Es gilt der Grundsatz der 70 Jahre post mortem auctoris für das Ursprungswerk, soweit dieses auch nur als solches inhaltlich wiedergegeben wird. D.h. für einen 1942 verstorbenen Autor besteht ab 2012 Gemeinfreiheit. D.h. ein Gedicht dieses Autors kannst Du heute problemlos öffentlich vortragen, drucken lassen, als selbst vorgelesenes Audiofile verbreiten, …
Das in der von Dir zitierten Abmahnung angesprochene Problem ist ein anderes: Es entsteht dann ein eigenes Urheberrecht zugunsten eines Autors, wenn er fremde, gemeinfreie Texte nach mehr als nur banalen Kriterien in Form einer Sammlung veröffentlicht, diese ggf. kommentiert, in wissenschaftlicher Art in einen bestimmten Kontext setzt, zusätzlich be-/überarbeitet, … Das gilt auch für den Vortrag eines solchen Werkes und deren Aufzeichnung (z.B. interpretierende Lesung durch einen Schauspieler, Einspielen eines Musikstücks durch ein Orchester, …).
Dieses Urheberrecht bezieht sich im Fall der Sammlungen dann aber gerade nicht auf die zusammengestellten Einzelwerke als solche, sondern lediglich auf die komplette Zusammenstellung. D.h. Du darfst weiterhin jedes in die Sammlung aufgenommene gemeinfreie Einzelwerk für sich genommen problemlos nutzen. Du darfst aber nicht genau diese Sammlung komplett unter eigenem Namen herausgeben. Dafür kannst Du aber durchaus eine andere Sammlung unter Verwendung der identischen Werke herausgeben, die Du selbst nach mehr als banalen Kriterien erstellt hast, … (s.o.), und begründest daran dann automatisch ein eigenes Urheberrecht.
Ein weiterer Teilaspekt, der in deinem Link angesprochen wird ist die Frage, inwieweit man in einer solchen Sammlung dann einen Hinweis auf ein eigenes Urheberrecht anbringen darf, und wie dieser zu verstehen ist, verstanden wird/werden kann. Hier hat der abmahnende Herausgeber behauptet, dass ein entsprechender Hinweis in der Öffentlichkeit den Irrtum erregen würde, dass der Wettbewerber sich nicht nur - zutreffender Weise - eines eigenen Urheberrechts an der Zusammenstellung der Sammlung berühmen würde, sondern darüber hinaus hierdurch der Eindruck vermittelt würde, dass er auch ein Urheberrecht an den tatsächlich jedoch gemeinfreien Einzelwerken innehabe. Und hierdurch behauptet er einen Wettbewerbsnachteil dahingehend zu erleiden, dass Käufer meinen könnten, dass nur dieser Wettbewerber alleine berechtigt sei, die Einzelwerke als Urheber zu vertreiben, er selbst insoweit als Verletzer dieser Rechte betrachtet würde.
Das ist mE etwas weit hergeholt, weil es vollkommen üblich ist, Urheberrechtsvermerke auf die Wiedergabe gemeinfreier Werke anzubringen, und diese nicht weiter auszudifferenzieren. Und niemand würde sich Gedanken über die Rechtmäßigkeit der ein oder anderen Einspielung eines Werkes von Mozart machen, nur weil auf einer CD ein Urheberrechtsvermerk angebracht ist, während das ganze Regal im Geschäft voll mit weiteren Einspielungen des selben Werks durch andere Orchester steht, die von anderen Verlagen angeboten werden.