Servus,
da sich bisher noch kein richtiger Fachmann zu Wort gemeldet hat, hier ein paar nicht ganz so fachmännische Ansätze von mir, die vielleicht als Grundlage für weitere Recherche dienen können. Man kommt, wenn man sich mit der sozialwissenschaftlichen Bedeutung von Wasserwirtschaft beschäftigen will, kaum um einen historischen Ansatz herum:
Entwässerung dient der Gewinnung von landwirtschaftlich nutzbarem Land an flachen Küsten, wo „Landgewinnung“ durch Eindeichen möglich ist, in breiten Flusstälern und in Mooren (und genereller feuchten bis nassen Gebieten, wo kein starkes natürliches Gefälle ist). Sekundär hat Entwässerung auch Bedeutung im Zusammenhang mit Bewässerung, soweit der Wert der Bewässerung weniger in der Zufuhr von Wasser, sondern in der Erwärmung und im Eintrag von Kalium von Laub liegt, außerdem in der Nutzbarmachung von Torflagerstätten in Hochmooren. Und außerdem ist Entwässerung auch wichtig zur Bekämpfung von Malaria bzw. der Einschränkung des Lebensraumes der Anopheles-Mücken, die für ihre Übertragung wichtig sind. Noch im 19. Jahrhundert gab es in Deutschland Malariaherde in der Gegend südlich von Karlsruhe und südöstlich von Ulm.
- Eine erste systematische Ausweitung des landwirtschaftlich nutzbaren und damit bewohnbaren Landes gab es im 12. Jahrhundert. Damals wurden in großem Umfang die bis dahin nicht besiedelten, weil wenig fruchtbaren Buntsandsteinböden in den Mittelgebirgen durch Rodung von Wald urbar gemacht, gleichzeitig gab es die ersten systematischen Eindeichungen und Entwässerungen an der Nordseeküste und Besiedlung von Mooren.
Schon etwa hundert Jahre später, etwa ab Mitte des 13. Jahrhunderts, führten die Fortschritte in der Ackerbautechnik (u.a. Verbreitung von eisernen Geräten wie Pflugscharen und auch schon Eggen und Werkzeugen) und die enormen Produktivitätsfortschritte im Handwerk im Zusammenhang mit den frühen Städten und der damit verbundene Bedarf an nicht-landwirtschaftlicher Arbeitskraft dazu, dass die Rodungssiedlungen im Buntsandstein in großem Umfang wieder aufgegeben wurden („Wüstungen“).
Wenn jetzt ein Grundherr Bauern auf wenig dafür geeignetem Land halten wollte, ging das nur, wenn diese auch selber etwas davon hatten. In der Regel waren das ermäßigte oder ganz wegfallende Abgabenlasten, aber auch Duldung der „alten Rechte“ aus dem frühen Mittelalter auf eine relativ weiter gehende Selbstverwaltung, eigene Gerichtsbarkeit der Dörfer und dergleichen. Eine Quelle der Schweizer Eidgenossenschaft dürfte diese relativ weiter gehende Autonomie gewesen sein, die den Bauern in dem kaum bewirtschaftbaren Gebiet gelassen wurde, das wegen des Zugangs zu den wichtigen Alpenpässen und der Versorgung entlang der Passstrassen nicht wüst fallen sollte.
Es bietet sich aber kein einheitliches Bild: Einerseits fand die konsequenteste Umsetzung der Leibeigenschaft im Spätmittelalter im Sinn einer Degradierung der Bauern zu bloßem Zubehör von Grund und Boden in den „Kornkammern“ statt, während Bergbauern, Moorbauern und vor allem die Bauern an der Nordseeküste in einigem Umfang die „alten Rechte“ wahren konnten. Andererseits liegen aber auch Schwerpunkte des misslungenen Bauernaufstandes 1525 in Gebieten, deren Bauern damals als Getreide- und Flachsproduzenten trotz Leibeigenschaft mit allen Konsequenzen ein noch erträgliches leben führen konnten: Oberschwaben, Tauberfranken, Thüringen.
Viel später wurde die Idee der Gewinnung von nutzbarem Land und damit Siedlungsraum durch Entwässerung noch einmal wichtig, das war am Anfang des 19. Jahrhunderts. Entlang des vor der Tulla-Begradigung noch weit mänandrierenden Oberrheins wurde versucht, Land zu gewinnen; das heutige Aussehen früherer Moorlandschaften wie z.B. des Teufelsmoors zwischen Bremen und Bremervörde stammt aus dieser Zeit, auch die „Fällung“ des Federsees, die seine Oberfläche auf etwa die Hälfte reduzierte, und die Gründung von Wilhelmsdorf in Oberschwaben, eines der (abgesehen von Braunkohletagebaugebieten) letzten in D neu gegründeten Orte.
Diese Projekte von Urbarmachung und „innerer Kolonisation“ waren in der Regel eher Misserfolge; dass Entwässerung allein nicht von heute auf morgen Moor in Nutzland verwandeln kann, war zu jener Zeit nicht bekannt. Ein gelungenes Projekt dieser Art kann man an den südlichsten Ausläufern der Vogesen auf dem „Plateau des Mille Etangs“ in der Nähe von Lure beobachten: Dort konnten sich die mit systematischer Entwässerung und Teichwirtschaft geschaffenen Siedlerstellen in großem Umfang halten, es ist heute ein interessantes Bild, wenn man sich die Höfe anschaut, die Mitte des 19. Jahrhunderts nach einem Einheitsplan gebaut wurden, und die später genau so einheitlich dazu gekommenen Schulhäuser und Mairies. (Nebenbei: In einem dieser Einheitsschulhäuser, bei Mélisey, sind heute zwei von der Gemeinde Mélisey betreute und vermietete Ferienwohnungen drin - ein Platz, den ich Dir warm ans Herz lege).
Die letzten Projekte, die im Rahmen des Traums von der „inneren Kolonisation“ durch Entwässerung von Moor- und Sumpfgebieten entstanden sind, sind finstere Kapitel der Geschichte: Die Emslandlager und das KL Dachau in Deutschland und die Maremma-Lager in der Gegend von Grosseto in Italien.
Nach all diesem Sermon bin ich nicht recht sicher, ob Deine Frage eigentlich überhaupt in diese Richtung zielte. Interessierst Du Dich vielleicht eher für die technische Bedeutung von Entwässerungsmaßnahmen im Landbau? Wenn ja, frag lieber noch einmal nach, gerne auch mit ganz konkreter Zielrichtung. Dann kann ich Dir aus dieser Perspektive noch was dazu erzählen. Das wären dann allerdings Fragen, die in anderen Brettern besser aufgehoben sind als hier.
Schöne Grüße
Dä Blumepeder