Über-forderung?
Oder: Umgang mit chronisch Gesunden
Hallo Mike,
ganz bestimmt möchte ich dich mit diesem Artikel nicht kränken, sondern nur meine Gefühle zum Ausdruck bringen, die ich beim Lesen deiner Artikel empfand.
Ich muß diesen Satz aber vorausschicken, denn das Risiko einer Kränkung kann ich nicht einschätzen.
Lass mich den Gegenüber des chronisch Kranken einmal den chronisch Gesunden nennen, mit einem leicht ironischen Beigeschmack, der auch jenen, das ein oder andere überspielend, empfindsam und unzulänglich macht.
Und beide Personen empfinden im alltäglichen Umgang miteinander das gleiche Recht darauf, sie selbst zu sein, sich spontan zu veräußern, im gleichen Maße das Verstehen und Einfühlen einer anderen Person zu empfangen.
Alltäglicher Umgang bedeutet aber, dass es sich nicht um eine akute Traumatisierungssituation handelt, die ein deutliches Ungleichgewicht der Einfühlung des Anderen auf den Betroffenen erfordert.
Nun begegnen sich also der chronisch Kranke und der chronisch Gesunde, und dieser Blödian, weder geschult noch routiniert in diesem Umgang
, liest auf der Stirn des ersteren den fetten Katalog:
-in erster Linie ist es erstmal gut und wichtig einfach da zu sein.
Ok, bin da. Ach so…für dich meinst du…na gut, versuche ich mal.
-dabei nicht die Dinge verniedlichen „das geht schon vorbei“ oder ähnliches
Also bloß nichts beschwichtigen oder beschönigen. Verstanden.
Gibt es dann etwas beruhigendes, optimistisches, positives oder aufbauendes was ich sagen darf? Grübel.
-ebenso ist es nicht nützlich davon zu reden, dass sie ihn verstehen können, dass sie igendwas davon nachempfinden können.
Hmm. Dann sage ich besser nicht, dass es mir auch manchmal nicht so gut geht.
Also: Ich weiß überhaupt nicht, wovon du sprichst!
-aber sie können und sollten ihn reflektieren „ich merke, du bist noch ganz außer dir - …du bist wütend, traurig“ etc.
Also doch einfühlen. Wie denn nun?
Ich merke, dass es dir schlecht geht. Der Satz könnte klappen.
Aber merke ich jetzt nicht unrechtmäßig etwas, was ich gar nicht nachempfinden kann? Minenfeld.
-und Sie können und sollten auch davon sprechen, was das mit Ihnen macht,
Ja, das nervt mich und macht mich unsicher.
was Sie fühlen und denken:
Ich hatte gestern einen anstrengenden aber tollen Tag.
Mist! Was falsches gesagt?
Mit ging es gestern auch nicht so gut.
Schon wieder falsch. 
"ich fühle mich ganz hilflos
Bingo.
gar nichts mehr sagen.
- ich merke, wie angespannt ich bin"
Meine Frage dazu: Was würdet Ihr dem noch hinzufügen wollen?
Bitte nichts mehr, ich blicke jetzt schon nicht durch.
Da ist es schon gut möglich, dass die
Mitmenschen es verstehen - vielleicht haben sie selber schon
schwere Krankheiten durchlebt.
Dann ja. Aber allgemein glaube ich, sagen zu können, dass die Leute sich nicht hineinversetzen können, wenn sie nicht Ähnliches erlebt haben. Aber das Problem ist nicht, dass jemand sagt, er könne es verstehen. Das kränkt keinen Kranken.
Das ist eine erdrückende Logik. Nur der ebenso krank ist, kränkt in diesem Sinne nicht?
Die anderen sollen sich aber zugleich einfühlen und den Kranken reflektieren obwohl sie nicht verstehen können und auch gar nicht den Eindruck erwecken dürfen, als verstünden sie. Gehirnwindungssalto.
Was kränkt, sind sinnlose Tipps wie „Mach doch einfach…“
ok, keine Vorschläge.
und Quasi-Schuldzuweisungen
Selbstverständlich nicht, aber das Quasi kann auch schnell mal versehentlich daneben gehen.
Oder Verniedlichungen der Symptome wie „Das geht mir auch so, ich bin auch immer so müde/unkonzentriert/lustlos/vergesslich“ o.ä.
Ich denke, Menschen sind einfach so angelegt, einen gewissen Gleichklang herzustellen, sich gegenseitig zu sagen, mir geht es da und da genauso. Das bildet einen grundsätzlichen sozialen Zusammenhalt zwischen Menschen.
Sagt jemand das wirklch nur um Symptome zu verniedlichen, dann tut er es im hilflosen Hilfeversuch.
Aber was macht ihn denn so hilflos?
Meine Frage dazu: Was bleibt dann alles in allem noch übrig? Vor allem an Spontaneität.
Bitte münze diesen Artikel nicht auf dich persönlich, sondern nur als überspitzte Parodie auf die Anforderungen, die du hier zur Diskussion stellst.
Grüße
Heidi