Voraussetzungen für Berufsschüler und Berufsfachschüler

Hallo Bildungsexperten,

als angehende Lehrkraft (Quereinsteiger) stehe ich immer wieder vor der Frage, was ich bei den Schülern und Schülerinnen an Grundkenntnissen voraussetzen kann. (Erst danach kann ich mir Gedanken über Lernziele, Methodik und Didaktik machen.)
Beispiel: Satz des Pythagoras
Nach meiner Erfahrung kennt der mittelmäßige Hauptschulabsolvent diesen schon, kann aber oft keine Wurzel ziehen, was sich meiner Meinung nach widerspricht.
Was sollte ein Schüler (gemeint sind hier immer auch die Schülerinnen) ohne Hauptschulabschluss können/wissen?
Grundrechenarten setze ich voraus. Schwierig wird es manchmal aber schon bei Klammerregeln und Punkt-vor-Strichrechnung. Formelumstellung ist oft sogar für die Gymnasiasten problematisch…
Die Curricula und Handreichungen geben bestenfalls Ziele vor, die Basis muss man sich offenbar selber erschließen. Oder kann mir Jemand eine Quelle für die benötigten Informationen nennen?

Danke für Dein Interesse schon vorab.

Beste Grüße

Thomas

Hallo!

Einzig verlässliche Quelle der vorhandenen Voraussetzungen sind die zu unterrichtenden Schüler/innen.

Wer ein Haus bauen soll, muss sich davon überzeugen, ob das lt. Auftrag bereits vorhandene Fundament wirklich existiert und belastbar ist. Falls nämlich nicht, würde man auf Sand mauern, was zu keinem brauchbaren Ergebnis führen kann.

Zuweilen kommt bei der Prüfung der Voraussetzungen heraus, dass das Fundament zu lückenhaft ist, um mit Nachbesserungsarbeiten etwas erreichen zu können. In solchem Fall sollte man den vorhandenen Murks vergessen und ganz neu aufbauen.

Für Schüler mit lückenhaften Vorkenntnissen wirkt es demotivierend, wenn auf nicht vorhandenen Grundlagen aufgebaut wird und sie deshalb dem Unterricht nicht folgen können oder die Lehrkraft erst einmal abfragt und vorführt, was sie alles nicht können. Deutlich zügiger und frustbefreiter für alle Beteiligten funktioniert ein auf quälende Längen verzichtender Neuaufbau.

Gruß
Wolfgang

Hi.

herzlich willkommen in der realenWelt der Schule. Da du von nun an vormittagss recht hast und nachmittags frei, und dabei noch vom Steuerzahler übermäßig entlohnt wirst, kannst Du dir an Deinen freien Nachmittagen die Eindrücke des Vormittags durch den Kopf gehen lassen und Dich mit Kollegen unterhalten.
Sarkasmus beiseite: Jede Klasse ist anders, und jeder Schüler ist anders. Jedes Jahr wieder. Das, war im Lehrplan steht, können die Schüler, die im Matheunterricht eine Eins auf dem Zeugnis haben, und zwar indem sie bei jedem LEistungsnachweis eine Eins für eine fehlerfreie Arbeit bekommen haben, und die dann noch dazu über die Sommerferien hinweg nichts vergessen haben. Die Wahrscheinlichkeit, dass das einer schafft, ist die Grundlage für die Berechnunjg der Wahrscheinlichkeit, mit der das einer in deiner zukünftigen Klasse schafft.
guck Dir den Lehrplan an für die Klasse(n), die Du unterrichtest, und verteile den Stoff auf das Schuljahr und danach auf die einzelnen Stunden. Deine (aktuellen oder zukünftigen?) Kollegen helfen dir dabei. Dann geh in deine erste Stunde, biete das an, was sie lernen sollen, und lass Dich überraschen, wie es funktioniert - oder eben nicht. Dann änderst Du deine Planung für die nächsten Stunden, Und probierst wieder, ob es klappt. Trotzdem muss am Ende des Schuljahres der Stoff durch sein. Und nächstes Jahr geht es wieder von vorne los, und danach wieder, und wieder, und wieder.

Sei aber nicht davon überrascht, dass Deine Erwartungen untertroffen werden :slight_smile:

die Franzi

Hallo Wolfgang,

vielen Dank für Deine Antwort. Ich freue mich, dass Du noch dabei bist, während andere gute Ratgeber schon lange verschwunden sind.
Deine Argumentation ist insgesamt einleuchtend, die Umsetzung aber im Einzelfall oft schwierig.
Du schriebst:

Einzig verlässliche Quelle der vorhandenen Voraussetzungen sind die zu unterrichtenden Schüler/innen.

Deren Angaben stimmen nicht immer, manche behaupten aus Faulheit, dass sie es in der Schule nicht behandelt hätten (was auch immer).
Weiter unten:

Für Schüler mit lückenhaften Vorkenntnissen wirkt es demotivierend, wenn auf nicht vorhandenen Grundlagen aufgebaut wird und sie deshalb dem Unterricht nicht folgen können oder die Lehrkraft erst einmal abfragt und vorführt, was sie alles nicht können.

Also vermeintlich vorhandenes Wissen abfragen ohne den Schülern zu offenbaren, was sie nicht können. Da geht der Spagat dann richtig los :frowning:
Und die abgebrochenen Gymnasiasten sollen sich in Gesellschaft der Hauptschulabsolventen nicht langweilen.
Das ist alles richtig, was Du schreibst, aber in der Durchführung oft eine Zirkusnummer.

Also gibt es keine verlässlichen Aussagen darüber, was ein(e) frisch eingeschulter Berufsschüler(in) oder Berufsfachschüler(in) an Kompetenzen mitzubringen hat?
Ich habe selber nie eine Hauptschule besucht, von daher kann ich nur spekulieren, was man da so macht.

Gehofft hätte ich, dass es da irgendeine Handreichung vom KuMinisterium oder so gibt.
Schade, dass es offensichtlich keine gibt.

Beste Grüße und nochmals vielen Dank

Thomas

Hallo Franzi,

Dein Text spieglt meine bisherigen Erfahrungen sehr anschaulich
(Das erste Jahr habe ich hinter mir).
Freuen wir uns, dass wenigstens die Ziele einigermaßen umrissen sind :-S

Danke für Deine Antwort und beste Grüße

Thomas

Hi,

danke erstmal für Dein positives Feedback an anderer Stelle im Thread.

Ansonsten: behandle Deine Schüler nicht wie eine Statistik, sie sind Menschen. Ja, sie werden Dich anschwindeln, um es nochmal erklärt zu kriegen, weil es so einfacher für sie ist (scheinbar). Manchmal werden sie selber vrgessen haben, ob sie es nun wissen oder nicht… Das ist Deine Aufgabe als Pädagoge, Quereinsteiger oder nicht: finde heraus, wo die schüler stehen, und führe sie ans Ziel, oder möglichst nahe heran. Wie das geht, musst Du selber herausfinden, jedes Jahr neu.
Das geht auch uns „richtigen“ Lehrern mit 2 Staatsexamina so. Wir müssen durch das Lehren herausfinden, wie es am besten geht, und jedes Jahr neu damit anfangen. Schüler werden immer behaupten, dass sie dieses und jenes nicht können, Meine aufgabe ist es, zu entscheiden, wie viel ich dieses Mal wiederhole. Habe ich diesmal eher leistungsschwache Schüler? War mein Vorgänger schlecht? Können sie nicht folgen, weil in der Familie etwas dramatisches passiert ist; wollen sie nicht mitarbeiten, um nicht als einziger in der Klasse wass zu verstehen (dafür kann man gemobbt werden), oder werden sie bereits gemobbt, weil sie leistungsstark sind? Verweigernd sie die Mitarbeit, um cool zu wirken? Oder um nicht zu zeigen, dass sie wirkliche Lücken haben? Oder haben sie Ängste in vollen Räumen/in der Öffentlichkeit/vor dem Sprechen vor anderen Menschen und äußern sich deswegen nicht oder sind einfach zu sehr mit sich beschäftigt, um dem Stoff folgen zu können? Haben sie nicht gelernt, aufzupassen? Nehmen mich die Schüler nciht ernst? Und am allerwichtigsten: Wie viel von jedem Typ sitzen in welcher meiner Klassen?

Mathe, oder Englisch, oder Deutsch, oder Biologie, oder … zu können, ist nebensächlich :wink:

die Franzi

Hallo Thomas,

ich bin kein Bildungsexperte, doch ich habe einige Zeit in den verschiedensten Schulformen verbracht.
Du wirst seine Schüler nie übe reinen Kamm scheren können. Genau so wenig kannst du ihnen in den Kopf schauen.

Das vorhandene Wissen deiner Schüler ist nicht einfach zu bewerten. Nach Zeugnisnoten aus vorherigen Klassen kann man sich nicht richten. Manche Schüler lernen Rechenwege für die Klassenarbeiten auswendig, schreiben evtl. noch gute Noten und vergessen das ganze wieder. Verstanden haben sie das ganze dann noch lange nicht.

Meine Idee an dieser Stelle: Nimm die Schüler mit ins Boot, viele werden es zu schätzen wissen, auch wenn man das Berufsfachschülern nicht immer ansieht :wink:
Ein unbenoteter, anonymer Test im gemäßigtem Umfang, quer durch den Stoff, könnte dir zumidest eine erste Übersicht über die Fähigkeiten deiner Schüler verschaffen. Da kann bei dem ein oder anderen sicherlich auch ziemlicher Quatsch rauskommen… nur als Idee.

Ich wünsche dir noch einen angenehmen Abend,

Gruß Lukas

Hallo Lukas,

entschuldige bitte die verspätete Antwort. Dafür habe ich jetzt den Test schon schreiben lassen - allerdings nicht anonym. Das schien dann wohl die sinnvollste Maßnahme im Augenblick.
Die Auswertung wird allerdings länger dauern, weil noch ein paar Studien- und Seminarveranstaltungen anstehen.

Ich danke Dir für Deine ermunternden Worte und wünsche Dir eine gute Zeit

Thomas