Vor und Nachteile einer direkten Demokratie

Hallo,

ich fände bei vielen Themen eine direkte Demokratie demokratischer . Bei Themen wie Mindestlohn oder Gesetze zum Thema Sterbehilfe wäre es doch sinnvoller die Meinung der Bevölkerung zu respektieren.
Eine direkte Demokratie würde doch auch besser zu einer individualistischen pluralistischen Gesellschaftsstruktur passen. Gibt es Bewegungen Parteien die eine direkte Demokratie fordern.
Wie seht ihr das ?

Viele Grüße

Moin,

viele Themen, um die es in der „hohen“ Politik geht, sind sehr komplex. Ich denke, dass die meisten Menschen aus dem Bauch heraus entscheiden würden und nicht zum Wohl des Volkes (ob die Entscheidungen im Bundestag immer zum Wohl des Volkes sind, sei dahingestellt).
Im Übrigen gibt es auf der untersten Ebene, den Gemeinden durchaus ein Mitsprcherecht der Büger (Einwohnerfragestunde). Nur wird die nicht oder nur selten genutzt. Meist herrscht gähnende Leere in Gemeinderatssitzungen.

Soon

Hallo,

eine direkte Demokratie, oder zumindest eine Demokratie mit mehr direktem Einfluss, hat sicher auch Nachteile.

Zur Zeit haben wir je nach Partei und Nähe des Wahltermins mal mehr oder weniger Populismus, also das Absondern von Erklärungen und Versprechungen, die der aktuellen Stimmung in der Bevölkerung entsprechen.

Da gibt es dann durchaus Fälle, wo ich hoffe, dass das leere Wahlversprechen bleiben - und es gibt Fälle, wo ich fürchte, dass es nur leere Versprechungen sind.

Eins ist aber immer der Fall:
Zwischen der aktuellen Stimmungslage in der Bevölkerung und einer Gesetzesentscheidung vergeht eine lange Zeit, wird noch viel diskutiert, wird noch einiges angepasst - oder eine Idee ganz fallen gelassen.

Ein Volksentscheid führt aber zu einem Ergebnis, welches umzusetzen ist. Auch, wenn die Stimmung umschlägt.
Siehe Brexit: Aktuell steht es 51% zu 34% für den Verbleib.

Andererseits: Wer soll sich eigentlich anmaßen, darüber zu entscheiden, für welche Entscheidungen das Volk befragen ist und für welche Entscheidungen man auf „ist nur eine zeitlich begrenzte Stimmung“, da ist das Volk nicht schlau genug, weise zu entscheiden?

Überhaupt - Demokratie - ist vom Ansatz schon MIST. Mein strunzdummer Nachbar, der sich mehrmals wöchentlich ins Koma säuft, darf genauso abstimmen wie ich?
Nur: Was Besseres haben wir noch nicht erfunden. Nirgendwo auf der Welt.

Volksentscheide halte ich für sinnvoll und erstrebenswert. Da überrraschen mich öfters mal die Schweizer, die bei den Entscheidungen häufiger gezeigt haben, dass sie nicht dem Populismus hinterherlaufen.

Ein kluger Mann sagte: „Vox populi, vox Rindvieh“. Man muß nur mal sehen, von wievielen Schwachköpfen man umgeben ist, sich selber inklusive, und sich dann überlegen, ob die über grundlegende und zumeist ausgesprochen schwierige Themen unmittelbar mitentscheiden sollen.

Einmal davon abgesehen, dass viele Menschen mit komplexen Fragestellungen heillos überfordert sind, besteht bei einer direkten Demokratie die Gefahr, dass es zu einer Diktatur der - populistischen - Mehrheit kommt und Minderheiten nicht mehr ausreichend geschützt werden.

da geb ich dir Recht allerdings müsste es doch möglich sein die Direkte Demokratie irgendwie auch wieder im Gesetz einzuschränken !?

Schon klar das manche Fragestellungen wohl zu komplex sind. Ich denke auch im Nachhinein das Mindestlohn wohl doch kein passendes Beispiel ist , welches sich gut für eine direkte demokratie eignen würde .Ich denke die meisten könnten die komplexen wirtschaftlichen Zusammenhänge nicht gut beurteilen. Sterbehilfe sag ich nach wie vor eindeutig ja zu einer direkten Abstimmung, wenn ich sehe wie Politiker über die Mehrheit hinweg entscheiden mit Ihren ganz persönlichen Ethik Moral und Glaubensvorstellungen und diese der Bevölkerung aufdrücken wollen , macht mich das schon ein wenig sauer. Oder zu entscheiden ob in Schulen ein Kreuz hängen soll , finde ich auch das man die Bevölkerung fragen sollte.

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Vielleicht ist er ja frustriert das nur die Intellektuellen was zu sagen haben. Intellektualität sagt aber nix über die Gesinnung. Vielleicht sollte man die Schlauheit der Dummen nicht unterschätzen.

Worauf die Schlauheit der Dummen beruht.
Der beschränkte Kopf kann die wenigen und einfachen Verhältnisse, welche im Bereich seiner engen Wirkungssphäre liegen, mit viel größerer Leichtigkeit übersehen und die Hebel derselben handhaben, als der eminente, der eine ungleich größere und reichere Sphäre überblickt und mit langen Hebeln agiert, es könnte. So sieht das Insekt auf seinen Stängeln und Blättchen Alles mit minutiösester Genauigkeit und besser, als wir; wird aber nicht den Menschen gewahr, der drei Schritte davon steht. Hierauf beruht die Schlauheit der Dummen und das Paradoxon: Il y a un mystère dans l’esprit des gens qui n’en ont pas. (W. II, 161.)
6) Auch Dummköpfe sprechen mitunter eine Wahrheit aus, die nicht geringzuschätzen ist.
Man schätze nicht einen neuen, vielleicht wahren Ausspruch oder Gedanken gering, weil man ihn aus dem Munde eines Dummkopfs vernimmt. Ein spanisches Sprichwort sagt: In seinem Hause weiß der Narr besser Bescheid, als der Kluge in einem fremden. Auch findet ja bisweilen eine blinde Henne ein Körnchen, und es ist wahr: Il y a un mystère dans l’esprit des gens qui n’en ont pas. (P. II, 67.)

Mit solch simplen Sachen fangen die Probleme schon an. Ein Kreuz hat in einer Schule, solange es keine Bekenntnisschule ist, nichts zu suchen. Dazu gab es vor zig Jahren sogar schon ein höchstrichterliches Urteil:

Du siehst, es ist in der Realität nicht so einfach…

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Die Verärgerung darüber teile ich voll, aber die Lösung nicht, denn es ist doch prinzipiell wurscht, ob mir „die Politiker“ ihre Haltung dazu „aufdrängen“ oder ob das auf direkte Weise „die Mehrheit“ des Wahlvolkes tut.
Klar ist derzeit die Bevölkerungsmehrheit vermutlich „pro Sterbehilfe“, aber deine Frage geht ja ums Prinzip. In ein paar Jahren könnte der Mehrheitsentscheid ganz anders ausfüllen.

Gruß
F.

eine umfangreiche und sehr kompetente schrift zum thema direkte demokratie - ich jedenfalls habe bislang nichts besseres oder vergleichbares im netz gefunden:

hier wurden in den antworten verschiedene „probleme“ sowie fragen zur direkten demokratie angesprochen, meinungen und ansichten geäußert, und zu all dem gibt es auch antworten in der schrift. vermutlich auch überraschende, die bei dem/der einen oder anderen sicherlich die überzeugungen beeinflussen könnten:

beispielsweise für

Seite 52-57 der pdf, praxis in der schweiz, deren offensichtlich funktionierende regelungen zu umsetzung und grenzen direkter demokratie.

für

Seite 80.

oder

Seite 78 - 80

für

also kompetenz / inkompetenz und verantwortung seite 75 - 78.

für

ein kurzes zitat aus seite 76:

Wenn die Bürger bei der Entscheidung über konkrete Angelegenheiten nicht kompetent sind, sind sie grundsätzlich auch nicht in der Lage, die richtigen politischen Entscheider zu wählen. Um aber die richtigen Entscheider wählen zu können, muss man nicht nur gute von schlechten Beschlüssen unterscheiden können, sondern muss außerdem in der Lage sein, die Zuverlässigkeit sowie die moralische und intellektuelle Integrität der Kandidaten einzuschätzen bzw. die versteckten Programme der politischen Parteien zu durchschauen. „Es ist (…) nicht einsichtig, warum man den Bürgern die Kompetenz zusprechen sollte, über politische Parteien und Politiker zu entscheiden, nicht aber über die Vorschläge eines Referendums. Im ersten Fall ist die Entscheidung sogar schwieriger, da die Wähler Erwartungen über das künftige Verhalten von Politikern formulieren müssen.“

pasquino

Und bei anderen Themen? Mindestlohn - volksabstimmungstauglich - Tempolimit - untauglich?

Trotz der nachteile das einige Fragen wohl zu komplex sind bin ich doch für mehr Demokratie. Ob der Mindestlohn der Wirtschaft schadet ist wohl so Komplex das selbst Experten wohl das ganze nicht vollständig überblicken können . So könnte man es wenigstens mal probieren und die Bevölkerung befragen.

Ich denke Demokratie ist eben Demokratie und da zählt an und für sich was das Volk will oder seht ihr das anders. Wir haben längst keine Klassengesellschaft mehr wo eine Partei eine Großgruppe vertritt sonder einen Pluralismus so das die Parteien immer weniger die Themen abdecken kann. Es kann jmd für Umweltschutz sein und trotzdem Rechts . Da steht er nun vor der Frage ob er jetzt Grün oder AFD wählen soll. Es gibt bestimmt unzählige beispiele auf die das Zutrifft …

Da hat sie aber nicht recht. Das kann in einer repräsentativen Demokratie genauso gut oder schlecht passieren. Und natürlich gibt es die übergeordnete Instanz. Hierzulande das BVerfG.

Wunderbares Beispiel über die Folgen einer direkten Demokratie!

Die Folgen des Brexit sind noch nicht mal ansatzweise zu überblicken.
Was meinst du, was passiert, wenn in D eine Volksabstimmung Austritt EU gemacht würde? Ich glaube, es würde auch so ein Ergebnis rauskommen. Bauchgefühl sagt, EU ist doof. Dann wird immer die berühmte Gurkengeschichte rausgekramt. Und dann wird kontra EU gestimmt. Die vielen Vorteile, die primär und sekundär vorherrschen, werden ausgeblendet oder sind oft schlicht nicht sichtbar für den, leider oft, uninteressierten Bürger.

Soon

Brexit ist aber auch ein extremes Beispiel ich würd bei der direkten Demokratie erstmal klein anfangen.

Moin,

Die letzten Umfragen spiegeln da ein völlig anderes Bild …

VG
Guido

Interessant, danke für den Link. So deutlich pro Europa hätte ich nicht gedacht.