Der sog. Mehrheitsttext
Hallo,
ich bin mir über das Chaos der orthodoxen Kirchen sehr wohl im Klaren
ich sehe da eine Vielfalt von Patriarchaten, aber keinesweg ein Chaos. Den endlosen Verzweigungen und Vereinigungen in der Geschichte der westlichen, lateinischen Kirchen käme der Ausdruck Chaos schon eher zu.
und habe daher meine Frage sehr präzise formuliert!
Nein, aber aus deinen bisherigen Antworten läßt sich das, wonach du fragst, einigermaßen erraten.
Ich suche eine Bibel, keine liturgischen Abhandlungen diverser Rituale, keine der älteren wie neueren Übersetzungen in die jeweilige Landes- bzw. Volkssprache
Das habe ich auch nicht anders verstanden. Mein Einwand betraf deinen Ausdruck „griechisch-orthodoxe Kirchen“. Du meintest damit aber orthodoxe Kirchen aus dem griechisch-sprachlichen Kulturkreis.
sondern eine griechische Bibel, wie sie bis zur Aufhebung des Verbots von verständlichen Übertragungen in griechischsprachigen orthodoxen Kirchen (Griechenland, Zypern)wohl die Grundlage gewesen sein müsste.
Und hier wird es verwirrend. Kannst du eine Quelle benennen, aus der hervorgeht, daß - anders als in der Geschichte der lateinischen Kirche - in Ostkirchen, und speziell in orthodoxen Kirchen, jemals ein Verbot von Übertragungen ausgesprochen (bzw. ein existierendes aufgehoben) wurde? Da in speziell griechischsprachlichen orthodoxen Kirchen eh griechisch gelesen wurde, welche „Übersetzungen“ sollte so ein Verbot beinhaltet haben? Griechisch in Griechisch?
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Ich weiß das seit 13 Jahren
wir brauchen uns daher nicht in die Tasche zu lügen: „Nestle/Aland“ bietet einen modernen kritischen Text, der bei den orthodoxen Kirchen noch nie be- geschweige denn anerkannt war
Da brauchst du weder in die Tasche zu lügen, noch sonstwohin: Es ist das Wesen (und hier das Verdienst) einer kritischen Edition, daß man, neben einem vorgeschlagenen Basistext (für jeweilige exegetische Diskussionen oder weitere landessprachliche Übersetzungen) einen _kritischen Apparat _ hat, aus dem man sämtliche Textvarianten aus Manuskriptfunden nachlesen kann. Im Apparat des N-A findest du sogar die Varianten der Minuskel-Dokumente vermerkt, die zu dem sog. Mehrheitstext (Sigle: M oder Byz ) byzantinischer bzw. antiochenischer Traditionslinien zählten. Und die in M / Byz benutzen Minuskeln sind ebenfalls dort im Anhang aufgelistet.
Und das ist der Grund, weshalb auch von orthodoxen Theologen in wissenschaftlichen Diskussionen auf N-A Bezug genommen wird.
Etwas anderes ist der Mehrheitstext (alias „byzantinischer Reichstext“, aus historischen Gründen so bezeichnet), der von liturgischer Relevanz ist. Daher mein Hinweis auf den byzantinischen Ritus: Es geht darum, auf welche Textgrundlagen greifen die liturgischen Texte des Ordo missale („Lesung“, „Evangelium“ und andere Messteile) zurück.
Dieser Mehrheitstext bestand zunächst in einer Kompilation von Manuskripten des antiochenischen Typus aus dem 3. Jhdt, der mit „Koine“ bezeichnet wurde (was nicht verwechselt werden sollte mit der Tatsache, daß alle antiken griechischen MS in Koine verfaßt sind). Aus dieser Tradition stammen auch die Texte, die Erasmus bei seinen Drucklegungen des griechischen NT verwendete. Allerdings mit der nicht unwichtigen Problematik, daß er nur wenige, zudem teils fragmentarische MS zur Verfügung hatte, die zudem alle jünger als 12. Jhdt waren. Und Passagen, die in diesen MS fehlten, hat er aus div. lateinischen MS (u.a. auch Itala und Vulgata) ins Griechische zurückübersetzt.
Von der dritten Edition des Erasmus an wird dieses „griechische NT“ dann als „Textus receptus“ bezeichnet. Und dieser Textus receptus wurde dann danach - wir sind also jetzt im 16. Jhdt. - wiederum in den byzantinischen Mehrheitstext eingearbeitet.
Und wenn ich mich nicht irre (Hannes wird darüber Genaueres wissen), wird bis heute im byzantinischen Ritus verwendet (und ist auch der Text, der von griechischsprachlichen Laien gelesen wird).
Eine Ausgabe davon ist z.B. diese hier: ISBN 0840749635 Buch anschauen
Und das ist, wenn ich dich trotz allem recht verstanden habe, das, was du suchst.
dass es keinen Artikel zum Begriff „Vollbibel“ bei „Wikipedia“ gibt, heißt nicht, dass es keine „Vollbibel/n“ gäbe:
Was hab ich in diesem Zusammenhang mit Wikipedia zu tun!?
Zum Merken:
- „Bibel“ = Tanach im jüdischen Kontext
- „Bibel“ = At + NT im christlichen Kontext
Der Ausdruck „Vollbibel“ findet sich bestenfalls in Semester-Hausarbeiten von Theologiestudenten. Er ist voll unsinnig.
Und jetzt wird es voll witzig:
Ein Beispiel für gravierende Unterschiede zwischen dem TR und NA: Das „Comma Johanneum“
Die „Dreieinigkeit“ (einziger Beleg dafür in 1.Johannes 5:7)wäre grundlegender Bestandteil der orthodoxen Kirchen …
Das Comma Johanneum 1.Joh. 5.7-8 existiert erst seit einer lateinischen Handschrift von 381. Kurz nach der vorläufig-endgültigen trinitarischen Formulierungsfestlegung in Nicäno-Konstantinopolitanum. Und auch nach den für die Trinitätsformulierung 380 fundamentalen Schriften des Athanasius, Basilius v. Cäsarea, Gregor v. Nyssa und Gregor v. Nazianz, die die Formel alle nicht kannten. Eine erste(!) griechische Version davon existiert überhaupt erst in einer fragwürdigen Minuskel-HS (mit der Sigle „61“) aus dem Anfang des 16. Jhdts , die Ersamus prompt in seine dritte Auflage 1522 einfügte.
Von einer Bedeutung für die Entwicklung der Trinitätslehre kann also keine Rede sein. Auch nicht für byzantinische Traditionen.
Gruß
Metapher