Sehe ich etwas anders. Ich habe mir überlegt, ob ich mir die Debatte live anschauen soll, hab es mir dann aber anders überlegt. Das war eine meiner klügeren Entscheidungen
Ich hab sie mir jetzt auf YT angeschaut und bin ehrlich gesagt wenig überrascht. Trump hat sich genau eine Frage lang an die Regeln gehalten (man lässt den jeweils anderen 2 Minuten lang ausreden) und legte sich auch sofort mit dem Moderator an. Meine Vermutung: Trump hat sofort gemerkt, dass Biden deutlich stärker auftritt, als die GOP dies ihren Wählern weiß gemacht hat. Plötzlich war für jeden ersichtlich, dass Biden einen klaren Verstand hat und problemlos komplexe Antworten auf Fragen geben kann. Für die GOP der (zu erwartende) Super GAU.
Trump wechselte dann die Taktik und spielte die Rolle, die er am besten kann: Die eines pausenlos lügenden Rabulisten. Biden hatte trotzdem ein paar starke Momente, zB als er über die Drogensucht seines Sohnes sprach oder über die Leere, die die Coronatoten bei ihren Familien hinterließen. Überhaupt suchte er oft die Kamera und sprach die Seher direkt an und imho war er in diesen Phasen am stärksten. Das ist aber keine Überraschung, denn gerade das ist seine Stärke (sonst ist er als Debatierer eher meh).
Bei Trump hingegen bleibt eigentlich nur eine Szene hängen, nämlich als er die rechtsextremen Organisation Proud Boys dazu aufforderte, sich bereit zu halten.
Gewinner ist wie zu erwarten Joe Biden. Die GOP hat die Latte so niedrig gelegt, dass er sich schon besonders hätte anstrengen müssen, um hier zu enttäuschen. Außerdem war Trump bei den meisten Themen (Coronanvirus, Wahlintegrität, Wirtschaft und Rassenunruhe) in der Defensive. Trump ist insofern der große Verlierer, als dass er in den Debatten unbedingt punkten muss. Er liegt im Schnitt 7 Punkte hinter Biden und verliert auch in den meisten Battlegrounds. Der Status Quo nutzt also Biden bei weitem mehr als Trump und dank dessen Auftritt dürften bei der nächsten Debatte weniger Zuschauer einschalten, was wiederum schlecht für Trump ist. Ja, bei seinen Anhängern hat ihm der Auftritt eher nicht geschadet, aber 30% aller Wähler sind (zumindest dem Namen nach) Unabhängige und die dürften das dann doch etwas anders sehen.
Auch die Umfragen zu der Debatte sprechen eine deutliche Sprache und ich kenne keine einzige Umfrage, die Trump als Gewinner sieht. Die für mich interessanteste Grafik dazu kam von CBS:
Hier ging es also um die Erwartungshaltung der Wähler und während Biden hier mit Netto +6 zumindest positiv aussteigt sind es bei Trump -18. Ein Desaster!
Abschließend vielleicht noch der Hinweis, dass diese Debatten vermutlich wenig Auswirkung auf die Umfragen bzw. die Wahl haben werden, da nur etwa 10% der Wähler noch unentschlossen sind. Zum Vergleich: 2016 waren es ca. 21%.