Ich habe dich so verstanden, dass du dich darüber mokierst, wenn jemand sich vielerlei philosophische Gedanken irgendwelcher „Großkopfenden“ aneignet und sich dann vor anderen damit brüstet, obwohl diese Gedanken gar nicht seine eigenen sind. Ist das falsch?
Erfahrung muss einem nicht unbedingt bewusst sein, sie wird über die essenzielle Bedeutung gespeichert. Bildung ist „auch“ Erfahrung! Wie viel von dem, was ein Kind in der Schule lernt, ist ihm später davon als Erwachsener bewusst? Der bekannte deutsche Hirnforscher Professor Dr. Dr. Manfred Spitzer bringt in seinen Seminaren, die oft zu über 80 Prozent von Lehrern besucht werden, das Beispiel, seine Zuhörer sollen sich doch mal erinnern, wie viel ihnen noch von dem bewusst ist, was sie in der Schule gelernt haben. In der Regel sind das ja mindestens weit mehr als zehn Jahre. Aber die meisten Seminarbesucher können sich noch nicht mal an so viel erinnern, dass sie eine Seite voll geschrieben bekämen. Daran sieht man doch, wie wenig von den meist über zehn Jahren Schulbildung noch später bewusst präsent sind. Es wäre aber jetzt völlig falsch, daraus zu schließen, dass Schulbildung wertlos sei. Dasselbe trifft auch zu für philosophische Bildung!
Wenn du jetzt einen Philosophierenden kritisierst, weil er in einer Art Arroganz ein durch fremde Geister übernommenes Bildungsvermögen sozusagen „raushängen lässt“, um damit vor anderen scheinbar künstlich zu brillieren, müsste man zwei Dinge unterscheiden, nämlich Struktur und Substanz, wobei Letztere nicht beweisbar, sondern nur ein Konstrukt sein kann, sofern man ehrlich ist zu sich selbst bzw. man sich selbst bewusst ist. Strukturen entstehen durch Erfahrung, und die bleiben je nach Bedeutung verschieden stark oder schwach in der bewussten Erinnerung gespeichert. Aber auch die unbewusst verinnerlichten Strukturen der Erfahrung gehören dazu. Dies ist auch der Fall, wenn man sich mit Philosophie beschäftigt. Man verinnerlicht die Gedanken von „Großkopfenden“ als seine eigene Erfahrungen und sie werden Bestandteil von einem selbst. Also kann man meiner Ansicht nach auch dieses „Bildungspotential“ nicht, wie von dir beschrieben, kritisieren. Kritisierbar ist das Überlegenheitsgefühl, mit einem fremden Wissen zu protzen. Und die Unehrlichkeit gegenüber sich selbst ist da kritisierbar.
Punk-Evchen