Valproat absetzen?

Hallo,
ich brauche mal Eure Hilfe:
Vor einigen Jahren hatte ich mal ein paar Bier zuviel getrunken, mehrfach.
Hab das dann selbst gemerkt, von heute auf morgen aufgehört und bin nach einem epileptischen Anfall in der Klinik aufgewacht.
Bekam dann Carbamazepin, aber da hatte ich alle Nebenwirkungen, die da im Beipackzettel standen. Also hat mich mein Arzt auf Valproat umgestellt. Das nehme ich jetzt seit drei Jahren. Der Spiegel liegt bei 75 (soll sein zwischen 50 und 100), also völlig im Normalbereich.
Das EEG ist auch absolut in Ordnung. Und, wohl das Wichtigste überhaupt: ich trinke absolut keinen Tropfen Alkohol mehr, meide sogar Pralinen mit Füllung.
Kann ich jetzt das Valproat absetzen?
Ich weiß, daß das sehr langsam gehn muss.
Mein Arzt hält sich da zurück, meint, das wäre meine Entscheidung.
Aber wie soll ich mich entscheiden?
Hat da irgend jemand Erfahrungen?

Danke für Eure Hilfe!

Hallo downling,

hier wird sich vermutlich keiner so weit aus dem Fenster lehnen und dir raten, das Medikament abzusetzen.
Hier stellt sich die klassische Frage nach dem Ursache-Wirkung-Prinzip: Ist das EEG in Ordnung, weil das Valproat gut wirkt, oder ist es prinzipiell auch ohne Valproat okay?
Bislang hast du nur die Bestätigung, dass es unter medikamentösem Einfluss ohne krankhafte Muster ist.

Setzt du nun das Valproat ab, was seit langer Zeit nun schon einige Vorgänge in deinem Gehirn hemmt, die Krämpfe auslösen könnten, riskierst du einen weiteren Anfall mit all seinen möglichen Komplikationen.

Bei allem, was du bislang erzählt hast, klang das nach einem Gelegenheitsanfall im Rahmen eines Entzugssyndroms. Circa 5% aller Menschen haben im Laufe ihres Lebens einen solchen Anfall, ohne dass die Diagnose Epilepsie gestellt werden müsste, also ein einmaliges Ereignis.
Dabei wundert es mich, dass du immer noch medikamentös eingestellt bist. Dein Arzt wird das aber sicher besser wissen als ich. Nichtsdestotrotz würde ich mal einen Neurologen aufsuchen, sofern es sich bei „deinem Arzt“ nicht ohnehin schon um einen solchen handelt. Alternativ bietet sich eine Zweitmeinung an.

Dass du weißt, dass du das Valproat nicht plötzlich und ohne ärztliche Überwachung absetzen darfst, hast du ja schon erwähnt.

Liebe Grüße und viel Glück
Liete

Hallo downling,

wie Liete schon unten schrieb, einen Rat zur Absetzung oder Nichtabsetzung des Präparats wird dir hier wohl niemand geben können.

Da du nach dem Anfall Antiepileptika verschrieben bekommen hast, nehme ich an, dass der Arzt weitere Anhaltspunkte dafür hatte, dass tatsächlich Epilepsie und kein provozierter Gelegenheitsanfall vorliegt. Sicherlich wurde damals ein EEG abgeleitet, eine MRT durchgeführt, außerdem wurde eine Anamnese erstellt und letztendlich aufgrund all dieser Angaben eine konkrete Diagnose gestellt (die nicht einfach nur „Epilepsie“ lautet, sondern eine konkrete Bezeichnung tragen sollte, z.B. juvenile myoklonische Epilepsie).

Weißt du, wie damals dein EEG ausgesehen hat? Also ob es im „Normalzustand“ sowie unter Stimulation (Blitzlicht, tiefes Atmen) ebenfalls Abweichungen von der Norm gab, die auf Epilepsie hindeuten würden? Bzgl. der Anamnese: Hattest du zuvor manchmal unerklärliche plötzliche Zuckungen von Körperteilen (Arm, Bein, Augen usw.)? Gab es ab und zu kurze „Aussetzer“, die du selbst nicht mitbekommen hast, bei denen aber deine Umgebung dachte, du seist halt gerade etwas verträumt? Andere seltsame Empfindungen (Schwindel, Deja-vues, unbeschreibbares „komisches Gefühl“ usw.)? Unerklärliche Ohnmachtsanfälle? Ich kann mir nicht vorstellen, dass falls all diese Fragen mit „nein“ beantwortet werden können sowie die MRT-Aufnahmen keine Auffälligkeiten gezeigt haben, dir ein verantwortungsbewusster Neurologe gleich Medikamente verschrieben hat.

Je nach konkreter Diagnose ist die Wahrscheinlichkeit, dass es ohne Medikamente gut geht, unterschiedlich groß. Da dein erster und bislang einziger Anfall im Jugend-/Erwachsenenalter aufgetreten ist, ist das Janz-Syndrom (juvenile myoklonische Epilepsie) ziemlich wahrscheinlich. Falls dies der Fall ist, liegt die durchschnittliche „Rückfallwahrscheinlichkeit“ nach Absetzen des Medikamentes bei ca. 80%. Falls dies hingegen tatsächlich nur ein entzugsprovozierter Gelegenheitsanfall war und dir der Arzt das Medikament nur vorsichtshalber verschrieben hat, hast du bei entsprechender Lebensführung (kein Alkohol, geregelter Schlaf-Wach-Rhythmus, ausreichend Schlaf, evtl. Vermeiden von schnellem Blitzlicht usw.) sehr gute Chancen, ohne Medikamente anfallsfrei zu leben.

Doch was nützen dir Prozente, wenn du ja doch nie wissen kannst, ob du zu den Glücklichen gehörst, die keine Anfälle mehr haben, oder nicht?

An deiner Stelle würde ich mir sämtliche vorhandenen Unterlagen schnappen und mich bei einem renommierten Epilepsiezentrum um einen Termin bemühen. Meistens bekommt man den Termin erst in ca. 3-6 Monaten und je nach dem, wo du wohnst, könnte der Anreiseweg beachtlich sein. Jedoch triffst du dort auf Ärzte mit großem Erfahrungsschatz, denn ein „normaler“ Neurologe hat nur wenige Epilepsiefälle in Behandlung und kann einfach über keine großen Erfahrungswerte verfügen. Je nach Ausgang dieser Beratung würde ich mir außerdem die Fragen stellen:

  • Habe ich Nebenwirkungen von Valproat? Falls ja, wie sehr stören sie mich?
  • Welche Konsequenzen würde ein erneuter Anfall für mich haben? Auf jeden Fall dürftest du für eine Weile kein Auto mehr fahren. Je nach Beruf könnte es auch berufliche Konsequenzen haben (falls du bei einem Anfall dich selbst und/oder andere Menschen gefährden könntest). Falls du gefährliche Sportarten betreibst, würde ich erstmal für mind. ein Jahr darauf verzichten sowie nicht allein schwimmen gehen. Und so weiter.

Ausgehend von diesen Informationen und Überlegungen musst du dich letztlich zu einer Entscheidung durchringen. Das wird dir sicher nicht leicht fallen und ich hoffe sehr, dass diese Entscheidung die richtige für dich sein wird.

Hier findest du Adressen spezialisierter Epilepsiezentren: http://www.ligaepilepsie.org/FAQs/misc/EpilepsyCentr…

Die berühmtesten in Deutschland sind Mara in Bielefeld, Epilepsiezentrum an der Uni Bonn, das Epilepsiezentrum in Berlin, das Zentrum Freiburg - Kehl-Kork sowie das Zentrum Vogtareuth. Die lange Wartezeit und ein evtl. langer Anfahrtsweg lohnen sich auf jeden Fall, gerade wenn dir eine solch schwierige Entscheidung bevorsteht.

Viele Grüße

Anja