Trotz Kommunalbrevier noch keinen Durchblick

Seit 25. Mai gehöre ich dem Ortsgemeinderat einer kleinen Gemeinde in Rheinland-Pfalz (ca. 800 Bewohner) an. Mit geht das alles viel zu langsam, was dort geschieht. Daher suche ich jemanden, der rechtlich absolut versiert ist und mir mit Tipps weiterhelfen kann - also so was wie einen Lehrherrn, da ich unsere Gemeinde vorrangig schuldenfrei machen möchte und zusätzlich viel Gutes für diese tun möchte.

Das Kommunalbrevier habe ich schon teilweise genau gelesen, teiweise nur sporadisch gelesen. Aber viele meiner Fragen kann ich von dort nicht als gelöst finden.

Fragen habe ich viele und auch mehr od. weniger gute Ideen. Aber wenn ich nur eine Anfrage starte, wird dies sicherlich nur lapidar beantwortet und danach tut sich trotzdem nichts.

Sind dann Anträge besser? Über diese muss ja entschieden werden?

Oder was genau ist der Unterschied zwischen Anfragen und Anträgen?

Würde mich freuen, wenn hier vielleicht ein Bürgermeister a.D. sich bereit fände, mir gute Tipps zu geben.

Gruß
DLV

Hallo!

Bist Du denn ganz alleine(Einzelkandidat), nicht Mitglied einer Fraktion ?

MfG
duck313

Hallo!

Vorweg: Bin weder Bürgermeister noch Gemeinderatsmitglied, verfolge aber - falls es meine Zeit erlaubt - die Sitzungen des Gemeinderats.

… da ich unsere Gemeinde vorrangig schuldenfrei machen möchte und
zusätzlich viel Gutes für diese tun möchte.

Wer will das nicht. Wer Schulden abbauen will, kann Kosten senken und/oder Einnahmen erhöhen. Die meisten Aufgaben einer Gemeinde sind Pflichtaufgaben. Freie Mittel, um etwas zu gestalten, stehen - wenn überhaupt - nur in geringem Umfang zur Verfügung. Eine 800 Seelen-Gemeinde hat i. d. R. einen Haushalt im unteren bis mittleren 5stelligen Bereich, also etwa in der Größenordnung eines Handwerkers mit zwei, drei Angestellten. Man hat sich um die durch Vandalismus zerstörte Bushaltestelle zu kümmern, um das marode Dach des Kindergartens, Lehrgänge für Mitglieder der freiwilligen Feuerwehr, um die auf Standfestigkeit zu überprüfenden Bäume an der Gemeindestraße und eine Aushilfe für den schon seit Monaten an einem Bandscheibenvorfall laborierenden Gemeindearbeiter. Manchmal geht es auch um übergeordnete Belange, etwa bei der Zusammenlegung von Gemeinden. Nennenswerte Posten, an denen man kürzen könnte, gibt es kaum. Man kann den Zuschuss für die Theatergruppe kürzen und statt das Dach des Kindergartens zu erneuern, kann man mit Flickwerk ein paar Euro im laufenden Haushalt sparen.

Bei den Einnahmen sieht es mit der Manövriermasse nicht viel besser aus. Man kann an den Stellschrauben Grundsteuer A und B sowie an der Gewerbesteuer drehen. Wenn mehr Geld in die Kasse soll, muss man für mehr Wertschöpfung sorgen. Gewerbesteuerzahler müssen her.

Aber wenn ich nur eine Anfrage starte, wird dies sicherlich
nur lapidar beantwortet und danach tut sich trotzdem nichts.

Natürlich tut sich nichts. Schließlich ist eine Anfrage nur die Aufforderung, zu antworten. Das wird die Verwaltung dann auch machen.
http://dejure.org/gesetze/GemO/24.html

Sind dann Anträge besser?

Wenn man für einen Antrag Mitstreiter findet, die es per Abstimmung zum Beschluss kommen lassen, lässt sich auf diese Weise etwas bewirken. Aber man sollte vorher alle Aspekte durchleuchtet haben, insbesondere die finanziellen Folgen. Daran hapert es zuweilen. So manche Gemeinde kam in finanzielle Schieflage, weil dem Bürgermeister die kaufmännischen Kenntnisse fehlten, den Aufsichtsratssitz in der mehreren Gemeinde gehörenden Wohnungsbaugesellschaft mit einer Kontrollfunktion auszufüllen. So sitzen in allen möglichen Gremien - Gemeinderat inbegriffen - lauter ehrbare Leute, aber lauter Laien für die zu beurteilenden Sachverhalte. Nichts gegen Laien, unsere Demokratie funktioniert nun mal nicht anders. Aber diese Laien brauchen die Bereitschaft, sich in spezielle Materie tief einzuarbeiten. Damit niemand mehr auf die Idee kommt, die Kanalisation der Gemeinde zu verkaufen, um sie sodann zu mieten.

Oder was genau ist der Unterschied zwischen Anfragen und
Anträgen?

Siehe oben.

Gemeinderatsarbeit besteht aus Formalismus, zäher Arbeit an vergleichsweise Kleinigkeiten und manchem Interessengeschachere. Der im Gemeinderat sitzende Landwirt wird dir schon was erzählen, wenn du an der Grundsteuer A drehen willst und andere Gruppen fordern, dass sich die Gemeinde endlich mal um diese und jene Straße kümmert.

Gruß
Wolfgang

Hallo, 

genau das ist der Punkt, warum ich der Gemeindevertretung den Rücken gekehrt habe. 

Es dauert alle ewig und fast jeder Gemeindevertreter vertrutt nur seine eigenen Intressen oder möchte sich hervorheben. 

Als ehm. Gemeindevertreter kann ich nur raten sich einen renomierten Mentor vor Ort zu suchen, der die Gegebenheiten im Ort kennt und offen Auskunft erteilt. - Diese Menschen sind zwar rar gesäht aber vieleicht haben Sie Glück (:wink:)

In jeder Gemeindevertretung haben sich eigene Vorgänge entwickelt, die nicht in den Satzungen und Gemeindeordnungen stehen. Ich denke jede Gemeindevertretung handhabt Vorgänge nach eigenem Gutdünken. 

Aber eins ist sicher … jeder schriftliche Antrag eines   Gemeindevertreters, der rechtzeitig eingereicht ist, muss Eingang in die Tagesordnung der Gemeingevertretersitzung finden und beraten werden und im Protokoll erscheinen, damit haben Sie schon mal die eine Menge gewonnen.

Ich wünsche viel Durchhaltevermögen und lassen Sie sich nicht entmutigen !!

Herzliche Grüße

Hallo,
Dir geht das alles zu langsam und Du kennst den Unterschied zwischen Anträgen und Anfragen nicht? Bist Du sicher, dass Du da richtig bist, wo Du sitzt? :wink:

Warum das alles so lange dauert? Du sitzt im „Vorstand“ bzw. bist Teil eines öffentlich-rechtlichen Großkonzerns (naja, bei 800 Einwohnern vielleicht eines mittelständischen Unternehmens :wink:).

Ein Bebauungsplan dauert zwei Jahre, in Lagen mit renitenter oder „politisch gewürdigter“ Bevölkerung fünf bis zehn. Der Bau einer Straße nochmal zwei bis fünf, je nach Klasse (Bund/Land) Jahrzehnte!

Warum? Weil das Planungsrecht solange braucht, weil die Kommunen bzw. „Bauherren“ die VOB/VOL einhalten müssen und das mittlerweile in jedem kleinen Kuhkaff ggf. bis zur EU-weiten Ausschreibung, weil Haushaltssperren und veränderte Rechtsgrundlagen den Bau verzögern oder die Besetzung von Planstellen verhindern usw usw. Das gleiche gilt für den Bau von Schulen, Freibädern, Büchereien, Verwaltungsgebäuden usw usw. . Praktiker werden da gnadenlos ausgebremst, wenn sie nicht ein Kreuz so breit wie eine Bundesstraße haben :wink:.

Stell nur Deine Anträge und Anfragen :wink: Je nach Einfluss Deiner Partei sorgst Du selbst dafür, dass eine zuvor gefällte Entscheidung der Politik oder der Verwaltung damit um zwei Sitzungsperioden deines Gremiums in Zweifel gezogen wird. Die erste Periode vergeht, weil dank der üblichen Gemeindeordnungen es locker vier Wochen dauern kann, bis Deine Anfrage „beglaubigt und ausgefertigt“ auf dem Schreibtisch des Beantworters landet und die zweite, um die Antwort auch formgerecht zu platzieren! Dafür gilt es dann noch sämtliche Schulferien (!) einzuhalten, in denen die Gremien nicht tagen und ggf. noch diverse Parteimitglieder, die in der Verwaltung sitzen, nicht vor den Kopf zu stoßen und die Beantwortung entsprechend vorabzustimmen. Es ist wesentlich einfacher, sog. kleine Anfragen an die Verwaltung direkt zu richten, wenn man als Mandatsträger etwas einfach nicht weiß oder nicht versteht. Das ist legitm! Es ist viel schlimmer, durch schlecht gestellte Anfragen seine eigene Unkenntnis zu veröffentlichen.

Ich kann Dir nur den Tipp geben, Dir alte Hasen in Deiner direkten Umgebung zu suchen , sich mit denen gut zu unterhalten und Dich gut zu vernetzen. Andernfalls droht Dir das Schicksal eines „Klassenkaspers“.

Gruß vom
Schnabel

Tja, Kommunalrecht erscheint nach meinen kommunalen Erfahrungen den Gemeinderäten oft als eine langwierige und zerrige Angelegenheit.
Aber so sind „demokratische“ Verfahrensweisen. Du bist als gewählter  Gemeinderat stellvertretend und repräsentativ für einen Teil der Bürger deiner Gemeinde und „ehrenamtlichwer Verwalter“  der Gemeinde. Die Auffassungen und Meinungen der Bürger der Gemeinde sind nun mal soooo unterschidlich. In den Entscheidungen des Gemeinderates muss in der Vielzahl von Auffassungen meist ein Kompromiss gesucht werde. Und die Suche nach diesem Kompomiss ist oftmals Aufwendig und Zeitintensiv. Das sollte man aber der Demokratie wegen ertragen. Wer die Diktatur kennt, weiß das (trotz der zerrigen Verfahrenswege von demokratischen Mehrheitsentscheidungen) zu schätzen. Die Entscheidungen gehen da zwar rats-batz, sie trifft in der Regel ein Einzelner oder eine eine kleine „Klicke“. Ist das etwa besser?

Es gibt kein Generallehrbuch oder Generaltipps für diese Prozesse.

Eine Anfrage stellst du, wenn du Aufklärung, Wissen, Begründungen o. ä. in  einer Angelegenheit von der hauptamtlichen Verwaltung benötigst.

Einen Antrag stellst du, wenn du einen konkreten Vorschlag hast, der zur Abstimmung gestellt wird und bei Stimmenmehrheit umgesetzt werden muss.

Ich möchte dir Mutmachen, weite rbei der Stange zu bleiben. Du hast doch das Vertrauen derer, die dich gewählt haben und solltestsie nicht durch „Flucht“ enttäuschen.

Hallo,
daß du dich im Ortsbeirat arrangieren willst ist zwar zu begrüßen, aber in diesem Gremium kannst du nicht allzu viel bewegen. Der Ortsbeirat ist letztlich beratend!! tätig und das auch nur, was seinen Ortsteil betrifft. Seine Anträge und Beschlüsse haben keinerlei bindende Wirkung.
Der Vorteil ist, daß du persönlich viel lernst über die Abläufe in der Verwaltung deiner Gemeinde. Du kannst zwar auch einen Antrag einbringen, aber entscheiden tut letztlich die Gemeindevertretung, bzw. der Gemeinderat.
Du mußt auch sehr viel lernen und dich vor allem beschäftigen, mit der Gemeindeordnung und dem Haushaltsplan. Das ist das Allerwichtigste und wird aber leider von den meisten Hobbyprovinzpolitikern nicht verstanden wird.

Ich war über 2 Jahrzehnte in allen Gremien aktiv tätig. Am frustrierenden war es im Ortsbeirat, wobei ich als Ortsvorsteher den größten Erfolg hatte, wenn ich die Medien eingeschaltet habe. Veröffentlichungen in Presse, Rundfunk und Fernsehen scheuen die Entscheidungsträger, wie der Teufel das Weihwasser.

Du kannst z.B. auch ein Verbesserungsvorschlagswesen, oder einen „Kummerkasten“ vorschlagen, obwohl das schon über deinen Ortsteil hinausgeht. Damit hätten dann alle Bürger die Möglichkeit Verbesserungen vorzuschlagen. Der Bürgermeister wird so etwas aber auch nicht gerne hören, weil das „Kritik“ und „Arbeit“ bedeutet.

Viel Ergfolg!

Hallo DLV,

erst jetzt eine Antwort da ich im Urlaub war.
Du hast vor Änderungen einzubringen die sich positiv auf die Gemeinde auswirken soll, wenn ich das richtig verstehe.
Da ihr eine eigene Gemeidevertretung habt, ich gehe davon aus, muß zuerts  für jedes Vorhaben eine Mehrheit vorhanden sein. Änderungen müssen im Enklang mit der GVO stehen. Weiterhin ist zu beachten inwieweit der zuständige Kreis involviert ist.
Konkret sind Anträge immer besser wenn erreicht werden soll das diese umgesetzt werden sollen. Dafür bedarf einer Formulierung die das auch zuläßt, bei finanziellen Dingen muß z.t. auch erläutert werden wie das finanziert werden soll. Aus dem lfd. Haushalt, in einer Rücklage für später oder gar einen Nachtragshaushalt.
Anfragen sind sinnvoll um Informationen und Reaktionen auszuloten. Darauf aufbauend kann natürlich auch ein Antrag inhaltlich besser dargestellt werden.

Ein Bürger kann keine Anträge stellen, das geht nur über eine Fraktion in der GV. Aber es besteht evtl. die Möglichkeit an einer Fraktionssitzung teilzunehmen und dort seine Ideen vorzutragen. Das ist abhängig von der jeweiligen art wie die Fraktionen damit umgehen.

MfG

nein, dafür ist der Ort zu klein, also fast wie eine Familie. manche ratsmitglieder sind nur drin, weil kein anderer da war und haben auch nur selten fragen.

Mein Dank gilt Wolfgang und Antje! Und andere folgend sicher, sobald ich weiterlese!

An Antje: Ich habe ein Durchhaltevermögen, an dem sich unser BM seine Zähen ausbeißen wird!

Hallo Schnabeltasse!

Das hilft mir sehr weiter:

„Es ist wesentlich einfacher, sog. kleine Anfragen an die Verwaltung direkt zu richten, wenn man als Mandatsträger etwas einfach nicht weiß oder nicht versteht. Das ist legitm!“

Das hier auch: „Es ist viel schlimmer, durch schlecht gestellte Anfragen seine eigene Unkenntnis zu veröffentlichen.“

Das hier teilweise: „Ich kann Dir nur den Tipp geben, Dir alte Hasen in Deiner direkten Umgebung zu suchen , sich mit denen gut zu unterhalten und Dich gut zu vernetzen.“
Denn in solchen Dörfern hängen gerade die alten Hasen zusammen und sind eine Clique. Aber ich weiß, was Du
meinst und habe auch schon einen alten Hasen gefunden, der nichts mit dem Dorf zu tun hat.

Ach ja: "Andernfalls droht Dir das Schicksal eines „Klassenkaspers“.
Genau das kenne ich seit meiner Jugend und konnte gerade deshalb meine Ideen durchsetzen, weil man dann vollkommen unterschätzt wird :wink:

LG
DLV

Danke Beneke! Bei uns im Dorf wird das wohl so hinauslaufen, dass jeder Antrag, den ich stellen würde, egal wie gut er ist, vom Bürgermeister abgewimmelt wird mit irgendwelchen Begründungen und da wir Ratsmitglieder haben, die gar keine Lust auf dieses Amt hatten, sagen die zu allem Ja und Amen …

Aber Deine Definitionen hatte ich eigentlich schon gewusst, bin ja kein Dummerchen. Aber manchmal braucht man auch noch jemanden, der das eigenen Wissen bestägigt.

Danke nochmal!
DLV

Wow! Danke Bernst!
Ich glaub, genau diese Tipps habe ich gesucht, neben den vielen Ideen der anderen Schreiber! Darf ich Deine Email-Adresse haben? meine ist [email protected]

Das mit der Presse habe ich geahnt und kenne mich sehr gut damit aus!
Und die Idee mit dem Kummerkasten würde ich sofort wahrnehmen, zumal ich mitten im Ort wohne!.
Ein Bürgermeister hat auch das Recht zu delegieren. Unserer fährt lieber mit dem Dienstwagen in Urlaub.

LG
DLV

P.S. Falls wir tatsächlich privat per Mail od. Telefon in Kontakt sein dürften, erzähle ich gerne mehr.

Vielen lieben Dank! Aus den vielen Antworten habe ich schon viel gelernt und werde hoffentlich bald ein noch würdigerer Gemeindevertreter sein! Denn ich bin es gern und nicht nur, weil man mich gewählt hat!

LG
DLV