Lieber Bango!
Ich finde im Internet nichts Gutes und in meinen Büchern wird
immer nur kurz darauf hingewiesen. Ich will nur grob wissen,
was genaus diese These sagen will.
Es gibt ne Menge guter und knapper Aufsätze zu Becks Individualisierungsthese, z.B.:
Beck-Gernsheim, Elisabeth (1994): Individualisierungstheorie: Veränderungen des Lebenslaufs in der Moderne, in: Keupp, Heiner (Hrsg)(1994): Zugänge zum Subjekt. Perspektiven einer reflexiven Sozialpsychologie, 2.Aufl., Frankfurt am Main: Suhrkamp, S.125-146
oder
Beck, Ulrich: Jenseits von Klasse und Stand) In: Kreckel, R. (Hg), Soziale Ungleichheiten. Sonderband 2 der Sozialen Welt, Göttingen 1983, S. 35-74
Wenn man einen davon nur kurz überfliegt, kann man Becks Grundthese der Individualisierung leicht erfassen, sie ist ja eigentlich überaus simpel.
Ich nehme an, du bist Student … die angegebenen Werke sind in jeder Unibibliothek verfügbar.
Kann mir jemand das Individualisierungstheorem von Urlich Beck
Das Buch
„Risikogesellschaft“ soll dies zwar erklären, aber ich will
nicht das ganze Buch lesen, nur um grob zu wissen um was es
geht…
Die „Risikogesellschaft“ behandelt sehr viel mehr als das „Individualisierungstheorem“ im engeren Sinne.
Auf S. 206f. in meiner Ausgabe findet sich das allgemeine „Individualisierungstheorem“, das ich kurz referiere (und in Klammern mit Beispielen zur besseren Verständlichkeit versehe).
- „Individualisierung“ im allgemeinen Sinne ist ein langer Prozess, der schon im Mittelalter ansetzt, und gekennzeichnet ist durch folgende drei Dimensionen, die als Einheit zusammengehören, damit „Individualisierung“ nicht bloß als „Befreiung“ (Dimensionen 1+2) missverstanden wird:
-
Freisetzungsdimension: Herauslösung aus vorgegebenen traditionalen Mustern der Herrschaft (z.B. Freisetzung von der Abhängigkeit vom Feudalherren)
-
Entzauberungsdimension: Verlust von traditionalen Sicherheiten und Normen (z.B. musste irgendwann der Sohn eines Bäckers nicht mehr zwingend selbst Bäcker werden, wie dies in der ständischen Ordnung noch vorgesehen war, oder: Verlust des festen Glaubens, Untergang des mittelalterlichen Weltbildes, wo jeder seinen vorgegebenen Platz hat, usw.)
-
Reintegrationsdimension: sofortige Wieder-Einbindung ins Sozialgefüge auf neuartige Weise (z.B. kann nun der Bäckerssohn theoretisch alle möglichen Berufe ergreifen, er muss aber dann doch den ergreifen, den ihm der Arbeitsmarkt erlaubt, oder: der vom Feudalherren freigesetzte Bauer ist nun als Fabrikarbeiter unmittelbar vom Fabrikbesitzer abhängig; es verändern sich also die Arten der Zwänge, nämlich in Richtung „mehr Zwang unmittelbar aufs Individuum gerichtet", nicht mehr auf eine bestimmte Klasse, Stand, Religionsgemeinschaft, deren Teil das Individuum ist, aber es fällt natürlich nicht der Zwang als solcher weg).
–> das ist das Grundmodell des Individualisierungstheorem (wie es Becks Worten zu Folge u.a. bei Elias, Weber und Marx auffindbar ist), das Beck dann auch auf das 20. Jahrhundert anwendet, und z.B. zeigt, wie die Frauen von ihrer Rolle als Hausfrauen freigesetzt werden, dafür in den Arbeitsmarkt eingebunden werden oder auch vom „Patriarchen Wohlfahrtsstaat“ nun rumkommandiert werden, wie die kollekive Bewusstseinslage „Klasse“ verschwindet, wie die Zugehörigkeit zu den Kirchen unbedeutender wird, wie die Form der Kleinfamilie optional wird, indem sich Alternativen dazu (z.B. WGs) etablieren, wie die Normalbiographie (Schule->Lehre->50 Jahre Arbeit->Rente) plötzlich ganz wild wird (Schule->Ausbildung->Arbeit->Ausbildung->Arbeit->Arbeitslosigkeit->Ausbildung->…), usw.
Alles wird immer mehr optional, man muss immer mehr Entscheidungen treffen, die eben „Risiken“ enthalten (nämlich das Risiko, falsch zu entscheiden), während früher so viel mehr einfach vorgegeben war.
Und der Trend der Gesellschaftsentwicklung ist eben der, dass diese Entscheidungen und ihre Risiken immer mehr auf das Individuum zurückfallen, immer weniger auf dessen objektive Lage im Sozialgefüge (Klasse, Schicht, Religion, Geschlecht, usw.)
Heute kann keine Frau mehr ihre Tätigkeit als Hausfrau damit begründen, sie sei halt eine Frau (bzw. gab es damals noch gar keinen Anlass, diese Selbstverständlichkeit überhaupt begründen zu müssen), sondern sie muss begründen, warum sie sich so und nicht anders entschieden hat, und sie hat die Konsequenzen ihrer Entscheidungen zu tragen, die vor der Wahl eben als „Risiken“ ins Bewusstsein kommen („wenn ich zustimme, den Haushalt zu führen, kann passieren, dass ich bei einer Scheidung mit nichts dastehe …“).
–> das waren nun wohl so ziemlich die Grundzüge von Becks Individualisierungstheorem.
Es bleibt noch der Hinweis, dass dieses Aufkommen von mehr Wählbarkeit nicht als „Befreiung“ misszuverstehen ist, sondern so, dass das Individuum bei seinen Wahlen selbstverständlich starken Zwängen ausgesetzt ist, und keinesfalls zwangfreie Entscheidungen treffen kann, dass aber das Individuum prinzipiell auch hätte anders entscheiden können, und dass es deshalb für seine Entscheidung voll verantwortlich gemacht werden kann bzw. sich rechtfertigen muss, z.B. Freunden gegenüber, aber auch der Rentenkasse gegenüber, usw.
Es entsteht also immer mehr ein „Individuumsprinzip“ bzw. ein „Selbstverantwortlichkeitsprinzip“, und, so die These Becks, eben im 20. Jahrhundert zunehmend, weil es nun endgültig zum Massenprinzip wird, während es in den früheren Jahrhunderten nur in den Oberschichten Aristokratie bzw. oberes Bürgertum in vollem Umfang institutionalisiert war.
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