''Verfall'' der Sprache - was ist das?

Hallo,

da ich inzwischen einige Male an anderer Stelle darum gebeten wurde zu erklären, was ich unter dem „Verfall“ der deutschen Sprache, verstehe, und ich das Thema eines neuen Artikelbaumes für würdig erachte, hier nun meine Antwort.

Eine der Hauptintentionen verbaler Sprache als Medium ist die Übermittlung von Information („hört, hört!“ :wink:). Dabei geht es um größtmögliche Evidenz, sprich Klarheit, oder, anders ausgedrückt, um Vermeidung von Mißverständnissen. Zur Optimierung der Evidenz bietet die deutsche Sprache diverse grammatische Kategorien an. Ich nenne hier als Beispiel die 4 Kasus. So erschließt sich „des Sängers Höflichkeit“ einfach wesentlich schneller und effizienter dem Rezipienten als „Dem Sänger seine Höflichkeit“, nicht nur, daß man bei ersterer Wendung immerhin ein ganzes Wort bzw. zwei Silben gespart hat, nein, auch kommt dieser eine größere hermeneutische Evidenz zu, die gleich mit dem ersten Wort der Phrase („des“) beginnt, da dieses auf den Genitiv verweist.

Würde, nur mal als Beispiel, der Genitiv verschwinden, so fehlt uns letztendlich auf Dauer diese sofort begreifbare Klarheit, die zumindest ich, als „schön“ und „gelungen“ empfinde, da sie Evidenz mit Effizienz kombiniert.

Oder, als weiteres Beispiel, der hauptsächlich im Osten Deutschlands vorkommende invasive und falsche Gebrauch des Plusquamperfekt (anstelle des Perfekt oder Imperfekt). Auch hier sind Mißverständnisse vorprogrammiert.

Es gibt sehr viele Beispiele für derartige „Verflachungen“ in der deutschen Sprache, denen allen Tendenzen von größerer Differenziertheit des Ausdrucks hin zu weniger Differenziertheit innewohnen und die daraus resultieren, daß der Einzelne Sprachanwender sich keine Gedanken darüber macht, warum er was wie sagt, sondern einfach nachplappert, was er irgendwo aufgeschnappt hat. Man könnte auch sagen, es hat in solchen Fällen auf seiten des Sprachanwenders noch keine sprachliche Individuation stattgefunden. Leider gibt es sehr viele Sprachanwender, die ziemlich wenig darüber nachdenken, warum sie was wie sagen. Da einer beim andern „abkupfert“, verbreiten sich die Fehler häufig stärker als die korrekten Formen.

Auf diese Weise verliert Sprache an Differenzierungsmöglichkeiten und Evidenz im Ausdruck und verfällt.

Gruß,
Uwe

‚‚Verfall‘‘ der Sprache - nix ist da!
Hallo,
ich halte schon die Behauptung, dass die Sprache (angeblich) verfällt,
für unbewiesen und aus der Luft gegriffen. Sprache lebt und verändert
sich permanent. Was natürlich ältere Menschen oft eher nervt, als junge
Leute, ist die Tatsache, dass sich überhaupt was ändert.

Zu keiner Zeit war in vorangehenden Jahrhunderten der Bildungsstand der
Bevölkerung so hoch wie jetzt. Da es kein Internet und allgegenwärtige
elektronische Medien gab und dem gemeinen Volk Bibliotheken eher nur als
„unnütze“ Aufbewahrungsstätte alter Schinken bekannt waren, wurde
Hochsprache nur aktiv in einer recht kleinen Elite als Basis für künstlerische und geisteswissenschaftliche Betätigung gepflegt.
Der Rest der Bevölkerung hat seinen Dialekt oder Mundart gesprochen,
so wie Schnabel gewachsen war und sich sonst keinen Deut um exakte
Grammatik und Rechtschreibung der Amtshochsprache gekümmert.

Teilweise war Deutsch sogar als Sprache der Plebs diskreditiert und man
sprach in vornehmen Kreisen französisch und in anderen Kreisen Latein.

Was also haben wir für angeblich wertvolle Sprachtradition, wenn denn
nicht gerade die Mundarten und Dialekte mit „fehlerhafter“ Grammatik?

Selbst die ganz normal benutze Alltagssprache unseres größten Dichters
würde heute von jedem Grundschullehrer als schlechtes Deutsch abklassiert
und da es sich ums sächsische handelt, was damals anerkannte Hochsprache
war, taugt das heute gerade noch als Klischee für dumpfbackige Ossis.

Was du hier also als Verfall beklagst, ist doch eher nur der Unwille,
der Bevölkerung, sich einer standardisierten von Beamten vorgegebenen
Amtssprache, zu bedienen.
Die Folge davon ist aber mehr Vielfalt und Sprachreichtum.
Gruß Uwi

da ich inzwischen einige Male an anderer Stelle darum gebeten
wurde zu erklären, was ich unter dem „Verfall“ der deutschen
Sprache, verstehe, und ich das Thema eines neuen Artikelbaumes
für würdig erachte, hier nun meine Antwort.

Eine der Hauptintentionen verbaler Sprache als Medium ist die
Übermittlung von Information („hört, hört!“ :wink:). Dabei geht
es um größtmögliche Evidenz, sprich Klarheit, oder, anders
ausgedrückt, um Vermeidung von Mißverständnissen. Zur
Optimierung der Evidenz bietet die deutsche Sprache diverse
grammatische Kategorien an. Ich nenne hier als Beispiel die 4
Kasus. So erschließt sich „des Sängers Höflichkeit“ einfach
wesentlich schneller und effizienter dem Rezipienten als „Dem
Sänger seine Höflichkeit“, nicht nur, daß man bei ersterer
Wendung immerhin ein ganzes Wort bzw. zwei Silben gespart hat,
nein, auch kommt dieser eine größere hermeneutische Evidenz
zu, die gleich mit dem ersten Wort der Phrase („des“) beginnt,
da dieses auf den Genitiv verweist.

Würde, nur mal als Beispiel, der Genitiv verschwinden, so
fehlt uns letztendlich auf Dauer diese sofort begreifbare
Klarheit, die zumindest ich, als „schön“ und „gelungen“
empfinde, da sie Evidenz mit Effizienz kombiniert.

Oder, als weiteres Beispiel, der hauptsächlich im Osten
Deutschlands vorkommende invasive und falsche Gebrauch des
Plusquamperfekt (anstelle des Perfekt oder Imperfekt). Auch
hier sind Mißverständnisse vorprogrammiert.

Es gibt sehr viele Beispiele für derartige „Verflachungen“ in
der deutschen Sprache, denen allen Tendenzen von größerer
Differenziertheit des Ausdrucks hin zu weniger
Differenziertheit innewohnen und die daraus resultieren, daß
der Einzelne Sprachanwender sich keine Gedanken darüber macht,
warum er was wie sagt, sondern einfach nachplappert, was er
irgendwo aufgeschnappt hat. Man könnte auch sagen, es hat in
solchen Fällen auf seiten des Sprachanwenders noch keine
sprachliche Individuation stattgefunden. Leider gibt es sehr
viele Sprachanwender, die ziemlich wenig darüber nachdenken,
warum sie was wie sagen. Da einer beim andern „abkupfert“,
verbreiten sich die Fehler häufig stärker als die korrekten
Formen.

Auf diese Weise verliert Sprache an
Differenzierungsmöglichkeiten und Evidenz im Ausdruck und
verfällt.

Gruß,
Uwe

Zum Gruße,

So erschließt sich „des Sängers Höflichkeit“ einfach
wesentlich schneller und effizienter dem Rezipienten als „Dem
Sänger seine Höflichkeit“, nicht nur, daß man bei ersterer
Wendung immerhin ein ganzes Wort bzw. zwei Silben gespart hat,
nein, auch kommt dieser eine größere hermeneutische Evidenz
zu, die gleich mit dem ersten Wort der Phrase („des“) beginnt,
da dieses auf den Genitiv verweist.

Abgesehen davon, dass ich „dem Sänger seine Höflichkeit“ zwar nicht schön, aber durchaus verständlich finde, kann man deine Version so umstellen: „Die Höflichkeit des Sängers“ und hätte den Genitiv-Verweis nicht an erster Stelle. Wird der Satz dadurch schlechter, schwerer verständlich, weniger evident oder verflacht er dadurch gar völlig?
Doch wohl nicht.

Würde, nur mal als Beispiel, der Genitiv verschwinden, so
fehlt uns letztendlich auf Dauer diese sofort begreifbare
Klarheit, die zumindest ich, als „schön“ und „gelungen“
empfinde, da sie Evidenz mit Effizienz kombiniert.

Ich finde die Begreifbarkeit nicht besser als Konstrukte mit dem Dativ.

Oder, als weiteres Beispiel, der hauptsächlich im Osten
Deutschlands vorkommende invasive und falsche Gebrauch des
Plusquamperfekt (anstelle des Perfekt oder Imperfekt). Auch
hier sind Mißverständnisse vorprogrammiert.

Bitte: „programmiert“, ohne „vor“.
Nur weil das alle so sagen, musst du es ja nicht wiederholen. :smile:

Hast du zu dem falschen Gebrauch des Plusquamperfekts ein Beispiel?

Es gibt sehr viele Beispiele für derartige „Verflachungen“ in
der deutschen Sprache, denen allen Tendenzen von größerer
Differenziertheit des Ausdrucks hin zu weniger
Differenziertheit innewohnen und die daraus resultieren, daß
der Einzelne Sprachanwender sich keine Gedanken darüber macht,
warum er was wie sagt, sondern einfach nachplappert, was er
irgendwo aufgeschnappt hat.

Ein recht harscher Vorwurf, wie ich finde. Kannst du ihn belegen?

Man könnte auch sagen, es hat in
solchen Fällen auf seiten des Sprachanwenders noch keine
sprachliche Individuation stattgefunden.

Eine sprachliche Individuation, konsequent durchgeführt, würde genau zu dem führen, was du vermeiden möchtest.
Du forderst doch das genaue Gegenteil einer Individuation.

Leider gibt es sehr
viele Sprachanwender, die ziemlich wenig darüber nachdenken,
warum sie was wie sagen. Da einer beim andern „abkupfert“,
verbreiten sich die Fehler häufig stärker als die korrekten
Formen.

Wie sind denn die heute korrekten Formen entstanden?
Oder anders herum: könnte es nicht sein, dass das heutige Korrekte früher ein Fehler war bzw. sich aus einem solchen entwickelt hat?
Vor 150 Jahren war es falsch, „Tür“ zu schreiben, heute hingegen ist „Thür“ falsch.
Grammatische Beispiele fallen mir im Moment nicht ein. Ich bin aber sicher, dass jemand, der kundiger ist als ich, da aushelfen kann und wird.

Auf diese Weise verliert Sprache an
Differenzierungsmöglichkeiten und Evidenz im Ausdruck und
verfällt.

Da sich die Sprache ständig entwickelt und verändert, hieße das, dass die heutige Sprache nur noch ein müder verfallener Abklatsch früherer Versionen wäre.
Das kann ich nicht erkennen.

Es tut mir Leid, aber ich kann deine Ansichten nicht nur nicht teilen, sondern halte sie, sowohl in der Analyse als auch im Ergebnis, für falsch.

Du möchtest die Sprache haben wie einen rassereinen edlen Hund mit ellenlangem Stammbaum, aufs Wort gehorchend und damit in der Summe seiner Eigenschaften ein wenig langweilig, aber man sieht halt, was man hat, auch wenn es möglicherweise still vor sich hin degeneriert.

Die Sprache entspricht aber eher einem Straßenköter mit gemischtem Blut anderer Straßenköter, etwas unberechenbar, etwas wild, etwas anarchisch, aber immer mopsfidel, respektlos und in jeder Situation anpassungs- und damit überlebensfähig.
Und manchmal riecht sie etwas streng.

Aber das ist vollkommen in Ordnung so.

Gruß TL

Hallo,

Hallo Uwe,
Das war 'ne gute Idee, einen neuen Artikelbaum aufzumachen. Womöglich wäre der alte sonst im Archiv verschwunden, ohne dass wir fertigdiskutiert hätten. Ob man das Thema aber irgendwie „fertig“-diskutieren kann, das glaube ich fast nicht. :smile:
Danke für alle Fälle für deine Antwort.

Eine der Hauptintentionen verbaler Sprache als Medium ist die
Übermittlung von Information („hört, hört!“ :wink:). Dabei geht
es um größtmögliche Evidenz, sprich Klarheit, oder, anders
ausgedrückt, um Vermeidung von Mißverständnissen. Zur
Optimierung der Evidenz bietet die deutsche Sprache diverse
grammatische Kategorien an. Ich nenne hier als Beispiel die 4
Kasus.

Bis hierhin ist’s absolut korrekt.

So erschließt sich „des Sängers Höflichkeit“ einfach
wesentlich schneller und effizienter dem Rezipienten als „Dem
Sänger seine Höflichkeit“,

Hier muss ich dich unterbrechen (sozusagen, hehe)! Woher nimmst du diese Annahme? Ich finde diese These sehr gewagt, denn dieses Ergebnis erschließt sich nicht logisch oder deutlich aus den Fakten. So etwas müsste man mit EEG, CT oder fMRI überprüfen, bei Sprechern verschiedener deutscher Dialekte, auch der Hochsprache. Für eine Person, die nur Hochdeutsch beherrscht, mag das nämlich korrekt sein, aber es lässt die Sprecher außer Acht, deren Muttersprache (-dialekt) keinen Genitiv besitzt. Wer nun auf dem Land großgeworden ist und dank schlechter Bildung nur seinen Heimatdialekt spricht, wird dem Sänger seine Höflichkeit natürlich viel schneller verstehen als des Sängers Höflichkeit mit einem für ihn ungewohnten Kasus.

Ich habe auch keine Gegenanalyse vorzulegen, muss aber aufgrund meines linguistischen Hintergrundwissens deine Hypothese anzweifeln.

…nicht nur, daß man bei ersterer
Wendung immerhin ein ganzes Wort bzw. zwei Silben gespart hat,
nein,

Das spricht ja eher gegen deine Theorie, da eine höhere Silbenzahl fürs Verständnis eher förderlich als hinderlich ist, einmal aufgrund von Redundanz, einmal auch, weil das Gehirn so die Phrase leichter rekonstruieren kann, sollte einmal ein Geräusch o.ä. dazwischengekommen sein. Das ist in der Psycholinguistik ein bekanntes Prinzip und hängt eng mit der Redundanz zusammen — daher gibt es so etwas in der Sprache auch so häufig.

auch kommt dieser eine größere hermeneutische Evidenz
zu, die gleich mit dem ersten Wort der Phrase („des“) beginnt,
da dieses auf den Genitiv verweist.

Der Begriff „hermeneutische Evidenz“ ist mir nicht bekannt, ich sehe nicht genau, warum das erste Wort „des“ hier so viel weiterhilft. Etwa weil es den Genitiv anzeigt, wobei „dem“ vorm Sänger erstmal auf Dativ hinweist und die Konstruktion dadurch anders heißen könnte? Gut, das ist nachvollziehbar… nur kann der Effekt keine so große Rolle spielen, da bei femininen Possessoren der Artikel im Genitiv und Dativ gleich ist („der“). Zudem werden solche Sätze auch im Hochdeutschen in der gesprochenen Sprache fast nie produziert — wenn, heißt es da allenfalls die Höflichkeit des Sängers. Des Sängers Höflichkeit beschränkt sich fast ausschließlich auf die Schriftsprache; ich denke, da stimmst du mir zu.

Würde, nur mal als Beispiel, der Genitiv verschwinden, so
fehlt uns letztendlich auf Dauer diese sofort begreifbare
Klarheit, die zumindest ich, als „schön“ und „gelungen“
empfinde, da sie Evidenz mit Effizienz kombiniert.

Ja, schön und gelungen mag sein. Da widerspreche ich nicht. Ich sage nicht, dass solche Konstruktionen schlecht klingen oder schlechter sind… aber ich weiß, dass es nicht so einfach ist, zu behaupten, wenn der Genitiv verschwände, kann Possession nur mit Umwegen (das ja), die schwieriger zu verarbeiten sind (das nicht) ausgedrückt werden.
So eine Behauptung bedarf einer guten Analyse und ich könnte mir vorstellen, dass sowas auch schon mal gemacht wurde.

Oder, als weiteres Beispiel, der hauptsächlich im Osten
Deutschlands vorkommende invasive und falsche Gebrauch des
Plusquamperfekt (anstelle des Perfekt oder Imperfekt). Auch
hier sind Mißverständnisse vorprogrammiert.

Meinst du so etwas wie „Ich hatte das gemacht“ oder den (hin und wieder so genannten) Hyperperfekt wie „Ich habe das gemacht gehabt“? Wahrscheinlich letzteres, nehme ich einfach mal an… Dass das typisch ostdeutsch sein soll, hab ich bisher nicht feststellen können, ich hätte’s spontan eher im Ruhrpott verortet, aber keine Ahnung: kann auch ein gesamtdeutsches Phänomen sein.

Hierzu zwei Beobachtungen: Erstens kann ich deiner Behauptung, hier seien Missverständnisse vorprogrammiert, nun gar nicht zustimmen. Eher das Gegenteil ist der Fall, denn es wurde mehrfach von Linguisten die Hypothese aufgestellt, solche scheinbar überflüssigen, die Vergangenheit/Abgeschlossenheit doppelt ausdrückenden Formen sind dem besseren Verständnis halber entstanden. Wie oben erwähnt dient Redundanz ja der besseren Verständigung, da Markierungen wie Tempus, Negation, die Vergabe von thematischen Rollen (Agens, Patiens, Benefizient, Possessor etc.), wenn sie doppelt markiert werden, eine höhere Chance haben, verstanden zu werden, auch unter schwierigeren Umständen (äußere Faktoren wie Lärm oder innere wie mangelnde Konzentration oder einfach komplizierten Satzbau). Dieses Prinzip widerspricht einem anderen linguistischen Prinzip, nämlich dem der Ökonomie: das besagt mehr oder weniger, dass nicht mehr als nötig gesagt werden sollte und bewirkt eher, dass sich Wörter reduzieren und sich Silben abschleifen und sich Redundanz reduziert.
Diese beiden Prinzipien sind im ständigen Wettstreit beim Sprachwandel. Und beide haben ihre Vorteile, logischerweise. Viele Silben helfen dem Verständnis, wenige Silben machen, dass es schneller geht.

Tempus ist eine Kategorie der Sprache, die sich auch stetig im Wandel befindet.

In der Linguistik weiß man: „Dummheit“ (bisschen krass ausgedrückt) mag der Grund für einzeln auftretende Sprachfehler sein, die bei einzelnen Individuen auftreten und sich auch durch Nachahmen verbreiten können. Hier geht’s aber um Dialekteigenschaften und Eigenheiten der Umgangssprache, also keine Einzelphänomene, sondern Effekte, die ganze Regionen mit fast allen Sprechern betreffen, v.a. die, die nicht dem Einfluss des normierten Hochdeutsch unterliegen.
Wie ist das zu erklären? Entweder sind Sachsen, Schwaben, und vor allem Schweizer dümmer als der gemeine Hannoveraner… oder aber, es sind Tendenzen, die in den jeweiligen Regionen aufgrund von Sprachwandel das Verständnis begünstigen. Es wäre töricht anzunehmen, das Hochdeutsche sei das Non-Plus-Ultra in Sachen effiziente Verständigung.
Rudi Keller schreibt in seinem Buch „Sprachwandel“ über die Faktoren, die dazu führen, dass sich Sprache verändert. Natürlich ist keins davon mangelnde Intelligenz oder Schludrigkeit im Umgang mit der Sprache, auch wenn das die „kleinen Auslöser“ zu sein scheinen. Im Endeffekt dienen sie höheren Zwecken, da sie am Ende darauf hinauslaufen, dass z.B. die Redundanz erhöht wird, oder aber überflüssige Laute oder Konstruktionen wegfallen (siehe die beiden Prinzipien oben). So führen augenscheinliche „Fehler“ einzelner Personen über die Verbreitung dieser „Fehler“ hin zu Effekten auf die Sprache selbst — das ist die sogenannte Theorie der unsichtbaren Hand.

Wir wissen auch, dass sich das Deutsche nicht sonderlich viel anders als andere Sprachen verhält. Weiter unten sprichst du von verlorengehender Differenzierbarkeit in der Sprache. Vielleicht denkst du an Beispiele wie der Verlust der Unterscheidung zwischen „dasselbe“ und „das gleiche“ oder ähnliches…
Wenn man aber den Faden mal weiterspinnt, könnte man nach deiner Theorie annehmen, die deutsche Sprache verlöre mit der Zeit an Differenzierbarkeit. Man könne so weniger Unterschiede machen als früher. Das liefe ja irgendwie darauf hinaus, dass unsere Sprache ungenau würde und wir viele Dinge nicht mehr präzise äußern könnten, sondern sie vllt. umschreiben müssten… oder einfach dumm dastehen, wie man so schön sagt.
Wenn das so wäre, müsste man das ja bei anderen Sprachen auch beobachten können. Ich studier nun schon seit bald 6 Jahren Linguistik (ich sollte längst fertig sein, ich weiß -_-) und hab mich auch vorher intensiv mit Sprache(n) auseinandergesetzt — in dieser Zeit habe ich nie, NIE eine Sprache kennengelernt, die in irgendeiner Form an Ausdrucksfähigkeit verloren hätte oder noch schlimmer: die nicht mehr gesprochen werden konnte, weil sie zu einfach geworden wäre. Sprachen wie Latein mögen und sehr kompliziert, sehr schön, sehr präzise und sehr logisch vorkommen, wenn wir sie mit z.B. Spanisch vergleichen, die viele vielleicht als einfach, regelmäßig, schön intuitiv oder so beschreiben würden. Und ja: die Morphologie des Lateinischen ist in der Tat um einiges komplexer als die des Spanischen. Trotzdem würde nie ein Sprachwissenschaftler behaupten, Latein wäre eine viel „reichere“ oder „genauere“ Sprache als das heutige Spanisch. Solche Einschätzungen hört man oft, aber immer nur von Laien.

Ein krasseres Beispiel wäre vielleicht Englisch: früher ähnlich komplex in der Morphologie wie Deutsch, heute fast eine isolierende Sprache, die fast alles mit kleinen Wörtchen und mit Wortstellung ausdrückt, was bei uns mit Flexionsendungen geht. Hat das Englische darunter gelitten? Ist Englisch heute unpräziser und ärmer als das Altenglische? Kann man heute vieles nicht richtig ausdrücken, weil einem die Wörter oder Konstruktionen fehlen? Nein. Natürlich nicht. Sprache passt sich ja automatisch an, wir können immer alles ausdrücken, was wir auch ausdrücken wollen. Die Ausdrucksfähigkeit von Sprache ändert sich nicht im Laufe der Zeit, nur die Methoden ändern sich. Was früher mit Kasus gemacht wurde, wird heute mit Präpositionen gelöst. Und später mal? …ja, vielleicht entstehen dann aus Präpositionen wieder Kasus.

Der bekannte Linguist Givón schrieb einmal: Yesterdays syntax is todays morphology. — Sprache ist im Wandel und findet immer einen Weg, sie wird nicht ärmer, weil wir ja trotzdem noch alles ausdrücken müssen, was wir im Geiste unterscheiden können. Sprache kann also gar nicht ärmer werden.
Wenn Sprachen untergehen, hat das ganz andere Gründe. Dann sind immer andere Sprachen involviert. Aber selbst der Einfluss der Anglizismen (über die ich hier eigentlich nicht reden möchte, weil das wieder ein zu weites Feld ist) ist noch längst nicht so stark, dass man von einer Gefahr oder Bedrohung sprechen könnte. Deutsch ist alles andere als eine bedrohte Sprache.

Es gibt sehr viele Beispiele für derartige „Verflachungen“ in
der deutschen Sprache, denen allen Tendenzen von größerer
Differenziertheit des Ausdrucks hin zu weniger
Differenziertheit innewohnen und die daraus resultieren, daß
der Einzelne Sprachanwender sich keine Gedanken darüber macht,
warum er was wie sagt, sondern einfach nachplappert, was er
irgendwo aufgeschnappt hat.

Ja, den Eindruck bekommt man als Laie, wenn man sich einzelne (als Adjektiv übrigens immer noch kleingeschrieben) Sprachanwender anguckt. Manche plappern das nach, aber dadurch verändert sich die Sprache ja noch nicht. Es ist zwar ein fließender Übergang zwischen dem Nachplappern von „Fehlern“ und dem Sprachwandel, aber dazwischen steht immer die Akzeptanz, geleitet von der unsichtbaren Hand (siehe Keller 1990). Neue Ausdrücke, Wendungen oder Konstruktionen setzen sich nur durch, wenn sie den Sprechern (natürlich fast immer unbewusst) Vorteile bringen… also das Verständnis erleichtern, präziser sind, etwas unnötiges auslassen oder oder oder. Schädliche Veränderungen können sich gar nicht verbreiten, und wenn sie es scheinbar doch tun, treten unvermittelt andere Ausdrücke, Wendungen und Konstruktionen an ihre Stelle.

Wenn also der Genitiv verschwindet, was erstmal fatal erscheinen mag, so wird er sofort durch andere Konstruktionen ersetzt (meist ist’s eher so, dass es schon vor dem Verschwinden Alternativen gibt), wie z.B. der Dativ zusammen mit einem Possessivadjektiv wie eben „der Frau ihr Auto“ und so weiter.
Und ich als Muttersprachler des Sächsischen sage dir: Es gibt überhaupt keine Verständigungsprobleme mit solchen alternativen Konstruktionen mit Dativ. Sowas könnte höchstens interdialektal auftreten, aber dafür gibt’s ja die praktische Kunstsprache „Hochdeutsch“, genau wie man im internationalen Bereich Englisch (oder in meinem Fall noch Esperanto :slight_smile:) benutzen kann.

Man könnte auch sagen, es hat in
solchen Fällen auf seiten des Sprachanwenders noch keine
sprachliche Individuation stattgefunden. Leider gibt es sehr
viele Sprachanwender, die ziemlich wenig darüber nachdenken,
warum sie was wie sagen.

Ja, in der Tat. Aber das ist nur natürlich. Das mag ein Problem für einzelne Leute sein, in unserer Gesellschaft, aber sicher kein Problem für die gesamte Sprache. Die leidet wie gezeigt ja nicht darunter. Nicht auf seine Sprache zu achten schafft soziale Schwierigkeit für den Einzelnen, nicht aber für die Sprache und damit für die Gesamtheit der Sprecher.

Da einer beim andern „abkupfert“,
verbreiten sich die Fehler häufig stärker als die korrekten
Formen.

…und irgendwann ist der ursprüngliche Fehler die verbreitetste Form und muss damit als neue korrekte Form anerkannt werden. Und? Wo ist das schlimm? Wie gesagt verbreiten sich keine Formen, die negative Auswirkungen auf die Verständlichkeit haben. Solche Verbreitungen haben also immer einen Grund, oder vielmehr: einen Zweck.

Auf diese Weise verliert Sprache an
Differenzierungsmöglichkeiten und Evidenz im Ausdruck und
verfällt.

Ich finde es schade, dass du das so siehst. Hast du dich einmal gefragt, warum kein Sprachwissenschaftler der Welt und praktisch kein Germanist mit linguistischer Ausbildung je wagen würde, zu behaupten, die deutsche Sprache verfiele? Ist es nicht seltsam, dass diese Behauptungen immer wieder von Laien breitgetreten werden, oder aber von Journalisten und Buchautoren, wie Bastian Sick, die offensichtlich nur unzureichende linguistische Grundkenntnisse besitzen?

Schon komisch, dass Linguisten immer wieder betonen, dass genau dieser Verfall ein Aberglaube ist, dass Sprachen zwar untergehen können, so etwas aber ganz anders aussieht.

Wie kommt’s, dass auf der Welt noch nie eine Sprache aufgrund von Verlust der Differenzierungsmöglichkeiten verfallen ist? Ich meine, das müsste man ja schon einmal erlebt haben, oder? Noch nie wurden sich schließlich so viele Gedanken um die eigene Sprache gemacht, wie heutzutage… vergleich’s mal mit dem Mittelalter: außer Dichtern und Sängern und vielleicht einigen Schreibern und hohen Adligen hat sich doch kaum jemand um seine Sprache geschert. Damals hätten unsere Sprachen alle viel gefährdeter sein müssen… trotzdem ist keine davon unsprechbar geworden.

Du hast mir meine Frage von neulich detailliert beantwortet und ich habe dir detailliert (vielleicht zu weitschweifig, ich kann mich da manchmal schlecht zügeln) dargelegt, wie der wissenschaftliche Standpunkt zu dem Thema ist… dabei nicht nur meiner, sondern auch der allgemeine. Ich hatte unten neulich ja ein paar Buchtipps gegeben, ich empfehle dir zu dem Thema wirklich einige davon. Zum Thema Sprachwandel ist das Buch von Rudi Keller (wie gesagt ein Standardwerk) sehr zu empfehlen. Wenn du nicht weiter nur auf dein Gefühl und deine Ahnungen vertrauen möchtest, sondern dich mal mit dem wissenschaftlichen Standpunkt vertraut machen möchtest, solltest du es mal lesen. Es ist auch nicht sehr groß: 216 Seiten Text in Taschenbuchformat.

Eine Frage, die noch offenbleibt, die mich noch interessieren würde: Was wird deiner Meinung nach passieren, wenn das mit dem angeblichen Sprachverfall so weitergeht und man nichts dagegen tut?
Worauf läuft es hinaus? Wie sieht das aus, wenn die deutsche Sprache komplett verfällt? Wie malst du dir dieses Szenario aus?

Bin auf die weitere Diskussion gespannt und interessiere mich auch, was andere dazu sagen. Vielleicht möchte sich Immo noch äußern.

Viele Grüße,

  • André

Hallo Uwi,

Sprache lebt und verändert
sich permanent.

das stimmt zwar und wird gerne von vielen als Pauschal-Argument hergezogen, aber die Tatsache, daß sich Sprache natürlich verändert sollte kein Freibrief dafür sein, jeden modischen Sprachquatsch zu kultivieren und sinnhaftes Regelwerk in Vergessenheit geraten zu lassen.
Die meisten Menschen beherrschen Sprache nicht gut genug, um ausdrücken zu können, was sie meinen, daher ist wohl einer der meistgesagtesten Sätze „SO habe ich es aber nicht gemeint“. Wenn Menschen sagen würden/könnten (!), was sie meinen (und dazu ist das Medium Sprache durchaus in der Lage) wäre das sehr hilfreich für den zwischenmenschlichen Umgang im Allgemeinen, denn Sprache ist nun mal unser Hauptkommunikationsmittel.
Gruß, Paulader

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Verfall und Differenzierung
Hallo allerseits,

Ich möchte gern noch einen Aspekt hinzufügen, nämlich : Ich bin durchaus der Meinung, dass Sprachen sich langsam vereinfachen und damit undifferenzierter werden. Im Englischen und im Niederländischen sind in den letzten Jahrhunderten Artikel und Deklinationen verschwunden. Das sieht also nach einem Trend aus.

Aber : Wenn es Phasen gibt, in denen sich Sprachen vereinfachen, muss es doch auch Phasen geben, in denen sie differenzierter werden, denn sonst wären wir ja irgendwann am Punkt ultimativer Vereinfachung angekommen. Gibt es irgend welche historischen Umstände, die die eine oder die andere Entwicklung begünstigen ?

Weiß das jemand ? Ist das bekannt ? Stimmt das ?

MfG
Klaus

Moin,

Ich
bin durchaus der Meinung, dass Sprachen sich langsam
vereinfachen und damit undifferenzierter werden.

Das wage ich schwer zu bezweifeln. Eine Sprache muß alles ausdrücken können, was man mit ihr sagen will. Wenn sich bestimmte Aspekte vereinfachen (das gibt es durchaus), müssen andere dieses wieder auffangen, ansonsten wird die Sprache unbenutzbar und die Veränderungen könnten sich nicht durchsetzen. Zum Beispiel führt der Wegfall von Konjugationsendungen in der Regel dazu, daß die Personalpronomen benutzt werden müssen. Der Wegfall von Kasus bedingt oft eine starrere Satzstruktur und so weiter.

Aber : Wenn es Phasen gibt, in denen sich Sprachen
vereinfachen, muss es doch auch Phasen geben, in denen sie
differenzierter werden, denn sonst wären wir ja irgendwann am
Punkt ultimativer Vereinfachung angekommen. Gibt es irgend
welche historischen Umstände, die die eine oder die andere
Entwicklung begünstigen ?

Es gibt einige Theorien, die von zyklischen Entwicklungen ausgehen. Also zum Beispiel werden synthetische Formen nach und nach durch analytische ersetzt. Später wachsen diese wieder zusammen und so entstehen neue synthetische. Aber meines Wissens ist die ganze Diskussion um die Sprachentwicklung noch keineswegs in trockenen Tüchern, und auch die Linguisten sind sich nicht einig.

Aber hierzu kann André als Fachmann bestimmt erschöpfender Auskunft geben.

Gruß

Kubi

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Ich finde die Begreifbarkeit nicht besser als Konstrukte mit
dem Dativ.

„Der Viehmakler verkaufte die Kuh des Bauern Jobst/des Bauern Jobst Kuh“ ist eine eindeutige Aussage, nämlich daß die Kuh dem Bauern Jobst gehört und vom Makler verkauft wird.

„Der Viehmakler verkaufte dem Bauern Jobst seine Küh“ ist keine eindeutige Aussage. Wessen Kuh verkauft der Makler wem?

Du möchtest die Sprache haben wie einen rassereinen edlen Hund
mit ellenlangem Stammbaum, aufs Wort gehorchend und damit in
der Summe seiner Eigenschaften ein wenig langweilig, aber man
sieht halt, was man hat, auch wenn es möglicherweise still vor
sich hin degeneriert.

Die Sprache entspricht aber eher einem Straßenköter mit
gemischtem Blut anderer Straßenköter, etwas unberechenbar,
etwas wild, etwas anarchisch, aber immer mopsfidel, respektlos
und in jeder Situation anpassungs- und damit überlebensfähig.

Bevor dieser Vergleich weiter ausgeführt wird, sollte vielleicht erst einmal im Biologie- oder Haustierforum über Fragen der Hundezucht diskutiert und geklärt werden, ob die üblichen Behauptungen zu Rassehunden und Mischlingen so den Tatsachen entsprechen.

R.H.

Woher nimmst du diese Annahme? Ich finde diese These sehr
gewagt, denn dieses Ergebnis erschließt sich nicht logisch
oder deutlich aus den Fakten.

Auch ich sehe hier einen Verlust an Aussagekraft oder -genauigkeit. Ein Beispiel habe ich ja in einem anderen Beitrag gegeben.

Für eine Person, die nur
Hochdeutsch beherrscht, mag das nämlich korrekt sein, aber es
lässt die Sprecher außer Acht, deren Muttersprache (-dialekt)
keinen Genitiv besitzt. Wer nun auf dem Land großgeworden ist
und dank schlechter Bildung nur seinen Heimatdialekt spricht,
wird dem Sänger seine Höflichkeit natürlich viel
schneller verstehen als des Sängers Höflichkeit mit
einem für ihn ungewohnten Kasus.

Das halte ich für einen Irrglauben. Ich lebe in einem Gebiet, in dem fast nur die örtliche Mundart gesprochen wird, die keinen Genitiv hat. Zwar kenne ich einige Leute mit niedriger Bildung, die nie außerhalb gelebt haben und selbst nur die Mundart sprechen können, aber nie habe ich erlebt, daß einer die amtliche Hochsprache nicht verstehen kann. Selbst diese Leute können genau zwischen der Hochsprache, die sie aus dem Fernsehen und der Zeitung und einige auch vom Gottesdienst kennen, und ihrer eigenen unterscheiden.

Hier geht’s aber
um Dialekteigenschaften und Eigenheiten der Umgangssprache,
also keine Einzelphänomene, sondern Effekte, die ganze
Regionen mit fast allen Sprechern betreffen, v.a. die, die
nicht dem Einfluss des normierten Hochdeutsch unterliegen.
Wie ist das zu erklären? Entweder sind Sachsen, Schwaben, und
vor allem Schweizer dümmer als der gemeine Hannoveraner…
oder aber, es sind Tendenzen, die in den jeweiligen Regionen
aufgrund von Sprachwandel das Verständnis begünstigen. Es wäre
töricht anzunehmen, das Hochdeutsche sei das Non-Plus-Ultra in
Sachen effiziente Verständigung.

Ich habe den Ausgangsbeitrag so verstanden, daß sich die Verfallsvermutung auf die auf der Normsprache basierende Umgangssprache, keineswegs auf Dialetke bezieht.

Wenn Sprachen untergehen, hat das ganz andere Gründe. Dann
sind immer andere Sprachen involviert.

Es sei denn, die Sprecher sterben aus. Das soll aber nur der Vollständigkeit halber gesagt sein, natürlich hat es nichts mit Sprachverfall zu tun.

vergleich’s mal mit
dem Mittelalter: außer Dichtern und Sängern und vielleicht
einigen Schreibern und hohen Adligen hat sich doch kaum jemand
um seine Sprache geschert. Damals hätten unsere Sprachen alle
viel gefährdeter sein müssen… trotzdem ist keine davon
unsprechbar geworden.

Damals hatten die „einfachen Sprecher“ aber auch keinen Einfluß auf die Hoch- und Schriftsprache und deren Überlieferung.

Ich vermute, du siehst in der Verfallsaussage eine Kritik an der von alters her mündlich überlieferten Volkssprache, die sich in verschiedenen Dialekten ausdrückt.
Ich selbst verstehe die Aussage wie schon gesagt als Kritik an einem (angenommenen) Verfall der sogenannten Hochsprache. Vielelicht wird der Verfasser dazu noch Näheres schreiben.

Die heutige Umgangssprache in weiten Teilen Deutschlands basiert ja nicht auf Dialekten, hat allenfals einige Eigenheiten aus diesen übernommen.

Grüße,
R.H.

Hallo R.,

Ich finde die Begreifbarkeit nicht besser als Konstrukte mit
dem Dativ.

„Der Viehmakler verkaufte die Kuh des Bauern Jobst/des Bauern
Jobst Kuh“ ist eine eindeutige Aussage, nämlich daß die Kuh
dem Bauern Jobst gehört und vom Makler verkauft wird.

„Der Viehmakler verkaufte dem Bauern Jobst seine Küh“ ist
keine eindeutige Aussage. Wessen Kuh verkauft der Makler wem?

Was beweist das?
Nichts. Denn Ambiguitäten gibt es in der Sprache immer irgendwo, auch mit dem Genitiv: ersetze „Bauer“ durch „Bäuerin“ und mach auch das Subjekt weiblich und es wird nicht mehr so einfach mit der Differenzierung. Hast du da mal im wahren Leben Verständnisschwierigkeiten gehabt? Vermutlich kaum… ebensowenig hat ein Sachse (zum Beispiel) damit ein Problem.

Das von dir genannte Beispiel ist ein selten auftretendes, da mehrere Faktoren zusammenspielen müssen um ein Missverständnis zu begünstigen: Wortstellung, Genera bei Subjekt und Possessor, sowie Semantik müssten da zusammenspielen. Diese seltenen Ambiguitäten werden in der Regel durch andere Strategien wieder wettgemacht, sowohl in Sprachvarietäten mit als auch ohne Genitiv, so dass solche Verwechslungen nur sehr selten wirklich auftreten…
Das kann also kein Argument sein.

Gruß,

  • André

Hallo R.,

Woher nimmst du diese Annahme? Ich finde diese These sehr
gewagt, denn dieses Ergebnis erschließt sich nicht logisch
oder deutlich aus den Fakten.

Auch ich sehe hier einen Verlust an Aussagekraft oder
-genauigkeit. Ein Beispiel habe ich ja in einem anderen
Beitrag gegeben.

Wie auch von mir beschrieben, ist das nur ein scheinbarer Verlust. Mag auch stimmen, wenn man davon ausgeht, dass es immer nur eine mögliche Konstruktion gibt, um etwas auszudrücken. Tatsache ist aber, dass selten nur ein Faktum fürs Verständnis eines Satzes ausschlaggenbend ist. Es spielen immer mehrere Elemente mit hinein. Ambiguität gibt es sowohl bei Genitiv- als auch bei Dativ-Possession. Spricht das nicht dafür, dass sich eigentlich der Genitiv bei weiblichen Nomen ändern sollte, so dass diese auch explizit markiert werden? Sollte sich nicht nach dieser Logik eine Form wie der Bäuerin s Kuh entwickeln, um diese Ambiguität zu umgehen?
Da Sprache ein sich selbst erhaltendes System ist, werden gravierende Mehrdeutigkeiten durch andere Strategien wieder wettgemacht. Einen wirklichen Nachteil kann man bei Dativ-Possession nicht feststellen, es ist eben eine alternative Strategie des Ausdrucks von Possession, der in den Dialekten häufig auftritt, die den Genitiv verloren haben. Schlechter verständlich werden diese Dialekte dadurch nicht.

Für eine Person, die nur
Hochdeutsch beherrscht, mag das nämlich korrekt sein, aber es
lässt die Sprecher außer Acht, deren Muttersprache (-dialekt)
keinen Genitiv besitzt. Wer nun auf dem Land großgeworden ist
und dank schlechter Bildung nur seinen Heimatdialekt spricht,
wird dem Sänger seine Höflichkeit natürlich viel
schneller verstehen als des Sängers Höflichkeit mit
einem für ihn ungewohnten Kasus.

Das halte ich für einen Irrglauben. Ich lebe in einem Gebiet,
in dem fast nur die örtliche Mundart gesprochen wird, die
keinen Genitiv hat. Zwar kenne ich einige Leute mit niedriger
Bildung, die nie außerhalb gelebt haben und selbst nur die
Mundart sprechen können, aber nie habe ich erlebt, daß einer
die amtliche Hochsprache nicht verstehen kann. Selbst diese
Leute können genau zwischen der Hochsprache, die sie aus dem
Fernsehen und der Zeitung und einige auch vom Gottesdienst
kennen, und ihrer eigenen unterscheiden.

Nö, das hab ich auch nicht gesagt. Verstehen wird Hochdeutsch wohl jeder. Es ging um psycholinguistische Effekte, die im Millisekundenbereich liegen, nämlich die Reaktionsgeschwindigkeit bei Possessionskonstruktionen. Und die liegt logischerweise bei muttersprachlichen Konstruktionen höher als bei dialektfremden aber noch verständlichen Konstruktionen.
Ich würde auch behaupten, dass praktisch alle Deutschmuttersprachler das Hochdeutsche zumindest passiv beherrschen. Eine konkrete Aussage über die Verarbeitungsgeschwindigkeit kann man aber nur auf Untersuchungsergebnisse (EEG, CT, fMRI und was man dafür alles nutzt) stützen. Deswegen ist auch meine Behauptung nur ein educated guess. „Educated“, weil ich mich dank des Studiums etwas damit auszukennen glaube. Natürlich weiß ich nicht, wie deine Kenntnisse der Psycholinguistik sind und lasse mich da gern eines besseren belehren. Über irgendwelche Untersuchungsergebnisse in diese Richtung würde ich mich freuen, auch wenn sie meiner Behauptung widersprechen mögen.

Ich habe den Ausgangsbeitrag so verstanden, daß sich die
Verfallsvermutung auf die auf der Normsprache basierende
Umgangssprache, keineswegs auf Dialetke bezieht.

Wie kommst du auf die Idee, die Umgangssprache basiere auf der Normsprache? Ich möchte dem nicht direkt widersprechen, aber so richtig Sinn ergibt das für mich nicht. Dann hätte sich ja die Umgangssprache irgendwie erst mit der Einführung des Hochdeutschen entwickeln können?
Gibt es überhaupt regionsunabhängige Umgangssprache? Darüber könnte ich selbst noch keine Aussage treffen; die Definition ist nicht ganz klar.

Wenn Sprachen untergehen, hat das ganz andere Gründe. Dann
sind immer andere Sprachen involviert.

Es sei denn, die Sprecher sterben aus. Das soll aber nur der
Vollständigkeit halber gesagt sein, natürlich hat es nichts
mit Sprachverfall zu tun.

Ja, hat es auch schon gegeben. Etwa mit einem Vulkanausbruch auf einer pazifischen Insel, die die gesamte Inselbevölkerung und deren Sprache ausrottete. Ich hätte auch schreiben sollen: Es sind immer andere Sprachen oder unterdrückende Völker involviert. Entweder die Sprecher wechseln, oder sie sterben aus. Von selbst oder durch sich selbst oder die Sprecher ist noch keine Sprache untergegangen.

vergleich’s mal mit
dem Mittelalter: außer Dichtern und Sängern und vielleicht
einigen Schreibern und hohen Adligen hat sich doch kaum jemand
um seine Sprache geschert. Damals hätten unsere Sprachen alle
viel gefährdeter sein müssen… trotzdem ist keine davon
unsprechbar geworden.

Damals hatten die „einfachen Sprecher“ aber auch keinen
Einfluß auf die Hoch- und Schriftsprache und deren
Überlieferung.

Nein, damals gab’s ja auch keine Hochsprache und auch keine feste Schriftsprache. Jeder schrieb so, wie er sprach oder orientierte sich an anderen Autoren. Deswegen sind in mittelhochdeutschen Wörterbüchern auch immer so viele Varianten mit aufgelistet.
Aber auf die Fortentwicklung der Sprache selbst hatten die „einfachen Sprecher“ natürlich schon unbewusst Einfluss. Die scheinbaren Fehler, die die Menschen damals machten, führten ja erst zur Entstehung des Frühneuhochdeutschen und später Neuhochdeutschen und damit den heutigen Varietäten. Das heutige Hochdeutsch ist dann nochmal durch mehrfaches normierendes Eingreifen aus der Meißner Kanzleisprache entstanden. Darüber hatten wir ja neulich hier auch einen Thread…

Ich vermute, du siehst in der Verfallsaussage eine Kritik an
der von alters her mündlich überlieferten Volkssprache, die
sich in verschiedenen Dialekten ausdrückt.
Ich selbst verstehe die Aussage wie schon gesagt als Kritik
an einem (angenommenen) Verfall der sogenannten Hochsprache.
Vielelicht wird der Verfasser dazu noch Näheres schreiben.

Hm, guter Punkt. Die Hochsprache ist ja ein künstlich aufrecht erhaltenes Konstrukt (soll nicht wertend gemeint sein), eine Art überregionaler Standard, ein bisschen wie Esperanto. Einige Dialekte sind näher dran, andere weiter weg. Die Umgangssprache ist immer ein Stückweit unterschiedlich von der Hochsprache.
Was genau ändert sich mit der Zeit?
Die Dialekte? — Ja, in letzter Zeit v.a. in Richtung Hochdeutsch. Das ist schlecht für den Varietätenreichtum des Deutschen aber natürlich nicht für die Verständigung der Sprecher. Ob man Dialekt oder Hochdeutsch spricht, keine Muttersprache ist besser als die jeweils andere.
Die Umgangssprache? — Ja, da sind wir uns einig. Um die Veränderungen darin geht’s uns hier ja, denke ich… nur ist wie oben gesagt, die Definition von „Umgangssprache“ keine leichte. Ist das vielleicht die Redeweise der Deutschen in informellen Situationen, ohne dass man sie regional zuordnen könnte? Wäre möglich.
Die Hochsprache? — Ja, auch sie ändert sich, bzw. wird geändert, da sie ja künstlich ist. Durch „Druck“ von außen, d.h. durch Veränderungen der Umgangssprache, wird die Hochsprache leicht an die Veränderungen der Umgangssprache angepasst. Wenn man feststellt, dass niemand mehr eine gewisse hochdeutsche Konstruktion verwendet und sich dafür umgangssprachlich etwas anderes etabliert hat, wird darüber entschieden, ob man den obsoleten Ausdruck nicht durch die nun zum Standard gewordene Form ersetzen sollte. Dabei gibt es, glaube ich, nicht den Standard, an den man sich zu halten hat, sondern nur Vorschläge. Der Duden ist da wohl die einflussreichste „Vorschlägesammlung“ zur Hochsprache.

Die heutige Umgangssprache in weiten Teilen Deutschlands
basiert ja nicht auf Dialekten, hat allenfals einige
Eigenheiten aus diesen übernommen.

Ah, da kommen wir der Definition schon näher. So ähnlich ist auch meine Auffassung davon.

Gruß,

  • André

Hallo allerseits,

Hallo auch,

Ich möchte gern noch einen Aspekt hinzufügen, nämlich : Ich
bin durchaus der Meinung, dass Sprachen sich langsam
vereinfachen und damit undifferenzierter werden. Im Englischen
und im Niederländischen sind in den letzten Jahrhunderten
Artikel und Deklinationen verschwunden. Das sieht also nach
einem Trend aus.

Wie Kubi schon richtig schrieb: wenn Artikel und Deklination verschwinden, heißt das ja nicht, dass eine Unterscheidung von Referentialität/Definitheit und thematische Rollen wie Agens, Patiens, Benefizient und Possessor, die früher mit Nominativ, Akkusativ, Dativ und Genitiv ausgedrückt wurden, nicht mehr möglich wäre. Diese Aufgabe wird ja dann von anderen Bereichen der Sprache übernommen, wie der Syntax (Stellung im Satz zeigt Subjekt und Objekt an), durch Präpositionen (wie „von“ bei Possession) oder durch demonstrative Elemente („dieses“, „jenes“ oder z.B. die Abwesenheit eines indefiniten Artikels) übernommen.

Wenn man sich überlegt, woraus sich die deutsche Sprache entwickelt hat, und dann sieht, dass es in älteren Sprachstufen noch mehr Fälle gab (fürs Proto-Indogermanische werden noch Instrumental, Lokativ, Vokatik, Ablativ und z.T. manchmal ein Allativ rekonstruiert)… dann wäre doch der logische Schluss aus deiner Aussage, dass man sich früher viel besser verständigen konnte, weil die Sprache scheinbar mehr Fälle und damit mehr Bedeutungsunterschiede kodieren konnte.

Ob man etwas mit Suffixen ausdrückt, mit einzelnen Wörtchen oder mittels Wortstellung, ist im Endeffekt egal.

Aber : Wenn es Phasen gibt, in denen sich Sprachen
vereinfachen, muss es doch auch Phasen geben, in denen sie
differenzierter werden, denn sonst wären wir ja irgendwann am
Punkt ultimativer Vereinfachung angekommen. Gibt es irgend
welche historischen Umstände, die die eine oder die andere
Entwicklung begünstigen ?

Sprachen vereinfachen oder differenzieren sich nicht. Subsysteme tun das. Wenn sich in einer Sprache (wie dem Englischen) die Morphologie abbaut, wie das ja geschehen ist, wird diese Aufgabe prompt durch rigidere Strukturen der Syntax übernommen. Deswegen ist Englisch morphologisch heute total simpel, syntaktisch aber wesentlich komplizierter als z.B. Latein oder Russisch, in der die Wortstellung keine so großen Auswirkungen in der Grammatik hat.

Im Chinesischen hat sich v.A. die Phonologie vereinfacht, es gibt nur eine kleine Anzahl möglicher Silben im Chinesischen. Dadurch ist die Sprache nicht etwa ungenau und missverständlich geworden, nein, heute werden Wörter für gewöhnlich einfach mehr durch zwei Silben ausgedrückt, statt damals meist durch eine.

Im Französischen beginnt sich in der Umgangssprache langsam pronominale Kongruenz herauszubilden, da Pronomen wie je, tu usw. zunehmend den Weg über Klitika bishin zu Personalpräfixen gehen. Hier entwickeln sich einzelne Wörter also langsam zu Präfixen. Ein spannender Prozess!

Welche historischen Umstände aber dazu führen, dass sich die Morphologie, die Syntax (andersrum als oben beschrieben ist auch möglich) oder auch die Phonologie vereinfacht, kann ich auch nicht sagen. Das geschieht entweder einfach so durch Tendenzen, die stärker werden, oder durch Sprachkontakt. Möglich, dass der Morphologieabbau im Englischen auf den langen und engen Kontakt mit anderen Sprachen (Altfranzösisch, Dänisch usw.) zurückzuführen ist.

Gruß,

  • André
1 Like

Hi,

der hauptsächlich im Osten Deutschlands vorkommende invasive und falsche Gebrauch des Plusquamperfekt (anstelle des Perfekt oder Imperfekt).

Dafür hätte ich gerne ein Beispiel. Ich wurde in Sachsen gebiren und wurde einmal von einer DEutschlehrerin (Kollegin) in München ausdrücklich dafür gelobt, dass ich das Imperfekt und Plusquamperfekt so orrekt verwende…

Übrigens:

Eine der Hauptintentionen verbaler Sprache als Medium ist die Übermittlung von Information […]. Dabei geht es um größtmögliche Evidenz, sprich Klarheit, oder, anders ausgedrückt, um Vermeidung von Mißverständnissen.

Ich bin zwar theoretische Texte, vor allem sprachtheoretische, sehr gewöhnt und habe keine Probleme, sie zu verstehen. Deinen habe ich aber nicht leicht verstanden. Auch ich habe, wie Andre, Probleme mit dem Begriff der hermeneutischen Evidenz. Evidenz ist Offensichtlichkeit, Hermeneutik ist die Philosophie des Verstehens, die Wissenschaft sachgerechter Interpretation. … Ich geb auf, ich hab Kopfweh.
Evidenz ist nicht unbedingt Klarheit, schon gar nicht im allgemeinverständlichen Sinne. Und selbst, wenn du dich klar ausdrückst, kann es zu Missverständnissen kommen.

Aber um zum Anfang zurückzukehren: mich würde wirklich brennend interessieren, wo die Ostdeutschen (also Sprecher des thüringisch-sächsischen Dialektraums, des Berlinerischen - wissenschaftlich nicht korrekt bezeichnet, ich weiß, aber ich als Sachse darf den Berlinern nicht sagen, sie wären kein eigener Dialekt - und der norddeutschen Dialekte) alle gleichmäßig Probleme mit dem Plusquamperfekt haben. Bis ich Deinen Artikel las, war mir nicht klar gewesen, dass irgendjemand diesen Vorwurf erheben könnte.

die Franzi

Zum Gruße,

Bevor dieser Vergleich weiter ausgeführt wird, sollte
vielleicht erst einmal im Biologie- oder Haustierforum über
Fragen der Hundezucht diskutiert und geklärt werden, ob die
üblichen Behauptungen zu Rassehunden und Mischlingen so den
Tatsachen entsprechen.

Man könnte alternativ im Deutschbrett, also hier, eine Anfrage starten, woher der Begriff „Erbsenzähler“ - oder ersatzweise „Korinthenkacker“ - stammt und anschließend über leicht hinkende Beispiele diskutieren. :smile:

Gruß TL

1 Like

Dafür hätte ich gerne ein Beispiel.

Ich habe es selbst schon des öfteren von „Ossis“ gehört. Beispiele kann ich Dir hier leider nicht nennen, da ich es in den jeweiligen Momenten (und das waren nicht wenige) leider versäumte, mir Namen, Adressen, Ort, Datum und Uhrzeit zu notieren. :wink:

Bei Dir mag das anders sein, Du bist aber vielleicht ja auch eine rühmliche Ausnahme. Und Du scheinst Dich, wie Du selbst zu sagen Dich befleißigst, ja häufig auch mit Sprachtheorie zu beschäftigen, was ebendies nur bestätigt…

Interpretation. … Ich geb auf, ich hab Kopfweh.

Sorry, das war nicht meine Absicht! :wink:

Evidenz ist nicht unbedingt Klarheit, schon gar nicht im
allgemeinverständlichen Sinne. Und selbst, wenn du dich klar
ausdrückst, kann es zu Missverständnissen kommen.

„Klarheit“ bedeutet aber auch nicht automatisch „Evidenz“. Von daher plädiere ich für „Evidenz“, dieses Wort macht es klarer, denke ich. :wink:

Aber um zum Anfang zurückzukehren: mich würde wirklich
brennend interessieren, wo die Ostdeutschen alle
gleichmäßig Probleme mit dem Plusquamperfekt haben. Bis ich
Deinen Artikel las, war mir nicht klar gewesen, dass
irgendjemand diesen Vorwurf erheben könnte.

Also, ich habs schon oft gehört, aber kann nur eine einzige Sprecherin, bei der mir das unangebrachte Plusquamperfekt auffiel, einer Region zuordnen: Ost-Berlin. Kann aber auch sein, daß sie dort zugewandert ist. Von daher: ich kanns leider nur so ungenau belassen. Von „alle gleichmäßig“ kann sicherlich auch keine Rede sein, denn selbstverständlich gibt es auch immer „rühmliche Ausnahmen“ von einer derartigen „Regel“. Ich kann mir nicht vorstellen, daß ich der Einzige hier im Brett sein sollte, der jenes häufig unangebrachte Plusquamperfekt (anstelle eines Perfekt oder Imperfekt) bei Ostdeutschen (Region??) beobachten konnte.

Gruß,
Uwe

Hi,

na super - eine Sprecherin, bei der du das beobachtest, und daraus werden „die Ostdeutschen“ - und trotz meines gar nicht so extrem versteckten Hinweises scheinst du noch nicht bemerkt zu haben, dass in den unverbrauchten Bundesländern mehr als ein Dialekt gesprochen wird. Herr schmeiß… (wußtest Du übrigens, dass „schmeißen“ früher mal ein Tabuwort war, so wie heute f$%&§/… nachdem du dem Sprachwandel so entgegenstehst, solltest du anfangen, deine Umwelt bei Verwendung dieses Wortes zu rügen. Das gleiche gilt übrigens für „Taschentuch“, nur ist das noch nicht so lange enttabuisiert wie „schmeißen“).

Jedenfalls. Ich bin keine Ausnahme mit meinem Zeitengebrauch. Meine Eltern sprechen genauso, und die sind Generation 40 bzw 41, und haben „nur“ Volksschule und Berufsausbildung.

die Franzi

1 Like

*vernehmlichdurchdiezähnesaug*

na super - eine Sprecherin, bei der du das beobachtest

*vernehmlichdurchdiezähnesaug*

Ich habe klipp und klar gesagt, daß ich das Phänomen bereits OFT beobachtet habe!! Es empfiehlt sich, vor dem Posten erst einmal den Artikel zu lesen, auf den man antwortet.

Gruß,
Uwe

Hi,

touche.
trotzdem wäre ich um ein Beispiel froh, denn ich hab sowas noch nie gehört.

Übrigens … ich lebe mittlerweile in einem Landstrich, in dem die Leute nur eine Zeitform für die Vergangenheit kennen, das Perfekt. Ich verstehe die Leute hier aber nicht miss. Klingt nur komisch.

die Franzi

Hi,

touche.
trotzdem wäre ich um ein Beispiel froh, denn ich hab sowas
noch nie gehört.

Übrigens … ich lebe mittlerweile in einem Landstrich, in dem
die Leute nur eine Zeitform für die Vergangenheit kennen, das
Perfekt. Ich verstehe die Leute hier aber nicht miss. Klingt
nur komisch.

Ja, nach Süden hin scheint das Präteritum abzunehmen. Unser Professor meinte, in Osnabrück benutzt man es noch zuweilen. Hier in Leipzig hört man es nur bei einer bestimmten Gruppe von Verben (bin nicht sicher, vllt. bei den starken?). In der Schweiz wird, wie ich das gelesen habe, das Präteritum überhaupt nicht mehr verwendet, auch nicht bei sein oder haben. Da war man nicht, da ist man gewesen bzw. „gsi“.

Vielleicht bilden sich deswegen in einigen Landstrichen neue Vergangenheitsformen heraus, weil sich eben das ganze System geändert hat. Aber der Osten Deutschlands scheint mir dafür nicht besonders prädestiniert zu sein.

Gruß,

  • André

Beispielsatz
Hi,

der hauptsächlich im Osten Deutschlands vorkommende invasive und falsche Gebrauch des Plusquamperfekt (anstelle des Perfekt oder Imperfekt).

Dafür hätte ich gerne ein Beispiel.

Sätze wie:
Gestern war ich im Kino gewesen.
Ich war im KaDeWe einkaufen gewesen.

sind in Berlin und Umland „normaler“ Sprachgebrauch.

Aber solch ein Beispiel hast Du Dir doch bereits selbst geliefert:

Bis ich
Deinen Artikel las, war mir nicht klar gewesen , dass
irgendjemand diesen Vorwurf erheben könnte.

(fett von mir)

Gruß Gudrun