Vater, warum hast du mich Verlassen?/Hiob

Vater, warum hast du mich Verlassen
Hi,

ich möchte zur Gottverlassenheit mal eine These aus meiner aktuellen Hausarbeit als Gedankenanstoß einwerfen:

Was es wirklich bedeutet verlassen zu sein, konnte nur dieser Eine spüren, nämlich der, der genau wusste, was Gott ist, weil er es ist. Nur dieser Eine konnte wissen, was Leiden „ohne Grenzen, ohne Sinn, ohne Zukunft“ ist. Und so gesehen ist auch alles Leid der Welt „uneigentliches Leid“.

NfG

Chris

Engelsturz und Teufel: Historisches

Dann erkläre mir doch mal, wie die Idee des Engelsturzes in
die Welt kam. Schließlich muß Milton mit seinem „Paradise
lost“ eine fundierte Quelle gehabt haben.

Natürlich hatte er. Schließlich ist die Vorstellung vom Sturz der Engel ein gängiger Topos der europäischen Literatur seit seiner Enstehungszeit in der hebräischen (apokryphen) Legenden- und Apokalypsen-Literatur des 3.-2. Jhdts v.u.Z. Nur existiere sie halt in der Abfassungszeit des Hiob (200-300 Jahre vorher) noch nicht. Dazu schrieb ich oben unter „Gottessöhne“ etwas. Genaueres findest du im FAQ:1518 [Kleine Geschichte des Teufels].

Ergänzend dazu: Die Hauptquellen sind
Das Buch „Daniel
Das Buch der „Weisheit
Das Leben Adams und Evas“ (hier mit einer zu Tränen rührenden Geschichte, die Satan selbst erzählt)
Die „Schatzhöhle“, sowie
Das „Testament Adams“ und schließlich vor allem
Das Buch „Henoch“ (die äthiopische Version).

Diese Texte wurden zur Entsehungszeit des Neuen Testamentes fleißig gelesen, so daß es nicht wundert, daß diese Ideen ebendort aufgegriffen wurden (z.B. in Off. 12.7-10).

Die (auf die Erde) gestürzte himmlische Gestalt war ein Wesen namens Sammael (siehe FAQ:1518), zunächst ebensowenig ein „Engel“ (hebr. mal’ak) wie Satanail-Satan. In der Legenden- und Apokalypsen-Literatur wurde aber die gesamte israelitische (und allgemein-semitische) Dämonologie wie Kraut und Rüben durcheinander gemischt. Die urspünglichen babylonischen Gottessöhne waren die mit Göttern identifizierten Sterne. Lichtgestalten also. Das war offenbar in der mündlichen Mythenüberlieferung noch bekannt.

Von diesen Lichtgestalten wurden nun in der benannten Literatur einige als eifersüchtig auf den Menschen dargestellt: Sie weigerten sich, diesen zu verehren. Dafür gings ab auf die Erde (oder in die Unterwelt). Das ist eine der Umdeutungen der Schöpfungs- und auch der Eden-Geschichte, die in dieser Zeit kursierten. Die beteffende Gestalt wurde dann schließlich sogar mit Satan identifiziert, der von der Figur, wie sie noch im Hiob auftritt (Verhandlungspartner und Beauftragter Gottes), zu einem Gegenspieler Gottes umgedeutet wurde.

Zeitgleich wurde die Passage aus 1.Mose 6.2-4 aufgegriffen: Die Göttersöhne ließen sich durch die Schönheit menschlicher Frauen verführen (unfaßlich - tz) und machten Sex mit ihnen, wodurch sie selbst auf die Erde „fielen“ und ihre Göttlichkeit verloren. Es ist nicht ganz falsch, darin den kulturgeschichtlichen Ursprung der Identifizierung „Sex=Sünde“ zu sehen, der für die europäische Geschichte so fatal wurde.

Das, zusammen mit der bei Lukas 10.18 falsch wiedergegebenen Passage des Jesaja 14.12 (siehe FAQ:1518) führte zu der Identifizierung des gefallenen „Engels“ (der nie einer war) mit dem römischen Lichtgott Luciferus.

Die Erzengel (archangeloi) gehörten auch in der hier genannten Literaturepoche zu den untersten Kategorien der Engel (Das „Testament Adams“ nennt 9 Kategorien, die das Vorbild später für Pseudo-Dionysius Areopagita waren, siehe unten). Von denen gab es eine nicht genannte Vielzahl, die hebräische Literatur erwähnt sieben, und vier davon haben (interpretierbare) Namen: Gabriel, Michael, Rafael, Uriel (dieser nur im Henoch erwähnt). Satan zählt keineswegs dazu.

Die ganze Legendenbildung um den „Engelsturz“ gehört also nicht zum alttestamentlichen Kanon.

Zu deinen „Emanationen“ hat Rolf bereits etwas gesagt. Dieser Begriff stammt aus der gnostischen, besser aus der neuplatonischen Philosophie (explizit bei Plotin). Dieser Begriff lief der christlichen creatio ex nihilo vollkommen verquer, dennoch griff ein unbekannter Autor namens (Pseudo-)Dionysos Areopagita ihn auf zur Erklärung seiner 3x3-stufigen Engelshierarchie (die niederen Stufen „emanieren“ aus den höheren, eine völlig überflüssige Konstruktion). Das ist aber dann zu dem oben Erwähnten nochmal wieder ca. 700 Jahre später!

Die obersten Stufen bilden die Seraphen und Keruben, die unterste die Erzengel und Engel. Die in der Legendenliteratur erwähnten „gefallenen“ Wesen standen aber noch über den Seraphen.

Was nun die Fliegenklatsche angeht: Deine „vier Söhne Gottes“ („Wahrheit, Bewußtsein, Liebe und Licht“) gab es nicht, und zur Zeit der Hiobgeschichte schon gar nicht.

zufrieden?

Gruß

Metapher

4 Like

BS"D

Es ist nicht ganz falsch, darin den
kulturgeschichtlichen Ursprung der Identifizierung „Sex=Sünde“
zu sehen, der für die europäische Geschichte so fatal wurde.

Dem wäre so, wenn nicht eben andere daraus hervorgegangenen Kulturen ebenso diese Gleichung vertreten würden. Dem ist aber nicht so, weswegen diese Idee eben erst innerhalb des Christentums und damit viel später aufgetreten ist. (Selbst im orthodoxen Christentum ist diese Idee in dieser Form so stark nicht vertreten.)

Bestes Beispiel dafür ist der ganze Tanach der voll von Sex ist und nirgends würde dieses negativ belegt, solange es sich im gesetzten Rahmen bewegt.

zufrieden?

Ich schon :wink:

Was nun die Fliegenklatsche angeht: Deine „vier Söhne Gottes“
(„Wahrheit, Bewußtsein, Liebe und Licht“) gab es nicht, und
zur Zeit der Hiobgeschichte schon gar nicht.

zufrieden?

Ja, so gefällt es mir. Meine Erklärung der vier Aspekte der Emanationen Gottes, ist aber aus einer okkulten Quelle, die sich auch bis zu diesen Zeiten hin erstreckt. Sie hat ihre Gültigkeit aber nicht verloren, nur war sie hier dann wohl fehlgerichtet.

Diese Quelle berichtet auch über die Gottessöhne, als eine wirkliche, auf der Erde lebenden Rasse, die dem Göttlichen weitaus näher stand, als der damalige und heutige Mensch. Sie sank durch ihre Beziehungen, die sie zum Tiermenschen hatte.

Für alles andere vielen Dank, muß ich mir alles in Ruhe durchlesen.

gruß
rolf

Die ganze Legendenbildung um den „Engelsturz“ gehört also

nicht zum alttestamentlichen Kanon.

Hallo!

Ich weiß nicht, ob ich dich richtig verstanden habe. Ich halte jedenfalls auch das Neue Testament nicht einfach für eine Legende. Gerade die Offenbarung, so schwierig sie auch zu verstehen ist, mit ihren 22 Kapiteln, nicht zufällig entsprechend der Zahl der 22 Buchstaben des hebräischen Alphabets…

Zum Sturz der Engel einiges aus der Bibel:

Offenbarung 12; 7-10 (Krieg im Himmel, Michael und seine Engel kämfte nmit dem Drachen und seinen Engeln…„und hinabgeschleudert wurde der große Drache - die Urschlange - der Teufel und Satan genannt wird…er wurde zur Erde hinabgeschleudert, und seine Engel wurden mit ihm hinabgeschleudert.“)

  1. Petrus2;4 (die Engel, die gesündigt hatten, zu bestrafen, dadurch, dass er sie in den Tartarus warf…

Jesaja 12 („O, wie bist du vom Himmel gefallen, du Glänzender, Sohn der Morgenröte! Wie bist du niedergehauen worden zur Erde…“ Hebräisch helel, griechisch ho heosphoros, lateinisch lucifer = du Lichtträger).

Gruß Ina

Ja, so gefällt es mir. Meine Erklärung der vier Aspekte der
Emanationen Gottes, ist aber aus einer okkulten Quelle, die
sich auch bis zu diesen Zeiten hin erstreckt. Sie hat ihre
Gültigkeit aber nicht verloren, nur war sie hier dann wohl
fehlgerichtet.

Diese Quelle berichtet auch über die Gottessöhne,

Du sprichst von einer Quelle, Rolf. Würde es Dir sehr viel ausmachen, uns diese Quelle mitzuteilen?
Du selbst nennst diese Quelle okkult - vielleicht können wir ja, wenn wir sie kennen, selbst beurteilen, ob sie nur okkult oder obskur, vielleicht gar sinister ist.

Gruß - Rolf

Du sprichst von einer Quelle, Rolf. Würde es Dir sehr viel
ausmachen, uns diese Quelle mitzuteilen?
Du selbst nennst diese Quelle okkult - vielleicht können wir
ja, wenn wir sie kennen, selbst beurteilen, ob sie nur okkult
oder obskur, vielleicht gar sinister ist.

Also du begibst dich in Gefahr ein Herätiker zu werden :wink:

http://www.kheper.net/topics/Theon/

gruß
rolf

Sexualethik (offtopic)

BS"D

Grüß dich,

Es ist nicht ganz falsch, darin den
kulturgeschichtlichen Ursprung der Identifizierung „Sex=Sünde“
zu sehen, der für die europäische Geschichte so fatal wurde.

Dem wäre so, wenn nicht eben andere daraus hervorgegangenen
Kulturen ebenso diese Gleichung vertreten würden. Dem ist aber
nicht so, weswegen diese Idee eben erst innerhalb des
Christentums und damit viel später aufgetreten ist.

Das ist schon richtig. Es ist zwar etwas offtopic, aber dennoch: Ich meinte ja auch mit „Ursprung“ nicht, daß die abendländischen Folgen die einzig möglichen waren. Aber Paulus stand ja nun immerhin voll in dieser Tradition.

Bestes Beispiel dafür ist der ganze Tanach der voll von Sex
ist und nirgends würde dieses negativ belegt

„voll von Sex“ ist wohl richtig. Und manches wird erstaunlicherweise tatsächlich sogar positiv bewertet: 4.Mose 6-18, 1.Mose 19.8, Richter 19.23-24 usw.

solange es sich im gesetzten Rahmen bewegt.

Der gesetzte Rahmen war ja ein gesetzlicher Rahmen: Immerhin (nach Maimonides) 28 sexualethische Gebote und 66 Verbote, mit einer erheblichen Asymmetrie zwischen Männern und Frauen, und zudem die Übertretung der Verbote meist mit Todesstrafe belegt.

Nun ja, die Geschichte orientalischer und eropäischer Sexualethik ist ein weites Feld.

Gruß

Metapher

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Hi Ina,

Ich halte jedenfalls auch das Neue Testament nicht einfach für eine Legende.

Hab ich mit dem von dir zitierten:

Die ganze Legendenbildung um den „Engelsturz“ gehört also
nicht zum alttestamentlichen Kanon

denn gesagt, das NT sei eine Legende?

Gruß

Metapher

Die ganze Legendenbildung um den „Engelsturz“ gehört also
nicht zum alttestamentlichen Kanon

denn gesagt, das NT sei eine Legende?

Gruß

Metapher

Danke. Jetzt ist es klar. Es geht mir auch nicht um Rechthaben. Es gibt wohl die Legendenbildung, wie du sagst. Mir ist aber wichtig, klar zu machen, dass der Engelsturz eben unabhängig von Legenden an mehreren Stellen in der Bibel erwähnt wird. Und die Fußnoten mit dem Urtext finde ich auch interessant.
Noch viel interessanter ist die Frage, welche Bedeutung dieser Sturz für uns Menschen auf der Erde hatte und hat.
Gruß Ina.