Hallo,
Für den von mir angesprochenen Bereich eignet sich Wikipedia
nicht wirklich, denke ich, daher frage ich ja hier im
Kompetenznetzwerk, von dem ich eine stärker Nähe zur
Wissenschaft erwarte und auch erlebt habe.
… und dann antwortet Dir auch tatsächlich eine Religionswissenschaftlerin, Glückwunsch. Übrigens durchaus zutreffend, auch wenn Dir die Antwort nicht passt. Das klassische ‚schamanistische‘ Evolutionsmodell - so, wie Du es in Deiner Frage zusammenfasst:
immer wieder findet sich die Behauptung, dass der Schamanismus als Vorläufer der Religionen gesehen wird.
[…]
Frage also: Ist eine derartige Vorstellung zum Übergang vom Schamanismus zur Religion wissenschaftlich haltbar oder bleibt es eine nicht nachweisbare Behauptung?
- ist in der Religionswissenschaft definitiv überholt und vor allem aufgrund der einschlägigen Feldforschung seit Mircea Eliades ‚Schamanismus und archaische Ekstasetechnik‘ nicht mehr haltbar. Was natürlich keineswegs der Tatsache widerspricht, dass es häufige Querbezüge (in beiden Richtungen!) zwischen diversen Religionen und Praktiken / Techniken des schamanistischen Formenkreises gibt - @Karl2: es beruht bestenfalls auf einer nur oberflächlichen Lektüre ihres Postings, Kate zu unterstellen, sie würde dies in Abrede stellen.
Dass Du stattdessen die Antwort eines notorischen Schaumschlägers und Bluffers vorziehst, steht zu Deinem Anspruch in einem unübersehbaren Widerspruch. Spätestens bei der steilen These über religiöse Riten als instinktbasiert und dem besonders schrägen Verweis auf das Sexualverhalten von Bonobos als Analogie müsste selbst einem blutigen Laien klar werden, dass da blanker Unsinn verzapft wird.
Das einzige, was an Chans Posting ernstzunehmen ist, ist der Verweis auf Lewis-Williams, der tatsächlich versucht, das evolutionistische Modell - allerdings in stark modifizierter Form - teilweise zu rehabilitieren. Dazu ist jedoch vor allem anzumerken, dass der von ihm postulierte ‚paläolithische Schamanismus‘ nicht mehr als eine hochspekulative Theorie ist. Zum einen beruht diese Theorie vor allem nicht auf Beweisen (das kann sie auch gar nicht), sondern auf einer weitgehend subjektiven und nicht empirisch verifizierbaren Deutung von Artefakten (überwiegend Felszeichnungen), zum anderen bleibt völlig unklar, wie dieser hypothetische ‚paläolithische Schamanismus‘ von magischen, animistischen oder totemistischen Systemen usw. abzugrenzen wäre. Was wiederum Voraussetzung für ein ethnographisches oder anthropologisches Standardmodell von Schamanismus und damit für die Einordnung bestimmter Phänomene als ‚schamanistisch‘ ist. D.h. dass der sog. paläolithische oder prähistorische Schamanismus ebenso an einer Begriffsunschärfe leidet (wenn man das nicht als Begriffsmissbrauch bezeichnen will) wie der schon im 19. Jahrhundert postulierte (und längst aufgegebene) prähistorische Animismus und ebensowenig wie dieser mit einem real existierenden und ethnografisch beschriebenem Schamanismus bzw. Animismus gleichzusetzen ist. Lewis-Williams argumentiert durchaus überzeugend dafür, dass bestimmte schamanistische Praktiken und Techniken bis weit in die menschliche Frühgeschichte zurückgehen - ein „schamanistisches System“ (vgl. dazu Kates Posting) in prähistorischer Zeit nachzuweisen, daran muss er zwangsläufig scheitern. Das ist nicht einmal mehr Theorie, sondern nur Hypothese.
Erst recht ist es ein unmögliches Unterfangen, historisch nachweisbare Religionen aus solch einem postulierten prähistorischen Schamanismus abzuleiten - und soweit ich das übersehe, versucht dies Lewis-Williams auch gar nicht. Solche - notwendigen - Differenzierungen liegen unserem Generalisten und Hobbyreligionswissenschaftler freilich fern. Dir rate ich, an Deiner Medienkompetenz etwas zu arbeiten.
Freundliche Grüße,
Ralf