Verständnisfrage zu Büchners Brief an die Familie aus dem Jahr 1835

Ich bin mir nicht ganz sicher, welchen Vorwurf Büchner genau in folgendem Abschnitt meint:
[Man könnte mir nur noch vorwerfen, daß ich einen solchen Stoff gewählt hätte. Aber der Entwurf ist längst widerlegt.]
Ich verstehe nicht welchen Stoff er hier in diesem Kontext meint, weswegen mir der Vorwurf an sich nicht deutlich wird.

Ich habe zudem folgenden Ausschnitt des Briefes zur Verfügung gestellt bekommen:

[…]Was übrigens die sogenannte Unsittlichkeit meines Buchs angeht, so habe ich Folgendes zu antworten: der Dramatische Dichter ist in meinen Augen nichts, als ein Geschichtsschreiber, steht aber über Letzterem dadurch, daß er uns die Geschichte zum zweiten Mal erschafft und uns gleich unmittelbar, statt eine trockene Erzählung zu geben, in das Leben einer Zeit hinein versetzt, uns statt Charakteristiken Charaktere, und statt Beschreibungen Gestalten gibt. Seine höchste Aufgabe ist, der Geschichte, wie sie sich wirklich begeben, so nahe als möglich zu kommen. Sein Buch darf weder sittlicher noch unsittlicher sein, als die Geschichte selbst; aber die Geschichte ist vom lieben Herrgott nicht zu einer Lektüre für junge Frauenzimmer geschaffen worden, und da ist es mir auch nicht übel zu nehmen, wenn mein Drama ebensowenig dazu geeignet ist. Ich kann doch aus meinem Danton und den Banditen der Revolution nicht Tugendhelden machen! Wenn ich ihre Liederlichkeit schildern wollte, so mußte ich sie eben liederlich sein, wenn ich ihre Gottlosigkeit zeigen wollte, so mußte ich sie eben wie Atheisten sprechen lassen. Wenn einige unanständige Ausdrücke vorkommen, so denke man an die weltbekannte, obszöne Sprache der damaligen Zeit, wozu das, was ich meine Leute sagen lasse, nur ein schwacher Abriß ist. Man könnte mir nur noch vorwerfen, daß ich einen solchen Stoff gewählt hätte. Aber der Entwurf ist längst widerlegt. Wollte man ihn gelten lassen, so müßten die größten Meisterwerke der Poesie verworfen werden.]

Der Dichter ist kein Lehrer der Moral, er erfindert und schafft Gestalten, er macht vergangene Zeiten wieder aufleben, und die Leute mögen dann darus lernen, so gut, wie aus dem Studium der Geschichte und der Beobachtung dessen, was im menschlichen Leben um sie herum vorgeht. Wenn man so wollte, dürfte man keine Geschichte studieren, weil sehr viele unmoralische Dinge darin erzählt werden, müßte mit verbundenen Augen über die Gasse gehen, weil man sonst Unanständigkeiten sehen könnte, und müßte über einen Gott Zeter schreien, der eine Welt erschaffen, worauf so viele Liederlichkeiten vorfallen. Wenn man mir übrigens noch sagen wollte, der Dichter müsse die Welt nicht zeigen wie sie ist, sondern wie sie sein solle, so antworte ich, daß ich es nicht besser machen will, als der liebe Gott, der die Welt gewiß gemacht hat, wie sie sein soll.

[Was noch die sogenannten Idealdichter anbetrifft, so finde ich, daß sie fast nichts als Marionetten mit himmelblauen Nasen und affektiertem Pathos, aber nicht Menschen von Fleisch und Blut gegeben haben, deren Leid und Freude mich mitempfinden macht, und deren Tun und Handeln mir Abscheu oder Bewunderung einflößt. Mit einem Wort, ich halte viel auf Goethe oder Shakespeare, aber sehr wenig auf Schiller.]

Jegliche Vorschläge, bezüglich des gemeinten Vorwurfs sind willkommen, da ich keinen blassen Schimmer habe. Danke schonmal im voraus.

Das steht in seinem Text:

Gemeint ist also insbesondere sein Drama „Dantons Tod“ von 1835.

Und was ihm zum Vorwurf gemacht wurde, schreibt er ja hier:

Gruß
Metapher

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Hallo,

der Vorwurf der „Unsittlichkeit“ ist wörtlich in einer Rezension zu finden, die unter dem Pseudonym ‚Felix Frei‘ erschien als Antwort auf Karl Gutzkows positive Kritik des Stücks:

… diese Auswüchse der Unsittlichkeit, diese Pestbeulen der Frechheit, die jetzt nur zu sehr in unserer schönen Literatur für Genialität angesehen wird, …
[…]
… denn nur das Sittliche kann auch schön seyn, das Unsittliche bleibt stets unschön, weil es der höheren Menschennatur uns entfremdet, uns zum Thiere herabwürdigt.

Gruß
Kreszenz

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