Konditionalismus vs. Kausalität
Hi.
Das Denkprinzip „Kausalität“ ist ein pragmatisches Konzept, das die Realität in kleine Segmente zerschneidet und dem einen Segment das Etikett „Ursache“ und dem anderen das Etikett „Wirkung“ aufklebt. Das macht pragmatisch gesehen Sinn, da der Mensch aus überlebenstechnischen Gründen den Ereignisfluss in überschaubare Strukturen gliedern muss.
Denkt man die Dinge aber konsequent durch, gibt es natürlich keine vom Rest des Ereignisflusses separierbaren Ereignisse. Vielmehr sollte man von einem universellen Beziehungsgeflecht ausgehen, in welchem sich Ereignisse wechselseitig bedingen. Dieses Prinzip nennt man „Konditionalismus“. Insbesondere der Buddhismus hat sich in der Ausformulierung dieses Prinzips schon früh hervorgetan, nicht zuletzt aufgrund der Einsicht in die Nichtsubstanzialität der Dinge/Ereignisse. Einem Ding/Ereignis ein Wesen oder eine Substanz zuzusprechen, ist auf der pragmatischen Ebene sinnvoll, ist philosophisch aber zu hinterfragen, da Dinge/Ereignisse kein Eigen-Sein haben, sondern Produkte von sie generierenden Bedingungen sind, welche selbst wiederum solche Produkte darstellen. Dieses Beziehungsgefüge nennt man buddhistisch „Konditionalnexus“ bzw. „Entstehen in Abhängigkeit“ (paticca-samuppada).
Aber auch dieses konditionalistische Prinzip gilt in der buddhistischen Philosophie nur als ein Denkprinzip, das zwar weniger illusionär als das kausalistische Prinzip ist, jedoch nicht die „wahre Realität“ repräsentiert, welche die buddhistische Mahayana-Schule als „Leerheit“ bezeichnet, freilich nicht im Sinne eines Nichts, sondern im Sinn der Unmöglichkeit, diese Realität mit den Kategorien des Verstandes positiv erfassen zu können; lediglich negativierende Aussagen sind möglich - keine Zeit, kein Raum, keine Materie, kein usw. usf…
Die Frage, ob man „selbst Ursachen schaffen kann“, kann je nach Betrachtungsebene also unterschiedlich beantwortet werden, in einem Fall mit einem relativen „Ja“ (Kausalebene), im anderen Fall (Konditionalebene) mit einem absoluten „Nein“, da hier nur Bedingungen zählen, nicht Ursachen.
Kausalebene:
Deine Entscheidung für eine Handlung, die eine Ursachenkette in Bewegung setzt, ist - pragmatisch gesehen - der Auslöser dieser Kette, also deren Ur-Sache. Deine Entscheidung ist das A, welches die Wirkung B hervorruft, die C und D usw. zur Folge hat. Das ist natürlich alles andere als eine wissenschaftlich gründliche Betrachtungsweise, da die Entscheidung selbst ein Produkt von größtenteils unbewussten Faktoren ist, also ihrerseits eine Wirkung von anderen ´Ursachen´, welche wiederum auf ´Ursachen´ zurückgehen. Schon dieser infinite Regress zeigt, wie unsinnig das Kausalitätsprinzip streng genommen ist. Lediglich aus der pragmatischen Perspektive macht es Sinn.
Konditionalebene:
Hier gilt, dass deine Entscheidung das Produkt theoretisch unendlich vieler Bedingungen ist, die in einer bestimmten Konstellation zueinander stehen. Liegt also eine bestimmte Konstellation vor (genannt A), dann folgt aus ihr notwendig die Herausbildung einer neuen Konstellation B. Ein sehr kleiner Teil dieses B ist beispielsweise deine Entscheidung. Aus ihr folgt eine Handlung, die im Kontext aller sie umgebenden Bedingungen sowie der diese Bedingungen umgebenden Bedingungen usw. eine neue Konstellation C bewirkt. Der Unterschied zum Kausalitätsprinzip liegt also in der sehr viel höheren Komplexität der Zusammenhänge.
Sicher kann dir Tychiades über den buddhistischen Kontext des Themas auf einem kompetenteren Level noch mehr Informationen geben.
Chan