Vorl. Festnahme d. Jedermann

Hallo liebe Experten,

mich interessiert ob man jemanden nach §127 STPO (und BGB) Festnehmen könnte, auch wenn man zu dieser Person erst fahren müsste, weil er die Straftat übers Internet verübt hat? „Auf frischer Tat“(eine Vorrausetzung zur jedermanns-Festnahme) heist meines Wissens nach, dass die Festnahme in direktem zeitlichen und räumlichen Zusammenhang mit der Tat bzw. des Tatortes stehen muss. Aber was ist der Tatort im Internet? Und wann endet die zeitliche Frist?

Beispiel:
Personen X und Y unterhalten sich im Chat. Sie benutzen Pseudonyme und die Identität ist ihnen gegenseitig unbekannt. Nun schickt X (der Täter) Y im Chat zB Beleidigungen oder Sogar Kinderpornografisches Material (letzteres habe ich gerade im TV gesehen, was auch der Auslöser für meine Frage war), außerdem Verabreden sich Y und X zum Treffen. Dürfte Y bei diesem Treffen X festnehmen?

Hallo jeydee,
gerne auch auf deine zweite Anfrage eine Antwort :wink:

Zunächst, dein Wissen zur „frischen Tat“ ist zutreffend.
Zu deinen konkreten Fragen:

  1. Aber was ist der Tatort im Internet?
    Man hört immer wieder aus gebildeten Mündern, das Internet sei kein „rechtsfreier Raum“. Dabei ist es überhaupt kein Raum, sondern ein Medium. Was ist der Tatort, wenn ich jemanden per Zusendung eines Briefes beleidige? Doch nicht etwa der Brief?
    Grundsätzlich wäre der Erstellungs- sowie der "Wirkungs"ort als Tatort denkbar. Eine gerichtliche Entscheidung dazu kenne ich jetzt aus dem Stegreif nicht - dem gesunden Menschenverstand zu Folge müsste aber in der Regel der Ort der Erstellung als Tatort einzustufen sein (bei einer Fernsehsendung mit mehreren Millionen Zuschauern wären ja sonst bspw. mehrere Millionen Tatorte vorhanden).

  2. Und wann endet die zeitliche Frist?
    Ein „direkter zeitlicher Zusammenhang“ ist natürlich immer auszulegen. Es ist aber keine „Frist“ - sondern es muss wirklich ein direkter Zusammenhang da sein. Kaum denkbar, dass sich das über eine handvoll Minuten hinaus erstrecken könnte.
    Als gedankliche Hilfe aus dem logischen Zusammenhang würde ich mir überlegen, ob das Hinzuziehen einer hoheitlichen, befugten Hilfe (Polizei) das unerkannte Entkommen des Täters ernsthaft zur Folge haben könnte. Bei einem verabredeten Treffen, wie etwa im Beispiel genannt, wäre es ohne Probleme möglich, die Polizei hinzuzuziehen.

  3. Das Beispiel:
    Hier sind ganz offensichtlich zeitlicher UND räumlicher Zusammenhang gebrochen, egal ob man nun den Erstellungs- oder Wirkungsort als Tatort definiert; daneben benötigt ein vereinbartes Treffen eine Vorlaufzeit, die wie oben dargestellt immer die Benachrichtigung der „Staatsmacht“ zulässt.
    Zudem wäre bei den genannten Beleidigungen eine Festnahme wohl meistens auch unverhältnismäßig.

Für die Anwendung der Jedermann-Festnahme sollte man sich der Auslegung gemäß Sinn und Zweck bedienen: Grundsätzlich soll eine Festnahme durch Staatsanwaltschaft / Polizei erfolgen, nur ausnahmsweise, wenn dies nicht ausreichend / nicht erfolgversprechend wäre, darf unter den genannten Voraussetzungen eine vorläufige Festnahme durch jedermann erfolgen. Klassisches und bestes Beispiel: Laden- oder Taschendiebstahl. Hier erst die Polizei zu rufen, ohne zu handeln, wäre wenig erfolgversprechend.
Dagegen wäre der Fall aus der Frage schon eher das klassiche Beispiel, wann die Jedermann-Festnahme ganz sicher nicht drin ist :smile:

Sorry, da kann ich leider nicht helfen.
Gruß Ingeborg

Hallo!

In dem von Ihnen geschilderten Fall würde eine Festnahme aufgrund des sogenannten „Jedermann-Paragraphen“ nicht möglich sein.

Knackpunkt ist, dass der Begriff „auf frischer Tat“ nicht zutrifft. Die Straftat an sich wurde schon VOR dem Treffen der beiden begangen. Sich dann zu verabreden, damit Y den X festnehmen kann, wäre nicht von § 127 StPO gedeckt. Y hätte die Möglichkeit, die Polizei zu verständigen.

Anders würde es aussehen, wenn erst bei dem Treffen kinderpornografisches Material übergeben würde. Dann könnte Y den X bis zum Eintreffen der Polizei festhalten. Aber nicht dann, wenn sich zu diesem Zweck verabredet worden wäre und der Y schon vorher zumindest davon ausgegangen war, dass x im Besitz dieses Materials ist. Denn auch dann hätte vorher die Polizei verständigt werden können. Eine weitere Voraussetzung ist, dass Anhaltspunkte für eine beabsichtigte Flucht des Täters vorliegen, oder es sich um einen Unbekannten handeln müsste.

Die Vorschrift ist z. B. für Fälle gedacht, wenn Sie Opfer eines Einbruchs geworden sind, Sie den Täter, der flüchten will, fassen und ihn dann festhalten dürfen. Selbstverständlich soll er nicht Rechtfertigung für „eigene Ermittlungen“ oder gar Selbstjustiz sein.

Ich hoffe, Ihnen ein wenig weiter geholfen zu haben.

Herzliche Grüße aus dem Bayernland

Walter

Eindeutig nein, zumal Y noch nicht einmal sicher sein könnte, dass
die Beleidigungen und das kinderpornografische Material tatsächlich
von X kommen, auch wenn viele Indizien dafür sprechen sollte.
Außerdem ist der Begriff " auf frischer Tat" vom Gesetzgeber sehr eng gesetzt worden und
Trifft bei einem späteren Treffen sicherlich nicht mehr zu.
Sicherlich ist es hier angebracht die Polizei mit einzubeziehen, die bei
Schilderung der Sachlage auch entsprechende Maßnahmen ergreifen würde.

Guten Tag,

lassen wir mal die Frage dahingestellt. Derjenige ist doch im Internet nicht wirklich anonym, wesewegen die Strafverfolgungsbehörden denjenigen doch sicher ermitteln können. In diesem Fall, ist es sicher sinnvoll, sich zuerst Rat bei den Strafverfolgungsbehörden zu holen, als dies auf eigene Faust zu probieren. Weiterhin müsste man tatsächlich von einer Straftat ausgehen, die muss jedoch geprüft und kann nicht ohne weiteres angenommen werden. Auch dazu sollten die Strafverfolgungsbehörden fähig sein.

Mit freundlichen Grüßen

Alexander

Ich mache es mal kurz, aus meiner Sicht: nein!

Im konkreten Sachverhalt sehe ich es als Bürgerpflicht, die Polizei zu informieren (und das kann man bei einem geplanten Treffen), damit diese alle notwendigen Maßnahmen durchführen kann.

Beleidigung ist m.E. keine Straftat, (wird nur auf Antrag des Betroffenen strafrechtlich verfolgt) welche einen Eingriff in die Freiheitsrechte eines anderen rechtfertigt.

Kinderpornografie ist eine schwere Straftat. Tatort ist z.B. die Wohnung, in welcher das Tatmittel Computer (Verbreitungsmittel) steht oder auch wo entsprechende Aufnahmen gefertigt wurden. Kommt man z.B. hinzu, wenn aktuell Kinder mißbraucht werden, ist die Sache mit der Festnahme eindeutig.

Ob der ausgmachte Treffpunkt nach Tatbegehung (Vebreitung des Materials) noch unmittelbare Nähe des Tatorts ist, erscheint auch sehr fraglich.

Weiterhin ist es für die Laien schwierig einzuschätzen, ob alle Merkmale einer Straftat bereits erfüllt sind. Kann man das nicht, muss man Festnahme und Identifizierung den Behörden überlassen.

Hallo Jeydee,
zu den Voraussetzungen des „Jedermann-Paragraphen“ zählt nicht nur das auf frischer Tat (also unmittelbar vor Ort!) ertappen, sondern auch, dass derjenige entweder der Flucht verdächtig ist oder seine Personalien nicht näher feststellbar sind. Alle drei Voraussetzungen scheinen in Deinem Fall nicht zu zu treffen, also: Finger weg! Hier hilft tatsächlich nur der Weg zur Staatsanwaltschaft/Polizei!
Gruß
Hans

Hola,
die Ansprache ‚Experten‘ ist sehr verführerisch und sollte korrigiert werden, wir sind m.W. ein Gremium von Laienschauspielern, so möchte ich meine Antwort verstanden wissen.

„Jedermnn“ kann keine Festnahme vornehmen, dafür gibt es nur die öffentliche Vollzugseinrichtung u.a. Polizei genannt. Dort kann man Anzeige mit allen Angaben zur Sache erstatten und dem wird nachgegangen.

Wo kämen wir hin, wenn jeder nach Gutdünken und Meinungsbildung eine Festnahme vornehmen könnte?
Da kämen wir in den Wilden Westen ohne John Wayne.
Schönes ruhiges Wochenende.

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Hallo jeydee

Auf frischer Tat ertappt bedeutet:

Du siehst eine Strafbare Handlung mit eigenen Augen, die Du als solche eindeutig erkennst. UND ganz wichtig: Du verlierst danach zweifelsfrei erkannten Täter nicht aus den Augen, bis ihn stellst und der Polizei übergeben kannst. (z.B. ein Ladendieb)

Wenn Du den Täter festhältst, muss die Polizei sofort aufgeboten werden. (Am besten aber aus taktischen Gründen schon vorher…) Vergiss aber nicht, dass ein Ladendieb eventuell ein gesuchter Schwerverbrecher sein kann, und damit entsprechend heftige Gegenwehr ausüben wird, der Du nicht gewachsen bist.

In Deinem geschilderten Fall ist das definitiv nicht gegeben. Wende Dich in diesem Fall an die zuständige Kripo und lösche keine Dateien, Cookies und Verläufe auf dem betroffenen Rechner, so dass alle Beweise vorhanden und alles nachvollziehbar ist.

Die Kripo hat geschultes und ausgebildetes Personal und wird sich dem Opfer gegenüber aufgeschlossen und schützend verhalten.

Die zeitliche Frist ergibt sich aus der Verjährungsfrist, die wiederum je nach Straftat unterschiedlich ist.

Meldestellen / weiterführende Links für Internetkriminalität:

Deutschland:
[http://www.bka.de/DE/ThemenABisZ/Deliktsbereiche/Int…](http://www.bka.de/DE/ThemenABisZ/Deliktsbereiche/InternetKriminalitaet/internetKriminalitaet node.html? nnn=true)

Östereich: http://www.bmi.gv.at/cms/BK/meldestellen/internetkri…

Schweiz:
http://www.cybercrime.admin.ch/kobik/de/home.html

Ich hoffe, ich konnte Deine Fragen abschliessend beantworten.

Mit freundliche Grüssen

Erich

Hallo,

festnehmen kann man jemanden in der Tat nur auf sog. „frischer Tat“. Etwas anderes ist aber die Zuführung zur Polizei, ohne allerdings Haftbefehle auszuführen oder personenbezogene Daten aufzunehmen, es kann in dieser Situation übrigens auch Anzeige erstattet werden.

Im Fall des Chat befürchte ich, dass es günstiger wäre, den Täter auf frischer Tat zu erwischen, es besteht nur die Schwierigkeit der Beschlagnahme des PC, diese ist nur der Polizei gestattet.

Ich hoffe, es hat ein wenig weiter geholfen.

Viele Grüße,
Paragraf-X

Hallo,
bitte auf keinen Fall Selbstjustiz üben.
Schnellstmöglich Anzeige bei der Polizei erstatten und Dokumente (E-Mails) dazufügen.
LG Katja

Guten Tag,

die vorläufige Festnahme durch Jedermann ist ein „Notbehelf“,wenn obrigkeitliche Hilfe nicht sofort eingreifen kann.

Bei den angeführten Straftaten im Internet besteht Zeit, die Strafverfolgungsbehörden (Polizei/Staatsanwaltschaft) zu informieren, so dass von dort aus zu agieren ist. Zum Treff fahren und dort „vorläufig festnehmen“ ist nicht durch § 127 StPO gedeckt.

Die zeitliche Frist endet sofort (Tat entdecken, Täter erkennen und festnehmen und Polizei verständigen)Aus mit der zeitlichen Frist.

Mit freundlichen Grüßen,
W. Görtz

) Wird jemand auf frischer Tat betroffen oder verfolgt, so ist, wenn er der Flucht verdächtig ist oder seine Identität nicht sofort festgestellt werden kann, jedermann befugt, ihn auch ohne richterliche Anordnung vorläufig festzunehmen. Die Feststellung der Identität einer Person durch die Staatsanwaltschaft oder die Beamten des Polizeidienstes bestimmt sich nach § 163b Abs. 1.
Das wird an der Fluchtgefahr scheitern. Eine Anzeige bei der Polizei und deren Ermittlungen wären auf jeden Fall besser. Frische Tat ist nicht zeitlich genau definierbar. Es muss ein zeitlicher Zusammenhang mit der Straftat sein. Wen jemand mit einem gestohlenen Pkw wochenlang untewrwegs ist, ist immer noch frische Tat.
Anzeige bei der Polizei ist immer noch das Beste.
mfg.
W.

Gegenfrage: Weshalb sollte sich Y in Gefahr begeben, wenn X eine Straftat begangen hat?
Ganz einfach: Polizei vom Treffen informieren! Wozu haben wir denn die Polizei?!
Dürfte Y bei diesem Treffen X festnehmen?

in diesem Fall ist m.M. nach die einzige Möglichkeit die Anzeige bei Polizei bzw. Staatsanwaltschaft. Selbst Detektiv oder Polizist spielen dürfte nicht erlaubt sein.