Hallo Castiglio,
… die wesentlichen (also im Wesen der Übersetzung liegende) Unterschiede der einzelnen Fassungen
Jeder einzelnen? Das wäre so umfangreich, daß es wohl kaum jemand in die Form eines Postings packen könnte, vom Arbeitsaufwand abgesehen. Aber generell läßt sich was dazu sagen: Der Teufel liegt, wie immer, im Detail. Für einen groben Überblick, einen Überflug über das, wovon in diesen Textsammlungen die Rede ist, würde vielleicht jede Übersetzung genügen. Im Detail, wenn es um die Deutung einzelner Passagen geht, käme jemand, der sich auf nur eine der zahlreichen Übersetzungen verließe, nicht daran vorbei, einer jeweiligen Tendenz, Tradition, Schulrichtung bzw. Bekenntnisrichtung auf den Leim zu gehen.
Wer das vermeiden wollte, käme nicht darum herum, sich in die zugehörigen alten Sprachen einzuarbeiten (Latein bzw. Griechisch und Hebräisch, wie jeder heutige Theologie-Studierende), genauer gesagt, in die jeweiligen Urtexte (und deren unterschiedliche Editionen), auf denen die Übersetzungen beruhen. Zumindest soweit einzuarbeiten, um zu sehen, WAS da übersetzt wurde.
Die meisten Übersetzungen haben die Intention gehabt, die Texte für möglichst viele Menschen lesbar zu machen, die in keiner der alten Sprachen kundig sind. Das war ja auch das Interesse der ersten deutschen Übersetzungen der Luther-Zeit (Luther war nur einer von den ersten Übersetzern, und nicht der erste). Luthers erste Versionen sind allerdings von semantischen und grammatischen Fehlern gespickt, was man in den neueren Auflagen weitgehend auszubessern versuchte. Andere heutige Übersetzungen versuchen sich an die heutige Umgangssprache (auch so eine Sache für sich) „anzupassen“ und überspielen dabei natürlich Nuancen, die speziell in der Entstehungszeit von Bedeutung waren.
So hatte z.B. die sog. Einheitsübersetzung (ursprünglich als Gemeinschaftsarbeit katholischer und evangelischer Altsprachler, Historiker usw. geplant) das Ziel, nicht mehr, wie vormals, auf die lateinischen Quelltexte (diverse Vulgata-Versionen) zu rekurrieren, sondern auf ursprüngliche griechische und hebräische Quellen. Immerhin, denn die Vulgata war ja auch bereits eine nicht von theologischen Tendenzen unabhängige Übersetzung. Trotzdem ist die evangelische Seite aus dem Projekt ausgestiegen, und das lag gewiß nicht an Auseinandersetzungen über bloße Grammatik-Probleme …
Für das NT gibt es das interessante Projekt des MNT: ISBN 3843605114 Buch anschauen
Diese Arbeitsgruppe hat ihr Motto „so viel deutsch wie nötig, soviel griechisch wie möglich“ recht gut durchgezogen. Bis auf diverse kritische Punkte bei der Wahl des Vokabulars kann man das durchaus akzeptieren. Und es gibt für Nicht-Altsprachler auch einen guten Eindruck von der Art von Ausdrucksweisen der zeitgenössischen griechischen Koine.
Anfang schuf Gott (die/den) Himmel und (die) Erde.
Der hebräische Text
ברא אלהים את השמים ואת הארץ
bara ælohim et ha_schamajjim w_et ha_arætz
hat sowohl den Plural (die Himmel) als auch in beiden Stellen den Artikel. Also „… die Himmel und die Erde“. Weshalb „Himmel“ im Plural steht, hat etwas zu tun mit der damaligen israelitischen (und auch kanaanänischen) Kosmologie, die auch in den zahlreichen anderen im Tanach angedeuteten Schöpfungsmythen (es sind nicht nur die zwei im 1. Mose) den Plural hat. In anderen Artikeln hab ich darüber schon öfter gepostet.
Das ist eine Beispiel: Wenn hier eine Übersetzung „… schuf Himmel und Erde“ (wie z.B. die Einheitsübersetzung) hat, dann paßt sie sich zwar dem Sprachgebrauch des heutigen Lesers an, aber dieses Spurenelement alter Denkweise wird eliminiert. Und die Übersetzer-Gremien bekunden damit, das das ihre intendierte Leserschaft auch nicht zu interessieren habe. Man kann entscheiden, ob das akzeptabel ist oder nicht. Für mich ist es das nicht.
Aber bei Zweifelsfragen zu Textstellen gibt es ja das Relibrett des w-w-w, wo man nachfragen kann. Da ist dann nach wie vor der eine oder andere Experte, der Auskunft gibt
Ebenso cordial
Metapher