Tod und Auferstehung im jüdischenGlauben

Guten Morgen!

Eine Frage an diejenigen, die jüdischen Glaubens sind (oder die sich mit der aktuellen jüdischen Theologie und Alltagsfrömmigkeit entsprechend gut auskennen): Wie stellt sich das religiöse Judentum heute das „Leben nach dem Tod“ oder die Auferstehung vor?

Mich würde sowohl die „Lehrmeinung“ dazu interessieren, als auch die Vorstellungen, die so im Alltag von Menschen geläufig sind, die sich als „praktizierende Juden“ (im religiösen Sinn) verstehen.

Dazu hätte ich auch zwei konkrete Fragen: 1. Welche Rituale sind nach einem Sterbefall in Ihrer Religion üblich? Gibt es vorgeschriebene Gebete, Handlungen…?

Und 2.: Ich habe gehört, es gebe es unter Orthodoxen den Dienst an Toten, die z.B. bei einem Unfall schwer verletzt wurden, amputierte Körperteile bis hin zu Hautfetzen möglichst vollständig einzusammeln. Stimmt das so? Und falls ja: inwieweit ist diese Praxis heute in Deutschland anzutreffen?

Gruß und Dank,
Martinus

Kurzer Überblick
Hi Martinus.

Die von dir eigentlich Angesprochenen scheinen sich eine Auszeit genommen zu haben, du musst also mit meinen Auskünften vorlieb nehmen.

Wie stellt sich das religiöse Judentum heute das „Leben nach dem Tod“ oder die Auferstehung vor?

Zunächst zum klassischen Judentum. Beide - nicht deckungsgleichen - Themen werden dort nur sehr spärlich behandelt. Hinweise auf eine „Leben nach dem Tod“ im Sinne einer geistig-seelischen, also nichtkörperlichen Weiterexistenz finden sich im Tanach, folgt man den gängigen Interpretationen, nur an einer Stelle, nämlich Sprüche 12,28:

Auf dem Wege der Gerechtigkeit ist Leben, und auf ihrem gebahnten Pfad ist kein Tod.

Ob es zwingend es ist, daraus eine geistige Fortexistenz abzuleiten, will ich mal offen lassen, jedenfalls interpretieren jüdische Autoren diese Stelle im genannten Sinne. Ebenfalls als Hinweis auf geistiges Fortleben wird der sich auf Sprüche 12,28 beziehende Vers Schabbat 152 b, schon sehr viel unmissverständlicher, gedeutet:

Gib ihn (d.h. den Geist) Gott so rein zurück, wie er ihn dir einst gegeben.

Was die körperliche Auferstehung betrifft, gibt es gleichfalls zwei wichtige Referenzstellen, vor allem Daniel 12,2, wo es heißt:

Und viele, die unter der Erde schlafen liegen, werden aufwachen, die einen zum ewigen Leben, die andern zu ewiger Schmach und Schande.

Mit Bezug auf diese Daniel-Stelle heißt es im Sanhedrin 10,1:

All Israel have a portion in the World to Come, for it is written: “Your people are all righteous; they shall inherit the land forever, the branch of my planting, the work of my hands, that I be glorified” (Isaiah 60:21). But the following have no portion in the World to Come: He who says that resurrection is not a Torah doctrine, the Torah is not from Heaven… usw.

Meine Übersetzung:

Ganz Israel wird an der Kommenden Welt teilhaben, denn es steht geschrieben: "(Jesaja 60,21, aus der Lutherbibel) Und dein Volk sollen eitel Gerechte sein; sie werden das Erdreich ewiglich besitzen, als die der Zweig meiner Pflanzung und ein Werk meiner Hände sind zum Preise". Aber die folgenden haben keinen Anteil an der Kommenden Welt: Die, die sagen, dass Auferstehung keine Lehre der Thora ist, dass die Thora nicht vom Himmel kommt….usw.

Das heutige Judentum hat zwei Strömungen, die orthodoxe und die liberale. Die liberale Strömung hat sich klar gegen die Lehre von der körperlichen Auferstehung entschieden und vertritt stattdessen die Lehre vom ewigen Fortleben der Seele. Gebete, die auf die Wiedererrichtung des Tempels in Jerusalem oder auf die körperliche Auferstehung von den Toten abzielen, finden in liberalen Synagogen keine Anwendung mehr. Dem liegt die jüdische „Declaration of Principles“ von Pittsburgh aus dem Jahr 1885 zugrunde, wo es heißt:

We reassert the doctrine of Judaism, that the soul of man is immortal, grounding this belief on the divine nature of the human spirit… We reject as ideas not rooted in Judaism the beliefs both in the bodily resurrection and in Gehenna and Eden.

(Meine Übersetzung): Wir bekräftigen die Lehre des Judentums, dass die menschliche Seele unsterblich ist, und gründen diesen Glauben auf die göttliche Natur des menschlichen Geistes… Wir weisen, als nicht im Judentum begründete Ideen, den Glauben an die körperliche Auferstehung und an die Gehenna sowie an Eden zurück.

Chan

Hallo,

Die von dir eigentlich Angesprochenen scheinen sich eine
Auszeit genommen zu haben

schau mal auf den Kalender … :wink:

Gruß,
Ralf

Auszeit

Die von dir eigentlich Angesprochenen scheinen sich eine Auszeit genommen zu haben

Diese Auszeit hat bei denen, die Martinus hier explizit befragt, seit eh und je einen hebräischen Namen: ‏שבת‎. Und sie dauert von Freitag Sonnenuntergang bis Samstag Sonnenuntergang. Eine Zeit, in der die explizit Angesprochenen in der Regel nicht in Foren herumwieseln.

du musst also mit meinen Auskünften vorlieb nehmen.

Du meinst damit dein, mit einigen rhetorischen Tricks

folgt man den gängigen Interpretationen
will ich mal offen lassen

garniertes, und so den Anschein eigener Sachkenntnis erwecken sollendes Wikipedia-Referat:
https://de.wikipedia.org/wiki/Auferstehung#Neuzeit

Oder?

Gruß
M.

3 Like

sollendes Wikipedia-Referat:
https://de.wikipedia.org/wiki/Auferstehung#Neuzeit

Hallo,
ich habe mir den Wikipediaartikel mal zu Gemüte gezogen und fand ihn sehr interessant. Es geht da ja nicht nur ums Judentum.
Besonders berührt hat mich der kleine Absatz über die Vorstellung der Auferstehung von Tieren im Christentum.
Wir sehn uns also alle wieder. Wenn wir Glück haben legen unsere Hunde und Katzen ein gutes Wort für uns ein. Denn die kommen meiner Meinung nach sofort in den Himmel, ohne Umweg über Fegefeuer oder Hölle. Sie können ja auch nicht auf unsere Art und Weise bösartig sein.
Was werden unsere Nutztiere zu sagen haben?
Und wenn ich mir vorstelle, auch Schaben, Bandwürmer und Flöhe …
Gottes Liebe ist eben unendlich.

Gruß
MissSophie

Chaotische Dynamik menschlicher Kommunikation

Die von dir eigentlich Angesprochenen scheinen sich eine Auszeit genommen zu haben

Diese Auszeit hat bei denen, die Martinus hier explizit
befragt, seit eh und je einen hebräischen Namen: ‏שבת‎.

Er spricht in Klammern auch Personen an, die sich, ohne Juden zu sein, mit der Fragestellung auskennen. Was liegt da näher, als an dich zu denken? :smile:

Und
sie dauert von Freitag Sonnenuntergang bis Samstag
Sonnenuntergang. Eine Zeit, in der die explizit Angesprochenen
in der Regel nicht in Foren herumwieseln.

Am 27. Juni 2014, als Martinus um 9 Uhr früh postete, war der Sonnenuntergang um genau 21 Uhr 58. Entweder hatten sich die „explizit Angesprochenen“ am Nachmittag oder frühen Abend überhaupt nicht eingeklinkt oder sie waren, warum auch immer, für eine Antwort nicht disponiert.

Abgesehen davon ist die Frage auch für Nicthjuden nicht schwer zu beantworten.

du musst also mit meinen Auskünften vorlieb nehmen.

Du meinst damit dein, mit einigen rhetorischen Tricks

folgt man den gängigen Interpretationen
will ich mal offen lassen

garniertes, und so den Anschein eigener Sachkenntnis erwecken
sollendes Wikipedia-Referat:

Meine Hinweise auf „gängige Interpretationen“ und die Uneindeutigkeit des ´Sprüche´-Verses sind gerechtfertigt, denn die angeführten Tanach-Texte sind mehrdeutig interpretierbar. Die Frage, ob Auferstehung leiblich geschieht oder als geistiges Fortbestehen, wird innerhalb des Judentums sehr kontrovers diskutiert. Das ist u.a. den jüdischen Seiten zu entnehmen, die ich neben Wiki konsultiert habe. Aus der Pittsburgh-Erklärung geht das ebenfalls glasklar hervor.

Ich würde mich für die Zukunft darüber freuen, wenn unsere Auseinandersetzungen auf einer rein sachlichen Ebene verlaufen würden.

Natürlich sollte man die Dialektik kommunikativer Prozesse berücksichtigen, wie es sehr erhellend aus einer Arbeit von Dr. Manfred G. hervorgeht, die ich hier wie folgt zitiere:

(Chaotische Dynamik menschlicher Kommunikation, 13)

_Und mir der personalen Gegenwart bewußt zu sein und aus der Verfremdung, dem Sprung in die Andersheit des Anderen - vermittelt durch dessen Beziehung vice versa auf mich - zu einem nun vermittelten und erweiterten Bewußtsein meiner selbst zu kommen: Dies ist die eigentliche Rekursivität am Aktual des Gesprächs - und auch dasjenige, an dem sich, wie wir gleich sehen werden, auch einige chaostheoretische Phänomene finden lassen.

Das Gespräch, das bin Ich. Oder: das Gespräch ist die wahrhafte Droge, die Bewußtseinserweiterung verschafft.

(…)

Ich begegne in dem Anderen immer schon einer Reaktion auf mich selbst und der Andere
begegnet in mir immer schon einer Reaktion auf ihn selbst.

Und der bekannte Weisheitsspruch „Wie du in den Wald hineinrufst, so schallt es heraus“
verwandelt sich in die chaostheoretische Maxime „Wie es aus dem Wald herausschallt hängt hypersensibel davon ab, wie du hineinrufst“._

Kommentar:

Das ist vielleicht deine Ebene zu kommunizieren - aber nicht meine, und das soll auch so bleiben.

Chan

PS. Ich melde mich in diesem Thread nicht mehr.

Langer…
…Samstag war doch aber immer am Monatsanfang, oder? *g*

Danke für die bisherigen, erhellenden Antworten. Falls noch was dazukäme, wäre das natürlich fein.

Martinus

Hallo.

Eine Frage an diejenigen, die jüdischen Glaubens sind (oder
die sich mit der aktuellen jüdischen Theologie und
Alltagsfrömmigkeit entsprechend gut auskennen): Wie stellt
sich das religiöse Judentum heute das „Leben nach dem Tod“
oder die Auferstehung vor?

Eigentlich gar nicht :wink:

Ja, ja, es gibt hier natürlich sehr umfangreiche Vorstellungen davon und wahrscheinlich auch mehr Bücher darüber als man lesen kann, aber im Sinne des „religiösen Judentums“ spielt dieses alles nur eine sehr untergeordnete Rolle da man sich auf das hier und jetzt konzentriert und damit dann auch genug zu tun hat.

Ansonsten gehen die meisten Meinung von einem „Olam ha ba“ aus, einer kommenden Welt, einer „perfekten“ Welt, einer Welt welche mit der Schöpfung ihren Anfang nahm und ohne das Scheitern des Menschen von Begin an entstanden wäre. Diese Welt wird eines Tages kommen, entweder durch die Mithilfe von uns Menschen oder alleine durch Gottes Gnade.

Wenn diese Welt kommt, werden auch Verstorbene wieder Auferstehen und ebenso mit in dieser Welt leben. Je nach Lehrmeinung unterscheidet sich hier wer und ob es überhaupt diese Auferstehung geben wird und wie diese von statten gehen wird. Eine orthodoxe Lehrmeinung ist zum Beispiel, dass jüdische Verstorbene allein in Eretz Israel (das Land Israel) aus der Erde kommen werden und wenn sie an anderen Orten beerdigt sind, sich dorthin unterirdisch erst bewegen müssen.

Mich würde sowohl die „Lehrmeinung“ dazu interessieren, als
auch die Vorstellungen, die so im Alltag von Menschen geläufig
sind, die sich als „praktizierende Juden“ (im religiösen Sinn)
verstehen.

Hier besteht wohl einfach die Vorstellung, dass die Seele erst einmal unsterblich ist und es die kommende Welt geben wird. Das „weiss“ man und spielt dann auch keine weitere grosse Rolle. Wie oben schon gesagt, ist erst einmal dieses Leben im jetzt von Bedeutung und wie man hier „gut“ lebt.

Dazu hätte ich auch zwei konkrete Fragen: 1. Welche Rituale
sind nach einem Sterbefall in Ihrer Religion üblich? Gibt es
vorgeschriebene Gebete, Handlungen…?

Ja und die Beerdigung der Toten wird als Ausdruck der Nächstenliebe verstanden, weswegen es auch Pflicht ist, in allen jüdischen Gemeinden (wo ausreichend Juden leben) eine Beerdigungbruderschaft (Chewra Kadischa) zu gründen und alle Richtungen des Judentums dieses hier sehr genau leben und nachleben. Diese Bruderschaft (schliesst Frauen mit ein) übernimmt dann die Rituale um die Beerdigung.

Auch die Trauer selbst hat ihre Rituale. So sitzen die nahestehende Verwandten Schiwa für eine Wochen und bleiben in dieser Zeit oft zu hause (des Verstorbenen). Daneben bestehen auch besondere Gebete (individuell wie auch in der Gemeinschaft) welche alle Trauernden sagen können.

In dieser Zeit kommt auch die restliche Gemeinschaft zu Besuch und unterstützt die Trauernden und redet über die Verstorbenen und seine guten Taten.

usw. usw.

Und 2.: Ich habe gehört, es gebe es unter Orthodoxen den
Dienst an Toten, die z.B. bei einem Unfall schwer verletzt
wurden, amputierte Körperteile bis hin zu Hautfetzen möglichst
vollständig einzusammeln. Stimmt das so? Und falls ja:
inwieweit ist diese Praxis heute in Deutschland anzutreffen?

Das Einsammeln und vor allem Beerdigung von Körperteilen wird von allen Richtungen des Judentums gelebt und auch heute in Deutschland. In den meisten Fällen ist für diese Körperteile ein gesonderter Platz auf dem Friedhof vorgesehen.

Und ebenso richtig ist, dass (orthodoxer seits) Unfallstellen genau kontrolliert werden und hier alles „eingesammelt“ wird. Beides ist aber erst einmal ein Dienst an den Lebenden. Hierbei geht es darum, dass es Kohanim (Nachkommen des Priestergeschlechts) verboten ist in die Nähe von Toten zu kommen. Dieses gilt auch noch heute, obwohl kein Priesterdienst (im Tempel) mehr vorhanden ist. Dazu müssen alle Beerdigungsplätze bekannt sein.

Und dieses Verbot gilt nur für „jüdische“ Tote, was dann auch das antisemitische Vorurteil erklärt, dass Nichtjuden bei den Juden als Tiere gelten. Es wurde nämlich festgelegt, dass für dieses Verbot die Nichtjuden den Tieren gleich sind, will heissen, so wie ein Kohen sich einem toten Tier nähern darf, so darf er sich auch einem Nichtjuden nähern. Es geht also darum, den Kohanim das Leben zu ermöglichen und nicht darum sich über Nichtjuden zu stellen.

Denn hier gilt immer noch: „Ein gerechter Nichtjude lebt heiliger als der Oberpriester beim Jom-Kippur Tempeldienst“.

Gruss,
Eli