Servus,
einen (wohl nicht vollständigen) Überblick über die heute noch bestehenden Schächte hab ich hier gefunden:
http://wandergesellen.naturstein-netz.de/index.asp?w…
(übrigens: Die „Ehrbarkeit“, von der in dem Text die Rede ist, bezeichnet den einfachen Schlips der Gesellen)
Man sieht, dass heute nicht mehr in vielen Handwerken gewandert wird: Zimmerleute, Steinmetze, Dachdecker, Maurer.
Freilich mit Ausnahmen, im sehr jungen „Freien Begegnungsschacht“ - hier ein Artikelchen über eine Schmiedin und eine Goldschmiedin auf der Walz:
http://www.waiblingen.de/sixcms/media.php/7/STAUFER_…
Die heutigen Schächte, Gesellenzünfte, sind im 19. Jahrhundert entstandene Nachfolger der mittelalterlichen Meisterzünfte, die zu Beginn des 19. Jahrhunderts im Rahmen der Runderneuerung Europas durch Napoleon Bonaparte aufgelöst worden sind.
Im Mittelalter und der frühen Neuzeit war die Wanderschaft einmal ein Mittel, um spezialisierte Arbeitskräfte dorthin zu bringen, wo sie gebraucht wurden - man darf sich vorstellen, was für eine Menge an Spezialisten etwa für den Bau eines Münsters benötigt wurde -, zum anderen ein Mittel, um Technik und Methoden zu kommunizieren - stell Dir mal die Vielzahl an regional unterschiedlichen Bauweisen von Fachwerk vor. Heute geht es dabei wesentlich um die persönliche Erfahrung mit Selbständigkeit, Eigenverantwortung, aber auch solidarischer Organisation und gegenseitiger Hilfe.
Dass Gesellen auf der Walz nicht in Geld bezahlt werden dürfen, stimmt nicht. Richtig ist, dass ein Gesell, wenn er auf Jahr und Tag (= drei Jahre und ein Tag, es gibt auch kürzere Zeiträume je nach Schacht) fremdgeschrieben wird, mit einem abgezählten sehr geringen Betrag (ist glaube ich von Schacht zu Schacht unterschiedlich, wird etwas um 5 Euro ausmachen) loszieht, und dass teilweise bezahlter Transport (Eisenbahnfahren) verpönt ist. Für Arbeit gibts aber natürlich Geld, und irgendwie muss man ja auch die Passage hinkriegen, wenn man z.B. als Zimmermann nach Kanada will (Mekka für die Blockhüttenbautechnik) oder in die USA, wo die Kluften deutscher Zimmerleute viel bekannter sind als bei uns und wo ein Zimmermann auf der Walz nicht gut an einer Baustelle vorbeikommt, ohne hereingepfiffen zu werden „Hey, wir haben was für Dich, magst Du mitmachen hier?“ - „made in Germany“ gibts in diesem Sinn durchaus noch.
Ohne Geld spielt sich das Minimum ab, was einem ehrbaren Gesellen zusteht, wenn er Umschau hält und der Meister ihm keine Arbeit bieten kann: Das Essen und Quartier für eine Nacht.
Vieles ist auf der Walz noch strikt reglementiert, aber im Lauf der letzten zweihundert Jahre hat sich auch allerhand geändert: Seit über zwanzig Jahren sind einzelne Schächte auch für Frauen offen; die schon zu Beginn des 19. Jahrhunderts altertümlich rasselnde Zunftsprache ist gelockert - Max Eyth beschreibt noch in seinem „Schneider von Ulm“, wie die Worte, mit denen ein Gesell Umschau hielt, und mit denen ihm ein Meister antwortete, strikt vorgeschrieben waren.
Es dürfte auch nicht mehr bei so sehr vielen Zimmerleuten so sein, dass die Ohrlöcher für die Ohrringe mit Hammer und Nagel geschlagen werden - aber geben tut es noch sehr vieles von den Handwerksgebräuchen. Einiges davon, einschließlich den Resten von Rotwelsch, die in den Schächten überlebt haben, bleibt intern, damit untereinander erkennbar bleibt, ob einer von seinem „Exportgesellen“ „losgebracht“ worden ist oder bloß ein Blender ist. Auf diese Weise kann das System gegenseitiger Hilfe funktionieren, ohne von Trittbrettfahrern ausgenutzt zu werden.
Außer in D wird auch noch in F gewandert - dort ist der Gesell im Vergleich zu den modernen Facharbeiterbriefen eine Randerscheinung, fast bloß noch in Elsass und Lothringen. Aber dort ist man dafür besonders traditionsbewusst, die Wanderschaft ist obligatorisch.
Wenn Du die Möglichkeit hast, nutze die Chance und biete Gesellen auf der Walz Quartier an: Da gibt es Hochinteressantes zu hören und zu lernen!
Schöne Grüße - mit Gunst und Verlaub!
MM