Umgang mit chronisch Kranken

Hallo,

ich leide an einer chronischen Krankheit und höre oft von anderen Betroffenen, dass deren Verwandte oder Freunde oft verständnislos oder mit völlig unrealistischen Tipps und Bemerkungen auf die Krankheit reagieren. (Ich selbst hab das auch erlebt, aber nicht so oft.) Jetzt hab ich hier in diesem Brett im Thread „Zustand nach Gewalterlebnis-Todesangst-Hilfestellung“ ein paar Tipps gelesen, wie man mit einem Gewaltopfer umgehen sollte, und einige der Tipps scheinen mir auch für den Umgang mit chronisch Kranken hilfreich zu sein. Ich erlaube mir mal, das andere Forenmitglied (Thomas Kühn) hier zu zitieren:

-in erster Linie ist es erstmal gut und wichtig einfach da zu sein.
(…)
-dabei nicht die Dinge verniedlichen „das geht schon vorbei“ oder ähnliches
-ebenso ist es nicht nützlich davon zu reden, dass sie ihn verstehen können, dass sie igendwas davon nachempfinden können. Das macht das Erlebte kleiner, weil es ist für einen Außenstehenden nicht nachzuempfinden, die (…) Situation war und ist noch  für jeden Einzelenen einzigartig.
-aber sie können und sollten ihn reflektieren „ich merke, du bist noch ganz außer dir - …du bist wütend, traurig“ etc.
-und Sie können und sollten auch davon sprechen, was das mit Ihnen macht, was Sie fühlen und denken: „ich fühle mich ganz hilflos - ich würde am Liebsten… - ich merke, wie angespannt ich bin“ usw. Das eröffnet unter Umständen auch (…)die Möglichkeit darüber zu reden.

(Original-Posting unter http://w-w-w.ms/a5dvoj )

Meine Frage dazu: Was würdet Ihr dem noch hinzufügen wollen? Gibt es da aus der Psychologie Verhaltenstipps? Hat jemand Informationsquellen?

Danke im Voraus und viele Grüße
Mike

verstehen und einfühlen
Hallo,
ich glaube, genau das führt leicht zu Missverständnissen:

-ebenso ist es nicht nützlich davon zu reden, dass sie ihn
verstehen können, dass sie igendwas davon nachempfinden
können.

Bei chronischen Krankheiten denke ich an Krebs, Multiple Sklerose, Morbus Crohn, chronische Schmerzen u.v.m. (Weniger an extreme Schicksalsschläge wie Kind verloren, Folteropfer geworden). Wenn du dich, gerade bei Menschen in der 2. Lebenshälfte umschaust, wirst du sehen, dass sowas gar nicht so selten ist. Da ist es schon gut möglich, dass die Mitmenschen es verstehen - vielleicht haben sie selber schon schwere Krankheiten durchlebt. Da finde ich es immer etwas arrogant, Verständnis gleich wegzuschieben mit den Worten „das kann niemand verstehen“. Mitgefühl ist eine wertvolle Eigenschaft, das sollten wir nicht zu leichtfertig ablehnen.

Mein Tipp zum Umgang:
Keine Allgemeinplätze, sondern dem Betroffenen zuhören - ebenso sollte der Betroffen auch offen bleiben für seine Umwelt - dann sollte ein Gespräch abseits von kränkenden Allgemeinplätzen möglich sein.

Hallo,

Da ist es schon gut möglich, dass die
Mitmenschen es verstehen - vielleicht haben sie selber schon
schwere Krankheiten durchlebt.

Dann ja. Aber allgemein glaube ich, sagen zu können, dass die Leute sich nicht hineinversetzen können, wenn sie nicht Ähnliches erlebt haben. Aber das Problem ist nicht, dass jemand sagt, er könne es verstehen. Das kränkt keinen Kranken. Was kränkt, sind sinnlose Tipps wie „Mach doch einfach…“ und Quasi-Schuldzuweisungen, warum man denn nicht so normal und leistungsfähig wie alle anderen sein kann. Oder Verniedlichungen der Symptome wie „Das geht mir auch so, ich bin auch immer so müde/unkonzentriert/lustlos/vergesslich“ o.ä.

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Über-forderung?
Oder: Umgang mit chronisch Gesunden

Hallo Mike,

ganz bestimmt möchte ich dich mit diesem Artikel nicht kränken, sondern nur meine Gefühle zum Ausdruck bringen, die ich beim Lesen deiner Artikel empfand.
Ich muß diesen Satz aber vorausschicken, denn das Risiko einer Kränkung kann ich nicht einschätzen.

Lass mich den Gegenüber des chronisch Kranken einmal den chronisch Gesunden nennen, mit einem leicht ironischen Beigeschmack, der auch jenen, das ein oder andere überspielend, empfindsam und unzulänglich macht.

Und beide Personen empfinden im alltäglichen Umgang miteinander das gleiche Recht darauf, sie selbst zu sein, sich spontan zu veräußern, im gleichen Maße das Verstehen und Einfühlen einer anderen Person zu empfangen.
Alltäglicher Umgang bedeutet aber, dass es sich nicht um eine akute Traumatisierungssituation handelt, die ein deutliches Ungleichgewicht der Einfühlung des Anderen auf den Betroffenen erfordert.

Nun begegnen sich also der chronisch Kranke und der chronisch Gesunde, und dieser Blödian, weder geschult noch routiniert in diesem Umgang, liest auf der Stirn des ersteren den fetten Katalog:

-in erster Linie ist es erstmal gut und wichtig einfach da zu sein.

Ok, bin da. Ach so…für dich meinst du…na gut, versuche ich mal.

-dabei nicht die Dinge verniedlichen „das geht schon vorbei“ oder ähnliches

Also bloß nichts beschwichtigen oder beschönigen. Verstanden.
Gibt es dann etwas beruhigendes, optimistisches, positives oder aufbauendes was ich sagen darf? Grübel.

-ebenso ist es nicht nützlich davon zu reden, dass sie ihn verstehen können, dass sie igendwas davon nachempfinden können.

Hmm. Dann sage ich besser nicht, dass es mir auch manchmal nicht so gut geht.
Also: Ich weiß überhaupt nicht, wovon du sprichst!

-aber sie können und sollten ihn reflektieren „ich merke, du bist noch ganz außer dir - …du bist wütend, traurig“ etc.

Also doch einfühlen. Wie denn nun?
Ich merke, dass es dir schlecht geht. Der Satz könnte klappen.
Aber merke ich jetzt nicht unrechtmäßig etwas, was ich gar nicht nachempfinden kann? Minenfeld.

-und Sie können und sollten auch davon sprechen, was das mit Ihnen macht,

Ja, das nervt mich und macht mich unsicher.

was Sie fühlen und denken:

Ich hatte gestern einen anstrengenden aber tollen Tag.
Mist! Was falsches gesagt?
Mit ging es gestern auch nicht so gut.
Schon wieder falsch. :frowning:

"ich fühle mich ganz hilflos

Bingo.

  • ich würde am Liebsten…

gar nichts mehr sagen.

  • ich merke, wie angespannt ich bin"

Meine Frage dazu: Was würdet Ihr dem noch hinzufügen wollen?

Bitte nichts mehr, ich blicke jetzt schon nicht durch.

Da ist es schon gut möglich, dass die
Mitmenschen es verstehen - vielleicht haben sie selber schon
schwere Krankheiten durchlebt.

Dann ja. Aber allgemein glaube ich, sagen zu können, dass die Leute sich nicht hineinversetzen können, wenn sie nicht Ähnliches erlebt haben. Aber das Problem ist nicht, dass jemand sagt, er könne es verstehen. Das kränkt keinen Kranken.

Das ist eine erdrückende Logik. Nur der ebenso krank ist, kränkt in diesem Sinne nicht?

Die anderen sollen sich aber zugleich einfühlen und den Kranken reflektieren obwohl sie nicht verstehen können und auch gar nicht den Eindruck erwecken dürfen, als verstünden sie. Gehirnwindungssalto.

Was kränkt, sind sinnlose Tipps wie „Mach doch einfach…“

ok, keine Vorschläge.

und Quasi-Schuldzuweisungen

Selbstverständlich nicht, aber das Quasi kann auch schnell mal versehentlich daneben gehen.

Oder Verniedlichungen der Symptome wie „Das geht mir auch so, ich bin auch immer so müde/unkonzentriert/lustlos/vergesslich“ o.ä.

Ich denke, Menschen sind einfach so angelegt, einen gewissen Gleichklang herzustellen, sich gegenseitig zu sagen, mir geht es da und da genauso. Das bildet einen grundsätzlichen sozialen Zusammenhalt zwischen Menschen.
Sagt jemand das wirklch nur um Symptome zu verniedlichen, dann tut er es im hilflosen Hilfeversuch.
Aber was macht ihn denn so hilflos?

Meine Frage dazu: Was bleibt dann alles in allem noch übrig? Vor allem an Spontaneität.

Bitte münze diesen Artikel nicht auf dich persönlich, sondern nur als überspitzte Parodie auf die Anforderungen, die du hier zur Diskussion stellst.

Grüße
Heidi

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Hi,

Deinem Artikel möchte ich mich vollumfänglich anschließen.

Noch anfügen möchte ich, das nicht jeder chronisch Kranke auch gleich reagiert.

Ich habe beispielsweise seit etlichen Jahren an Gonarthrose beidseits. Im Normalfall merkt mir das aber keiner an, nur an ganz schlechten Tagen, erkennt man das an meinem Gangbild.

Trotzdem lasse ich mich nicht einschränken, ich gehe sogar Bergwandern.

Mitleid oder Mitgefühl sind mir persönlich ein Graus, beides zieht mich runter und hilft mir kein Stück weiter. Mir hilft eher, wenn mich jemand mitzieht, mir Mut macht, mich anspornt.

Es gibt aber auch Kranke, die das anders sehen. Wobei ich persönlich der Meinung mit, Mitleid hilft nie, ein gewisses Maß an Mitgefühl mit einem Schuß Ansporn finde ich hilfreicher.

Als chronisch Kranker muß man sich ein dickes Fell zulegen, sowohl an sich selbst, als auch anderen Gegenüber.

Hier wird scheinbar ein bestimmter Umgang „erwartet“, ohne zu berücksichtigen, das auch das Gegenüber eine gewisse Erwartungshaltung hat.

Gruß
Tina

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