Verfassungsklage Bayern vs. Bundesrepublik Deutschland

Hallo,

Zwar ist die Verfassungsklage ein perfides Mittel zur Dramatisierung der Situation.

Ist IMHO völliger Schwachsinn. Die Klage ist eher eine Notwendigkeit, weil das Exekutivorgan des Bundes (Regierung) sich gegenüber der Forderung eines Bundeslandes (Bayern) nach Grenz-Kontrolle völlig verschlossen hat.

Der Bund handelt nicht verfassungswidrig, deshalb wird die Klage am Ende abgewiesen.

Was schon mal strittig wäre. Der Autor der TAZ verfügt nach seiner Selbstsicht anscheinend über seherische Fähigkeiten und mehr Fachkenntnisse als der EX-Verfassungsrichter di Fabio (IMHO ein CSU-Mitglied). Dieser kommt in seinem Gutachten u.a. zu dem Schluß, dass die Bundesländer bei Gründung der BRD Kompetenzen an den Bund abgetreten haben. Zu diesen zählt auch die Kernkompetenz eines jeden Landes, seine Grenzen zu kontrollieren (ab Seite 116). Dieses Recht, dass auch gegenüber den eigenen Bürgern im Rahmen der Aufrechterhaltung der inneren Sicherheit eine Verpflichtung eines jeden Landes ist, wurde sozusagen sachwalterisch „entliehen“.

Das Exekutivorgan Regierung übte diese Verpflichtung auch über Jahrzehnte in angemessenem Maßstab aus. Im Rahmen von Schengen wurde es weiterverliehen. Nachdem sich die Staaten an den Außengrenzen über einen längeren Zeitraum nicht mehr in der Lage sahen, eine wirksame Grenzkontrolle durchzuführen, verfügte das Exekutivorgan, dass die dt. Staatsgrenzen wieder vorübergehend zu kontrollieren wären und nutze hierfür im Schengenvertrag vorgesehene Sonderregelungen. Aber die Grenzen wurden nicht mehr in dem Maße effektiv kontrolliert wie es nötig gewesen wäre. Nach wie vor - falls man den Angaben von Polizeigewerkschaftlern glauben darf - kommt deutlich über die Hälfte aller Migranten unkontrolliert ins Land. Der Bundesinnenminister hat erst vor wenigen Tagen behauptet, dass die Kontrollen lückenlos wären.

Der TAZ-Autor sieht allenfalls eine Zustimmungspflicht des Bundestages und Bundesrates zu der Politik der Bundesregierung. Naja, ginge es um einen Bundeswehreinsatz, dann müsste bereits bei der Möglichkeit von Waffenanwendung der BT zustimmen. Hier geht es aber „nur“ um Hundertausende, die unkontrolliert einreisen.

Übrigens hatte Bayern vor einiger Zeit angeboten, auch bayrische Landespolizei zur Grenzkontrolle einzusetzen, was relativ brüsk zurückgewiesen wurde. Seltsamerweise auch von den Gewerkschaftlern, die sich doch soviele Sorgen um die Totalüberlastung der Bundespolizei machen.

Hätte denn die bayrische Regierung überhaupt eine andere Möglichkeit, um eine Entscheidung herbeizuführen? Reden hat ja nichts gebracht und einfach „Klappe halten und nicken“ würde auch gegen ihre Verpflichtung ihren eigenen Bürgern gegenüber verstossen.

Ich sehe allein schon wg. der möglichen Zustimmungspflicht von BT und BR die Notwendigkeit einer Verfassungsklage und aus staatsrechtlicher Sicht (Innenverhältnis Bundesland zu Bundesrepublik) bzgl. der Kontrolle über die Grenze ebenso. Liege ich falsch?

Gruß
vdmaster

„Völlig verschlossen“ stimmt aber doch nicht.
Natürlich werden die Grenzübergänge kontrolliert.
Nur halt nicht so lückenlos, wie Bayern sich das vorstellt.

Nein, aber er scheint schlichtweg die Mehrheitsverhältnisse in Karlsruhe einzubeziehen.
Bei aller unstrittigen Unabhängigkeit sind die Richter aber dann doch politisch einigermaßen einzuschätzen. Auch diFabio selbst, dessen Gutachten natürlich auch Ausdruck seiner weltanschaulichen-politischen Haltung ist, die er ja auch im Amt nie verleugnet hatt.

Die Regierungskoalition verlassen?
Das wäre aus meiner Sicht der näher liegende Schritt, wenns Bayern denn wirklich so ernst meinen sollte, wie getan wird. Aber eine Regierung verklagen, in der man selbst sitzt?

Kann man natürlich auch wohlwollend als ehrliche Form der Selbstkritik verstehen. Ich fände es jedenfalls gut, wenn es zur Verfassungsklage käme, weil der Richterspruch Rechtssicherheit brächte.

Gruß
F.

Hallo,
Bayern will nicht nur kontrollieren, das waere der erste Teil. Bayern will auch durchzaehlen und zumachen, wenns mehr als … werden sollten. Dafuer braucht Bayern nicht nur seine eigene Grenze, sondern es sollen alle Grenzen der Bundesrepublik einbezogen werden beim Zaehlen, nach bayr. Vorstellung. Dafuer braucht Bayern den Zugriff in die Bundesrepublik, es muss also die CSU in der Bundes-Regierung bleiben.
Gruss Helmut

Hallo,

von einer Kontrolle der Grenze kann kaum die Rede sein. Das „völlig“ bezog sich darauf, dass die Regierung in keiner Weise auf die Forderung Bayerns einging, sondern „passt scho“ sagt(e). Wobei diese Bitte noch sehr diplomatisch in Kabinettssitzungen selbst, in der Fraktion, in pers. Telefonaten und Treffen, indirekt über die Medien und auf dem letzten CSU-Parteitag gestellt wurde. Mit verständlicherweise letzthin resignierendem Unterton.

Die da welche wären? Denn das BVerfG hat bislang nach meinem Eindruck noch nie eine entscheidungserhebliche Parteienpräferenz erkennen lassen. Aber eine ansatzweise glaubwürdige Quelle, die Deine Aussage stützt, würde ich dennoch wohlwollend in Augenschein nehmen :stuck_out_tongue_winking_eye:.

IMHO kann man daraus, welcher Richter von welcher Partei vorgeschlagen wurde, nichts ablesen. Ebensowenig an den bisherigen Entscheidungen.

Ja, ja … gähn. Minister können aus der Bundesregierung ausscheiden und Bundestagsfraktionen oder -abgeordnete ihr das Vertrauen entziehen. Ein Bundesland kann aber nicht aus der Bundesregierung ausscheiden :wink:. Und eben nicht die CSU würde Klage erheben, sondern die bayrische Staatsregierung (ggf. nach vorherigem Landtagsbeschluss). Von daher vermute ich fast, dass Deine Empfehlung, die sich in der Frage wiederspiegelt, eher politisch zielorientiert (weiter so!) daherkommt, jedoch nicht zum Ziel hat eine Klärung des Konflikts zweier Organe herbeizuführen.

Ich kann ja nachvollziehen, dass die eintretende Situation auf den ersten Blick etwas surreal anmuten mag. Sie ist es aber nur dann, wenn man nur den Blickwinkel „Parteieninteresse“ einnimmt. Dabei sind es die widerstreitenden Interessen (der Streitparteien :stuck_out_tongue:) Land und Bund.

So ganz unbekannt sollte das der (nun besonders lautstark meckernden) SPD nicht sein: http://derstandard.at/632705/SPD-Fraktion-klagt-gegen-Thierse-bei-deutschem-Verfassungsgericht

:joy:

Ah. Ein wahres Wort gelassen niedergelegt. That´s it! Die Republik wird ja hoffentlich noch ein Weilchen existieren, auch wenn „Europa“ angeblich kurz davor steht im Atlantik oder doch wenigstens für alle Zeiten in Rauch und Asche zu versinken.

Gruß
vdmaster

Dabei muss ich jedes Mal auf dem grenzüberschreitenden Weg von der Arbeit nach Hause meinen Ausweis vorzeigen.

Dass es keine lückenlose Kontrolle der Grenze gibt, bestreite ich ja gar nicht. Dass es gar keine gäbe oder nur eine rein symbolische ist aber auch falsch.

Äh?
Der Punkt ist doch der, dass die Posten von der Politik mit Richtern besetzt werden, um deren grundsätzliche weltanschaulich-politische Haltung man weiß - und entsprechend dann auch „seine“ Richter drin haben will. Nicht mehr, nicht weniger.
Entsprechend sind ihre Entscheidungen schon ein Stück weit politisch berechenbar - was nicht eine Schmälerung ihrer Unabhängigkeit andeuten soll.


Ah, ge, das ist doch jetzt ein wenig sinnvoller Hyperformalismus von deiner Seite.
Natürlich will auch ich die politische (CSU in der Regierung) und die rechtliche Seite (Bayern-Bund) auseinanderhalten. Sachlich ist eine große Überlappung aber doch nicht zu leugnen. Immerhin wird die Verfassungsklage ja doch unstrittig von der CSU auch als politisches Instrument eingesetzt, oder nicht?

Gruß
F.

Wir sind selten einer Meinung. Die Parteien schlagen zwar die Richter vor, wechseln sich hierbei aber immer ab und achten bereits bei der Auswahl darauf, dass eben keine (partei)soldatischen Schläfer installiert werden. Jede Seite hat nach ihrer bisherigen Gewichtung in BT und BR stets ein Vetorecht gehabt, weil die Richter je zur Hälfte von diesen Organen gewählt werden und stets die Zweidrittelmehrheit nötig ist. So ist maximal gewährleistet, dass die Richter mittig und neutral sind, soweit dies menschenmöglich ist.

Aus dem Spiegel-Link geht nur hervor, dass die kleinen Grünen jammern, weil sie (wie schon früher die FDP) bei der Auswahl selten ein Vorschlagsrecht erhalten. Guter Scherz, dass sie aktuell ausgerechnet der CDU das Vorschlagsrecht abnehmen möchten :joy:. Schenkelklopfer! Sie sollen mal „analog“ bei der SPD schnorren, wenn der BR mal wieder mit der Wahl dran ist :wink:. Auch hier erneut: Die Grünen könnten selbst wenn sie wollten, keinen "Fundi-"Richter installieren.

Auch der SZ-Link gibt nicht wirklich viel her, was einen Rückschluss auf ein Urteil zuließe. IMHO ist ein Ausgang vollkommen ungewiß und schon so manche Streitpartei fiel aus allen Wolken bei einer Entscheidung. Gerade die Organe engagieren ja wirkliche Leute vom Fach, um ihre Erfolgschancen auszutarieren. Dennoch unterliegen sie oft. Wenns um Individualrechte Einzelner geht, dann wird eher die zweite Garde an „Experten“ als Anwalt engagiert. Da ist so manche Beschwerde schon völlig wertlos, bevor noch die Tinte auf dem Papier trocken ist.

Und gerade bei selbstherrlichen Entscheidungen der Regierung (bspw. Einsatz der BW oder Euro-Rettung) wurde sie in ihre Schranken gewiesen. Das BVerfG ist da äußerst sensibel, wenn die Rechtssphären anderer Organe (in den genannten Fällen das Parlament) von der Regierung nicht ausreichend berücksichtigt wurden.

Nö. Eben nicht, wie das Beispiel mit dem Thierse schon zeigt. Und ein Rückzug der Minister als Beigabe wäre durchaus vorstellbar. Aber Du hast ja ebenfalls eingeräumt, dass Rechtssicherheit hier erforderlich ist. Die CSU-Parlamentarier könnten ebenfalls eine Klage einreichen, weil der BT bislang formal übergangen wurde. Wer weiß, vielleicht hängen sie sich ja noch dran. Allein schon, um eine Antwort auf die Frage zu erhalten, ob die Regierung nun geltendes Recht (nicht mehr Land vs. Bund) bricht. Dieser Vorwurf wurden ja ebenfalls mehrfach erhoben (und man kann es nicht einfach [interessengeleitet] als rechtes Geplapper abtun). Oder ob sie wenigstens das Einverständnis der Legislative ggf. auch des BR einholen müsste.

De jure gibt es keine Überlappung, de facto gibt es selbstredend eine. Und die CSU nutzt diese Möglichkeit auch als Instrument, weil ihre softeren Mittel keinerlei Wirkung erzielen.

Gruß
vdmaster

Ergänzungsgerücht: Es wäre auch vorstellbar, dass die CSU Am Ende gänzlich mit der CDU bricht. Diese Option wäre nicht erstmals angedacht (Ära Kohl/Strauß) und eine bundesweite CSU eine Alternative zur „Alternative“ für die reinen Protestwähler, die mit dem innerparteilichen Rechtsruck in der AfD hadern.

So würde die CDU bundesweit rechts erheblich mehr Konkurrenz erhalten und wäre in der gleichen miesen Lage wie die SPD, an deren alten Knochen Linkspartei und Grüne schon lange nagen.

Aber vorher fliest noch einiges Wasser den Rhein runter.

Gruß
vdmaster

Das stimmt so weit als tatsächlich keiner Richter wird, der eine weltanschauliche Position links der SPD und rechts der CDU vertritt (und auch keine piratige, libertäre usw.). „Mittig“ sind Leute wie diFabio aber sicher nicht.
Und „mittig“ mit „neutral“ gleichzusetzen, finde ich völlig falsch, aber das wäre eine andere Diskussion.
Mir ging es schlicht darum, dass die Richter von ihrer Grundhaltung her einigermaßen einschätzbar sind, von der aus sie Verfassungsrecht sprechen. Entsprechend ist einfach auch für einen Laien wie den taz-Autor klar, dass ein diFabio-Gutachten kein „neutrales“ Gutachten ist, sondern völlig anders aussehen würde, wenn es z.B. ein Susanne-Baer-Gutachten wäre.

Es sollte daraus hervorgehen, dass die Besetzung immer wieder ein Politikum ist und nicht so geräuschlos wie du das darstellst. Dass hier die Grünen jammern ist Zufall. Entsprechende Links gäbs historisch auch von der SPD oder der CDU/CSU.

Ich hab das übrigens gar nicht zähneknirschend „eingeräumt“, sondern das BVerfG ist ziemlich wichtig in meinem Demokratie-Verständnis, das mehr von der Gewaltenteilung geprägt ist als davon, dass das Volk zu jedem Scheiß seine Stimme erheben kann. Ich bin halt ein Strukturkonservativer :wink:

Gruß
F.

Ha, beim Kacken erwischt, wie man mancherorts sagen würde. Es ist eben nicht klar, dass es anders aussehen würde, sondern mehr oder minder möglich, ggf. auch wahrscheinlich. Ich will darauf hinaus, dass das BVerfG sich vom Grundgesetz leiten lässt und seine Neutralität sehr, sehr ernst nimmt. Einer wie di Fabio mag als konservativer Knochen gelten, was aber keinen Einfluß auf seine Neutralität haben muss. Sicher saugt er sich nicht irgendeinen Scheiss aus den Fingern, sondern hat eine fundamental gesicherte Grundlage. Andererseits bedeutet diese Grundlage nicht, dass ihm alle im Gänsemarsch folgen würden. Sie können bei gleicher Faktenlage einen anderen Aspekt als schwerwiegender erachten und dann in der Folge zu einem ganz anderen Ergebnis kommen.

Nur, der Typ von der TAZ hat meines Erachtens eben nicht die Vorsehungskraft die Entscheidung (schon gar nicht die Stimmgewichtung) jetzt bereits zu kennen. Das ginge nur, wenn das Gutachten wertlos wäre. So wie ein Gutachten eines Linkspolitikers zum BW-Syrien-Einsatz, das ich kürzlich las. Da stand einfach Unsinn drinnen, der sich nur schlau anhörte.

Wobei meine Einschätzung des Gutachtens von di Fabio sich nur auf das Spannungsverhältnis Bund-Bundesland in Fragen der Grenzkontrolle bezieht und keinen Milimeter auf Fragen zur Rückweisung oder Reduzierung von Grenzübertritten. Die Punkte habe ich noch nicht berücksichtigt.

Hat ich gar nich geschrieben :stuck_out_tongue:. Eingeräumt hattest Du es aber, während TAZ und SZ unisono Gutachten und Klage für völligen Dünnpfiff halten. Man will ja seine Leser nicht mit Antworten belästigen, von denen Teile geeignet wären, sie politisch zu verunsichern :grin:.

Gruß
vdmaster

Pfui, ab in die rechte Ecke :wink:.

Dabei muss ich jedes Mal auf dem grenzüberschreitenden Weg von der Arbeit nach Hause meinen Ausweis vorzeigen.

Jetzt würde mich doch mal interessieren, welchen Grenzübergang du nutzt. Faktisch gibt es zwischen Bayern und Österreich etwa 60 Übergänge der Art Straße. Bundes- oderLandstraße. Also nicht grüne Grenze im nirgendwo. Und von diesen etwa 60 Übergängen werden m.W. 5 kontrolliert.

Grenzsicherung ist hier in Bayern quasi nicht gegeben.

Franz

Hier würde man sagen: beim Scheißen erwischt.
Einigen wir uns auf „Völlig klar, dass es wahrscheinlich anders ausfiele“? :wink:

Da sind wir grosso modo völlig einer Meinung.
Ich hätte halt mehr den hermeneutischen Aspekt von der fundamentalen Auslegungsbedürftigkeit von Verfassungstexten angeführt, und davon, dass es eo ipso keine „neutrale“ Auslegung geben kann, und dass die „Faktenlage“ selbst schon Auslegungssache ist. Aber so genau müssen wir das ja gar nicht diskutieren.

Gruß
F.

Salzburg - Freilassing

Ja, du suggerierst aber „nur 5 aus 60“, was insofern tendenziös ist, weil es die großen Übergänge sind.
Außerdem sind die Flüchtlingsrouten ja auch bekannt, so dass man nicht Übergänge standardmäßig kontrollieren muss, auf denen gar keiner kommt. Z.B. der Übergang von Salzburg „hinten rum“ über Bad Reichenhall, wo ich am Anfang öfter gefahren bin, weil ich keine Lust auf den Stau am eigentlichen Grenzübergang hatte. Da sind die Flüchtlinge aber auch nicht unterwegs gewesen, was hätte man da kontrollieren sollen.

Unbestritten von mir, dass jeder, der unerkannt nach Bayern rein will, da mit einem Minimum an Ortskenntnis auch leicht reinkommt.

Gruß
F.

Kleine bundespolitische Nachlese: http://www.faz.net/aktuell/politik/inland/horst-seehofers-brief-an-angela-merkel-in-fluechtlingsdebatte-14035817.html