Hallo. Ich besuche eine integrative Fachoberschule und sitze seit ein paar Wochen neben einem autistischen Mitschüler. Während ich mit anderen Behinderungen eigentlich wirklich gut klar komme fällt mir der Umgang mit ihm nicht leicht, da ich einfach keinen Zugang, keine Gemeinsamkeiten, keine Gesprächsebene finde. Vielleicht kennt sich ja jmd. mit dem Krankheitsbild aus und kann mir ein paar Tipps für eine harmonische, positive Zusammenarbeit geben Vielen Dank schonmal!
Vorab: DEN Autisten gibt es nicht. Autistische Menschen sind ebenso individuell in ihrem Verhalten wie jeder andere Mensch auch. Deshalb bitte ich das Folgende nicht als allgemeingültige Aussage zu werten, sondern als Versuch, ein paar grundlegende Dinge einordnen zu können.
Sozialverhalten zählt in der Regel nicht zu den Stärken autistischer Menschen. Oft können sie Tonfall und Mimik ihrer Mitmenschen nicht deuten und verstehen Sprache als puren Austausch von Sachinformationen. Diese nehmen sie dann auch ernst und antworten mit entsprechender Ernsthaftigkeit und oft auch Ausführlichkeit auf Fragen, die der Gesprächspartner vielleicht so nicht erwartet.
Eine für Nicht-Autisten normale Kommunikation zu führen ist ihnen meist nur schwer möglich, fast immer aber mit großer Anstrengung verbunden. Small-Talk funktioniert nur sehr selten.
Abhängig von der Ausprägung des Autismus werden soziale Kontakte nicht selten auch insgesamt als sehr anstrengend und verwirrend erlebt und aus diesem Grund gemieden. Oft sind Reaktionen aber auch abhängig von der Tagesform und der Reizvielfalt insgesamt. So muss nicht jede Abwehrreaktion tatsächlich gegen die Person gerichtet sein, sondern kann einfach einen Ausdruck von situativer Überforderung darstellen.
Wenn du Kontakt haben willst, stelle klare Fragen, denn wie gesagt: Freundliches Sprachgeplänkel funktioniert meist nicht wirklich. Frage nur, wenn du Zeit für möglicherweise umfangreiche Antworten hast. Manche Autisten neigen zum Monologisieren, wenn sie ein Thema interessiert. Das ist nicht unhöflich oder besserwisserisch, sondern Bestandteil ihrer Behinderung.
Das wird schwierig werden. Zumindest wenn du deine Maßstäbe von „harmonisch“ und „positiv“, wie du sie aus normalen sozialen Kontakten gewöhnt bist, zugrunde legst. Du brauchst die Bereitschaft, herauszufinden, auf welche Art und Weise Gespräche zwischen euch überhaupt funktionieren können.
Wenn ihr eine Unterrichtsaufgabe tatsächlich gemeinsam lösen könnt, ist das als durchaus gelungene Kommunikation zwischen euch zu werten - auch wenn darin möglicherweise weder Humor noch ausgesprochene Freundlichkeit vorkommen mag :).
Im Umgang mit autistischen Menschen wird einem oft sehr bewusst, wie stark unser eigenes Wohlbefinden von kleinen und größeren positiven Gesten unseres Gegenübers abhängt und wie schnell wir uns abgelehnt und verunsichert fühlen, wenn diese fehlen.
Der Respekt für die Bemühung des autistischen Menschen, überhaupt mit dir in Kontakt zu treten und eine Verständigungsebene zu finden, kann darüber aber hinweg helfen. Man muss sich nur immer wieder klar machen, dass der andere gerade viel Kraft investiert, diesen Kontakt von seiner Seite aus überhaupt zu ermöglichen und damit seinerseits genau die Wertschätzung zeigt, die man vordergründig nicht aus seinen Reaktionen ablesen kann.
Jule