Hallo Ge-es,
wenn ich es so einfach sagen darf, haben wir in uns zwei Systeme für die Verarbeitung von Informationen und fürs Handeln: Gefühl und Denken. Jedes für sich hat seine Schwächen und Stärken, und beide müssen einander ergänzen, damit ein Mensch etwas weiterbringen kann und im Fluß des Lebens bleibt.
Die Gefühle sind schon etwas sehr altes. Du brauchst vielleicht lange, bis Du etwas fertiggedacht hast, mit dem Denken zu einem Ergebnis kommst. Im Vergleich dazu treten Gefühle praktisch sofort auf. Du brauchst vielleicht lange, um einem anderen Menschen etwas mit Worten zu erläutern. Ein zum Ausdruck gebrachtes Gefühl teilt sich im Verhältnis dazu sofort mit. Sodaß die Kommunikation viel flüssiger wird.
Man hat herausgefunden, daß Menschen, denen die Gefühlswahrnehmung abhanden gekommen ist (z. B. durch Hirnverletzungen), unendlich lange brauchen, um Entscheidungen zu treffen. Der Verstand ist nicht beeinträchtigt. Aber es fehlen zu den Entscheidungsalternativen die gefühlsmäßigen Bewertungen. Der Verstand muß dann in unerhört aufwendiger Kleinarbeit des Abwägens aller Für und Wider versuchen, die Alternativen zu bewerten und danach eine Entscheidung treffen. Siehe Damasio, Descartes’ Irrtum. Wir davon nicht Betroffene können eine große Abkürzung nehmen, indem wir rechtzeitig auf Gefühle z. B. im Bauch achten (somatische Marker), die uns zu einer Entscheidungsalternative hinziehen.
Ich kehre zum vorletzten Absatz zurück, zur Kommunikation, die durch den Ausdruck von Gefühlen um vieles fließender wird. In Deinem kurzen Posting sagst Du, man würde Dir vorwerfen, Du zeigtest zu wenig Gefühl. Könnte es sein, daß man Dir eine zu schleppende Kommunikation vorwirft, wortreich vielleicht und trotzdem nicht wirklich lebendig? Vorwürfe sind auf der anderen Seite Forderungen - hier die Forderung nach mehr Lebendigkeit im Austausch. Irgendwie eine paradoxe Forderung, nicht gut zu erfüllen.
Das komplementäre Verhältnis von Gefühl und Verstand ist, finde ich, gut in dem antiken Gleichnis vom Wagenlenker dargestellt. Der Streitwagen wird von mehreren Pferden gezogen (sie symbolisieren die Gefühle, in alter Diktion „Leidenschaften“), der Lenker (Verstand) hält die Zügel in seiner Hand und hat die Aufgabe, die Pferde in die gewünschte Richtung zu lenken. Tut er das nicht, oder kann er das nicht, dann machen die Pferde, was sie wollen, laufen bald hierhin, bald dorthin, durcheinander und in verschiedene Richtungen, bis der Wagen stürzt. Wie einfach wäre es, wenn man die Gefühle abtöten könnte, damit der Verstand dann ungestört von ihnen funktionieren kann! Aber wenn die Pferde tot sind, können sie nicht den Wagen ziehen, und der Wagenlenker kommt ohne die Pferde nicht von der Stelle.
Grüße,
I.