Verfasser des lukanischen Doppelwerks

Liebe Gemeinde,

war Lukas der Evangelist wirklich nicht der Arzt und der Reisebegleiter des Paulus? Manches Gegenargument kommt mir etwas dünn vor. Beispielsweise wird manchmal behauptet, Lukas nenne Paulus nicht Apostel und das spreche gegen die Identität des Evangelisten mit dem Reisebegleiter, obwohl Paulus’ Apostolat bereits zu dessen Lebzeiten angezweifelt wurde und er es in seinen Briefen verteiden mußte, der Evangelist ihn an einigen Stellen der Apg doch als Apostel bezeichnet. Oder es wird gesagt, daß der in der Apg beschriebene Paulus nicht die Theologie vertrete, die uns aus den paulinischen Briefen bekannt ist. Aber Lukas schrieb seine beiden Werke etwa ein Vierteljahrhundert nach dem Tod des Paulus. Wieso sollte er, selbst wenn er Paulus auf seinen Reisen begleitet hat, unbedingt dessen Theologie in seinen Werken vertreten, selbst dann, wenn er Paulus in seiner Apg auftreten läßt?

Beste Grüße

Oliver

Die theologischen Unterschiede sind das Eine. Meines Wissens kommen auch noch Unstimmigkeiten bezüglich der Reisen dazu. Hier stellt sich tatsächlich die Frage, wie es sein kann, daß zwei Leute (Paulus + Lukas), die gemeinsam unterwegs waren, so unterschiedliche Reiserouten berichten. Solche „harten Fakten“ sollten eigentlich übereinstimmen.
Auf der anderen Seite liegen wohl zwanzig bis dreißig Jahre zwischen den Reisen (und der Entstehung der Paulusbriefe) und der Niederschrift der Apostelgeschichte. Da kann auch manches durcheinandergeraten - nicht zuletzt, weil in der Apg unterschiedliche, schriftliche Quellen erahnbar sind => möglicher Weise hat sich der eigentlich Augezeuge „Lukas“ später auch auf andere Berichte gestützt, um seinem Gedächtnis auf die Sprünge zu helfen (interessanter Weise scheinen die Paulusbriefe selbst allerdings nicht zu seinen Quellen zu gehören).

Ich denke, daß man die deutlichen Abweichungen zwischen Paulusschriften und der Apg irgendwie erklären muß. Aber die Annahme mancher Theologen, nur was 100%ig einheitlich ist, kann auch zusammenpassen, teile ich persönlich nicht*. Menschen können ihre Einstellungen und Meinungen mit der Zeit ändern, sich irren und Fakten durcheinanderbringen… und das kann - wie ich meine - ein Grund dafür sein, daß ein echter Paulusbegleiter mit zwei oder drei Jahrzehnten Abstand die Dinge anders schildert, als Paulus es zeitnah selber getan hat.

Martinus

*Meine persönliche Meinung: Die Trennung des Verfassers von der Person des Paulusbegleiters ist eine Erkenntnis der historisch-kritischen Exegese. Die Stärke dieser Methode ist, daß sie biblische Texte als literarische Größe ansieht und entsprechend untersucht. Dabei fallen dann sprachliche und inhaltliche Widersprüche auf und müssen erklärt werden. Ihre Schwäche ist in meinen Augen, daß sie zum Teil von Voraussetzungen ausgeht, die theoretisch schick, praktisch aber unrealistisch sind - wie eben die Annahme, ein Paulusbegleiter dürfe in seinen Berichten nicht so stark vom Erlebten abweichen, wie Paulus selbst es berichtet. Außerdem gab es auch in der Theologie die „Anti“-Bewegung, in der es chique war, alles, was über Jahrhunderte als „richtig“ angesehen worden war, als „falsch“ zu widerlegen. In vielen Punkten lag man damit sicher richtig - aber nicht zwangsläufig in allen; auch das darf man meiner Meinung nach mit ins Kalkül ziehen, wenn man über die Verfasserfrage der Apg nachdenkt.

P.S. Quellen: P. Vielhauer, Geschichte der urchristlichen Literatur, 1975; K.-W. Niebuhr (Hrg.), Grundinformation Neues Testament, 2000.

Hallo,

vielen Dank für Deine Antwort. Ich stimme zu, daß sich auch die Beschreibungen der Reisen zwischen der Apg und den Paulus-Briefen unterscheiden (sollen), z.B. hinsichtlich der Jerusalem-Aufenthalte. Ich bin mit Dir auch bzgl. Deiner folgenden Ansicht einer Meinung:

und denke auch, daß ein Mensch nicht alles genau im Gedächtnis behalten kann, insbesondere nicht bei mehreren Jahrzehnten Zeitdifferenz zwischen den Reisen und der Niederschrift. Ich hätte schon Schwierigkeiten hinsichtlich meiner Reisen im letzten Jahr. Darüber hinaus war der in den Briefen des Paulus genannte Lukas vermutlich nicht auf allen Reisen dabei, war auch wohl eher Randfigur als einer der zentralen Mitarbeiter und kann deshalb nicht über alles aus erster Hand berichtet haben. Ich würde auch nicht Paulus in jeder Hinsicht unbedingten Glauben schenken: Wenn er z.B. im Galaterbrief über seine vergangenen Aktivitäten berichtet, so ist dies ein summarischer Überblick über Jahrzehnte. Selbst wenn Paulus betont, daß er nicht lügt, er kann seine Unabhängigkeit von der Jerusalemer Gemeinde durch mehr oder weniger bewußtes Unter-den-Tisch-fallen-lassen kleinerer Details stärker herausgestellt haben, als es tatsächlich der Fall gewesen ist (frühere Jerusalem-Aufenhalte). Die Abweichungen der Berichte der Apg und von Paulus über die Beschlüsse des sogenannten Apostelkonzils können darauf zurückzuführen sein, daß Paulus in Jerusalem mehr Zugeständnisse machen mußte, in „seinen“ Gemeinden aber berichtete, daß er sich mit seiner Ansicht von der Freiheit vom mosaischen Gesetz noch stärker durchgesetzt hat, als es tatsächlich war. Auch die Episode um die „Heuchelei“ des Petrus scheint mir in die Richtung zu weisen, daß die Protagonisten unter verschiedenen Bedingungen unterschiedlich handelten (was menschlich ist): Als alleiniger Vertreter der Urgemeinde hat Petrus zunächst faktisch nichts gegen die Tischgemeinschaft mit den Heidenchristen, kommen aber andere Vertreter dazu, fühlt er sich wieder mehr den traditionellen jüdischen Regeln verpflichtet.

Ich habe ebenfalls gelesen, daß die Apg auf mehrere Texte oder Berichte zurückgehen soll. Das könnte man damit erklären, daß der Verfasser bzw. Kompilator nicht durchgehend Augenzeuge oder Beteiligter gewesen ist, sondern für manche Zeitabschnitte, insbesondere die frühe Jerusalemer Zeit, auf Berichte anderer zurückgreifen mußte. Für die späteren Reisen des Paulus, bei denen er zumindest zeitweise dabei gewesen sein müßte, wenn er identisch mit Lukas dem Paulusbegleiter wäre, wird teilweise angenommen, daß der Verfasser auf eine Art Reisetagebuch (aber nicht sein eigenes bzw. das des Reisebegleiters) zurückgegriffen hat, dem dann auch noch die „wir“-Passagen der Apg entstammen. So etwas ginge in Richtung Fälschung, weil der Verfasser durch Übernahme dieser Passagen eine eigene Beteiligung suggeriert.

Daß der Verfasser die Paulus-Briefe nicht verwendete, kann man damit erklären, daß er sie nicht vorliegen hatte. Paulus hatte sie ja an die Gemeinden verschickt. Nun wird diesen Briefen zwar bereits in 2 Petr ein hoher Stellenwert und damit eine gewisse Bekanntheit zugeschrieben, dieser Brief soll aber wiederum mindestens 20 bis 30 Jahre nach der Apg verfaßt worden sein.

Das sind nur einige weitere meiner vorläufigen Gedanken zum Thema. Auf jeden Fall danke ich nochmals für Deine interessante Antwort, die Literaturhinweise und auch zum Hintergrund der historisch-kritischen Methode.

Beste Grüße

Oliver

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Ein Missverständnis! Die beiden von Dir im UP als Beispiele gewählten Ablehnungsgründe betreffen speziell nur die Theologie, das zweifelhafte Apostolat des Paulus und dessen märchenhaftes Evangelium über Jesus’ Botschaft bzw. dessen Lehre.
Nachdem Dir diese Umstände, dem textlichen Inhalt Deiner Frage nach zu urteilen, bekannt (gewesen) zu sein scheinen (sofern diese Aussage nicht auch zufällig entstanden sein sollte, Du beim Schreiben dieses Textes etwas ganz Anderes gemeint hattest), war es mir gar nicht in den Sinn gekommen, dass Du mit Deiner Frage gemeint haben könntest, ob Du mit den von Dir angeführten Argumenten die Ablehnungsgründe (für/bei wen/m denn auch?) wegerklären könntest.

BG
Semsi

:sunglasses:

Ach so. Ich dachte, es ginge aus meinem UP hervor, daß ich die Aussage der historisch-kritischen Forschung bezweifelte, daß der Evangelist

ist, insbesondere da ich am Ende meines UP die Frage stellte

Beste Grüße

Oliver

Nein, aus Deinem UP ginge nicht hervor, wer/was die Quelle der Äußerungen wie „Beispielsweise wird manchmal behauptet, Lukas nenne Paulus nicht Apostel“ und „Oder es wird gesagt, daß der in der Apg beschriebene Paulus nicht die Theologie vertrete, die uns aus den paulinischen Briefen bekannt ist“ sein könnte. Mitläufer, die über diese bloßen Formeln hinaus keine eigenen Erkenntnisse zur Sache mitbrächten, gäbe es zuhauf, und die Urheber bzw. Pächter solcher Behauptungen müsstest Du wohl jeweils direkt ansprechen, ob Deine Verbesserungsvorschläge noch zu der jeweils zugrundeliegenden Doktrin passen könnten, oder ob damit bereits zu viel Unliebsames angedeutet werden würde …

BG
Semsi

:no_mouth:

Hallo, vielen Dank für Dein Vertrauen auf die Angaben zu den Expertenthemen in meinem Profil.

Leider könnte ich zur Beantwortung Deines Anliegens nicht viel beitragen, da ich mir die gleichen Fragen stellen würde.

Alles, was i.d.R. als Indiz dafür herbeigezogen wird, dass der Urheber des Doppelwerks nicht der in den Briefen erwähnte Arzt und Reisebegleiter von Paulus gewesen sein könne - die etwas schlampige Arbeit des Schreibers, d.h. Auslassung der zum Thema wichtigen Überlieferungen durch bloßen Verweis auf weitere Evangelien Jesu, die Widersprüche in den Schilderungen dieses Begleiters von Paulus zu dessen Ausführungen u.s.w.u.s.f. - würde nur nahelegen, dass der Autor des lukanischen Doppelwerks ein über Grundwissen hinausgehend gebildeter Mensch war, der Paulus bei seinen Reisen und Predigten Gesellschaft geleistet hatte. Wie es zu diesen zuerst in religiösen Sachen üblichen, dort schon „normalen“ Verdrehungen um 180° kommen konnte, würde dieses Beispiel noch am besten belegen können, ganz im Gegensatz beispielsweise zur Matrilinearität des Judentums etc.

Dazu fiele mir nur das Sondergut von Matthäus (auch im Thomasevangelium) ein: Mt 13,24ff, hier Schlachter 2000

BG
Semsi

Ja, es stimmt, daß ich die Urheber diese Aussagen nicht genannt habe. Aber Experten wissen, daß die Verfasserschaft des Arztes und Paulusbegleiters in der historisch-kritischen Forschung / biblischen Einleitungswissenschaft bezweifelt wird.

Naja … Verbesserungsvorschläge - es sind meine vorläufigen zweifelnden Gedanken zu diesem Thema. Außerdem bezweifle ich, daß es sich bei den genannten Behauptungen um Bestandteile einer Doktrin handelt, sondern meine doch eher, daß es sich um Belege für eine bzw. die mehrheitliche Forschungsmeinung handelt.

Beste Grüße

Oliver

Semsi, Dich habe ich gar nicht als Experten zur Beantwortung dieser Frage eingeladen. :wink: Du warst noch nicht einmal auf dieser ominösen Expertenliste der noch lernenden Künstlichen „Intelligenz“ des neuen w-w-w. Oder „versteckst“ Du Dich hinter dem Account eines vorgeschlagenen Expertens dieser Liste, sprich kennen wir Dich auch unter anderem Namen hier?

Trotzdem danke ich Dir für Deinen Kommentar zu meiner Frage. :slight_smile:

So weit ich gelesen habe, würde es noch nicht einmal das Fettgedruckte nahelegen. Mir geht’s aber darum, daß man (manche) Indizien gegen die Identität des Evangelisten mit dem Reisebegleiter und Arzt der paulinischen Briefe durch die in meinem UP genannten Argumente wegerklären könnte. Das ist meine vorläufige, aus einer Beschäftigung mit dem Thema entstandene Meinung.

Der Rest Deines Postings ist mir momentan unverständlich.

Beste Grüße

Oliver