Hallo Karl,
bevor ich näher auf deine Frage eingehe, muss ich ein bisschen ausholen und erklären, wie ich die Bibel im Großen und Ganzen sehe.
Die allermeisten Geschichten der Bibel, handeln m. E. einfach von Erfahrungen, die Menschen in ihrem Leben gemacht haben. Und damit meine ich grundlegende, ganz grundsätzlich menschliche Erfahrungen. Denn so eine Geschichte hat ja nicht einer erlebt und dann direkt aufgeschrieben. M. M. n steckt darin so eine Art „Kollektivwissen“.
Also zuerst ist da die Erfahrung und aufgrund dieser Erfahrung, werden natürlich auch Schlüsse gezogen, wie Gott wohl ist. (Wobei diese Schlüsse sehr damit zusammenhingen, was derjenige eh schon für ein Gottesbild hatte.) Um die Erkenntnisse aus diesen Erfahrungen weiterzugeben, wurden Geschichten erfunden, die dieses „Wissen“ transportieren sollten.
Wenn ich mir nun mit diesen Annahmen die Erzählung über den Turmbau zu Babel ansehe, denke ich zuerst einmal, dass hinter dieser Erzählung, die Erfahrung steckt, dass es negative Auswirkungen haben kann, wenn man immer mehr erreichen will, größer, schneller, weiter, höher, besser. Diese Hybris, dieser Größenwahnsinn hat unter Umständen etwas Schlimmes zur Folge. (Ich kann mich grade nicht so recht reindenken, warum sie diese schlimmen Folgen mit Sprachverwirrung und Zerstreuung beschreiben. Das hat m. E. auch einen „tieferen Sinn“.) Das ist also eine ganz reale Erfahrung, die hinter dieser Geschichte steckt und die auch heute noch immer wieder gemacht wird.
Nun taucht in dieser Geschichte aber eben auch noch Gott auf. Die Menschen haben diese Erfahrung (wie wahrscheinlich auch alle anderen) mit Gott in Verbindung gebracht. Gott ist der, der für diese negativen Folgen „verantwortlich“ ist. Gott ist der, der verhindert, dass der Mensch immer noch mehr und noch mehr erreichen kann. Warum er das verhindert, kann uns die Geschichte eigentlich nicht direkt sagen. Ein klein wenig gibt sie uns vielleicht Einblick, was der Autor denkt, warum Gott das verhindert. Manche leiten daraus vielleicht auch ab, dass es auch so sein muss wie der Autor glaubt. Meistens hängt es aber sehr stark von unserem ganz persönlichen Gottesbild ab, was wir glauben, warum Gott den Turmbau verhindert.
Mir scheint, dass deine Interpretation, Gott verwirre und zerstreue die Menschen deshalb, weil er quasi Angst vor Machtverlust hat, schon irgendwie in der Geschichte mitschwingt. Daraus wird vor allem deutlich, dass es diese Vorstellung von einem machtbesessenen, egoistischen Gott, eben gab (und gibt). Und es gibt die Vorstellung von einem missgünstigen Gott, der den Menschen ihren Erfolg nicht gönnt (ganz ohne Angst vor Machtverlust).
Dass Christen an einen liebenden Gott glauben (sollten), ist allgemein bekannt. Nun könnte man meinen, dass Menschen, die an einen liebenden Gott glauben, solche Geschichten, die scheinbar von einem machtbesessenen und/oder missgünstigen Gott erzählen, eigentlich als Unsinn verwerfen müssten. Ich hoffe, mit meiner obigen Erklärung, ist deutlich geworden, warum ich das nicht glaube.
Nebenbei möchte ich noch einen Gedanken loswerden, der aber zugegebenermaßen noch nicht ganz ausgereift ist. Ich glaube, dass man auch die Idee von der Angst Gottes vor Machtverlust, „sinnvoll“ (also ohne an einen regelrecht machtbesessenen Gott glauben zu müssen), interpretieren kann.
Im Christentum gibt es ja die Idee, dass es gut ist, bzw. zum Heil/zur Erlösung führt, wenn der Mensch immer mehr „von Gott ausgefüllt“ ist. In diesem Sinne könnte man sich tatsächlich vorstellen, dass Gott „Angst“ davor hat. Aber nicht Angst um sich, also um seine Macht, sondern Angst um uns und unsere Erlösung. (Sofern man diese Unterscheidung überhaupt treffen kann…)
In Bezug auf Elis Antwort hier im Thread, möchte ich noch kurz erwähnen, dass ich meine Gedanken zum christlichen Verständnis nicht so verstanden wissen möchte, als würde ich das als „christliche Erfindung“ ansehen. Ich möchte überhaupt nicht ausschließen, dass das auch schon im Judentum so oder so ähnlich verstanden wurde. Ich rede nur deshalb vom christlichen Verständnis, weil ich das am besten kenne.
Gruß
M.