http://www.dradio.de/dkultur/sendungen/politischesfe… Im Furor des Verschwindens ist in der gegenwärtigen Epoche des totalen Entertainments auch etwas sehr Deutsches verloren gegangen: intellektuelle Tiefgründigkeit. Geblieben ist nur die flächendeckende Flachheit, meint Christian Schüle. Weit davon entfernt, reaktionären Kulturpessimismus betreiben zu wollen, muss an dieser Stelle dennoch mit größtem Bedauern konstatiert werden: Die Austreibung des Niveaus im Namen der Unterhaltung, die Verbannung der Intellektualität im Auftrag marktgängiger Simplifizierung, die Vernichtung des Anspruchsvollen zugunsten süffiger Konformität hat, aufs Ganze betrachtet, zu einer schamlosen Trivialisierung des öffentlichen Geistes geführt.
Konstruktive, komplexe, langfristig angelegte Debatten über ethische, moralische und soziale Grundlagen, über Wertewandlungen, Gesellschaftsverträge, Visionen und Revisionen des bundesdeutschen Selbstverständnisses finden im öffentlichen Raum nicht mehr statt.
Diskurse werden als „elitär“ diskreditiert, dialektische Sophistik ist geradezu ein soziales Ausschlusskriterium, und die Kunst der Rhetorik scheint weitestgehend verkümmert. Stattdessen zwitschert und schwätzt, bramarbarsiert und schwadroniert es in höchster Erregung, während Nachdenklichkeit als Bedenkenträgerei denunziert und die Forderung nach hohem Stil wie hoher Qualität unter Arroganzverdacht gestellt wird.
Geblieben ist flächendeckende Flachheit von Lifestyle, Sexyness, Coolness, die wohlfeile Mixtur aus Psycho-Wellness, Promi-Glamour, Star-Kult, Heroen-Hype, Voyeurismus und primitiver Niedertracht. Kurzum: Festzustellen ist die grassierende Ent-Intellektualisierung der Gegenwart; mehr noch: ein Zeitgeist des Anti-Intellektuellen. Zweifelsohne, Intellektualität als solche ist mühsam, unbequem, zeitaufwendig (Anm.: Was fuer Rengtner?). Angewandte Intellektualität hieße ja, das Verhältnis von Grund und Folge, Ursache und Wirkung innerhalb eines Kontextes stets mitzudenken. Es hieße, Thesen durch Begründungen zu untermauern und Zusammenhänge aufzudecken. Es hieße: Strukturen und Muster zu erkennen. Statt Gründen aber werden Abgründe kultiviert: Die Bücher-Beststellerlisten strotzen vor Krimis, im privaten wie im öffentlich-rechtlichen Fernsehen wird geblutet, gemordet und getötet, was das Zeug hält. 50 Morde die Woche, 50 Tote, 50 Kommissare, 50 mal die Frage: „Wo waren Sie gestern zwischen dann und dann?“ Schlimmer noch: Im Circus Maximus des Politikbetriebes ersetzen Soundbites durchdachte Aussagen und Statements Zusammenhänge; die Berufspolitik reduziert sich selbst konsequent auf die Frage, welche Partei welcher Gruppierung welchen Beitrag um wie viel erhöht beziehungsweise senkt, als sei das Geschäft des Politischen statt diskursiver Selbstverständigung der Gesellschaft nichts weiter als eine futterneidische Angelegenheit von Be- und Entlastung.
Deutschlands hohe Literatur wird gleichgesetzt mit handwerklich versierten, harmlosen Unterhaltungsschriftstellern; journalistische Qualität geht peu à peu insolvent, und die heiß als „Zukunft“ beschworenen Onlinemedien erziehen den Nutzer zum Klick ohne jede Vertiefung.
Und waren die führenden Frauenmagazine in den 80er- und selbst 90er-Jahren noch politisch, frauenpolitisch, ja gesellschaftspolitisch, sind sie seit etwa einem Jahrzehnt nur noch dämlich.
So kristallisiert sich das Paradigma unserer Tage heraus: Konsumtrip ersetzt Aufklärung, Stilkritik Kritik, Kenntnis Erkenntnis, Klärung Erklärung und Korrelation Kausalität. Den Rest erledigt die Marktforschung. Entstanden ist ein Betriebssystem der allgemeinen Banalität. Bange wird es einem also nicht allein vor Eurokrise, Altersarmut, demografischem sowie Klimawandel, sondern vor allem vor der inneren Aushöhlung: Wenn in der öffentlichen Wahrnehmung Models, Moderatoren und Marketingexperten zu nichts weiter als Hype und Hyperventilation führen: dann, Deutschland, gute Nacht!
Eine Gesellschaft hat nicht nur die Fürsorgepflicht ihrer Wohlfahrt gegenüber, nicht nur gegenüber ihrer Wirtschaftskraft, sondern in Zeiten allgemeiner Verfußballerung auch gegenüber ihrer Reflektions-Qualität. Kein Wunder, dass es wahre Partizipation an der Gestaltung des Gemeinwesens nicht gibt, wenn der Bürger schon seine intellektuelle Entmündigung so klaglos hinnimmt - da sich doch, notabene!, rein gar nichts von selbst versteht!
Christian Schüle, 43, hat in München und Wien Philosophie und Politische Wissenschaft studiert, war Redakteur der ZEIT und lebt als freier Essayist, Schriftsteller und Autor in Hamburg. MultiVista mal vor Jahren: Diskurse sind in Prozessen die treibende Kraft. Sollten es immer sein! Sie stellen „das Wissen für die Gestaltung von Wirklichkeit“ bereit, indem sie machtvoll bestimmte Formen und Inhalte von Wissen aus der Vergangenheit in die Gegenwart transportieren. Damit gestalten Diskurse unser Denken, Fühlen, Wollen und Handeln grundlegend, denn „nicht die Wirklichkeit spiegelt sich im Bewusstsein, sondern das Bewusstsein bezieht sich auf die Wirklichkeit“ (Jäger). Jedoch ist es nicht der Diskurs, der „allein die Welt bewegt“ (Jäger). Foucault zeigt anhand des Dispositivs, dass die Komplexität von Diskurs, Herstellungspraktiken, Handlung, Gegenständen, Strukturen usw. ein weites Feld des kulturellen Wissens und seiner Weitergabe darstellt. Daraus ergibt sich (wieder Jäger) dass Diskurse „keine eigenständig und unabhängig existierenden Phänomene“ sind. Diskurse „bilden Elemente von und sind die Voraussetzung für die Existenz von sogenannten Dispositiven“. Ein „Dispositiv ist der prozessierende Zusammenhang von Wissen, die in Sprechen/Denken – Tun – Vergegenständlichung eingeschlossen sind“. P.S. Ein an Foucault anschließender und erweiterter Dispositivbegriff wird von Gilles Deleuze vorgeschlagen, der die Dynamik und Ereignishaftigkeit innerhalb von Dispositiven in den Vordergrund stellt (vgl. Deleuze 1991).
Panem et circenses
Meines Erachtens ist das lediglich „gestern war Alles besser, sogar die Zukunft“ in anderem Gewand. Oder auch „alte-Männer-Gespräch“. Solange wir solche Gehirne mit diesen Hormonen unter unserer Schädeldecke haben wird sich nicht viel ändern.
http://de.wikipedia.org/wiki/Panem_et_circenses
Stop! Die Mordrate ist gesunken: http://hpd.de/node/12274
Gruß
Stefan