Vernunft vs. Verstand

Hallo zusammen,
ich bekomme die Begriffe Vernunft und Verstand nicht richtig auseinander. Auch ein Blick in Wikipedia (auch wenn es kein philosophisches Lexikon ist) hilft mir nicht wirklich weiter.
Der Satz im Wiki über die Vernunft: „Der Begriff „Verstand“ wird heute in Abgrenzung zur Vernunft dann verwendet, wenn ein Phänomen gesondert, abgetrennt von einem größeren Zusammenhang, betrachtet wird.“
Heisst das, dass die Vernunft nicht auf eine Metaebene gelangen kann?
Heisst das weiter, dass die Vernunft nur „alltagstauglich“, aber nicht „wissenschaftlich“ arbeitet?
Heisst das weiter, dass wer Vernunft hat, nicht unbedingt auch Verstand hat?
Heisst das auch, dass Vernunft angeboren ist, Verstand aber erst erworben werden muss?

Für eine vernünftige und/oder verständliche Antwort bedanke ich mich.

LG
Castiglio

Hallo zusammen,

ich bekomme die Begriffe Vernunft und Verstand nicht richtig
auseinander.

sie gehören ja auch zusammen und bilden gemeinsam
das, was man schlichtweg das „Denken“ nennt.
Oder genauer gesagt, das Erkenntnis- und Denkvermögen.

„Der Begriff „Verstand“
wird heute in Abgrenzung zur Vernunft dann verwendet, wenn ein
Phänomen gesondert, abgetrennt von einem größeren
Zusammenhang, betrachtet wird.“

Das bedeutet sinngemäß, dass der Verstand im Gegensatz zur
Vernunft auf sinnliche Erfahrungen zurückgreift, er
arbeitet diskursiv, d.h. methodologisch voranschreitend,
schlussfolgernd und ist, wie gesagt, auf sinnliche
Anschauung angewiesen.
Die Vernunft dagegen betrifft die nicht erfahrungsgemäße
Erkenntnis von Ideen und Prinzipien. Das Erfassen von
übergreifenden Ordnungs- und Sinnzusammenhängen.
Das Begründen und Setzen von übergreifenden Zielen
und Zwecken.

Zum Beispiel Kant:

Der kategorische Imperativ, also das Vermögen
ethische Leitfäden aufzustellen, nach denen
der Wille die Handlungen ausrichten soll.

Die „reine Vernunft“ ist dem Verstand übergeordnet,
weil sie die Fähigkeit besitzt Schlüsse zu ziehen,
nach dem Unbedingten, (Ideen) zu suchen.

Nun ist die reine Vernunft, wie Kant an Hand seiner
Antinomien gezeigt hat, zu durchlässig, sie kann
gegensätzliche Schlußfolgerungen rechtfertigen,
während die Sinneswahrnemung, also der Verstand
alleine, z.B. naturwissenschaftliche Gesetze,
Kausalität etc. nicht zu beweisen imstande
ist. Zu weit und zu eng sagt man (s. Hume).

Rationalität ist (action and opinion),
Handeln und Urteilen in Übereinstimmung
mit der Vernunft, darauf willst du wohl hinaus?

Gruß
Junktor

Hallo.

ich bekomme die Begriffe Vernunft und Verstand nicht richtig
auseinander.

wirklich ? Du bist doch nahe dran.

Heisst das auch, dass Vernunft angeboren ist, Verstand aber
erst erworben werden muss?

Die „historische Erscheinung“ von Vernunft und Verstand ist
wohl nicht relevant für das „Verständnis“, des von Dir
aufgebrachten „Problems“.

Für eine vernünftige und/oder verständliche Antwort bedanke
ich mich.

Du bringst hier die Adjektive von Vernunft und Verstand.
Vernünftig ist etwas (relativ)Gegebenes, egal ob es für Dich
verständlich (nachvollziehbar)ist oder nicht.
Vernunft ist deshalb mehr die „objektive“ Komponente des Erkenntnis-
vorgangs,Verstand die subjektive (so sehe ich dies erst mal, in
Kurzform - ist ausbaufähig)
Gruß VIKTOR

Hi.

also der Verstand
alleine, z.B. naturwissenschaftliche Gesetze,
Kausalität etc. nicht zu beweisen imstande
ist. Zu weit und zu eng sagt man (s. Hume).

Nun aber war der Verstand imstande Humes Problem zu erhellen.
Über all dort wo eine Energieübertragung stattfindet ist gerechtfertigt von Kausalität zu sprechen und nicht wie Hume und mit ihm Kant meinten nur von regelmäßigen Abfolge.
Man hat die Möglichkeiten und Reichweite des Verstandes einfach unterschätzt.

Gruß.

Balázs

Nachfrage
Hi,
bin ja philosophischer Laie, deshalb erlaube mir eine Frage hierzu:

Die „reine Vernunft“ ist dem Verstand übergeordnet,
weil sie die Fähigkeit besitzt Schlüsse zu ziehen,
nach dem Unbedingten, (Ideen) zu suchen.

Ist die Vernunft nicht immer mit Handeln verknüpft? „Vernünftiges Denken“ mag ja gehen, ist aber wirkungslos, wenn es nicht umgesetzt wird. Was man vom Verstand nicht sagen kann.

Gruß,
Anja

Hallo,

nun, David Hume hat wie auch Immanuel Kant der Anmaßung des Verstandes auch seine Grenzen aufgezeigt als KRITIK der Vernunft. Auf der anderen Seite war diese KRITIK nicht möglich durch die Leistung des menschlichen Verstandes. Sich allein auf „Gott“ zu verlassen, wäre dagegen fatal. Nur durch die menschliche Vernunft und unseren Verstand ist ein Fortschritt möglich.

Gruß
C.

Hallo,

Vernunft ist, trotz permanenter politischer Massenpropaganda seine wahren Bedürfnisse zu erkennen und nach Glück zu streben. Der Verstand ist das strategische Mittel, dieses Ziel optimal zu erreichen. Das ist praktische Philosophie, alles andere ist nur Begriffs-Fuzzelei, ohne Sinn und Verstand.

Gruß
C.

Hallo Anja,

Die „reine Vernunft“ ist dem Verstand übergeordnet,
weil sie die Fähigkeit besitzt Schlüsse zu ziehen,
nach dem Unbedingten, (Ideen) zu suchen.

Ist die Vernunft nicht immer mit Handeln verknüpft?

Nein.

„Vernünftiges Denken“ mag ja gehen, ist aber wirkungslos, wenn
es nicht umgesetzt wird.

Das ist eine Wunsch-(Zielvorstellung), aber keine Bedingung für
Vernunft an sich.

Was man vom Verstand nicht sagen kann.

Was? Wieso ?

Gruß VIKTOR

Hi.

Nun aber war der Verstand imstande Humes Problem zu erhellen.

Der Verstand in Einklang mit der Vernunft.
Es ist eine Korrelation. Alleine wär der
Verstand, der auf Sinneswahrnehmungen
angewiesen ist, nicht imstande. Um diese
Differenzierung geht es.

Man hat die Möglichkeiten und Reichweite des Verstandes
einfach unterschätzt.

Da geb ich dir recht und das tun wir wohl immer
noch. Eine Frage der Emergenz.

Gruß
Junktor

Hi Anja,

„Vernünftiges Denken“ mag ja gehen, ist aber wirkungslos, wenn
es nicht umgesetzt wird. Was man vom Verstand nicht sagen
kann.

Die „reine Vernunft“ ist ein philosophischer
Terminus:

http://de.wikipedia.org/wiki/Kritik_der_reinen_Vernunft

Worauf du anspielst ist „praktische Vernunft“.

http://de.wikipedia.org/wiki/Praktische_Vernunft

Du hast natürlich recht damit, wenn du beklagst,
dass die beste ethische Vorgabe sinnlos ist,
wenn sie nicht befolgt wird.

Gruß
Junktor

1 Like

Heißt das weiter, dass wer Vernunft hat, nicht unbedingt auch Verstand hat?

Hi!
Die Vernunft ist der Altruist, der Verstand der Egoist. Der Kampf der Giganten beginnt.

Wer sonst zerstört Wald und Natur und kennt deren existentielle Abhängigkeiten?
Wer sonst verursacht Armut durch Reichtum?
Wer sonst setzt auf Atomkraft und kennt die Gefahren?

PR

Hi.

Der Verstand in Einklang mit der Vernunft.
Es ist eine Korrelation. Alleine wär der
Verstand, der auf Sinneswahrnehmungen
angewiesen ist,

Angewiesen schon nicht aber angekettet wie Kant und Hume meint. In der Theoriebildung sind wir frei.

Um diese Differenzierung geht es.

Ist das gerechtfertigt überhaupt?
Wenn man akzeptiert, dass alle Erkenntnisse Produkte unserer Gehirne sind, dann wozu?

Eine Frage der Emergenz.

Ohne Frage, die gibt.

Gruß.

Balázs

Hi Claus.

nun, David Hume hat wie auch Immanuel Kant der Anmaßung des
Verstandes auch seine Grenzen aufgezeigt als KRITIK der
Vernunft.

Und dabei sich als etwas kurzsichtig erwiesen:smile:

Nur durch die
menschliche Vernunft und unseren Verstand ist ein Fortschritt
möglich.

Bitte die Rückschritte nicht vergessen :smile:

Gruß.

Balázs

Hi.

Um diese Differenzierung geht es.

Ist das gerechtfertigt überhaupt?

Es geht bereits auf Platon zurück, der zwischen
Nous (Vernunftseele) und Dianoia
(Verstandeserkenntnis) unterschieden hat
und führt bis in unsere heutige Zeit.
(Kritischer Rationalismus etc.)
Es ist also kein Produkt Kants oder Humes.
Jede methodologische Erweiterung basiert
auf einem Fundament. Die Philosophie
ist eben akribische Arbeit.

Wenn man akzeptiert, dass alle Erkenntnisse Produkte unserer
Gehirne sind, dann wozu?

Um das „Wozu“ zu beantworten, muss man das
Ganze betrachten! Es existiert nicht nur
in Theorien oder Überlegungen, sondern ganz
konkret, z.B in unterschiedlichen Lehren,
wie eben dem Intellektualismus (Rationalismus).
Man rechtfertigt sein Handeln und Urteilen,
indem man die intellektuelle Intuition oder
um beim Namen zu bleiben, die Kraft
der Vernunft instrumentalisiert.
Sie vertreten die Annahme angeborener
Ideen.
Hier sind Philosophen wie Descartes, Spinoza
oder Leibniz zu nennen.

Und dem Empirismus, also dem Verstandesdenken,
der sein Handeln und Urteilen rechtfertigt,
indem er die Sinneswahrnehmung, bzw.
die Sinneserfahrungen anruft. Also
nur die reine Erfahrung wird anerkannt.
Keine angeborenen Ideen wie oben, Locke nannte
das menschliche Bewußtsein
„ein leeres Blatt Papier“, das berühmte
„Tabula rasa“.
Vertreter sind, wie schon erwähnt,
Hume, Locke oder Berkeley oder aktuell Mach.

Man könnte die Ursprungsfrage:

„Vernunft vs Verstand“
auch umbenennen in
„Intellektualismus vs Empirismus“

Wer also hat recht? Was meinst du?
Oder findet sich ein Konsens,
guter alter Hegel: These, Antithese,
Synthese?

Man kann sich jedenfalls schön streiten,
zumindest dieses „Wozu“ scheint gegeben! :wink:

Gruß
Junktor

1 Like

Hi Junktor.

Um diese Differenzierung geht es.

Ist das gerechtfertigt überhaupt?

Es geht bereits auf Platon zurück,

Also jetzt hart :smile:

Das wir uns nicht missverstehen, sollen wir erfuhrt von Texten haben oder eher erst vorsichtig nachdenken über ihren Inhalt und dann erst uns ergeben(vorläufig):smile: Oder ist es uns noch die Möglichkeit offen neue Erkenntnisse (diskutierbare) der Wissenschaft in unsere Überlegungen einzubinden?

Ist es nicht so das Philosophie die Nachfrage was uns so evident erscheint ist?

So lange ich ungefähr weiss was wir unter „denken“ verstehen (und das kam ziemlich spät weil ich das mit Empfindung lange verwechselt habe:smile: habe ich nach Möglichkeit versucht zu ermitteln wer was und warum gedacht und was ungemein wichtig ist in seiner Zeit auch gewagt hat öffentlich zu sagen.

Mir sind leider in der Küche erst die Pfannen auf dem Kopf gefallen nicht Platons gesammelte Werke:smile:

Ab da ist bei mir alles offen,

Gruß.

Balázs

Kampf gegen die Unvernunft

Bitte die Rückschritte nicht vergessen :smile:

Hi Balazs,

wenn man sich an der Vision „Fortschritt“ orientiert, gibt es gemäß Heraklits Lehre, alles fließt und man kann nicht zweimal in denselben Fluss steigen, keinen Rückschritt im eigentlichen Sinne, auch Hitler, Stalin oder Mao usw. sind laut Evolutionstheorie im Zeitpfeil eine Vorwärtsbewegung.

Wenn ich 10 Kilometer laufe und den gleichen Weg wieder zurückgehe, ist es eine Bewegung, die nicht zurück führt, auch wenn ich auf dem gleichen Weg zurückgehe. Die Zeit hat sich nicht zurück entwickelt, sondern vorwärts, ich habe die doppelte Zeit dafür benötigt, was beweist, dass es in Wirklichkeit keine Rückwärtsbewegung gibt in diesem Universum.

Rückschritte im moralischen und zivilisatorischen Sinne gibt es dagegen
natürlich. Das ist eine Herausforderung für die Menschheit, daran zu lernen. Der Fortschritt wäre demnach ein Kampf der Vernunft gegen die Unvernunft.

Gruß
C.

Hi Balzacs.

Also jetzt hart :smile:

Gut! :smile:

Das wir uns nicht missverstehen, sollen wir erfuhrt von Texten
haben oder eher erst vorsichtig nachdenken über ihren Inhalt
und dann erst uns ergeben(vorläufig):smile: Oder ist es uns noch
die Möglichkeit offen neue Erkenntnisse (diskutierbare) der
Wissenschaft in unsere Überlegungen einzubinden?

Das liegt wohl im Auge des Betrachters, eine Vorgabe
gibt es nicht. Mein Fokus liegt noch immer in der
Frage des UP. Wenn im einem Brett Philosophie eine
solche Frage gestellt wird, dann geht man eben davon
aus, dass der Fragesteller auch entsprechende Antworten
und nicht einfach subjektive Meinungen haben will.
Bist du denn auf Höhe der aktuellen
Wissenschaft?

Ist es nicht so das Philosophie die Nachfrage was uns so
evident erscheint ist?

Mitnichten, dies liegt lediglich der empirischen
Wissenschaft nahe. Wobei wir ja gerade mitten
im Thema wären.

So lange ich ungefähr weiss was wir unter „denken“ verstehen
(und das kam ziemlich spät weil ich das mit Empfindung lange
verwechselt habe:smile: habe ich nach Möglichkeit versucht zu
ermitteln wer was und warum gedacht und was ungemein wichtig
ist in seiner Zeit auch gewagt hat öffentlich zu sagen.

Es ist wohl jedem sein individuelles Recht das
zu denken, was er für richtig/wichtig/sinnvoll
hält. Wer aber wissenschaftlich argumentieren
will, der hat eben gewisse Vorgaben.

Mir sind leider in der Küche erst die Pfannen auf dem Kopf
gefallen nicht Platons gesammelte Werke:smile:

Nun Newton ist der Legende nach auch erst der
Apfel auf den Kopf gefallen, das hat keine
qualitative Bedeutung.

Gruß
Junktor

Hi Claus.

Rückschritte im moralischen und zivilisatorischen Sinne gibt
es dagegen

Die wollte ich nicht so einfach in Vergessenheit geraten lassen:smile:

Kampf der Vernunft gegen die Unvernunft.

Halte ich zwar für die absehbare Zukunft nicht gewinnbar aber gut führbar.

Gruß

Balázs

Hallo,
vielen Dank für die Antworten.
Was ich daraus für mich ableiten konnte ist, dass

  • der Verstand sinnliche Erfahrungen methodologisch voranschreitend und schlussfolgernd bearbeitet
  • die Vernunft alle anderen (nicht-sinnlichen) Erfahrungen verarbeitet (Abstraktion von Prinzipien, Ideen, Zusammenhänge).

Es hört sich in den Antworten so an, als wenn Vernunft und Verstand eigenständige Instanzen sind, die unabhängig voneinander im Denken agieren. Ich frage mich (und euch):
Ist das Denken eine sinnliche Erfahrung, die nur über den Verstand erfolgt?
Ist das Denken keine sinnliche Erfahrung und nur über die Vernunft erfolgt?
Können Verstand und Vernunft zusammenarbeiten? Und wenn ja: wie?
Bei Zusammenarbeit: Gibt es eine Instanz, die die Zusammenarbeit koordiniert?

Danke für Anregungen und Erklärungsversuche

Castiglio

Hi Junktor.

Hi Balzacs.

Das muss ich gebührend Honoreiren :smile:

Das liegt wohl im Auge des Betrachters, eine Vorgabe
gibt es nicht.

Das gilt für die Formale Wissenschaften. Es ist mir keine Philosophie bekannt wo man auf Tatsachen verzichten konnte. Mir ist aber wohl bekannt, dass viele philosophische Irrtümer durch die Wissenschaft aus der Welt geschafft worden. Nur miteinander können sie funktionieren.

Mein Fokus liegt noch immer in der
Frage des UP.

Meine auch:smile:

Wenn im einem Brett Philosophie eine
solche Frage gestellt wird, dann geht man eben davon
aus, dass der Fragesteller auch entsprechende Antworten
und nicht einfach subjektive Meinungen haben will.

Korrekt. Nun ich habe die Stellungsname der EE und nicht nur meine persönliche Meinung beigetragen. Das ich diese Auffassung auch teile ist nebensächlich. Wäre ich Kantianer oder sonstwas wäre mein Beitrag was anderes.

Bist du denn auf Höhe der aktuellen
Wissenschaft?

Wer kann das von sich behaupten??? (Witzbold:smile:

Ist es nicht so das Philosophie die Nachfrage was uns so
evident erscheint ist?

Mitnichten, dies liegt lediglich der empirischen
Wissenschaft nahe.

Aber nicht doch. Sogar der Satz von ausgeschlossenen Widerspruch steht nicht mehr unter Artenschutz:smile:

Wobei wir ja gerade mitten
im Thema wären.

Genau.

Wer aber wissenschaftlich argumentieren
will, der hat eben gewisse Vorgaben.

Also ran, einhalten:smile:

Gruß

Balázs