'touch and feel' in HH

Hi Ihr!

Hab gehört, daß in Hamburg vor kurzem eine Ausstellung namens „touch and feel“ begonnen hat. Leider finde ich nicht heraus, wo genau. Im Internet ist nix zu finden.
Angeblich geht es in der Ausstellung um folgendes: Man geht völlig blind durch die stockfinstere Austellung, incl. einen Besuch an einer Bar ebenfalls im Dunkeln. Am Ende schaut man sich sie Austellung nochmal im Licht an.

Hat jemand was davon gehört?
Gruß,
Lena

Hallo Lena,

das habe ich für Dich gefunden:

Wer nicht sehen kann, muss fühlen
«Dialog im Dunkeln» in der Hamburger Speicherstadt
Wir schliessen die Augen, um Gefühle intensiver zu geniessen, um in unser Innerstes zu schauen. Beim Küssen zum Beispiel. Aber auch als Abwehrreaktion in Gefahrensituationen oder um besser nachdenken zu können, schliessen wir die Lider. Für Blinde dagegen ist die Welt in Schwarz der Alltag; die Konzentration auf die übrigen Sinne ist normal. In diese Welt können Besucher der Veranstaltung «Dialog im Dunkeln» in der Hamburger Speicherstadt eintauchen, in der in Kleingruppen verschiedene Alltagsszenarien im absoluten Dunkel durchschritten werden. Am
20. April feiert das Projekt das Ein-Jahr-Jubiläum. Bis Ende März 2003 wird die Ausstellung noch in der ehemaligen Lagerhalle zu sehen sein. Als Wanderausstellung konzipiert, tourt der «Dialog im Dunkeln» schon seit 13 Jahren durch die Welt. Mehr als 700 000 Menschen haben das Projekt in 13 Ländern und etwa 60 Städten inzwischen besucht. Zu seiner Bilanz gehört sicherlich auch, dass es 38 Personen einen Arbeitsplatz bietet.
Blinde, Sehbehinderte, Gehörlose sowie andere Sinnesbehinderte bilden ein Team, das den Service, die Führungen und die Organisation rund um den «Dialog» übernimmt.

Blinde führen Sehende
Die Installation in den Räumen eines ehemaligen Lagerhauses will einen neuen Weg zur Integration Behinderter aufzeigen und setzt dabei auf Finsternis. Blinde Menschen führen die Besucher durch ihre Welt. Eine Stunde lang tappen zehn Personen durch Lebensräume, die allen normalerweise vertraut sind, wenigstens solange es hell oder zumindest schummrig ist. Doch diesmal sind die Vorzeichen umgekehrt: Blinde werden zu Sehenden, Sehende zu temporär Blinden. Damit werden auch die sozialen Bezüge gewechselt, die Abhängigkeiten kehren sich um. Blinde werden als Mitmenschen interessanter und öffnen die Sicht auf Dinge, die dem Augenlicht verborgen bleiben. Die Kommunikation zwischen temporär Nicht-Sehenden und Blinden wird intensiviert oder findet überhaupt erst statt.

Fast 70 000 Besucher sind bisher gekommen. Mit Blindenstöcken ausgerüstet, treten die Gäste in Räume ein, in denen man die sprichwörtliche Hand vor Augen tatsächlich nicht sieht. Durch die Szenarien führt Pia Fritzsche. Sie ist sehr souverän. Für sie ist die Orientierung kein Problem, sie ist blind. Ihre Stimme wirkt beruhigend, als sie den Ablauf der Tour erklärt. Sie ist zwar weder zu sehen, noch schemenhaft zu erkennen, doch hört und spürt man ihre Sicherheit auch ohne Licht. Auf einmal merkt man, dass es noch zahlreiche andere Möglichkeiten der Wahrnehmung gibt. Man muss sich nur darauf einlassen, stärker mit Nase, Ohren und Haut wahrzunehmen. Die gewohnten Gesetzmässigkeiten sind hier ausser Kraft gesetzt. Souverän auftretende Menschen werden in der Dunkelheit zaghaft und zurückhaltend, bewegen sich gehemmt, wirken fast ängstlich. Der
Sinn für Dimensionen geht verloren, die Orientierung fällt allen schwer. Permanent stolpert man; man muss zusammenhalten und rückt näher zusammen. Fremde vertrauen einander schneller. Die in Alltagssituationen gewohnte Distanz wird aufgegeben. Man hilft sich eher, denn alle sitzen im gleichen Boot.

Im Gänsemarsch geht es durch den ersten Raum: Ein weiches, fluffiges Gefühl unter den Füssen deutet auf Moos hin, die klare, feuchte Luft mit Tannengeruch auf einen Wald. Keiner aus der Gruppe hat ein Gefühl dafür, wie gross der Raum ist und wie er wohl tatsächlich ausschaut. Verloren in Raum und Zeit. Angestrengt hören die Besucher auf die Geräusche: Vogelgezwitscher, irgendwo rauscht ein Bach. Hin und wieder stolpert jemand über einen Baumstumpf und hofft, nicht gleich in den Bach zu fallen. Ein leises Angstgefühl kommt auf, die Angst, hier vergessen zu werden, oder Angst, sich zu verirren.

Nebensächliches wird zentral

In der Ausstellung rücken Nebensächlichkeiten ins Zentrum der Wahrnehmung. Eine leichte Brise, knirschende Kieselsteine, Vögel kündigen den Frühling an, Musik weckt Emotionen. Die Dunkelheit bereichert die Wahrnehmung um ein Vielfaches. Sehen wird über das Nicht-Sehen neu gelernt. Umgekehrt werden sonst wichtige Dinge bedeutungslos. Wie sieht jemand aus? Kann ich mich in dieses Gesicht verlieben? Wie ist das Outfit? Sieht jeder die neue Designer-Hose?

Der Rundgang geht weiter. Der Weg führt auf eine Landschaft. Ohne die blinde Führerin gesehen zu haben, verlässt die Gruppe sich blind auf sie. Es ist nicht wichtig, wie sie aussieht. Nur Worte zählen, frei von Gestik und Mimik. Wie klingt die Stimme, wie kommt sie rüber? Die blinde Frau wird zum Dreh- und Angelpunkt der Gruppe. «Ohne sie würde ich hier nie wieder rausfinden», jammert ein Besucher. Und manch einer, der im
Alltag selbstbewusst und souverän auftritt, bewegt sich sehr vorsichtig durch die Ausstellung, fuchtelt unkontrolliert mit dem Blindenstock herum und fühlt sich nicht wohl in seiner Haut. Der Blick ins Schwarze lässt sehr viel Raum für Phantasie. Stehen hier Dornenbüsche herum? Gibt es Hindernisse? Wilde Tiere? Natürlich gibt es keine wilden Tiere. Im nächsten Raum, im Strassenverkehr, klingt der Gruppe aufgeregtes Hundegebell entgegen. Es kommt vom Tonband. Gott sei Dank. Dazu betäubender Lärm. Es geht den Bordstein hoch und wieder runter, Absätze vor Hauseingängen wirken wie Stolpersteine. Strassenlaternen, Bauzäune, Marktstände stehen den umhertastenden Besuchern im Wege. Das Geräusch von vorbeifahrenden Fahrzeugen erzeugt Beklemmung.

Eine Frage bleibt offen

Wie eine Erlösung wirkt der letzte Raum der Entdeckungsreise: Es ist das Café, samt einer Bar, der sogenannten «UnsichtBAR». Es duftet nach Tee und Kaffee. Die Gruppe darf sich belohnen. Man tastet sich auf die Barhocker. Doch wie bezahlen ohne Licht? Es gibt eine Lösung: Der Barkeeper hat eine Schablone, die ihm bei der Erkennung von Geldscheinen und Münzen hilft. Jetzt gilt es bloss noch, im Dunkeln die Milch in den Kaffee zu giessen, ohne sich dabei zu bekleckern. - Die Stunde verging rasant, obwohl sich die Gruppe nur im Schneckentempo bewegt hatte. Durch einen Vorhang geht’s zurück ins Helle. Das Licht blendet. Die gewohnte Welt hat die Besucher wieder. Eine Frage allerdings lässt den
meisten keine Ruhe: Wie sehen die Räume wohl bei Licht aus?

Dialog im Dunkeln, Alter Wandrahm 4, Speicherstadt, 20457 Hamburg, www.dialog-im-dunkeln.de. Die Ausstellung ist Dienstag bis Freitag von 10 bis 18 Uhr geöffnet. Voranmeldungen werden empfohlen. Buchungen unter (0700) 44 33 2000.

Quelle: Neue Zürcher Zeitung, Internationale Ausgabe,
Freitag, 20. April 2001, Nr. 91, Seite 48

Gruß
Chris

Danke!!!
Viiielen, vielen Dank für die ausführliche Antwort!!

Begeisterte Grüße,
Lena