo es heißt:
We reassert the doctrine of Judaism, that the soul of man is immortal, grounding this belief on the divine nature of the human spirit… We reject as ideas not rooted in Judaism the beliefs both in the bodily resurrection and in Gehenna and Eden.
(Meine Übersetzung): Wir bekräftigen die Lehre des Judentums, dass die menschliche Seele unsterblich ist, und gründen diesen Glauben auf die göttliche Natur des menschlichen Geistes… Wir weisen, als nicht im Judentum begründete Ideen, den Glauben an die körperliche Auferstehung und an die Gehenna sowie an Eden zurück.
Chan