Hi,
wenn ich zuvor behauptet habe: Fantasie „ist“ Vernunft, so muss man zudem noch einen Entwicklungsprozess zugrundelegen, der nie zu Ende ist…
Wenn die Vernunft sich mit dem Fließen der Zeit immer weiter entwickelt, so kann man auch annehmen, dass sie sich über unsere Zeit hinaus in der Zukunft weiter entwickelt. Deswegen möchte ich meine vorherigen Erkenntnisse auch weiter entwickeln, ein Beispiel aus meinem Leben:
Ich verbrachte den größten Teil meiner Kindheit in zwei Kinderheimen. Als ich sechs Jahre alt war, kam ich aufgrund der Scheidung meiner Eltern in das erste Heim. Es war streng christlich organisiert: jeden Morgen, Mittag und Abend musste man in der Bibel lesen, singen und beten. Da ich sehr unter dieser Erziehung litt, fantasierte ich mir nachts, im Schlafsaal mit ca. 70 Kindern, immer vor, dass ich gar nicht ich sei, sondern ein ganz anderer. Im Haus meiner Großmutter gab es einen Bäcker, der hatte zwei sehr viel größere Kinder, die ich immer bewunderte, weil ihre Eltern so glücklich, harmonisch und positiv waren und als Geschäftsleute viel freier lebten als mein Vater als kleiner Angestellter (Dipolm-Ingenieur).
Jede Nacht stellte ich mir vor, wie ich als eines dieser Bäckerkinder in Freiheit lebte. Das tat ich jede Nacht. Und mit der Zeit fühlte ich mich auch tatsächlich so, als sei ich ein ganz anderer, so dass ich auch den anderen Kindern davon erzählte. Ich sagte ihnen, meine Eltern hätten eine Bäckerei in Stuttgart. Bis eines Tages beim Spaziergang eines der Heimkinder zu der Erzieherin lief und ganz laut vor allen anderen fragte: „Tante Gertrud, stimmt das, dass dem Claus Walz seine Eltern eine Bäckerei in Stuttgart haben?“ Die Antwort kam so scharf, wie ein Pistolenschuss: „Nein!“ Damit platzte meine Fantasie wie eine Seifenblase!
Als ich nach fünf Jahren nach Hause durfte, nahm mich ein Schulfreund in eine Stadtbücherei mit. Ich hatte bis zu meinem 11. Lebensjahr keine Ahnung, dass es so etwas Wunderbares überhaupt gibt. Aus dieser Bücherei lieh ich dann kostenlos ein Buch aus mit dem Titel „Graf Luckner, der Seeteufel“ (oder ähnlich). Von da ab spielte ich den „Seeteufel“ so echt meinen Freunden vor, dass sie das auch alle sein wollten.
Mit 20 Jahren kam ich zur Bundeswehr, da las ich zum ersten Mal Kants „Kritik der reinen Vernunft“. Von da an war meine Fantasie wieder in eine ganz neue Richtung gelenkt. Und das bis heute, da ich zu erkennen glaube:
Vernunft ist Bewusstseinsentwicklung?
Gruß
C.